7 Zwischenfall in einer Taverne

 

»Falkenmond! Falkenmond! Beim Runenstab, haltet an! Mann, seid Ihr besessen?« D’Averc war besorgt wie noch nie. Er zupfte an Falkenmonds Ärmel, als der Herzog die keuchenden Bestien mit der Peitsche zu noch größerer Geschwindigkeit antrieb. Die Kutsche stürmte nun schon stundenlang dahin. Sie hatten zwei Flüsse überquert und brausten bei Einbruch der Nacht durch einen Wald. Jeden Augenblick mochte ein Baum im Weg sein, und sie würden alle den Tod finden. Selbst die mächtigen, stachelhornigen Katzen begannen zu ermüden, aber Falkenmond peitschte sie erbarmungslos weiter.

»Falkenmond! Ihr seid irr!«

»Man hat mich betrogen!« rief Falkenmond. »Betrogen! Ich hatte die Rettung der Kamarg in diesen Satteltaschen, und der Ritter in Schwarz und Gold stahl sie mir. Er gab mir ein Spielzeug dafür, dessen Kräfte begrenzt sind, im Austausch für eine Maschine, deren Kräfte für meine Zwecke unbegrenzt sind. Weiter ihr Bestien, weiter!«

»Dorian, hör auf ihn. Du wirst uns alle umbringen!« Yisselda schluchzte. »Du wirst dich auch selbst umbringen – und wie willst du so Graf Brass und der Kamarg helfen?«

Das Gefährt hüpfte hoch in die Luft und kam mit einem ohrenbetäubenden Krachen wieder auf dem Boden auf. Kein normales Fahrzeug hätte einen solchen Schlag ausgehalten. Die Passagiere spürten bereits jeden einzelnen Knochen.

»Dorian! Du hast den Verstand verloren? Der Ritter würde uns nie hintergehen. Er hat uns geholfen. Vielleicht haben die Granbretanier ihn überwältigt – und ihm die. Satteltaschen abgenommen.«

»Nein – ich ahnte den Verrat bereits, als er den Stall verließ. Er ist fort – und mit ihm Rinals Geschenk.«

Aber Falkenmonds Wut legte sich langsam, und er peitschte nicht länger auf die müden Tiere ein.

Das Gefährt wurde allmählich langsamer, als die Tiere, nicht länger durch die Peitsche angetrieben, ihrem Bedürfnis nach Ruhe nachkamen.

D’Averc nahm Falkenmond die Zügel ab. Der junge Krieger wehrte sich nicht dagegen. Er ließ sich wie betäubt auf dem Boden der Kutsche nieder und vergrub den Kopf in seinen Händen.

D’Averc hielt die Tiere an, die sich sofort heftig keuchend auf dem Moos ausstreckten.

Yisselda strich über Falkenmonds Haar. »Dorian – die Kamarg braucht nur dich zu ihrer Rettung. Ich weiß nicht, was jenes Geschenk war, aber ich bin sicher, dass wir es nicht benötigen. Außerdem hast du ja noch das Rote Amulett, das uns gewiss noch von Nutzen sein wird.«

Die Nacht war bereits eingebrochen. Der Mond leuchtete durch das Blattwerk der Bäume. D’Averc und Oladahn stiegen aus dem Wagen und rieben ihre wunden Leiber. Dann verschwanden sie, um Holz für ein Feuer zu sammeln.

Falkenmond sah hoch. Das Mondlicht fiel auf sein bleiches Gesicht und auf das Schwarze Juwel in seiner Stirn. Er betrachtete Yisselda mit melancholischen Augen, obwohl seine Lippen zu lächeln versuchten. »Ich danke dir, Liebste, für dein Vertrauen in mich. Aber ich fürchte, es bedarf mehr als nur Dorian Falkenmonds, um den Kampf gegen Granbretanien zu gewinnen. Und die Heimtücke des Ritters hat mir einen großen Schlag versetzt …«

