4 Der Kampf auf Burg Brass
Schon eine Woche hielt Baron Meliadus sich auf Burg Brass auf. Nach dem ersten Abend gelang es ihm, seine Haltung wiederzugewinnen. Er verriet auch nicht mehr das geringste Zeichen von Ungeduld, als Graf Brass dem Verlangen und den Verlockungen Granbretaniens kein Ohr schenkte.
Vielleicht war es auch nicht nur sein Auftrag, der ihn so lange hielt. Es war offensichtlich, dass er Yisselda einen beträchtlichen Teil seiner Aufmerksamkeit widmete. Ihr gegenüber zeigte er sich von seiner besten Seite und war besonders aufmerksam. Genauso offensichtlich war es jedoch auch, dass sie in ihrer Unerfahrenheit sich von ihm angezogen fühlte.
Graf Brass schien das nicht zu bemerken. Eines Morgens, als sie auf den oberen Terrassen des Burggartens spazieren gingen, sprach Bowgentle zu seinem Freund.
»Mir scheint, Baron Meliadus plant nicht nur, dich zu verführen, den Verlockungen Granbretaniens zu erliegen«, sagte er. »Er hat eine noch ganz andere Art der Verführung im Sinne, wenn ich mich nicht irre.«
»Was meinst du?« Graf Brass wandte den Blick von den Reben, denen er sich gewidmet hatte. »Was sonst wollte er hier?«
»Deine Tochter«, erwiderte Bowgentle sanft.
»Du siehst Gespenster, weil du dem Baron nicht über den Weg traust«, lachte der Graf. »Er ist ein Gentleman. Und außerdem will er etwas von mir. Er wird doch seine Mission nicht durch einen Flirt in Gefahr bringen. Ich glaube, du tust ihm Unrecht. Mir ist er recht sympathisch.«
»Dann wird es höchste Zeit, dass du dich wieder mit Politik beschäftigst, mein Lord«, sagte Bowgentle erregt, aber trotzdem sanft, »denn es scheint, deine Urteilskraft ist nicht mehr so scharf, wie sie ’einmal war!«
Graf Brass zuckte die Schultern. »Sei es, wie es will. Ich meine, du benimmst dich wie eine nervöse alte Frau, mein Freund. Baron Meliadus hat sich seit seiner Ankunft vorbildlich benommen. Ich gebe zu, es ist mir nicht entgangen, dass er keine Eile an den Tag legt. Ich wünschte, er verließe uns bald. Aber ich habe keinen Hinweis, dass er beabsichtigt, meine Tochter zu heiraten. Eine Heirat zwischen ihm und ihr käme für ihn einem Bündnis zwischen mir und Granbretanien gleich. Aber damit wäre Yisselda nicht einverstanden und ich ebenso wenig.«
»Und was ist, wenn Yisselda ihn liebt, und er Leidenschaft für sie empfindet?«
»Aber wie könnte sie ihn lieben?«
»Nun, sie kennt wenige so gutaussehende und galante Männer hier in der Kamarg.«
»Hmmm«, knurrte der Graf. »Wenn sie den Baron liebt, dann würde sie mir das nicht verschweigen, nicht wahr? Ich glaube deine Geschichte, wenn Yisselda selbst sie mir bestätigt!«
Bowgentle fragte sich, ob die Blindheit des Grafen in dieser Sache wohl darauf zurückzuführen war, dass er insgeheim gar nicht wissen wollte, wie der wahre Charakter jener, die Granbretanien regierten, aussah, oder ob es einfach die Unfähigkeit eines Vaters war, sein Kind so zu sehen wie andere auch.
Bowgentle beschloss, Baron Meliadus und Yisselda nicht mehr aus den Augen zu lassen. Er konnte nicht verstehen, wie der Graf einen Mann schätzen konnte, der schuld am Massaker von Lyttich gewesen war, der Sahbrock brandschatzen ließ und dessen perverse Gelüste der Schrecken aller Sklaven vom Nordkap bis Tunis waren. Der Graf hatte schon zu lange die reine Landluft geatmet und vermochte nun den Gestank der Korruption nicht mehr zu erkennen, selbst wenn er ihm direkt in die Nase stieg.
