5 Das Gemetzel im Thronsaal

 

»Beim Runenstab«, murmelte Falkenmond heiser. »Diese Kraft in mir!«

Dann sprang er vor, die große Klinge pfiff durch die Luft und brach den metallgepanzerten Hals des vordersten Kriegers, der Rückhandschlag traf den Mann zur Linken, der zu Boden geschleudert wurde, und der folgende Hieb durchschnitt die Rüstung des Mannes zu seiner Rechten.

Blut und verbogenes Metall waren plötzlich überall. Das Licht des Amuletts warf scharlachrote Schatten auf die Masken der Krieger, als Falkenmond seine Gefährten zum Angriff führte – das war das letzte, was die Granbretanier erwartet hatten.

Aber das Leuchten des Amuletts blendete sie. Sie hoben ihre eisengeschützten Arme vor die Augen und hielten ihre Waffen in der anderen Hand, verwirrt über die Geschwindigkeit, mit der Falkenmond, Oladahn und d’Averc gegen sie vorgingen. Den dreien folgte der Ritter in Schwarz und Gold, dessen gewaltiges Breitschwert sich wie mühelos in einem allesvernichtenden Kreis schwang.

Ein Klirren und Brüllen von den Granbretaniern erklang, als die vier, mit Yisselda immer in ihrem Rücken, sie in den Saal trieben.

Sechs fluchende Axtträger drangen auf Falkenmond ein und versuchten ihn davon abzuhalten, sein tödliches Schwert zu schwingen. Aber der junge Herzog von Köln trat nach einem, stieß einen zweiten mit dem Ellbogen zur Seite und brachte die Klinge auf den dritten herab, dass sie nicht nur den Helm, sondern auch den Schädel darunter spaltete. Die Klinge wurde bei dieser Arbeit rasch stumpf, und Falkenmond benutzte sie mehr als Axt denn als Schwert. Er entriss einem seiner Angreifer die Klinge, ohne jedoch seine wegzuwerfen. Mit dem neuen Schwert hieb er, mit dem alten hackte er auf die Angreifer ein.

»Ah«, flüsterte er anerkennend. »Das Rote Amulett ist seinen Preis wert.« Es baumelte von seinem Hals und verwandelte sein rachedurstiges, schweißüberströmtes Gesicht in eine rote Dämonenmaske.

Schließlich versuchten die Krieger, zur Tür zu fliehen, doch der Ritter und d’Averc standen dort und hieben sie nieder, als sie an ihnen vorbeigelangen wollten.

Flüchtig sah Falkenmond Yisselda, sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben, um das Gemetzel nicht mit ansehen zu müssen, das Falkenmond und seine Gefährten unter den Granbretaniern anrichteten. »Oh, es ist eine süße Rache, diese Kadaver zu erschlagen«, sagte Falkenmond. »Sieh nur hin, Yisselda – dies ist unser Triumph!« Aber das Mädchen blickte nicht auf.

In vielen Stellen des Saales häuften sich nun die Leichen der Niedergestreckten. Falkenmond keuchte und suchte nach weiteren, denen er den Garaus machen könnte, aber es waren keine mehr übrig. Er ließ die fremde Klinge fallen und steckte die eigene in die Scheide. Die Blutlust verließ ihn ebenso rasch, wie sie gekommen war. Er runzelte die Brauen, als er sich das Rote Amulett genauer ansah. Ein einfacher, mit Runen beschnitzter Stab war dort eingeschnitten.

»So«, murmelte er. »Deine erste Hilfe war es also, mich beim Töten zu unterstützen. Ich frage mich immer noch, ob du nicht mehr eine Macht des Bösen als des Guten bist …« Das Licht aus dem Amulett flackerte und wurde schwächer. Falkenmond blickte den Ritter in Schwarz und Gold an. »Das Amulett glänzt nicht mehr – was bedeutet das?«

»Nichts«, erwiderte der Ritter. »Es zieht seine Kraft aus einer großen Entfernung in sich, das kann es nicht über einen längeren Zeitraum hinweg tun. Es wird wieder leuchten.« Er hielt inne und wandte den Kopf. »Ich höre Schritte, die Krieger hier waren wohl nicht die gesamte Streitmacht.«

»Dann wollen wir ihnen entgegengehen«, sagte d’Averc mit einer tiefen Verbeugung und ließ Falkenmond den Vortritt. »Nach Euch, mein Freund! Ihr scheint mir am besten gerüstet, der erste zu sein.«