»Es gibt keinen Beweis, dass er tatsächlich …«

»Das nicht, aber ich wusste instinktiv, dass er vorhatte, uns zu verlassen und das Gerät mit sich zu nehmen. Er spürte auch mein Misstrauen. Ich zweifle nicht daran, dass er inzwischen schon viele Meilen zwischen sich und uns gelegt hat. Es ist möglich, dass er, von seiner Warte aus gesehen, nicht einmal einen unehrenhaften Grund für seine Tat hatte, ja, dass dieser Diebstahl vielleicht sogar von größerer Bedeutung ist als mein eigenes Streben. Trotzdem vermag ich seine Handlung nicht zu entschuldigen. Er hat mich an der Nase herumgeführt. Er hat mich betrogen.«

»Wenn er dem Runenstab dient, weiß er wahrscheinlich mehr als du. Vielleicht will er das Gerät, von dem du sprichst, nur retten, oder er hält es für gefährlich, es in deinen Händen zu lassen.«

»Ich habe keinen Beweis, dass er dem Runenstab dient. Er könnte genauso gut für das Dunkle Imperium arbeiten und mich als sein Werkzeug benutzen.«

»Dein Argwohn geht zu weit, Liebster.«

»Mein Misstrauen ist aus den Umständen geboren.« Falkenmond seufzte. »Es wird sich daran wohl auch nichts ändern, solange Granbretanien nicht geschlagen ist oder ich tot bin.« Er presste sie fest an sich und drückte seinen Kopf gegen ihre Brust. So schlief er die ganze Nacht.

 

Am Morgen strahlte die Sonne, aber die Luft war kühl. Der tiefe Schlaf hatte Falkenmonds Stimmung gebessert. Auch die anderen schienen bei froher Laune zu sein. Alle hatten Hunger wie die Wölfe, natürlich erst recht die mutierten Jaguare. Oladahn hatte sich Pfeile geschnitzt und einen Bogen zurechtgebunden und war schon früh zur Jagd in die Tiefe des Waldes verschwunden.

D’Averc hustete theatralisch, während er seinen Eberhelm mit einem Stück Stoff polierte, das er in der Kutsche gefunden hatte.

»Die Luft dieser Gegend tut meiner schwachen Lunge gar nicht gut«, stöhnte er. »Ich wäre viel lieber wieder im Osten, vielleicht in Asiakommunista, wo sich eine edle Zivilisation entwickelt haben soll, wie ich hörte. Möglicherweise würde man meine Fähigkeiten dort schätzen und mich auf einen hohen Posten erheben.«

»Ihr habt also die Hoffnung auf eine Belohnung durch den Reichskönig aufgegeben?« Falkenmond grinste.

»Die Belohnung, die mich durch ihn erwartet, ist die gleiche wie Eure«, erwiderte d’Averc wehmütig. »Wenn dieser verdammte Pilot nicht am Leben geblieben wäre … Und dann sah man mich auch noch in der Burg an Eurer Seite kämpfen … Nein, mein Freund Falkenmond, ich fürchte, meine Ambitionen, soweit sie mit Granbretanien zusammenhängen, wären nun, gelinde gesagt, etwas unrealistisch.«

Oladahn kam unter der Last zweier Rehe über seinen Schultern angestolpert. Sie sprangen auf, ihm damit zu helfen.

»Jedes mit nur einem Schuss«, gab der Kleine stolz kund. »Und dabei waren es nur zwei sehr grobe Pfeile.«

»Wir schaffen nicht einmal eines, geschweige denn beide«, meinte d’Averc.

»Habt Ihr die Katzen vergessen?« erinnerte ihn Oladahn. »Ich wette mit Euch, wenn sie nicht bald zu fressen bekommen, ist ihnen das Rote Amulett gleichgültig, und sie schlagen sich mit uns die Mägen voll.«

Sie viertelten das größere Reh und warfen die Teile den Jaguaren zu, die sich ausgehungert darüberstürzten. Das andere spießten sie auf und brieten es über offenem Feuer.