Obgleich Graf Brass in seinen Gesprächen mit Meliadus sehr zurückhaltend war, war der Baron es durchaus nicht. Er ließ durchblicken, dass selbst in Gebieten, die nicht unter Granbretaniens Herrschaft fielen, unzufriedene Edelleute und Bauern geheime Pakte mit den Agenten des Dunklen Imperiums schlossen, die ihnen Macht versprachen, wenn sie halfen, die Gegner Granbretaniens zu vernichten. Granbretaniens Ambitionen schienen nicht einmal an den Grenzen Asiens, haltzumachen. Jenseits des Mittelmeers gab es wohlorganisierte Gruppen, die bereit waren, das Dunkle Imperium zu unterstützen, sobald die Zeit dafür gekommen schien. Graf Brass’ Bewunderung für die Taktik Granbretaniens wuchs von Tag zu Tag.
»In zwanzig Jahren«, bedeutete ihm Baron Meliadus, »wird ganz Europa unser sein. Zehn Jahre später gehört uns Arabien- und alle Länder rundherum. Und noch ehe fünfzig Jahre vergangen sind, werden wir stark genug sein, jenes geheimnisumwitterte, Land anzugreifen, das sich Asiakommunista nennt …«
»Ein uralter und romantischer Name«, meinte Graf Brass. »Ein Land, das von Zauberei beherrscht wird. Ist nicht dort der Runenstab zu finden?«
»So wird berichtet – dass er auf dem höchsten Berg der Welt steht, wo der Schnee ewig wirbelt und der Wind nie zu stürmen aufhört. Behaarte Männer von unvorstellbarer Weisheit sollen ihn beschützen. Männer, die zehn Fuß hoch sind und das Gesicht von Affen haben.« Baron Meliadus lächelte. »Aber es gibt viele Orte, an denen der Runenstab angeblich sein soll -selbst in Amarekh, sagt man.«
Graf Brass nickte. »Ah, Amarekh. In Eure Träume von einem Weltreich, schließt Ihr da auch Amarekh ein?« Amarekh war der gewaltige Kontinent, der angeblich jenseits des Meeres weit im Westen liegen und von göttergleichen Mächten beherrscht werden sollte. Man glaubte, dass das Leben dort unvorstellbar ruhig und friedlich sei. Das Tragische Jahrtausend, als der Rest der Welt in Schutt und Asche zerfiel, sei an Amarekh unbemerkt vorbeigegangen, ging die Geschichte. Graf Brass hatte nur einen Spaß gemacht, als er diesen Erdteil erwähnte, aber Baron Meliadus lächelte verstohlen, und seine Augen glänzten.
»Warum nicht?« meinte er. »Ich stürmte selbst die Himmelsmauern, wenn ich sie fände.«
Ein leises Unbehagen machte sich in Graf Brass breit. Zum ersten Mal fragte er sich, ob sein Entschluss, neutral zu bleiben, wirklich so gut war, wie er geglaubt hatte.
Yisselda war zwar nicht weniger klug als ihr Vater, aber ihr fehlte sowohl seine Erfahrung als auch seine normalerweise unfehlbare Menschenkenntnis. Sie fand selbst des Barons berüchtigten Ruf interessant, glaubte aber zur gleichen Zeit nicht, dass all die Geschichten über ihn wahr seien. Denn wenn er sich mit ihr in seiner einschmeichelnden Stimme unterhielt und ihre Schönheit pries, sah sie in ihm einen Mann von sanftem Gemüt, der nur aufgrund seines Standes und seiner Rolle in der Geschichte dazu gezwungen war, sich grimmig und skrupellos zu geben.
Zum dritten Mal seit seiner Ankunft stahl sie sich aus ihrer Kemenate, um sich mit ihm im Westturm zu treffen, der seit dem gewaltsamen Tod des vorherigen Lordhüters nicht mehr benutzt wurde.
Die Rendezvous waren auch völlig harmlos gewesen -Händehalten, eine Berührung mit den Lippen, geflüsterte Liebesbeteuerungen und ein Heiratsantrag. Obgleich sie sich noch nicht entschließen konnte, letzteren anzunehmen (denn sie liebte ihren Vater und spürte, dass sie ihm weh tun würde, wenn sie den Baron heiratete), vermochte sie sich der Aufmerksamkeit des Barons nicht zu entziehen. Sie war sich nicht sicher, ob es Liebe war, die sie für ihn empfand, aber sie genoss das Gefühl von Abenteuer und Aufregung, das ihr diese heimlichen Zusammenkünfte boten.
An diesem Abend, als sie leichtfüßig durch die dunklen Gänge huschte, ahnte sie nicht, dass ihr jemand folgte – jemand in einem schwarzen Umhang, mit einem langen Dolch, noch in seiner Lederhülle, in der Rechten.
