2 Agnosvos Karawane
Der Regen setzte ein, kaum dass sie die Ebene zu überqueren begannen. Die Ziegen, die sie so sicher durch die Berge getragen hatten, waren den nachgiebigen, aufgeweichten Boden nicht gewohnt und kamen deshalb nur so langsam voran. Einen Monat lang ritten sie nun schon so dahin in ihre Umhänge gehüllt und bis auf die Knochen durchgefroren. Immer häufiger pochte Falkenmonds Schädel, dann presste er die Hände dagegen, und seine Augen starrten schmerzerfüllt ins Leere. Er wusste, dass die Lebenskraft des Juwels Graf Brass’ Bande zu durchbrechen begann, und er zweifelte, dass er Yisselda je wieder sehen würde.
Pausenlos peitschte der von einem kalten Wind getriebene Regen auf sie herab. Durch den bewegten Wasservorhang sah Falkenmond weites Marschland vor ihnen liegen, zerfetzte Stechginsterbüsche und schwarze, verschrumpelte Bäume. Er konnte kaum die Richtung bestimmen, in die sie ritten, denn meistens war der Himmel wolkenverhangen. Das einzige Orientierungsmittel waren die Gebüsche, die hier ausnahmslos in südliche Richtung geneigt wuchsen. Er hatte nicht erwartet, hier, so weit im Osten, auf eine solche Landschaft zu treffen. Er vermutete, dass irgendein Ereignis während des tragischen Jahrtausends der Gegend dieses Aussehen gegeben hatte.
Falkenmond strich sich die feuchten Haare aus der Stirn und fühlte das harte Juwel, das dort eingebettet war. Er schauderte, blickte auf Oladahns erbarmungswürdiges Gesicht und dann wieder auf den Regen. In einiger Entfernung erkannte er einen dunklen Streifen, das mochte ein Wald sein, wo sie wenigstens vor dem Regen geschützt wären. Die spitzen Hufe der Ziegen stolperten durch das sumpfige Gras. Falkenmond fühlte sich schwindlig, als nagte etwas an seinem Gehirn, und ein Druck lastete ihm auf der Brust. Er schnappte nach Luft und presste einen Unterarm gegen die Stirn. Oladahn blickte ihn mitfühlend an.
Schließlich erreichten sie den Wald. Die Bäume hier wuchsen nicht aufrecht, sie lagen fast am Boden, und das Vorankommen war hier noch langsamer als zuvor, zumal sich überall schwarzes Wasser zu kleinen Teichen gesammelt hatte, die umgangen werden mussten. Die Stämme und Äste der Bäume wirkten unnatürlich verwachsen, sie drehten sich mehr auf den Boden zu, als weg davon. Die Borke war schwarz oder braun. Zu dieser Jahreszeit trugen die Bäume kein Laub, aber trotzdem war der Wald dicht und schwer zu durchqueren. Ehe sie hineingelangten, mussten sie einen kleinen flachen Graben durchqueren.
Die Hufe der Ziegen platschten durch schlammiges Wasser, als sie in den Wald hineinritten, der ihnen wenig Schutz vor dem unaufhörlichen Regen bot.
Am Abend ließen sie sich auf relativ trockenem Boden nieder. Falkenmond versuchte, Oladahn zu helfen, ein Feuer zustandezubringen, aber bald war er gezwungen, sich gegen einen Baumstrunk zu lehnen, wo er nach Luft rang und sich die Hände gegen den Kopf presste.
Am nächsten Morgen ging es weiter durch den Wald, Oladahn führte auch die Zügel von Falkenmonds Ziege; denn der Herzog von Köln lag nun auf seinem Reittier und umklammerte dessen Hals. Am späten Vormittag hörten sie menschliche Stimmen, und Oladahn zog in der Richtung, aus der diese kamen, weiter.
Es war eine Art Karawane, die sich durch den Schlamm und zwischen dem Wasser und den Bäumen dahinbewegte. Etwa fünfzehn Wagen mit durchweichten Seidenplanen in Scharlach, Gelb, Blau und Grün. Maultiere und Ochsen plagten sich ab, getrieben von Männern mit Peitschen und spitzen Stöcken, die neben ihnen gingen. An den Wagenrädern halfen andere Männer mit, sie fortzubewegen, und auch hinter den Wagen schoben und drückten welche mit aller Kraft. Trotzdem jedoch kamen die Wagen kaum voran.