Als sie sich schließlich daran stärkten, stieß Falkenmond einen zufriedenen Seufzer aus und lächelte. »Man sagt, ein voller Bauch vertreibt die Sorgen. Bisher hatte ich es nicht geglaubt, aber das Sprichwort hat gar nicht so unrecht. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch. Das ist die erste gute Mahlzeit seit Monaten. Frisches Wild, am Spieß gebraten und im Wald verspeist – herrlich!«

D’Averc, der sich geziert die Finger abwischte, nachdem er mit vornehmen Manieren, unauffällig, wie er glaubte, eine enorme Menge gegessen hatte, sagte: »Ich beneide Euch um Eure Gesundheit, Herzog Dorian. Ich wollte, ich hätte Euren Appetit.«

Oladahn lachte laut. »Und ich wollte, ich hätte Euren, denn Ihr habt genug verzehrt, dass Ihr nun eine Woche durchhalten könntet.«

D’Averc warf ihm einen missbilligenden Blick zu.

Yisselda, die immer noch in Falkenmonds Umhang gehüllt war, fröstelte ein wenig. Sie schob den Knochen beiseite, an dem sie genagt hatte. »Können wir vielleicht bald eine Stadt suchen?« bat sie. »Es gibt Dinge, die ich dringend brauche …«

Falkenmond blickte ein wenig verlegen drein. »Natürlich, Liebling, obgleich es vermutlich nicht ungefährlich sein wird … Da es hier von Soldaten des Dunklen Imperiums nur so wimmelt, wäre es vielleicht besser, erst weiter südlich und dann westlich in Richtung Kamarg zu fahren. Vielleicht finden wir in Karpathien eine Stadt. Wir müssen schon bald die Grenze erreicht haben.«

D’Averc deutete auf die Kutsche und die Raubkatzen. »Wir würden vermutlich nicht sehr freundlich empfangen werden, wenn wir damit in eine Stadt kommen«, gab er zu bedenken. »Es wäre wahrscheinlich besser, wenn erst einer von uns sich im Dorf umsieht. Aber was könnten wir als Zahlungsmittel verwenden?«

»Ich habe das Rote Amulett«, meinte Falkenmond. »Es ließe sich eintauschen …«

»Narr!« tadelte d’Averc mit tiefem Ernst und sah ihn aufgebracht an. »Das Amulett ist Euer und unser Schutz, das einzige, das diese niedlichen Tierchen hier unter Kontrolle zu halten vermag. Mir scheint, es ist nicht einmal das Amulett, das Ihr verabscheut, sondern die Verantwortung, die es mit sich bringt.«

Falkenmond zuckte die Schultern. »Möglich. Vielleicht war ich wirklich ein Narr, diesen Vorschlag zu machen. Trotzdem, ich mag dieses Ding nicht. Ich sah, was Ihr nicht sehen konntet – ich sah, was es aus einem Mann gemacht hatte, der es dreißig Jahre lang trüg.«

Oladahn mischte sich ein. »Euer Wortwechsel ist unnötig, Freunde, denn ich sah unsere Bedürfnisse voraus. Und während ihr unsere Feinde im Thronsaal des Wahnsinnigen Gottes niederstrecktet, Herzog Dorian, stach ich den granbretanischen Soldaten ein paar Augen, aus …«

»Augen!« rief Falkenmond voll Abscheu. Doch dann lächelte er, als Oladahn eine Handvoll Edelsteine emporhielt, die er aus den Helmmasken herausgebrochen hatte.

»Großartig!« lobte d’Averc. »Wir brauchen unbedingt Proviant und Lady Yisselda etwas zum Anziehen. Wer von uns wird am wenigsten Aufsehen erregen, wenn er eine Stadt in Karpathien betritt?«

Falkenmond grinste ironisch. »Nun, Ihr natürlich, Sir Huillam, ohne Eure granbretanische Rüstung. Mich würde man mit dem Juwel in der Stirn nicht übersehen, und Oladahn mit seinem Pelzgesicht genauso wenig. Aber Ihr seid immer noch mein Gefangener …«

