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Victor hatte die Szenen mitangesehen.
Nun wusste er, warum Sarah so verstört und verletzlich wirkte, warum sie zitterte. Sie hatte versucht, sich wegen eines Jungen das Leben zu nehmen (der Bursche schien ein echter Taugenichts zu sein, fand Victor, doch er gestand sich ein, dass er inzwischen voreingenommen war, weil er Sarah mochte).
Und Sarah hatte etwas erfahren, was Victor ihr schon vor langer Zeit hätte erklären können:
Keine Liebe rechtfertigt ein solches Drama.
Er bezweifelte, dass Grace sich seinetwegen das Leben nehmen würde, was er auch getan haben mochte; und sosehr er sie in seinem tiefsten Inneren auch liebte, plante er doch ein zweites Leben, in dem sie ihn nicht begleiten konnte.
Eines verstand Victor allerdings immer noch nicht: Was es mit diesen Halluzinationen und der wahren Identität des Mannes aus dem Uhrenladen auf sich hatte.
Seit ihrer ersten Begegnung hatte sich der Mann merklich verändert. Hinter der Ladentheke hatte er kraftvoll und gesund, beinahe unangreifbar gewirkt.
Jetzt dagegen war er bleich und schwitzte stark, und sein Husten wurde ständig schlimmer.
Victor dagegen hatte sich noch nie im Leben besser gefühlt – weshalb er auch glaubte, dass diese ganze Sache ein reines Produkt seines Geistes war. In seiner Situation erwachte man nicht einfach gesund und streifte dann durch die Zeit.
Er beobachtete Dor, der sich über den Sand beugte und ihn durch die Finger rinnen ließ.
Schließlich schaute Dor zu Victor auf.
»Dir möchte ich auch etwas zeigen.«
Victor wich zurück. Er hatte kein Interesse daran, die Welt zu sehen, die er hinter sich gelassen hatte.
»Meine Geschichte ist ganz anders«, sagte Victor.
»Komm.«
»Sie wissen aber doch, dass ich einen Plan habe, oder?«
Dor richtete sich wortlos auf, wischte sich Schweiß von der Stirn und blickte verwundert auf seine Hand. Dann schritt er auf dem ansteigenden Pfad weiter voran.
Victor wandte sich zu Sarah um, die wegen der Ausblicke in ihr Leben noch immer ganz verstört wirkte.
Jetzt war Victor derjenige, der sich Begleitung wünschte.
»Kommst du?«, fragte er.
Sarah setzte sich in Bewegung, und gemeinsam traten sie den Aufstieg an.