Mit klopfendem Herzen und erwartungsvollem Lächeln rannte Yisselda die Wendeltreppe des Turmes empor zu einer kleinen Kammer, wo der Baron sie bereits erwartete.
Er verbeugte sich tief vor ihr, dann nähme er sie in die Arme und liebkoste ihre samtige Haut durch das dünne seidene Nachtgewand. Sein Kuss war diesmal fordernder, ja schon fast brutal, und ihr Atem ging schneller, als sie ihn erwiderte und ihre Arme fest um seinen Rücken klammerte. Nun wanderte seine Hand tiefer, zu ihrer Mitte, dann zu ihren Hüften, und einen Augenblick schmiegte sie sich dicht an ihn. Doch dann versuchte sie sich von ihm zu lösen, als eine ihr völlig fremde Panik sie befiel.
Er aber hielt sie keuchend fest. Ein Mondstrahl fiel durch das schmale Fenster auf sein Gesicht, und sie sah seine gesträubten Brauen und den stechenden Blick.
»Yisselda, Ihr müsst mich heiraten!« stieß er hervor. »Wir können noch heute Nacht Burg Brass verlassen und haben bereits morgen die Türme der Kamarg hinter uns. Euer Vater würde es nicht wagen, uns nach Granbretanien zu folgen.«
»Mein Vater würde alles wagen«, erwiderte sie überzeugt. »Aber ich hege nicht den Wunsch, mein Lord, ihn zu diesem Wagnis zu veranlassen.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Dass ich Euch nicht ohne seine Zustimmung ehelichen würde.«
»Gäbe er denn seine Zustimmung?«
»Ich glaube es nicht.«
»Dann …«
Sie versuchte, ganz von ihm freizukommen, aber seine kräftigen Hände packten ihre Arme. Sie fragte sich, wie ihre Leidenschaft sich so schnell hatte in Furcht verwandeln können.
»Ich muss gehen!« keuchte sie.
»Nein, Yisselda, ich bin es nicht gewohnt, abgewiesen zu werden. Erst verweigert Euer dickköpfiger Vater mir, worum ich ihn bat – und jetzt Ihr! Ich töte Euch eher, als Euch gehen zu lassen ohne Euer Versprechen, mich nach Granbretanien zu begleiten!«
Er zog sie heftig an sich und presste seine Lippen auf ihre. Sie stöhnte, als sie sich zu wehren versuchte.
Da betrat die dunkelgekleidete Gestalt die Kammer und zog Jen Dolch aus der Scheide. Der Stahl leuchtete im Mondlicht. Baron Meliadus starrte den Eindringling böse an, gab jedoch das Mädchen nicht frei.
»Lasst sie los!« befahl der Mann mit der Klinge. »Denn tut Ihr es nicht, muss ich Euch hier und jetzt entgegen aller meiner Prinzipien töten.«
»Bowgentle!« schluchzte Yisselda. »Holt meinen Vater. Ihr seid nicht stark genug, mit ihm zu kämpfen!«
Baron Meliadus lachte und stieß Yisselda rücksichtslos in die entgegengesetzte Ecke der Kammer. »Kämpfen?« höhnte er. »Es wäre kein Kampf mit Euch, Philosoph, sondern eine Schlächterei. Geht mir aus dem Weg, und ich lasse Euch in Frieden – aber das Mädchen nehme ich mit mir!«
»Geht alleine«, erwiderte Bowgentle. »Ich möchte nicht Euer Leben auf mein Gewissen laden. Doch Yisselda bleibt!«
»Sie wird heute Nacht mit mir gehen – ob es ihr Wunsch ist oder nicht!« Meliadus warf seinen eigenen Umhang zurück und gab so ein Kurzschwert frei, das von seiner Seite hing.
»Geht mir aus dem Weg, Sir Bowgentle, oder ich verspreche Euch, dass Ihr nicht leben werdet, um ein Lied über diese Geschichte zu reimen.«
Bowgentle ließ sich nicht einschüchtern. Nach wie vor zeigte die Spitze seines Dolches auf die Brust des Barons.
Mit flinker Handbewegung zog der Granbretanier das Schwert aus der Scheide.
»Eure letzte Chance, Philosoph!« warnte er.
Yisselda stieß einen schrillen Schrei aus, der durch die ganze Burg zu dringen schien.
Wütend hob Meliadus das Schwert.
Bowgentle sprang vorwärts und stieß ungeschickt mit dem Dolch zu. Doch die Waffe prallte an dem dicken Lederwams des Barons ab. Meliadus lachte höhnisch und schlug zweimal auf Bowgentle ein. Ein Hieb traf dessen Kopf, der zweite seine Brust. Der Philosoph brach auf dem Steinboden zusammen.