Es waren jedoch die Reisenden, denen die beiden Beobachter ihre Aufmerksamkeit schenkten. Falkenmond sah sie durch seine getrübten Augen und wunderte sich.
Ausnahmslos waren sie grotesk: Zwerge und Riesen und Fettleibige, Menschen, die am ganzen Körper mit Fell bedeckt waren – ähnlich wie bei Oladahn, nur dass ihr Pelz unschön anzusehen war –, andere bleich und haarlos, ein Mann mit drei Armen, eine Frau mit nur einem Arm, ein Paar, Mann und Frau, mit Bocksfüßen, Kinder mit Bärten, Hermaphroditen mit den Merkmalen beider Geschlechter, weitere mit schuppiger, gefleckter Haut wie Schlangen, wieder andere mit Schwänzen, missgestalteten Gliedmaßen und krummen Körpern. Gesichter ohne Nasen oder Lippen oder sonst wie entstellt, manche der Gestalten waren bucklig, ohne Hälse, einer hatte purpurnes Haar und ein Horn, das aus seiner Stirn wuchs. Nur der Gesichtsausdruck war bei allen derselbe – hoffnungslos und verzweifelt.
Falkenmond vermeinte, in der Hölle zu sein und auf die Verdammten zu schauen.
Der Wald roch nach feuchter Rinde und nassem Moder, und nun mischten sich noch andere Gerüche in die feuchte Luft. Es waren der Gestank von Menschen und Tieren, schwere Duftessenzen, würzige Kräuter, aber irgendetwas anderes überlagerte dieses Geruchsgemisch und ließ Oladahn schaudern. Falkenmond hatte sich ein wenig aufgerichtet und schnüffelte nun wie ein vorsichtiger Wolf. Er runzelte die Brauen und sah Oladahn an. Die missgestalteten Wesen schienen die Neuankömmlinge nicht zu bemerken, sondern setzten still ihre Bemühungen fort. Nur das Ächzen der Wagen war zu hören und das Schnauben und Platschen der Tiere in den Jochen.
Oladahn zog am Zügel und wollte von der Karawane wegreiten, Falkenmond aber folgte seinem Beispiel nicht. Er starrte weiter auf die seltsame Prozession.
»Kommt«, sagte Oladahn. »Hier lauert Gefahr, Lord Falkenmond.«
»Wir müssen uns erkundigen, wo wir uns befinden. Auch haben wir kaum noch etwas zu essen. Außerdem glaube ich zu wissen, wessen Karawane dies ist.«
Der Kleine blickte ihn fragend an.
»Ein Mann führt sie an, von dem ich gehört, den ich aber nie selbst kennen gelernt habe. Er ist ein Landsmann, ein Verwandter sogar, der Köln vor neunhundert Jahren verließ.«
»Vor neunhundert Jahren? Aber das gibt es doch gar nicht!«
»O doch! Lord Agonosvos ist unsterblich – zumindest fast. Wenn er es wirklich ist, könnte er uns helfen, denn ich bin immer noch sein rechtmäßiger Herrscher …«
»Ihr glaubt, er kennt noch ein Gefühl der Treue für Köln? Nach neunhundert Jahren?« zweifelte Oladahn.
»Wir werden sehen.« Falkenmond lenkte sein Reittier auf den vordersten Wagen der Karawane zu, dessen Plane aus goldener Seide und mit komplexen Mustern bemalt war. Mit einem unguten Gefühl folgte der Kleine ihm, als Falkenmond bereits einen Mann in Bärenfellumhang ansprach. Sein Kopf war bis auf die Augen verborgen hinter einem einfachen, schwarzen Helm.
»Lord Agonosvos«, sagte Falkenmond. »Ich bin der Herzog von Köln, der letzte jener, deren Herrschaft tausend Jahre zurückreicht.«
»Ein Falkenmond. Nicht schwer zu erkennen! Ohne Land jetzt, eh?« erwiderte der Angesprochene lakonisch mit tiefer Stimme. »Granbretanien nahm Köln, ist es nicht so?«
Falkenmond nickte.
»Und so sind wir beide des Landes verbannt. Ich durch Euren Vorfahren, Ihr durch die Eroberer.«
»Sei es, wie es mag. Ich bin der letzte des Herrscherhauses und somit Euer Regent.« Falkenmond blickte ihn fest an.