»Ich bin gekränkt, Herzog Dorian. Ich dachte, wir seien Verbündete – verbündet gegen einen gemeinsamen Feind, verbündet durch Blut und dadurch, dass wir einander das Leben retteten …«

»Ich entsinne mich nicht, dass Ihr meines gerettet hättet.«

»Nun, nicht direkt. Aber …«

»Und ich halte es nicht für richtig, Euch eine Handvoll Juwelen auszuhändigen und freizusetzen«, fuhr Falkenmond fort. »Außerdem bin ich heute nicht gerade in einer sehr vertrauensseligen Stimmung.«

»Ihr hättet mein Wort, dass Ihr Euch auf mich verlassen könnt, Herzog Dorian«, sagte d’Averc leichthin, aber seine Augen wurden hart.

»Er hat sich schon in mehreren Kämpfen als Freund erwiesen«, brummte Oladahn.

Falkenmond seufzte. »Verzeiht mir, d’Averc. Also gut, wenn wir Karpathien erreichen, kauft Ihr für uns, was wir benötigen.«

D’Averc begann zu husten. »Diese entsetzliche Luft. Sie wird noch mein Tod sein.«

 

Sie fuhren weiter. Die Stachelhornkatzen liefen nun weniger rasch als am Vortag, waren aber immer noch bedeutend schneller als Pferde. Gegen Mittag kamen sie aus dem Wald, und gegen Abend sahen sie in der Ferne die Berge Karpathiens liegen, zur gleichen Zeit, als Yisselda gen Norden die winzigen Gestalten näher kommender Reiter bemerkte.

»Sie haben uns entdeckt«, knurrte Oladahn, »und scheinen uns den Weg abschneiden zu wollen.«

Falkenmond ließ die Peitsche schnalzen. »Schneller«, brüllte er, und sofort begannen die mutierten Jaguare zu galoppieren.

Ein wenig später schrie d’Averc durch das Rumpeln und Rattern der Räder: »Es sind Granbretanier – daran besteht kein Zweifel. Ich glaube, vom Orden des Walrosses.«

»Der Reichskönig scheint eine Invasion der Ukraine vorzuhaben«, sprach Falkenmond seine Gedanken aus. »Einen anderen Grund für die vielen Horden des Dunklen Imperiums hier wäre unwahrscheinlich. Das bedeutet zweifellos, dass alle Länder weiter westwärts und südlich bereits erobert sind.«

»Außer der Kamarg, hoffentlich«, sagte Yisselda.

Falkenmond lächelte grimmig und ließ die Granbretanier, die sich in einem Winkel zu ihrem Kurs näherten, in dem Glauben, sie könnten aufschließen. »Nimm den Bogen, Oladahn, hier kannst du beweisen, dass du noch in Übung bist.«

Als die Reiter in ihren grotesken Walroßmasken aus Ebenholz und Elfenbein näher kamen, spannte Oladahn den Bogen. Ein Reiter fiel, und einige Speere flogen auf den Wagen zu, erreichten ihn aber nicht. Drei weitere Walroßkrieger starben durch Oladahns Pfeile, ehe die Jaguare die Reiter weit hinter sich gelassen hatten und ihre Last ins Vorgebirge der Karpathischen Berge zogen.

Zwei Stunden später wurde es dunkel, und sie schlugen ihr Lager auf.

Drei Tage später sahen sie sich steilen Felswänden gegenüber. Sie wussten, dass sie Wagen und Zugtiere zurücklassen mussten, sollten sie gezwungen sein, diese zu überwinden. Dann ginge es zu Fuß weiter; eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Die Gegend hier wurde immer unwegsamer, und die mutierten Jaguare hatten immer größere Schwierigkeiten, den Wagen aufwärtszuziehen. Sie hatten versucht, einen Pass zu finden, und damit zwei wertvolle Tage zugebracht, ohne jedoch fündig zu werden.