Yisselda schrie erneut auf, doch diesmal aus Grauen und Mitleid für den väterlichen Freund. Baron Meliadus packte das sich heftig wehrende Mädchen am Arm und drehte ihn, dass sie wimmerte. Wie einen Sack warf er sie sich über die Schulter und begann die Wendeltreppe hinunterzusteigen.
Er musste durch die große Halle, um zu seinen Gemächern zu kommen. Graf Brass stürmte gerade durch die entgegengesetzte Tür. Als er Meliadus kommen sah, blieb er stehen und versperrte sie. Er erwartete den anderen mit einem Breitschwert in den Händen.
»Vater!« rief Yisselda gellend. Der Granbretanier schleuderte sie von sich und zückte sein Kurzschwert.
»So hatte Bowgentle doch recht!« knurrte der Graf. »Ihr missbraucht meine Gastfreundschaft, Baron.«
»Ich will Eure Tochter. Sie liebt mich.« »So sieht es aus«, meinte der Graf ironisch. Er warf einen Seitenblick auf Yisselda, die schluchzend auf die Füße kam. »Verteidigt euch, Baron.«
Baron Meliadus runzelte die Stirn. »Ihr habt ein Breitschwert, während meine Klinge kaum mehr als ein Tafelmesser ist. Abgesehen davon habe ich nicht das Bedürfnis, mit einem Mann Eures Alters zu kämpfen. Gewiss können wir uns friedlich …«
»Vater – er hat Bowgentle getötet!«
Graf Brass erbebte vor Grimm, als er das vernahm. Er schritt zur Wand und holte das größte und beste Schwert. Wortlos warf er es dem Baron zu. Meliadus ließ seine eigene Klinge fallen und ergriff das Schwert. Nun befand er in seinem dicken Lederwams sich im Vorteil, denn der Graf trug nur sein linnenes Nachtgewand.
Graf Brass kam mit erhobenem Breitschwert auf ihn zu und holte aus. Doch der Baron parierte gewandt. Wie Männer, die einen gewaltigen Baum fällen wollen, schwangen sie ihre schweren Klingen. Das Schwertgeklirr ließ des Barons Diener und die Gefolgsleute herbeieilen. Letztere überlegten offenbar noch, ob sie eingreifen sollten, als bereits von Villach mit seinen Männern in die Halle stürmte. Die Granbretanier sahen, dass sie in der Minderzahl waren, und beschlossen abzuwarten.
Funken sprühten in der Dunkelheit der Halle, als die beiden Männer mit den Breitschwertern aufeinander einhieben. Jeder Schlag wurde mit meisterlichem Geschick pariert. Schweiß bedeckte beider Gesichter, und sie atmeten schwer, während sie kämpfend die Halle durchmaßen.
Baron Meliadus’ Klinge streifte des Grafen Schulter, während Brass’ Schwert am dicken Lederwams seines Gegners abglitt. Eine Reihe flinker Hiebe folgte, dass es schien, als müssten beide Männer in Stücke gehauen sein. Aber als sie je einen Schritt zurücktraten, um sich zu einem neuen Angriff bereitzumachen, hatte der Graf lediglich eine unbedeutende Schnittwunde auf der Stirn davongetragen, und sein Nachtgewand war aufgeschlitzt, während des Barons Wams in Fetzen von der Brust hing und auch ein Ärmel aufgerissen war.
Ihr Keuchen und das Scharren ihrer Füße mischten sich mit dem Klirren der Schwerter, die Schlag um Schlag aufeinander prallten.
Da stolperte Graf Brass über ein niedriges Tischchen und stürzte auf den Rücken. Triumphierend grinste Baron Meliadus und hob seine Waffe. Der Graf rollte zur Seite und brachte mit einem Hieb gegen dessen Beine auch den Baron zu Fall.
Beide vergaßen für den Augenblick die Klingen und rangen auf dem Steinboden, die Zähne wütend gefletscht, während die Schwerter, die noch an Schlaufen an ihren Handgelenken hingen, gegen den Boden schlugen.
Baron Meliadus warf sich zurück und sprang flink auf, doch im gleichen Augenblick kam auch der Graf behände auf die Füße. Er schwang sein Schwert und schlug dem Gegner die Waffe aus der Hand, dass sie durch die ganze Halle schlitterte und in einer Holzsäule stecken blieb.
