5 Pahl Bewchard
Als das schwarze und blaue Schiff Seite an Seite mit dem ihren war, hörte Falkenmond Valjons Stimme.
»Lasst ab von den Sklaven! Macht euch bereit, Bewchards Hunde abzuwehren!«
Die restlichen Piraten zogen sich vorsichtig von Falkenmond und d’Averc zurück. Falkenmond stieß mit der Klinge nach einem, er war aber ebenso wie d’Averc zu erschöpft, die Seeleute zu verfolgen.
Sie blieben keuchend an der Reling lehnen und sahen zu, wie vom gegnerischen Schiff Matrosen in Wämsern und engen Beinkleidern, in der gleichen Farbe wie ihr Schoner, sich an Tauen auf das Deck des Flußfalken schwangen. Sie waren mit schweren Streitäxten und Säbeln bewaffnet und kämpften mit einer Finesse, gegen die die Piraten nicht ankamen.
Falkenmond hielt nach Valjon Ausschau, aber der hatte sich vermutlich inzwischen unter Deck zurückgezogen.
Er drehte sich nach d’Averc um. »Wir haben unseren Teil am Blutvergießen beigetragen. Was hältst du von einer etwas weniger tödlichen Beschäftigung? Wir könnten die armen Teufel auf den Ruderbänken befreien.« Er sprang hinunter ‚auf den Backbordaufgang und von dort auf den Laufgang, dann beugte er sich über die Rudersklaven und durchtrennte die Seile, mit denen sie an die Ruder gefesselt waren.
Die Ruderer blickten verwundert hoch, die meisten verstanden gar nicht, was Falkenmond und d’Averc für sie taten.
»Ihr seid frei«, erklärte Falkenmond ihnen.
»Frei«, wiederholte d’Averc. »Hört auf mich und verlasst lieber das Schiff, solange ihr könnt, denn man kann nicht abschätzen, wie der Kampf ausgehen wird.«
Die Sklaven standen auf, streckten ihre schmerzenden Glieder und kletterten dann einer nach dem anderen hoch zur Reling und ließen sich ins Wasser gleiten.
D’Averc blickte ihnen grinsend nach.
»Schade, dass wir nicht auch den anderen auf der Steuerbordseite helfen können.«
»Warum nicht?« fragte Falkenmond und deutete auf einen Luk im Laufgang. »Das führt sicher unter Deck.«
Er trat gegen das Schloss, es gab bald nach. Sie stiegen durch die Luke in den finsteren Raum darunter, unmittelbar über sich hörten sie den Kampflärm.
D’Averc hielt kurz inne und schlitzte mit seinem schartigen Säbel ein Bündel auf, das hier lag. Juwelen quollen daraus hervor. »Ihre Beute«, murmelte er.
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit«, brummte Falkenmond, aber d’Averc grinste. »Ich hatte nicht vor, es zu behalten. Aber ich würde auch nicht gerne sehen, dass Valjon sich damit aus dem Staubmacht, falls er mit dem Leben davonkommt. Schau …« Er deutete auf einen dicken Eisenpfropfen im Schiffsboden. »Vielleicht könnten wir hier Wasser ins Schiff lassen.«
Falkenmond nickte. »Gut. Kümmere dich darum. Ich lasse inzwischen die anderen Sklaven frei.«
Er ließ d’Averc zurück und machte sich an der Luke am anderen Ende zu schaffen.
Die Tür sprang unter dem Gewicht zweier Kämpfender auf, die nun nach innen taumelten. Einer trug die Uniform des schwarzen und blauen Schoners, der andere war einer der Piraten des Flußfalken. Mit einem flinken Schwerthieb schaltete Falkenmond den Piraten aus. Der Uniformierte blickte ihn überrascht an. »Ihr seid einer der Männer, die wir auf dem Achterdeck kämpfen sahen!«
Falkenmond nickte. »Woher kommt Ihr?«
»Von Bewchards Schiff«, erwiderte der andere und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Und wer ist Bewchard?«
Der Uniformierte lachte. »Valjons Todfeind, wenn es das ist, was Ihr wissen wollt. Er sah Euch ebenfalls kämpfen und war von Eurem Können beeindruckt.«
»Nun, ich gab auch mein Bestes heute«, erwiderte Falkenmond. »Schließlich focht ich um mein Leben.«
»Das macht viele zu guten Kämpfern«, stimmte der Mann zu. »Ich bin Culard – und Euer Freund, wenn Ihr Valjons Feind seid.«
»Dann warnt Eure Kameraden. Wir versenken das Schiff.« Er deutete in die Finsternis des Laderaums, wo d’Averc sich bemühte, den Pfropfen freizubekommen.
Culard nickte und tauchte wieder zu den Ruderbänken zurück. »Wir sehen uns wieder, Freund, wenn alles vorbei ist«, rief er zurück. »Falls wir am Leben bleiben!«
Falkenmond folgte ihm und begann die Fesseln der Sklaven zu lösen.
Über ihm schienen Bewchards Männer Valjons Piraten zurückzuschlagen. Er spürte, wie das Schiff plötzlich ruckte, und sah d’Averc aus der Tür eilen.