Ihre Verfolger, falls sie ihnen noch immer auf den Fersen waren, mussten sie daher schon bald erreicht haben. Sie zweifelten nicht daran, dass Falkenmond als der Mann erkannt worden war, den der Reichskönig Huon zu vernichten geschworen hatte. Deshalb waren gewiss Krieger des Dunklen Imperiums, die in der Gunst ihres Königs stehen wollten, hinter ihnen her.

So setzten sie also an, den steilen Berg zu ersteigen, und ließen die abgeschirrten Tiere und den Wagen zurück.

Als sie sich einem Sims näherten, das sich eine beträchtliche Strecke um den Berg herumwand und einen verhältnismäßig sicheren Pfad zu bieten schien, hörten sie das Klirren von Waffen und Klappern von Hufen und sahen offenbar die gleichen Walroßkrieger, die sie auf der Ebene verfolgt hatten, hinter einigen Felsen unter ihnen auftauchen.

»Aus dieser Entfernung dürften sie keine Schwierigkeiten haben, uns mit ihren Speeren zu treffen«, murmelte d’Averc grimmig. »Und hier gibt es nirgends eine Deckung.«

Falkenmond lächelte verbissen. »Es bleibt uns nur eines«, erklärte er und hob seine Stimme. »Tötet sie, meine Schönen!« rief er zu den Jaguaren hinunter.

Die Stachelhornkatzen wandten ihre wilden Augen den maskierten Kriegern zu, die so erfreut waren, ihre Opfer in der Falle zu sehen, dass sie den Tieren keine Beachtung schenkten. Der Anführer hob den Speer.

Da sprangen die Katzen.

Yisselda wandte ihr Gesicht ab, als die gellenden Schreie die Luft durchschnitten, das bestialische Knurren von den stillen Bergen widerhallte und das Bersten von Knochen zu vernehmen war.

 

Am nächsten Tag hatten sie die Berge überquert und kamen zu einem grünen Tal, in dem ein friedliches Städtchen lag.

D’Averc blickte auf die Häuser herab und hielt Oladahn die Hand entgegen. »Die Edelsteine, wenn ich darum bitten darf, Freund Oladahn. Beim Runenstab, ich fühle mich nackt nur in Hemd und Hose.« Er nahm „die Juwelen, steckte sie in eine Tasche, winkte den Gefährten noch zu und schritt zur Stadt.

Yisselda, Falkenmond und Oladahn streckten sich im Gras aus und sahen ihm zu, wie er pfeifend zwischen den Häusern verschwand.

Vier Stunden warteten sie, Falkenmonds Miene verfinsterte sich, und er warf immer häufiger finsterte Blicke auf Oladahn, der nur hilflos die Schultern zuckte.

Doch da kehrte d’Averc zurück, aber nicht allein. Erschrocken stellte Falkenmond fest, dass es sich um Granbretanier handelte, und zwar um Soldaten des gefürchteten Wolfsordens, dessen Grandkonnetabel einst Baron Meliadus gewesen war. Hatten die d’Averc. erkannt und gefangen genommen? Aber nein, ganz im Gegenteil, sie schienen sich angeregt mit ihm zu unterhalten. Er verabschiedete sich nun von den Kriegern und begann mit einem großen Bündel auf dem Rücken gemächlich auf die Stelle zuzuschreiten, wo die Gefährten sich im Gras versteckt hatten. Falkenmond wusste nicht, was er davon halten sollte, denn die Krieger mit den Wolfsmasken waren ohne d’Averc in das Städtchen zurückgekehrt.

»Reden kann er, unser d’Averc«, grinste Oladahn. »Er muss sie überzeugt haben, dass er ein harmloser Reisender ist. Zweifellos wenden die Granbretanier hier noch die sanfte Tour an.«

»Möglich«, murmelte Falkenmond, nicht recht überzeugt.