Graf Brass’ Augen verrieten kein Mitleid, nur die Absicht, den Baron zu töten.
»Ihr habt meinen getreuesten und besten Freund ermordet«, knurrte er und hob sein Breitschwert. Baron Meliadus faltete die Hände über der Brust und wartete mit gesenktem Blick und – wie es schien – gelangweilter Miene auf den Todesstoß.
»Ihr habt Bowgentle getötet, und deshalb töte ich Euch!«
»Brass!«
Der Graf zögerte, das Schwert hoch über dem Kopf erhoben.
Es war Bowgentles Stimme. »Brass, ich lebe. Er traf mich nur mit der flachen Klinge, und die Wunde in meiner Brust ist nicht gefährlich.«
Bowgentle bahnte sich einen Weg durch die Dienerschaft, die Hand auf seiner Brustverletzung und mit einer Platzwunde auf der Stirn.
Graf Brass seufzte erleichtert. »Danke dem Schicksal dafür, Bowgentle. Aber trotzdem …« Er betrachtete finster den Baron. »Dieser Schurke wagte es, meine Gastfreundschaft zu missbrauchen, meine Tochter zu beleidigen und meinen Freund zu verwunden …«
Baron Meliadus hob den Kopf und blickte dem Grafen in die Augen. »Verzeiht mir, Graf Brass. Die Schönheit Eurer Tochter raubte mir die Sinne. Ich beabsichtigte nicht, um mein Leben zu bitten, als Ihr mich bedrohtet, doch nun ersuche ich Euch zu verstehen, dass nur ehrliche menschliche Gefühle mich zu meiner Tat bewegten.«
Graf Brass schüttelte den Kopf. »Ich kann Euch nicht vergeben, Baron. Auch werde ich nicht länger Eure doppelzüngigen Worte anhören. Innerhalb einer Stunde müsst Ihr meine Burg und bis zum Morgen mein Land verlassen haben, oder ich kenne keine Gnade mehr.«
»Ihr würdet es wagen, den Zorn Granbretaniens auf Euch zu laden?«
Der Graf schüttelte den Kopf. »Es liegt mir fern, das Dunkle Imperium zu beleidigen. Wenn Euer König die Wahrheit über diesen Vorfall erfährt, wird er Euch für Eure Untat bestrafen und nicht gegen mich ziehen, weil ich der Gerechtigkeit Genüge tat. Ihr habt versagt, was Euren Auftrag betrifft, Baron. Ihr habt meinen Zorn auf Euch geladen, nicht ich den Granbretaniens auf mich.«
Vor Grimm kochend, jedoch ohne ein weiteres Wort verließ der Baron die Halle, um sich für die Reise bereitzumachen. Noch ehe eine halbe Stunde verstrichen war, rollte sein bizarres Gefährt durch das Burgtor. Er verabschiedete sich nicht.
Graf Brass, Yisselda, Bowgentle und von Villach standen im Burghof und blickten ihm nach.
»Du hattest recht, Bowgentle«, murmelte der Graf. »Yisselda und ich, wir beide ließen uns von diesem Menschen blenden. Kein Abgesandter Granbretaniens wird je noch meine Burg betreten.«
»Du siehst also nun ein, dass das Dunkle Imperium bekämpft werden muss?« erkundigte Bowgentle sich hoffnungsvoll.
»Das sagte ich nicht. Soll es tun, was ihm beliebt. Uns hier wird weder Granbretanien noch Baron Meliadus belästigen.«
»Du täuschst dich, mein Freund«, murmelte Bowgentle überzeugt.
Und während die schwarze Kutsche über die nächtlichen Straßen der Kamarg holperte, schwor Baron Meliadus einen Eid bei dem Geheimnisvollsten und Heiligsten, das er kannte. Er schwor beim Runenstab, jenem verlorenen Relikt, das alle Geheimnisse der Vorsehung in sich barg, dass er Graf Brass, gleichgültig durch welche Mittel auch immer, in seine Hände bekommen, dass er Yisselda besitzen und die Kamarg zu einem Ruinenfeld machen würde, auf dem alle ihre Bürger ihr Leben lassen müssten.
Dies schwor er beim Runenstab. Und dadurch war das Geschick von Baron Meliadus, Graf Brass, Yisselda und das des Dunklen Imperiums, und all jener, die jetzt und später in die Ereignisse auf Burg Brass eingriffen, unabänderlich entschieden.
Das Spiel stand fest, die Bühne war frei und der Vorhang hoch.
Nun mussten die Spieler ihrer Bestimmung folgen.