»Wir wollen zusehen, dass wir an Land kommen.« Er lächelte und deutete auf die Sklaven, die über die Reling verschwanden. »Folgen wir ihrem Beispiel.«
Falkenmond nickte. »Ich habe Bewchards Leute gewarnt und glaube, wir haben es Valjon jetzt heimgezahlt.« Er klemmte sich das Schwert unter den Arm. »Ich werde versuchen, es nicht zu verlieren, es ist die beste Klinge, die ich je besaß. Mit ihr wäre so mancher ein ausgezeichneter Schwertkämpfer.«
Er kletterte an Deck und sah, dass Bewchards Männer die Piraten auf die andere Schiffsseite gedrängt hatten und sich nun selbst zurückzogen.
Culard hatte sie offensichtlich gewarnt.
Wasser flutete bereits über die Ruderbänke. Das Schiff würde bald sinken. Falkenmond blickte über die Reling. Zwischen den beiden Schiffen war kaum genügend Platz zum Schwimmen. Am besten war es, sich auf Bewchards Schoner zu retten.
Er gab d’Averc Bescheid, und beide kletterten auf die Reling und sprangen an Deck des Angreifers.
Keine Menschenseele fand sich hier. Nicht einmal Ruderer. Offenbar waren Bewchards Ruderer freie Männer, die am Kampf teilnahmen, und keine Sklaven wie die auf Valjons Schiff.
»Hallo, Freunde!« vernahm er plötzlich eine Stimme, die vom Flußfalken herüberschallte. »Ihr mit dem schwarzen Juwel in der Stirn. Wollt Ihr vielleicht auch mein Schiff versenken?«
Falkenmond drehte sich um und sah einen gutaussehenden jungen Mann, in schwarzes Leder gekleidet, mit einem blutbefleckten blauen Umhang, der über die Schultern zurückgeworfen war, und einem Schwert in der Hand.
»Es dient uns nur als Brücke, wir sind schon wieder auf dem Weg«, versicherte ihm Falkenmond. »Euer Schiff hat von uns nichts zu befürchten.«
»Bleibt einen Augenblick!« Der Schwarzgekleidete stieg auf die Reling des Flußfalken. »Ich möchte Euch danken, dass ihr uns die halbe Arbeit abgenommen habt!«
Widerstrebend wartete Falkenmond, bis der junge Mann zu ihnen herübergesprungen war und auf sie zukam.
»Ich bin Pahl Bewchard, und dies ist mein Schiff. Ich wartete lange darauf, den Flußfalken zu erwischen – und es wäre mir vielleicht auch diesmal nicht gelungen, wenn ihr nicht gegen die Mannschaft gekämpft und uns so Zeit gegeben hättet, uns unbemerkt zu nähern.«
»Schon gut«, brummte Falkenmond. »Aber ich will nicht länger etwas mit Piraten zu tun haben …«
»Ihr verkennt mich, Sir«, erklärte Bewchard. »Ich habe mir vorgenommen, den Fluss von den Piratenlords zu säubern. Ich bin ihr geschworener Feind.«
Bewchards Männer kamen auf ihr eigenes Schiff zurück und lösten die Entertaue. Der Flußfalke drehte sich in der Strömung. Sein Heck lag bereits unter Wasser. Einige der Piraten sprangen über Bord, aber von Valjon war nichts zu sehen.
»Wo ist ihr Anführer geblieben?« murmelte d’Averc, der das Schiff beobachtete.
»Er ist wie eine Ratte. Zweifellos hat er sich längst unbemerkt in Sicherheit gebracht, als er feststellte, dass der Kampf für ihn verloren war. Ihr habt mir sehr geholfen, meine Herren, denn Valjon ist der schlimmste der Piratenlords. Ich bin Euch dankbar.«
Und d’Averc, der immer großen Wert auf Höflichkeit legte, erwiderte: »Und wir sind Euch dankbar, Kapitän Bewchard, dass Ihr im rechten Augenblick gekommen seid, als wir schon keine Hoffnung mehr hatten. Damit sind wir quitt.« Er lächelte freundlich.
Kapitän Bewchard nickte. »Ich danke Euch. Bitte, gestattet mir eine etwas direkte Feststellung. Ihr seid beide verwundet, und Eure Kleidung – nun, sie ist wohl nicht gerade in einem Zustand, in dem Herren wie Ihr sich normalerweise sehen lassen … Ich meine … nun, kurz gesagt, es wäre mir eine große Ehre, wenn Ihr meine Gastfreundschaft hier an Bord meines Schiffes, und nachdem wir angelegt haben, in meinem Haus annehmen würdet.«
Falkenmond blickte ihn nachdenklich an. Der junge Kapitän gefiel ihm. »Und wo gedenkt Ihr anzulegen, Sir?«
»In Narleen, wo ich zu Hause bin«, erwiderte Bewchard.
»Ich danke Euch, Kapitän Bewchard«, sagte Falkenmond. »Wir wissen Euer großzügiges Angebot durchaus zu schätzen. Wir waren ohnehin auf dem Weg nach Narleen. Vielleicht könntet Ihr uns auf dem Weg dorthin einige Informationen geben, die uns nützen.«
»Mit Vergnügen.« Bewchard deutete auf eine Tür unterhalb des Achterdecks. »Dort geht es zu meiner Kabine, meine Herren.«