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Sarah spricht mit der Zeit. »Vergeh nicht so schnell«, sagt sie.
Sie huscht zur Tür hinaus und eilt die Straße entlang. Denkt an den Jungen mit den kaffeebraunen Haaren. Stellt sich vor, wie er sie mit einem leidenschaftlichen Kuss begrüßt.
Als Sarah sich noch einmal umdreht, sieht sie, wie im Schlafzimmer ihrer Mutter das Licht angeht, und läuft noch schneller. Ihrer Mutter ist es zuzutrauen, dass sie das Fenster aufreißt und ihr hinterherruft. Wie viele junge Mädchen empfindet Sarah ihre Mutter als ausgesprochen peinlich. Sie redet zu viel und ist zu stark geschminkt. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, Sarah zurechtzuweisen – Geh aufrecht! Kämm deine Haare! –, beklagt sie sich bei Freunden über Sarahs Vater, der nicht einmal mehr im selben Bundesstaat lebt. Tom hat dies getan, Tom hat jenes vergessen. Tom bezahlt den Unterhalt immer zu spät. Früher haben Mutter und Tochter sich besser verstanden, aber seit einiger Zeit sind beide ratlos im Umgang miteinander. Und über Jungs will Sarah ganz bestimmt nicht mit ihrer Mutter reden (wobei es da bislang ohnehin nicht viel zu besprechen gab).
Halb neun, halb neun!
Sarahs Handy meldet sich.
Sie zerrt es aus ihrer Jackentasche.
Victor spricht mit der Zeit. »Vergeh nicht so langsam«, sagt er.
Eine Stunde ist schon um. Victor ist an schnelle Ergebnisse gewöhnt. Dass sein Blick überall auf Zeitmessgeräte fällt, ist auch keine Hilfe. Vor ihm steht eine Tischuhr. Auf dem Computerbildschirm kann er die vergehenden Sekunden zählen. Sein Handy, das Telefon auf dem Schreibtisch, der Drucker, der DVD-Player geben die Zeit an. In einem Holzrahmen an der Wand kann er auf drei Uhren die Zeit in New York, London und Peking ablesen; an diesen Orten befinden sich die Hauptniederlassungen eines weiteren Unternehmens, das Victor gehört.
Insgesamt gibt es in seinem Studierzimmer neun Geräte, die das Vergehen der Zeit messen.
Das Telefon klingelt. Endlich. Er nimmt ab.
»Ja?«
»Ich schicke ein Fax.«
»Gut.«
Victor legt auf. Grace kommt herein.
»Wer war das?«
»Ging um die Sitzungen morgen«, lügt er.
»Musst du teilnehmen?«
»Warum nicht?«
»Ich dachte nur …«
Grace verstummt. Nickt. Trägt das Geschirr in die Küche.
Das Faxgerät piept, und Victor starrt darauf, während es Papier ausspuckt.