»Nein«, sagte der Ritter in Schwarz und Gold. »Ich werde gehen. Das Amulett ist für eine Weile außer Kraft. Kommt.«

Vorsichtig traten sie durch die zerborstene Tür. Falkenmond mit Yisselda als letzter. Sie blickte ihn fest an. »Ich bin froh, dass du sie getötet hast«, murmelte sie. »Obgleich ich nicht gerne sehe, wenn der Tod so mitleidlos kommt.«

»Sie leben ohne Mitleid«, erklärte ihr Falkenmond sanft, »und sie verdienen es, ohne Mitleid zu sterben. Nur so kann man den Granbretaniern begegnen. Nun müssen wir uns weiteren von ihnen stellen. Sei tapfer, Geliebte, denn die schlimmste Gefahr liegt noch vor uns.«

Vor ihnen kämpfte der Ritter in Schwarz und Gold bereits gegen die ersten der neuen Truppe. Er schwang sein Schwert mit solcher Heftigkeit, dass sie in der Enge des Ganges zurückstolperten, wozu offenbar auch die Tatsache beitrug, dass keiner ihrer Gegner schwer verletzt zu sein schien, während gut zwei Dutzend ihrer Kameraden offensichtlich den Tod im Inneren des Saals gefunden hatten.

Die Soldaten des Dunklen Imperiums zogen sich auf den mit Leichen übersäten Hof zurück und versuchten sich nun zu formieren. Die vier, die auf sie zukamen, waren von Kopf bei Fuß in Blut gebadet und bildeten einen schrecklichen Anblick, als sie in das Tageslicht hinaustraten.

Immer noch fiel der Regen, und es war kalt, aber gerade das erfrischte Falkenmond und seine Gefährten, und ihr jüngster Erfolg gab ihnen das Gefühl von Unbesiegbarkeit. D’Averc und Oladahn fletschten grinsend die Zähne wie Wölfe und mit solch grimmiger Selbstsicherheit, dass die Granbretanier mit dem Angriff zögerten, obgleich sie zahlenmäßig bei weitem überlegen waren. Der Ritter in Schwarz und Gold hob einen behandschuhten Finger und deutete auf die Zugbrücke. »Zurück!« befahl er mit ernster Stimme. »Oder wir müssen euch vernichten, wie wir eure Kameraden vernichtet haben.«

Falkenmond fragte sich, ob der Ritter nur bluffte oder ob er tatsächlich glaubte, dass sie auch ohne Hilfe des Roten Amuletts so viele erschlagen könnten.

Doch noch ehe er sich dessen klar war, stürmte ein weiterer Trupp Krieger über die Zugbrücke. Sie trugen die Waffen von Gefallenen und schäumten vor Wut.

Die Kriegerinnen des Wahnsinnigen Gottes hatten sich aus den Netzen befreit.

»Zeigt ihnen das Amulett«, flüsterte der Ritter in Schwarz und Gold Falkenmond zu. »Sie sind gewohnt, ihm zu gehorchen.«

»Aber sein Licht ist erloschen«, protestierte Falkenmond.

»Das macht nichts. Zeigt es ihnen!«

Falkenmond zog sich das Rote Amulett über den Kopf und zeigte es den heulenden Frauen.

»Im Namen des Roten Amuletts befehle ich euch, nicht uns anzugreifen, sondern diese …« Er deutete auf die ratlosen Granbretanier. »Kommt, ich führe euch an.«

Falkenmond sprang vorwärts. Sein stumpfes Schwert fällte den vordersten Krieger, noch ehe dieser erfasst hatte, was vor sich ging.

Die Frauen waren den Soldaten des dunklen Imperiums nicht nur zahlenmäßig überlegen, sondern auch in ihrer Blut – und Vernichtungslust, so dass d’Averc den anderen zurief: »Sollen sie es zu Ende bringen – wir können uns nun zurückziehen.«

Falkenmond zuckte die Schultern. »Bestimmt treiben sich noch mehr von den granbretanischen Horden in der Gegend herum. Es ist nicht ihre Art, sich allzu weit von ihrer Hauptmacht zu entfernen.«

»Folgt mir«, rief der Ritter in Schwarz und Gold. »Es scheint mir an der Zeit, die Bestien des Wahnsinnigen Gottes freizulassen.«