»Mein Regent, he? Die Befehlsgewalt über mich wurde aufgehoben, als mich Herzog Dietrich in die wilden Lande schickte.«
»Ihr wisst sehr wohl, dass kein Gefolgsmann Kölns sich seinem Prinzen verweigern darf.«
»Darf er das nicht?« Agonosvos lachte still. »Darf er das nicht?« Falkenmond wollte sich abwenden, aber Agonosvos hob eine dünne, knochenweiße Hand. »Bleibt. Ich habe Euch beleidigt und muss es wieder gutmachen. Wie kann ich Euch dienen?«
»Ihr gebt zu, dass Ihr mir ergeben seid?«
»Ich gebe zu, dass ich unhöflich war. Ich werde meine Karawane anhalten lassen und Euch gastfreundlich aufnehmen. Was ist mit Eurem Diener?«
»Er ist nicht mein Diener, sondern mein Freund. Oladahn von den Bulgarbergen.«
»Ein Freund? Und nicht von Eurer Rasse? Doch mag er uns Gesellschaft leisten, wenn Ihr es so wollt.« Er lehnte sich aus seinem Wagen und rief ein paar Befehle. Die Leute, die die Wagen geschoben hatten, hielten an. Sie blieben stehen, wo sie waren, ihre Körper waren schlaff und in den Augen erkannte man stumpfe Verzweiflung.
»Wie gefällt Euch meine Sammlung?« erkundigte Agonosvos sich, als sie von ihren Ziegen in den Wagen gestiegen waren. »Diese grotesken Geschöpfe amüsierten mich einst, doch nun bin ich ihrer überdrüssig, und sie müssen arbeiten, um sich ihren Unterhalt zu verdienen. Ich habe einen von fast jeder Art.« Er betrachtete Oladahn. »Auch Euresgleichen. Manche züchtete ich durch mehrfache Kreuzung selbst.«
Oladahn fühlte sich unbehaglich. Es war unnatürlich warm in dem Wagen, von einem Ofen oder einer anderen Wärmequelle jedoch war nichts zu sehen. Agonosvos goss ihnen aus einer blauen Kürbisflasche ein. Der Wein selbst war von tiefblauer Farbe. Der uralte Vertriebene aus Köln trug noch immer seinen schwarzen, glatten Helm, und seine schwarzen, ironischen Augen sahen Falkenmond beinahe abschätzend an.
Falkenmond gab sich große Mühe, wie ein gesunder Mann zu wirken, aber es war offensichtlich, dass Agonosvos die Wahrheit vermutete. Als er ihm einen goldenen Weinkelch reichte, sagte er: »Das wird Euch gut tun, mein Lord.«
Der Wein belebte ihn tatsächlich, und bald waren auch die Schmerzen verschwunden. Agonosvos fragte ihn, wie er in diesen Teil der Welt gelangt war, und Falkenmond erzählte einen großen Teil seiner Geschichte. »So, und ich soll Euch also helfen, unserer Verwandtschaft wegen, eh? Ich werde darüber nachdenken. Inzwischen ruht Euch in meinem Wagen aus, den ich für Euch richten ließ. Am Morgen unterhalten wir uns weiter.«
Falkenmond und Oladahn schliefen nicht sofort ein. Sie lagen unter den Seiden und Pelzen, die Agonosvos ihnen zur Verfügung gestellt hatte.
»Er erinnert mich an jene Lords des Dunklen Imperiums, von denen Ihr mir erzähltet«, murmelte Oladahn. »Ich glaube, er meint es nicht gut mit uns. Vielleicht will er sich an uns rächen, weil Euer Vorfahr ihn verbannt hat. Es könnte sein, dass er mich seiner Sammlung einverleiben möchte.« Er schauderte.
»Möglich«, sagte Falkenmond nachdenklich. »Aber es wäre unklug, ihn grundlos zu verärgern. Er könnte uns noch helfen. Schlafen wir darüber.«
»Schlaft wachsam«, mahnte Oladahn.
Aber Falkenmond schlief tief, und als er erwachte, stellte er erschrocken fest, dass er mit dicken Ledergurten gebunden war. Sein unsterblicher Landsmann blickte – das Gesicht immer noch unter dem Helm verborgen – höhnisch auf ihn herab.
