Nachwort
Surinam, das kleinste Land Südamerikas, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht stark von seinen großen Nachbarn. Ganz besonders auffällig sind, als Folge der interessanten und wechselvollen Geschichte dieses Landes, die bunte Zusammensetzung der Bevölkerung sowie die Vielfalt an Sprachen.
Surinam erlangte erst 1975 die Unabhängigkeit vom niederländischen Königreich. Die Amtssprache in Surinam ist noch heute Niederländisch, und auch sonst sind die Spuren der ehemaligen holländischen Kolonialzeit unübersehbar. So tragen viele Örtlichkeiten, Straßen sowie Viertel niederländische Namen, und die Architektur der Hauptstadt Paramaribo ist geprägt von weißen Gebäuden im niederländischen Kolonialstil.
Daneben finden sich allerorten Zeichen des Einflusses der Hindustanen, deren Vorfahren einst als Kontraktarbeiter in das Land gebracht wurden. So gibt es in der Stadt zum Beispiel zahlreiche Hindutempel, es wird ein dem Hindi ähnlicher Dialekt gesprochen, indische Kräuter sowie Gewürze finden Verwendung in der alltäglichen Küche, und auch die surinamische Musik ist, dank Instrumenten wie Sitar, Tabla oder Dhantal, stark indisch geprägt. Die im 19. Jahrhundert als Kontraktarbeiter angeworbenen Inder stellen heute mit siebenundzwanzig Prozent die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe in Surinam.
Neben den Hindustanen leben zahlreiche weitere Bevölkerungsgruppen in Surinam, unter ihnen Kreolen und Javaner. Die Nachkommen der im 18. Jahrhundert in das Landesinnere geflohenen schwarzen Sklaven, die Maroons, stellen heute zirka zehn Prozent der Bevölkerung. Europäer dagegen machen nur noch etwa ein Prozent der Bevölkerung aus.
Ein großer Einschnitt in der Geschichte des Landes war die Abschaffung der Sklaverei am 1. Juli 1863. An diesem Tag kamen zirka 35000 Sklaven frei und wurden unter eine zehnjährige Staatsaufsicht (Arbeitspflicht) gestellt. Den Plantagenbesitzern wurden pro gemeldetem Sklaven 300 Gulden Entschädigung zugeteilt, den einstigen Sklaven hingegen nur je 60 Gulden.
1873, nach Ablauf dieser Frist, entstand eine gewisse Unruhe im Land. Viele Kolonisten sahen ihre Existenz bedroht und verließen Surinam, ebenso wie viele ehemalige Arbeitssklaven die Plantagen endgültig verließen. Der Mangel an Arbeitskräften war aber nicht das einzige Problem der Zuckerrohrplantagenbesitzer in Surinam. Der Anbau von Zuckerrüben in den europäischen Ländern ließ die Importe aus Übersee deutlich einbrechen. Bei anderen Kolonialgütern wie Tabak, Baumwolle und Kakao dominierten im Anbau riesige Plantagen, überwiegend aus Ländern, in denen die Sklaverei noch erlaubt war. Surinam war nicht mehr konkurrenzfähig.
Ersatz für die fehlenden Plantagensklaven sollten Kontraktarbeiter aus Britisch-Indien sein, weshalb die Niederlande im September 1870 mit England einen Anwerbungsvertrag schlossen. Im Juni 1873 betraten die ersten Kontraktarbeiter aus Britisch-Indien surinamischen Boden. Die 399 Passagiere hatten mit dem Segelschiff Lalla Rookh von Kalkutta aus ihre Heimat verlassen und wussten so gut wie nichts über ihren Bestimmungsort. In den nachfolgenden Jahren wurden mehr und mehr Menschen aus Indien nach Surinam gebracht.