Als d’Averc sie erreichte, warf er das Bündel ins Gras und öffnete es. Er enthüllte mehrere Hemden, eine Hose und die verschiedensten Nahrungsmittel wie Käse, Brot, Wurst, kalten Braten und anderes. Er gab Oladahn den größten Teil der Edelsteine zurück. »Ich konnte ziemlich billig einkaufen«, erklärte er. Er blickte Falkenmond erstaunt an, als er dessen Miene bemerkte. »Was ist los, Herzog Dorian? Nicht zufrieden? Ich vermochte leider kein Kleid für Lady Yisselda zu erstehen, aber die Hose und eines der Hemden müssten ihr passen.«

»Krieger des Dunklen Imperiums«, brummte Falkenmond und deutete mit dem Daumen auf das Städtchen. »Ihr scheint mir auf recht gutem Fuß mit ihnen.«

»Ich war nicht wenig beunruhigt«, gestand d’Averc, »aber sie halten sich hier offenbar noch vor Ausschreitungen zurück. Sie sind einstweilen nur hier, um den Bürgern Karpathiens das Leben unter der Herrschaft des Dunklen Imperiums schmackhaft zu machen. Soviel ich verstanden habe, ist einer der hohen Herren Granbretaniens zu Gast beim König von Karpathien. Die übliche Taktik – erst das Zuckerbrot, dann die Peitsche. Sie stellten mir ein paar Fragen, waren jedoch nicht übermäßig misstrauisch. Sie erzählten, dass sie gerade Krieg in Tschechien führen und es, von ein paar größeren Städten abgesehen, bereits eingenommen haben.«

»Ihr spracht nicht von uns?«

»Natürlich nicht.«

Falkenmond entspannte sich ein wenig.

D’Averc hob den Stoff auf, in den er die Sachen gewickelt hatte. »Seht, vier Umhänge mit Kapuzen, wie die heiligen Männer sie in dieser Gegend tragen. Sie verbergen auch unsere Gesichter zum größten Teil. Ich hörte, dass sich etwa einen Tagesmarsch von hier eine größere Stadt befindet, in der Pferdehandel betrieben wird. Was haltet Ihr davon, wenn wir uns dort Rösser besorgen?« Falkenmond nickte. »Eine gute Idee.«

 

Die Stadt hieß Zorvanemi und wimmelte von Pferdehändlern und Käufern. Die Gestüte befanden sich in den Vororten, und es gab hier alle Arten von Rössern, vom edelsten Rennpferd bis zum kräftigen Ackergaul.

Sie kamen zu spät am Abend an, um noch einzukaufen. Sie suchten sich eine Herberge neben einer Stallung, um sich gleich früh am Morgen mit Pferden versorgen und weiterreiten zu können. Hin und wieder sahen sie kleinere Trupps granbretanischer Soldaten, aber diese beachteten sie in ihrer Verkleidung als Heilige Männer überhaupt nicht – um so weniger, als sich viele Klosterbrüder in der Stadt aufhielten.

In der Wirtsstube ihrer Herberge bestellten sie heißen Wein und ein kräftiges Essen, bei dem sie die Karte studierten, die d’Averc in dem kleinen Städtchen gekauft hatte, um den besten Weg nach Südfrankreich zu finden.

Ein wenig später schwang die Tür heftig auf, und die kalte Nachtluft drang herein. Über das Stimmengewirr der Gäste hörten sie die grobe Stimme eines Mannes, der nach Wein für sich und seine Kameraden brüllte und dem Wirt erklärte, dass er ihnen auch Mädchen schicken solle.

Falkenmond blickte wachsam hoch. Bei den Männern, die eingetreten waren, handelte es sich um Krieger des Eberordens, dem d’Averc so lange angehört hatte. In ihren kräftigen, gepanzerten Leibern und den schweren Helmmasken sahen sie im Zwielicht des Schankraums tatsächlich so aus wie die Tiere, die sie darstellten. Man meinte, etliche Keiler hätten das Sprechen und das Gehen auf den Hinterbeinen gelernt.

»Wein, der Stimmung macht, und viel davon«, brüllte der Anführer. »Das gleiche gilt für die Dirnen. Wo habt Ihr sie versteckt? Ich hoffe, sie sind ansehnlicher als Eure Gäule. Beeilt Euch, Mann. Wir haben den ganzen Tag nichts anderes getan, als Pferde gekauft und damit zum Wohlstand Eurer Stadt beigetragen – nun tut etwas für uns.«

Offenbar waren die Truppen des Dunklen Imperiums also hier, um Pferde zu erstehen, vermutlich für die Armee, die dabei war, Tschechien zu erobern.

