Kapitel 12

Hochzeit?« Julie hatte sich gewundert, dass Jean so früh von den Feldern zurückgekehrt war. Auf ihre besorgte Nachfrage hatte er ihr geantwortet, dass die indischen Arbeiter darum gebeten hatten, einen Tag freizubekommen, da im Dorf eine Hochzeit gefeiert werden sollte.

»Warum hast du mir das nicht erzählt?« Julie fühlte sich wie so oft in den letzten Wochen überflüssig. Aufgrund ihrer Schwangerschaft nahmen Liv und Sarina ihr jede Tätigkeit ab, und auch Jean behandelte sie wie eine zerbrechliche Vase. Anfangs hatte ihr das geschmeichelt, inzwischen störte es sie aber sehr. Sie konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, die kommenden Monate nur herumzusitzen, Handarbeiten zu verrichten und zu lesen, wie so viele andere Frauen. Julie fühlte sich zwar häufig unwohl, wollte aber unbedingt so viel wie möglich am Plantagenleben teilhaben. Dass Jean ihr von einem solch großen Ereignis im Arbeiterdorf nicht berichtet hatte, ärgerte sie umso mehr. Obwohl … in ihrem Hinterkopf regte sich eine schwache Erinnerung. Hochzeit … indische Arbeiter … Dorf. Plötzlich traf es sie wie ein Schlag. Genau das war damals doch der Grund gewesen, warum sie überhaupt losgeritten war, um Jean zu suchen! Aufgeregt sprang sie vom Stuhl auf der Veranda auf, dass dieser fast umkippte. »Jean, wer heiratet? Hast du das erlaubt?«

Jean zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, reg dich doch nicht auf! Was hast du denn?«

Julie jedoch schwante Böses. »Wer hat dich gefragt?«

»Kadir vor ein paar Wochen, warum?«

»Und du hast es erlaubt?« Für einen kurzen Moment hoffte sie, dass er die Worte nicht aussprechen würde, von denen sie wusste, dass sie jetzt kommen würden.

»Ja, natürlich …«

Julie hatte für einen winzigen Moment das Gefühl, dass die Welt stillstand, nur um sich dann mit rasanter Geschwindigkeit weiterzudrehen. »Oh Jean … sie verheiraten Inika!«

Jean wurde kreidebleich und starrte sie an. »Julie, das Mädchen ist doch noch viel zu …«

»Eben darum, ich wollte es dir damals sagen, als ich zu dir geritten bin, ich hatte es nur … der Sturz …« Julie raffte ihren Rock und eilte los.

Jean folgte ihr auf den Fersen. »Nun warte doch.«

Als Julie atemlos das Dorf erreichte, sah sie Inika umringt von den anderen auf dem kleinen, geschmückten Platz vor den Hütten stehen. Trotz des üppigen Schmucks wirkte das Mädchen wie ein Häufchen Elend. Ihr leerer Blick sprach Bände.

Julie war empört. Es zerriss ihr das Herz, das so stille, aber doch lebensfrohe Mädchen so verschüchtert zu sehen. Wütend marschierte sie mitten in die offensichtlich gerade beendete Zeremonie und stellte sich neben Inika. Sie widerstand dem Drang, Baramadir vor die Füße zu spucken, und mühte sich stattdessen um ein forsches Auftreten. »Ich kann das nicht erlauben«, sagte sie laut und deutlich.

Baramadir, der Inika soeben mit roter Farbe bemalt hatte, sah Julie kurz verwundert an. Dann rief er nach Kadir.

Kadir trat neben Julie. Er richtete nicht, wie sonst, den Blick unterwürfig zu Boden, sondern reckte Julie das Kinn entgegen.

»Misi, der Masra hat die Hochzeit erlaubt«, sagte er mit fester Stimme. Jean trat hinzu und fasste Julie am Arm.

»Julie«, sagte er leise und beschwörend. »Komm mit, es ist nicht gut, was du hier gerade machst.«

Julie traute ihren Ohren nicht. Anstatt Inika zu Hilfe zu eilen, versuchte er, seine eigene Frau zu maßregeln! Verstand er denn gar nicht, was diese Hochzeit bedeutete?

»Lass mich los Jean, sie können das Kind doch nicht einfach …«

Sie hörte, dass Kadir sich räusperte, und wandte ihm den Blick zu. Mit einem triumphierenden Blick auf Inika sagte er: »Misi, die Hochzeit ist gerade beendet.«

Julie fixierte Kadir mit wütendem Blick. In der Luft lag plötzlich eine bedrohliche Stimmung, und die indischen Männer um sie herum traten ein paar Schritte näher. Julie blickte kurz zu Inika, die wie eine hölzerne Puppe dastand und sie mit großen, angstvoll geweiteten Augen anschaute. Julie bemerkte, dass Jean den Griff um ihren Arm verstärkte, und versuchte, sie aus der Runde der Inder zu ziehen.

