Kapitel 14

Wim war ehrlich überrascht, als Jean ihm vorschlug, Thijs und Pieter Brick zu einem gemeinsamen Abendessen ins Stadthaus zu laden. Nun, da er die Vorgeschichte zumindest ansatzweise kannte, war es ihm ein Rätsel, was Jean mit dieser Einladung bezweckte.

»Wenn es dir nichts ausmacht?«, fragte er vorsichtshalber nach.

»Nein … aber vielleicht möchte sich deine Frau bei Pieter bedanken, dass er sich auf dem Schiff um sie gekümmert hat und … Martin möchte seinen Vater natürlich auch endlich wiedersehen.«

Wim blieb nicht verborgen, dass Jean anscheinend ganz und gar nicht wohl in seiner Haut war. Wie musste es da erst seiner Cousine gehen?

»Und Juliette?«

»Wim, es ist alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen. Wir … wir mussten ja damit rechnen, dass Pieter eines Tages nach Surinam zurückkehrt.«

Jeans Anspannung war nicht zu übersehen. Wim stimmte zu, fragte aber nicht weiter nach. Irgendetwas war in der Vergangenheit vorgefallen, was so gravierend gewesen sein musste, dass nicht einmal darüber gesprochen wurde.

Wim behagte genau dieser Gedanke nicht. Er hasste es, nicht genau zu wissen, was vor sich ging. Wie oft war er nicht von seinem Vater vor vollendete Tatsachen gestellt worden und wie oft hatte er viel zu spät erfahren, dass etwas hinter seinem Rücken geschah. Und jetzt war er schon wieder in dieser Situation. Wim überlegte, ob er sich einmischen sollte, aber eigentlich ging ihn das alles nichts an. Andererseits war Pieter Brick hier erst durch Gesine zur Sprache gebracht worden, wenn auch aus Versehen und anscheinend schneller, als allen lieb gewesen war. Und Juliette war seine Cousine, die ihm am Herzen lag, auch wenn er sie jahrelang nicht gesehen hatte. Er würde sich über die Hintergründe informieren.

Dazu blieb aber kaum Zeit. Bereits zwei Tage später stand das Abendessen an, und Gesine machte schon am Nachmittag einen Wirbel, als würde der Gouverneur höchstpersönlich erwartet.

»Oh, ist es nicht schön, dass wir Doktor Brick einladen durften? Ich freue mich so, ihm nochmals meinen Dank aussprechen zu können.«

Wim ließ Gesines Überschwang unkommentiert. Je näher der Abend rückte, desto mulmiger wurde ihm zumute. Nicht nur, weil dieser Brick das erste Mal seit so vielen Jahren wieder auf seinen Sohn treffen würde, sondern auch, weil Juliette und Jean deutlich angespannt waren.

Schließlich war es Gesine, die von dieser Stimmung nichts mitzubekommen schien, die Pieter Brick nach seinem Eintreffen überschwänglich begrüßte. Der Gast reagierte nur mit einem kurzen Nicken. Wim war ihre Aufdringlichkeit zuwider, und er ließ seinen Blick zu Juliette wandern. Sie stand blass und stocksteif in der Eingangshalle, während sich ihr Mann neben ihr sichtlich um Contenance bemühte.

»Pieter.« Jean trat einen Schritt auf Brick zu und reichte ihm steif die Hand.

Und dann war Martin an der Reihe, seinen Vater zu begrüßen. Wim hatte diesen Moment mit Spannung erwartet und beobachtete nun, wie Martin vortrat und seinen Vater sehr förmlich begrüßte. »Vater, es freut mich.« Ein leichtes Zittern in seiner Stimme verriet Wim, wie aufgewühlt der Junge war.

»Mein Sohn.« Es waren die ersten Worte, die Pieter Brick sprach, seine Stimme war tonlos und distanziert. Er wirkte fast teilnahmslos, bemerkte Wim irritiert, er hätte zumindest ein wenig mehr Herzlichkeit erwartet. Zugleich fühlte er sich in seiner Einschätzung bestätigt: Der Mann war herzlos und kalt. Hätte er sich seinem Sohn gegenüber ein wenig verunsichert gezeigt, wäre das zumindest verständlich gewesen. Aber ihn mit diesem Tonfall so knapp anzusprechen, nach so langer Zeit, das brachte nur ein Mensch fertig, der eiskalt kalkulierte. Sofort regte sich Mitleid mit Martin, der an den Lippen seines Vaters hing und innerlich zu beben schien. Wim konnte sich gut vorstellen, wie der Junge sich fühlte, und hätte ihn am liebsten beiseitegenommen und ihm gesagt, dass Väter manchmal schwer zu verstehen waren. Brick hingegen schien nicht gewillt, seinem Sohn noch mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen, er wandte sich sogleich Juliette zu. Und plötzlich hatte seine Stimme die Schärfe eines Messers.

»Juliette … wie ich sehe, hast du dich vorzüglich um mein Kind gekümmert. Und«, er ließ den Blick kurz schweifen, »um den Nachlass meiner Frau.«

Wim sah, wie Juliettes Augen sich bei dieser spitzen Bemerkung lauernd zu schmalen Schlitzen verengten und in ihr eine tief sitzende Wut hochzusteigen schien. Er kannte sie noch gut genug, um zu wissen, dass sie dieser Wut bald freien Lauf lassen würde. Schon als junges Mädchen hatte er diese Ausbrüche vorhersagen können und sie auch das ein oder andere Mal provoziert. Aber das hier war kein Kinderspiel, hier ging es um viel bedeutsamere Dinge. Die Luft schien vor Anspannung zu vibrieren. Ein Funke, und es würde lichterloh brennen. Das wusste offensichtlich auch Jean, der hastig das Wort ergriff.