Falkenmond, Yisselda, Oladahn und d’Averc zogen die Kapuzen tief über die Stirn und nippten an ihrem Wein, ohne hochzusehen.

Außer dem Wirt und zwei Burschen bedienten drei Schankmädchen in der Wirtsstube. Als eine an ihm vorbeikam, packte der Anführer des kleinen Ebertrupps sie und drückte den Rüssel seiner Maske gegen ihre Wange.

»Gib einem alten Schwein einen Kuss, kleines Mädchen«, grölte er.

Sie wand sich und versuchte freizukommen, aber er hielt sie fest. Plötzlich herrschte Schweigen in der ganzen Stube und eine spürbare Spannung.

»Komm hinaus mit mir«, fuhr der Eberführer fort. »Ich bin gerade in der richtigen Stimmung.«

»O nein, bitte lasst mich gehen«, schluchzte das Mädchen. »Ich bin versprochen und werde nächste Woche heiraten.«

»Heiraten, eh?« Der Krieger grinste. »Dann kann ich dir noch ein paar Dinge beibringen, die du deinen Zukünftigen lehren magst.«

Das Mädchen weinte laut auf und versuchte weiter, sich loszureißen. Niemand in der Gaststube rührte sich.

»Komm schon«, befahl der Soldat heiser. »Wir wollen hinaus …«

»Nein«, wimmerte das Mädchen. »Ich tue es nicht, ehe ich nicht verheiratet bin.«

»Ist das alles?« Der Ebersoldat lachte. »Na gut, ich heirate dich, wenn es das ist, worauf du aus bist.« Er blickte sich im Raum um und entdeckte die vier Freunde. »Ihr seid heilige Männer, nicht wahr?« wandte er sich an sie. »Einer von euch kann uns den ehelichen Segen geben.« Ehe Falkenmond und den anderen bewusst wurde, was geschah, hatte er Yisselda gepackt, die am Rand der Bank saß, und auf die Füße gezerrt.

»Verheirate uns, heiliger Mann, oder … Beim Runenstab! Welche Art von heiliger Mann seid Ihr?« Yisseldas Kapuze war zurückgerutscht und gab ihr langes, seidiges Haar frei.

Falkenmond erhob sich. Es gab nun keine andere Wahl mehr, als zu kämpfen. Oladahn und d’Averc standen ebenfalls auf.

Wie ein Mann zogen sie die Schwerter unter ihren Umhängen und stürzten sich auf die bewaffneten Krieger, doch nicht, ohne vorher den Frauen zuzurufen, sich in Sicherheit zu bringen.

Die Ebersoldaten waren betrunken und überrascht. Die drei Freunde waren keines von beiden. Doch mehr Vorteil hatten sie nicht. Falkenmonds Klinge drang zwischen Brustpanzer und Halsschutz in die Kehle des Anführers und tötete ihn, ehe er sein Schwert zu ziehen vermochte. Oladahn nahm sich die kaum geschützten Beine eines anderen vor und legte ihn flach, während d’Averc die Hand eines anderen abschlug, der sich des eisernen Handschuhs entledigt hatte.

Nun kämpften sie erbittert, hin und her tänzelnd in der Wirtsstube. Die Frauen waren eilig zur Stiege und Tür gelaufen, und viele der Gäste drängten sich gegen das Geländer im ersten Stock, von wo aus sie herabschauen konnten.

Oladahn, der die üblichen Kampfregeln außer acht ließ, war auf den Rücken eines Gegners gesprungen und versuchte, ihm den Dolch durch die Augenöffnungen in der Maske in den Kopf zu jagen. Der Krieger versuchte unbeholfen, seinen Reiter loszuwerden, und stolperte halbblind umher.