Die ins Land eingeführten Kontraktarbeiter hatten eine Vertragslaufzeit von fünf Jahren, danach konnten sie auf Kosten der niederländischen Regierung nach Indien zurückkehren. In der Zeit von 1873 bis 1916 wurden zirka 34000 Personen von Kalkutta nach Surinam verschifft. Ungefähr ein Drittel der Kontraktarbeiter machte von dem Recht auf bezahlte Rückreise in ihr Geburtsland Gebrauch.
Auf politischen Druck der Nationalisten in Britisch-Indien beendete England 1916 das Auswanderungsübereinkommen mit den Niederlanden. Nachfolgend verlegte sich Surinam auf die Einfuhr von indonesischen Arbeitern, die in Surinam Javaner genannt wurden. Die Immigration der Javaner endete am 13. Dezember 1939, bis dahin waren insgesamt etwa 35000 Javaner in die Kolonie gekommen.
Sich als Autorin mit dieser bunten Vielfalt zu befassen ist fürwahr eine Herausforderung. Ich musste mir während des Schreibens jederzeit der facettenreichen Geschichte des Landes bewusst sein. Die Recherche hat mich in viele Richtungen getrieben, die Berichte aus der Kolonialzeit stammen allerdings überwiegend aus der Hand Weißer. Wie es den ehemaligen Sklaven und Kontraktarbeitern erging, ist kaum übermittelt. Hier setzt die Fantasie der Autorin an, und so habe ich mir erlaubt, auf Basis der historisch belegten Daten eine fiktive Geschichte zu spinnen. Dies bezieht sich auch auf die Überfahrt der Kontraktarbeiter. Gut belegt ist die oben genannte erste Fahrt der Lalla Rookh von Kalkutta nach Surinam. Diese und auch andere Schiffe pendelten anschließend regelmäßig mit Passagieren aus Indien nach Surinam. Die Handlung und Motivationen sind allerdings frei erfunden, genau wie die Plantagen mit den dazugehörigen Familien und Sklaven.
Nach Im Land der Orangenblüten war es für mich sehr spannend, das Leben von Juliette auf der Plantage Rozenburg weiterzuverfolgen. Mich hat insbesondere Inikas Schicksal sehr gerührt. Was mochte es für ein Kind in der damaligen Zeit, bedeutet haben, von seinen Eltern in ein völlig fremdes Land gebracht zu werden? Und wie schwer mag es gewesen sein, für das Kind wie auch für die Erwachsenen, sich dort einzuleben und zurechtzufinden? Dies sind Erfahrungen, die einen Menschen ganz sicher grundlegend prägen und verändern.
Auch die Figur der Karini fasziniert mich. Sie wurde in eine Zeit des Umbruchs hineingeboren. Sie hat die Sklaverei selbst nicht erlebt, die Ereignisse und Erfahrungen aus dieser Zeit jedoch waren noch allgegenwärtig. Die Generation der Eltern war noch fest mit dem Sklavenstand verwurzelt und gab ihre alten Gewohnheiten und Denkweisen nur zögerlich auf. Die Kinder standen, im Zeichen des Wandels und des Fortschritts, zwischen diesen Welten. Obwohl inzwischen Hunderte Jahre vergangen sind, prägt das afrikanische Kulturgut heute noch das Gesicht des Landes.
Und nicht zu vergessen die Kinder der niederländischen Kolonisten, die unter der tropischen Sonne aufgewachsen waren und von denen manche das Stammland in Europa nie kennengelernt, aber die Tradition und Kultur ihrer Eltern und Großeltern trotzdem in der Ferne fortgeführt haben.
Erfreulicherweise gibt es heute zwischen den Niederlanden und der ehemaligen Kolonie einen regen Austausch. So trifft man in den Niederlanden immer wieder auf Köche oder Musiker aus Surinam oder auf junge Studenten, die es nach Europa zieht. Und eines spürt man bei diesen Menschen sehr oft: Ihr Herz hängt an der Heimat, weil diesem kleinen Land, auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans, etwas ganz Besonderes innewohnt.