5

Sarah findet Zeit in einer Schublade.

Sie öffnet die Schublade auf der Suche nach ihrer schwarzen Jeans und findet stattdessen ganz hinten ihre erste Armbanduhr – eine lila Swatch mit einem Plastikarmband, die ihre Eltern ihr zum zwölften Geburtstag geschenkt hatten.

Zwei Monate später ließen sie sich scheiden.

»Sarah!«, schreit ihre Mutter von unten.

»Was?«, schreit Sarah zurück.

Nach der Trennung blieb Sarah bei Lorraine, die nun für alles, was in ihrer beider Leben misslingt, ihrem Exmann Tom die Schuld gibt. Sarah nickt mitfühlend, wenn ihre Mutter sich darüber auslässt. Doch in gewisser Weise warten sie beide auf Toms Rückkehr; Lorraine will, dass er seine Fehler eingesteht, Sarah will einfach nur, dass er sie rettet. Doch beide bekommen nicht, was sie sich wünschen.

»Was ist denn, Mom?«, schreit Sarah.

»Brauchst du das Auto?«

»Nee, brauch ich nicht.«

»Was

»Ich brauch das Auto nicht!«

»Wo gehst du hin?«

»Nirgendwohin!«

Sarah schaut auf die lila Uhr. Sie funktioniert noch: 18.59.

Halb neun, halb neun!

Sie schließt die Schublade und murmelt: »Konzentrier dich!«

Wo ist nur die schwarze Jeans?

Victor findet Zeit in einer Schublade.

Er nimmt seinen Terminkalender heraus. Für den nächsten Tag sind eine Vorstandssitzung um 10 Uhr, eine Telefonkonferenz mit Analysten um 14 Uhr und um 20 Uhr ein Abendessen mit einem brasilianischen Firmenchef eingeplant, dessen Unternehmen Victor aufkauft. So wie er sich jetzt gerade fühlt, kann er froh sein, wenn er auch nur einen der Termine durchsteht.

Er schluckt eine Pille.

An der Tür klingelt es. Wer kommt denn um diese Uhrzeit zu Besuch? Er hört, wie Grace den Flur entlanggeht. Sein Blick fällt auf ihr Hochzeitsbild, das auf seinem Schreibtisch steht – so jung und gesund waren sie damals. Keine Tumore, keine Niereninsuffizienz.

»Victor?«

Jetzt steht Grace in der Tür, in Begleitung eines Mannes, der einen großen Elektrorollstuhl schiebt.

»Was ist das?«, fragt Victor.

Grace lächelt angestrengt. »Das haben wir doch gemeinsam entschieden, weißt du nicht mehr?«

»Ich brauche so was noch nicht.«

»Victor.«

»Ich brauche das Ding nicht!«

Grace schaut zur Decke hoch.

»Lassen Sie es einfach hier«, sagt sie zu dem Lieferanten.

»Im Flur«, verlangt Victor.

»Im Flur«, wiederholt Grace.

Sie bringt den Mann hinaus.

Victor klappt den Kalender zu und reibt sich den Unterleib. Denkt an die Worte des Arztes.

Wir können nicht mehr viel tun.

Aber er muss irgendetwas tun.

Der Stundenzaehler
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