D’Averc focht gegen einen ausgezeichneten Schwertkämpfer, der ihn zur Treppe zurückdrängte, während Falkenmond sich verzweifelt gegen einen Axtkämpfer wehrte, dessen schwere Waffe jedes Mal, wenn sie Falkenmond knapp verfehlte, ganze Holzscheite aus der Einrichtung spaltete.

Falkenmond, den sein Umhang behinderte, versuchte gleichzeitig, diesen loszuwerden und den Axthieben auszuweichen. Er machte einen Schritt zur Seite, verfing sich in den Falten des Umhangs und stürzte. Der Axtkämpfer, der über ihm stand, hob seine Waffe zum tödlichen Hieb.

Es gelang Falkenmond, sich in letzter Sekunde noch herumzurollen, und die schwere Waffe schnitt lediglich durch sein Gewand. Er sprang auf, als die Axt noch im Holz des Fußbodens steckte, und hieb mit dem Schwert gegen den Hinterkopf des Axtkriegers. Der Mann stöhnte auf und fiel betäubt auf die Knie. Falkenmond trat mit dem Fuß die Maske hoch, und das rote, verzerrte Gesicht des Eberkriegers kam zum Vorschein. Falkenmond stieß sein Schwert in den offenen Mund tief in die Kehle, dass es die Halsschlagader aufschnitt; dann riss er seine Klinge wieder heraus, und der Helm schloss sich wieder.

In der Nähe rang Oladahn mit seinem Gegner, der nun einen Arm des kleinen Mannes gepackt hatte und ihn von seinem Rücken zog. Falkenmond sprang vor und jagte sein Schwert mit beiden Händen durch Rüstung und Lederwams in den Leib des Mannes. Brüllend brach der Eberkrieger zusammen.

Dann nahmen sich Oladahn und Falkenmond gemeinsam d’Avercs Gegner vor, bis auch der tot am Boden lag.

Es blieb nur noch, dem Krieger mit der abgehauenen Hand, der wimmernd auf einer Bank lag und versuchte, seine Hand wieder anzustecken, den Garaus zu machen.

Keuchend blickte Falkenmond sich im Schankraum um. »Keine schlechte Arbeit für heilige Männer«, brummte er.

D’Averc schien zu überlegen. »Vielleicht«, meinte er, »wäre es angebracht, uns eine bessere Verkleidung zuzulegen.«

»Wie meint Ihr das?«

»Seht doch. Es liegen genügend Teile von Eberrüstungen hier, um uns alle auszustatten, und ich besitze noch meine eigene. Abgesehen davon spreche ich auch die Geheimsprache des Eberordens. Mit ein bisschen Glück könnten wir als solche weiterreiten, die wir am meisten fürchten und verachten – als Krieger des Dunklen Imperiums. Wir haben uns Gedanken ‚gemacht, wie wir durch die Länder kommen könnten, die von den Granbretaniern eingenommen sind. Nun – hier ist unsere Antwort.«

Falkenmond ließ es sich durch den Kopf gehen. D’Avercs Vorschlag schien ihm äußerst wagemutig, aber nicht undurchführbar, schließlich war d’Averc selbst mit allen Ritualen des Eberordens vertraut.

»Gut«, stimmte Falkenmond zu. »Vielleicht habt Ihr recht, d’Averc. Wir könnten selbst durch Gegenden reisen, in denen die Truppen des Dunklen Imperiums stark vertreten sind, und es ist eine Chance, rascher zur Kamarg zu kommen. Wir werden es tun.«

Sie begannen, den Toten die Rüstungen auszuziehen.

»Wir können sicher sein, dass der Wirt und die Gäste hier den Mund halten«, sagte d’Averc überzeugt. »Denn bestimmt wollen sie es nicht an die große Glocke hängen, dass hier sechs Krieger des Dunklen Imperiums den Tod fanden.«

Oladahn sah ihnen zu und rieb sich seinen verdrehten Arm. »Schade«, seufzte er. »Das hier wäre es wert, niedergeschrieben zu werden.«