»Du wusstest von mir, letzter der Falkenmonds. Aber du wusstest nicht das, was für dich wichtig gewesen wäre. Nicht, dass ich viele Jahre in Londra verbrachte und die Lords von Granbretanien meine Geheimnisse lehrte. Das Dunkle Imperium und ich schlossen ein Bündnis. Baron Meliadus erzählte mir von dir, als ich ihn das letzte Mal traf. Er wird mir jeden Wunsch erfüllen, wenn ich ihm dich ausliefere.«
»Wo ist mein Begleiter?«
»Die Pelzkreatur? Sie hat sich des Nachts verkrochen, als sie uns kommen hörte. Sie sind alle gleich, diese Tiermenschen -dumm und feige.«
»So wollt Ihr mich zu Baron Meliadus bringen?«
»Wie du sagst. Ich werde diese traurige Karawane einstweilen alleine weiterschicken. Wir wollen uns schneller fortbewegen -auf besonderen Reittieren, die ich gerade für eine Gelegenheit wie diese bereithielt. Ihr – bringt ihn her!«
Auf Agonosvos’ Befehl schleppten zwei kräftige Zwerge ihn hinaus in die Morgendämmerung. Immer noch plätscherte der Regen herab und verhinderte eine gute Sicht. Trotzdem sah Falkenmond bereits aus einiger Entfernung zwei große Pferde mit glänzendem, blauem Fell, intelligenten Augen und kräftigen, hohen Beinen. Nie hatte er so schöne Tiere gesehen. »Ich züchte sie selbst«, erklärte Agonosvos ihm gleichgültig. »Nicht ihres Aussehens, sondern ihrer Schnelligkeit wegen. Mit ihnen werden wir Londra bald erreicht haben.«
Er kicherte hämisch, als die Zwerge Falkenmond über den Rücken des einen warfen und ihn an den Steigbügeln festbanden. Dann kletterte er auf den Sattel des zweiten, nahm die Zügel beider Rosse und trieb sie an. Falkenmond erschrak über die schnelle Gangart seines Reittiers. Es bewegte sich leichtfüßig und galoppierte fast so schnell, wie sein Flamingo geflogen war. Aber wo der Vogel ihn seiner Rettung nähergetragen hatte, trug das Pferd ihn zu seiner Vernichtung. Verzweifelt dachte Falkenmond, dass ihm wohl ein hoffnungsloses Schicksal beschieden sei.
Eine lange Weile ritten sie über den aufgeweichten Waldboden. Bald war Falkenmond von oben bis unten mit Schlamm bedeckt und vermochte kaum noch aus den Augen zu sehen. Plötzlich hörte er Agonosvos fluchen und brüllen: »Aus dem Weg!« Falkenmond versuchte etwas zu erkennen, sah jedoch nur des anderen Rücken. Schwach vernahm er eine zweite Stimme, ohne zu verstehen, was sie sagte. Dann ragte plötzlich ein Pfeil aus Agonosvos’ Seite, und der Zauberer stürzte in den Morast.
Eine kleine Gestalt kam nun in seinen Sichtbereich, sprang über den sich windenden Körper, und eine Klinge sägte an den Lederbanden. Falkenmond rutschte aus dem Sattel und hielt sich am Sattelknauf fest. Oladahn grinste ihn an. »Ihr findet Euer Schwert in Agonosvos’ Satteltasche.«
Falkenmond stöhnte erleichtert: »Ich dachte, du wärst in deine Berge zurückgekehrt.«
Der Kleine wollte etwas erwidern, da brüllte Falkenmond: »Pass auf!« Der Zauberer stolperte auf Oladahn zu und warf sich auf ihn. Falkenmond vergaß seine eigenen Schmerzen, rannte zum Pferd des Zauberers und fand dort sein Schwert. Oladahn und Agonosvos rangen miteinander im Schlamm.
Falkenmond sprang hinzu, wagte aber nicht, einen Streich zu führen, um nicht seinen Freund zu verletzen. Er packte Agonosvos’ Schulter und zog ihn zurück. Ein Knurren drang aus dem Helm, und der Zauberer zog sein eigenes Schwert. Es pfiff durch die Luft, als er nach Falkenmond hieb. Falkenmond, der noch kaum richtig stehen konnte, fing den Hieb ab und stolperte zurück. Der Zauberer schlug erneut zu.
Falkenmond lenkte die Klinge ab und schlug, ein wenig schwach, mit dem eigenen Schwert nach Agonosvos’ Kopf, verfehlte ihn und konnte gerade noch den nächsten Streich parieren. Dann erkannte er eine ungedeckte Stelle, nutzte dies und stach die Spitze seiner Waffe in den Bauch des Zauberers. Der kreischte auf und fuhr mit seltsam steifen Schritten zurück; seine beiden Hände hielten Falkenmonds Schwert, das dieser nicht mehr hatte halten können. Dann breitete er die Arme weit aus, begann zu sprechen und fiel ins Wasser eines der schwarzen Teiche.