»Julie, komm bitte, das hat keinen Zweck.«

Julie wusste, dass er recht hatte, sie waren zu spät gekommen! Eine Welle der Hilflosigkeit strömte durch ihren Körper und machte sie nur noch wütender. Sie sah Kadir und Baramadir, der jetzt lässig grinsend den Arm um Inika gelegt hatte, wutschnaubend an. »Ich warne euch: Kommt mir auf meiner Plantage zu Ohren, dass dem Mädchen irgendetwas passiert …«, sagte sie drohend.

»Julie!« Jean zog sie aus der Menge und fort vom Festplatz. »Was soll das, bist du nicht bei Sinnen? Du kannst doch den Arbeitern gegenüber nicht so auftreten. Fast hättest du einen Aufstand ausgelöst. Sie hätten uns angreifen können.« In Jeans Stimme schwang ein vorwurfsvoller Ton, aber auch Sorge mit.

»Nicht so auftreten? Jean, sie haben gerade ein vierzehnjähriges Mädchen mit einem alten Mann verheiratet. So etwas dürfen wir doch auf unserer Plantage nicht dulden!« Sie riss sich von Jean los. »Und du hast das auch noch erlaubt!«, schnaubte sie wütend. Sie war frustriert und fühlte sich das erste Mal von ihrem Mann im Stich gelassen. Jean hielt doch sonst seine Hand über alles, was auf der Plantage geschah. Warum duldete er dieses Verhalten der Arbeiter?

»Julie, ich wusste doch nicht, dass sie das Mädchen verheiraten, ich dachte, es ging um eine der erwachsenen Frauen …«

Sie sah die Verzweiflung in seinen Augen, trotzdem gelang es ihr nicht, die Wut in ihrem Bauch zu mäßigen. Am meisten aber ärgerte Julie sich über sich selbst. Sarina hatte es ihr bereits vor vielen Wochen gesagt. Wie hatte sie eine solch wichtige Sache nur vergessen können! Natürlich, sie war vom Pferd gefallen und hatte auch infolge der Schwangerschaft schon die eine oder andere Sache vergessen, aber das alles war in Anbetracht des Schicksals, das Inika ereilt hatte, keine Entschuldigung. Jetzt war Inika verheiratet, und Julie ahnte, was das für das Mädchen bedeutete. »Du weißt, was er mit ihr machen wird«, zischte sie leise.

Jean zuckte hilflos mit den Achseln. »Julie, das ist bei den Indern wahrscheinlich so Sitte, schau doch … bei den Negern …« Ein Argument, das Julie zur Weißglut trieb. Jean kannte die Sitten der ehemaligen Sklaven ebenso gut wie sie. Aber ob weiß, schwarz, gelb oder rot – es gab in ihren Augen Dinge, die in keiner Kultur einem jungen Mädchen gegenüber gerechtfertigt waren.

»Da passiert das auch wohl kaum im Sinne der Mädchen«, stieß sie hervor. Mit Schaudern dachte sie daran, was sie vor vielen Jahren hier auf der Plantage mitbekommen hatte. Und es war nicht ein Schwarzer, sondern Martins Vater Pieter gewesen, der offensichtlich eine Vorliebe für kleine schwarze Mädchen hatte und … Julie würde die Bilder des geschändeten Kindes nie aus ihrem Kopf verbannen können. Damals war es ihr mit viel Mühe schließlich gelungen, weitere derartige Vorfälle zu vereiteln. Aber auf ihre Arbeiter, auf die Schwarzen und auf die Inder, würde sie dahingehend keinen Einfluss haben, ohne … ohne dass es der Plantage schaden würde. Und genau diesen Gedanken sprach Jean jetzt aus.

»Wir sollten uns da heraushalten. Gibt es Unruhe unter den Arbeitern, schadet das der Plantage, das weißt du ganz genau.«

»Wenn du das so siehst...«

»Außerdem solltest du dich schonen. Reg dich doch bitte nicht so auf.« Er warf einen Blick auf ihren Bauch und sah sie dann vorwurfsvoll an.

»Mir geht es gut. Löblich, dass du dich um unser Kind sorgst, dafür aber ein anderes seinem Schicksal überlässt.«

Julie drehte sich wutschnaubend um und lief in Richtung Plantagenhaus.

Wenige Tage später musste Julie sich eingestehen, dass die Aufregung wirklich nicht gut gewesen war. Die Übelkeit übermannte sie von Tag zu Tag mehr, und sie fürchtete, dass das monatelang so weitergehen würde. Jean ließ mehrmals Aniga kommen. Sein sorgenvoller Blick sprach Bände, aber Julie strafte ihn mit Ignoranz, zu schwer lastete das Geschehen um Inika auf ihrem Herzen. Gerne wäre sie zum Dorf gegangen und hätte nach dem Mädchen geschaut, aber das eine Mal, als sie es versuchte, versagten ihr bereits auf der Treppe die Beine. Hätte Kiri sie nicht aufgefangen, wäre sie gestürzt.

»Sag das nicht dem Masra«, hatte Julie Kiri beschworen und sich zurück in ihr Bett helfen lassen. Resigniert lag sie dort, verdammt dazu, abzuwarten, bis ihr das Baby unter ihrem Herzen wieder ein normales Leben gestattete.

Die Blume von Surinam
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