Keuchend lehnte sich Falkenmond gegen einen Baumstamm, die Schmerzen in seinen Gliedern wurden stärker, als das Blut wieder zu zirkulieren begann.
Oladahn erhob sich aus dem Schlamm, er war kaum wieder zu erkennen. Sein Köcher war ihm vom Gürtel gerissen worden, er hob ihn nun auf und besah sich die Pfeile. »Einige sind kaputt«, sagte er, »aber die werde ich bald ersetzen.«
»Woher hast du sie?« fragte Falkenmond verwundert.
»Als Ihr eingeschlafen wart, beschloss ich, mich ein wenig in Agonosvos’ Lager umzusehen. Ich fand die Pfeile und den Bogen in einem der Wagen und dachte, sie könnten uns vielleicht noch recht nützlich sein. Als ich zu unserem Wagen zurückmarschierte, sah ich den Zauberer hinaufsteigen und erriet sein Vorhaben. Ich hielt mich versteckt und folgte Euch.«
»Wie konntest du das, bei diesen flinken Pferden?«
»Ich fand einen noch schnelleren Verbündeten.« Oladahn grinste und deutete zu den Bäumen. Eine groteske Gestalt mit unglaublich langen Beinen, deren restlicher Körper jedoch normal proportioniert war, eilte auf sie zu. »Das ist Vlespen. Er hasst Agonosvos und half mir nur zu gern.«
Vlespen blickte von seiner gewaltigen Höhe auf sie herab. »Ihr habt ihn getötet«, sagte er. »Gut.«
Oladahn durchstöberte Agonosvos’ Gepäck. Er rollte ein Pergament auf. »Eine Karte. Und genug Proviant für uns drei, um die Küste zu erreichen. Sie ist nicht weit, seht.«
Falkenmond studierte mit Oladahn die Karte, bis zum Mermiameer waren es tatsächlich nur noch etwa hundert Meilen. Vlespen ging, um sich den gefallenen Agonosvos noch einmal anzusehen. Einen Augenblick später hörten sie ihn schreien und fuhren herum, sie sahen, wie der Zauberer mit steifen Schritten auf Vlespen zuging, das Schwert, das ihn niedergestreckt hatte, in der Hand. Das Schwert fuhr hoch und grub sich in Vlespens Bauch, die langen Beine klappten zusammen wie die einer Marionette, dann fiel er. Falkenmond war entsetzt. Aus dem Helm kam ein trockenes Kichern. »Narren! Ich lebe seit neunhundert Jahren. In der Zeit habe ich gelernt, dem Tod mein eigenes Schnippchen zu schlagen.«
Ohne nachzudenken, hechtete Falkenmond auf ihn, er wusste, dass das die einzige Chance war, sein Leben zu retten. Obwohl er einen eigentlich tödlichen Hieb überlebt hatte, war Agonosvos offensichtlich nur geschwächt. Die beiden rangen am Rand des Teiches, und Oladahn hüpfte um sie herum, schließlich sprang er auf den Rücken des Zauberers und zog ihm den Helm vom Kopf. Agonosvos heulte auf, und Falkenmond wurde übel, als er auf den weißen, fleischlosen Kopf starrte. Vor sich sah er das Gesicht eines uralten Leichnams, den die Würmer schon abgenagt hatten. Agonosvos vergrub sein Gesicht in den Händen und stolperte davon.
Als Falkenmond sein Schwert aufhob und sich anschickte, das blaue Pferd zu besteigen, hörte er eine Stimme, die ihm vom Wald nachrief.
»Ich werde das nicht vergessen, Dorian Falkenmond. Baron Meliadus soll noch seinen Spaß mit dir haben – und ich werde dabei sein und mich an deiner Pein ergötzen!«
Falkenmond schauderte und lenkte sein Pferd südwärts, wo, der Karte nach, das Mermiameer lag.
Nach zwei Tagen hatte sich der Himmel gelichtet, und die gelbe Sonne strahlte aus einem blauen Himmel. Vor ihnen lag eine Stadt am glitzernden Meer, von wo aus sie sich in die Türkei einschiffen konnten.