»Lasst uns zu Tisch gehen.«

Sie hatten gerade Platz genommen, als Thijs eintraf. Er entschuldigte sich für die Verspätung und verlor sogleich viele belanglose Worte über die derzeitigen Wetterverhältnisse.

Wim setzte sich auf seinem Stuhl zurecht und musterte die Anwesenden aus den Augenwinkeln. Thijs redete immer noch über den Regen und den schlechten Zustand der Straßen, als wäre dies das wichtigste Thema der Welt. Auch er schien zu merken, dass dies kein gewöhnliches Abendessen war. Juliettes Gesicht war leicht gerötet, und sie atmete hastig. Die Anspannung war ihr deutlich anzusehen, auch wenn sie sich sicher um Beherrschung mühte. Martin hingegen hing nach wie vor an den Lippen seines Vaters, dankbar für jeden Satz, den er ihn jetzt sprechen hörte. Auch wenn sein Vater kein einziges Wort an ihn persönlich richtete. Henry saß schweigend neben Jean, sein Blick wanderte unablässig von seiner Mutter zu Martin und von diesem zu Pieter Brick. Er wirkte nervös. Wim hoffte, dass es nicht zu einem Eklat kam, die Spannung im Raum war für jeden greifbar. Außer für Gesine, wie Wim entnervt bemerkte. Seine Frau rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her, bis Thijs seine Ausführungen über das Wetter beendete. Gesine bedankte sich lange und ausschweifend bei Brick, nicht ohne die Schiffsreise noch einmal Revue passieren zu lassen. Ihr Mundwerk wollte nichtstill stehen. Dass ihr niemand richtig zuhörte, schien ihr nicht bewusst zu sein. Es gelang Wim nur mit Mühe, eine spitze Bemerkung zu unterdrücken.

Als Pieter Brick etwas später schließlich doch das Wort an seinen Sohn richtete, wurde die Spannung fast unerträglich. Er erkundigte sich jedoch zunächst lediglich nach dessen Befinden, den schulischen Leistungen und allgemeinen Interessen. Sein Tonfall war eher höflich denn interessiert, was Martin jedoch nicht zu bemerken schien. Er freute sich sichtlich über diese Wendung und mühte sich redlich, seinem Vater Rede und Antwort zu stehen. Wim entspannte ein wenig. Brick wusste offensichtlich, was von ihm erwartet wurde, und es war unwahrscheinlich, dass er die Situation in eine offene Konfrontation würde münden lassen. Wim hoffte nun auf einen glimpflichen Ausgang des Abends und lehnte sich im Stuhl zurück.

Als die schwarze Haushälterin schließlich die Teller abräumte, um den nächsten Gang zu servieren, bemerkte Wim überrascht, dass ihre Hände stark zitterten, insbesondere als sie sich um das Geschirr von Brick kümmerte. Hatte etwa auch sie etwas mit dieser Geschichte zu tun? Wie weit ging Bricks negativer Einfluss in diesem Haus?

Es war Henry, der das Gespräch schließlich auf Thijs’ Pläne auf Watervreede lenkte. Wim war nicht verborgen geblieben, dass Thijs Brick ebenfalls aufmerksam beobachtet hatte.

»Nun, Mijnheer Brick, was beabsichtigen Sie denn als Erstes in der Kolonie zu tun?«, fragte Thijs jetzt.

Brick lächelte. »Ich gestehe, dass ich mich noch nicht abschließend entschieden habe. Wie auf dem Schiff angedeutet, würde ich gerne wieder in die Plantagenwirtschaft einsteigen.« Dabei warf er Juliette einen Blick zu, den Wim nicht richtig zu deuten vermochte, der Juliette aber offensichtlich wieder in Wallung brachte. Nervös tupfte sie sich mit der Serviette die Mundwinkel ab, ohne Brick anzusehen.

Thijs fuhr unbeirrt fort. »Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns diesbezüglich einmal unterhalten könnten, Mijnheer Brick. Allerdings nicht jetzt«, Thijs bedachte Juliette und Jean mit einem entschuldigenden Blick, »ich möchte dieses Essen nicht für geschäftliche Dinge nutzen, aber meine Pläne für die Plantage meiner Familie könnten durchaus auch für Sie interessant sein.«

Brick erhob sein Glas in Richtung Thijs. »Sehr gerne, Mijnheer Marwijk, sehr gerne.«

Wim sah, dass Martins Augen einen glänzenden Zug angenommen hatten. In Juliettes Blick wiederum, den sie Hilfe suchend auf ihren Mann gerichtet hatte, lag ein Anflug von Panik. Was auch immer in dieser Familie vorgefallen war, Wim würde es herausfinden.

Die Blume von Surinam
00000000000_cover.html
b978-3-8387-2451-5_000016.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000042.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000110.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000122.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000132.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000141.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000249.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000268.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000373.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000574.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000669.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000832.xhtml
b978-3-8387-2451-5_000971.xhtml
b978-3-8387-2451-5_001143.xhtml
b978-3-8387-2451-5_001271.xhtml
b978-3-8387-2451-5_001443.xhtml
b978-3-8387-2451-5_001486.xhtml
b978-3-8387-2451-5_001669.xhtml
b978-3-8387-2451-5_001785.xhtml
b978-3-8387-2451-5_001948.xhtml
b978-3-8387-2451-5_001998.xhtml
b978-3-8387-2451-5_002017.xhtml
b978-3-8387-2451-5_002178.xhtml
b978-3-8387-2451-5_002227.xhtml
b978-3-8387-2451-5_002342.xhtml
b978-3-8387-2451-5_002506.xhtml
b978-3-8387-2451-5_002646.xhtml
b978-3-8387-2451-5_002768.xhtml
b978-3-8387-2451-5_002873.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003037.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003096.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003188.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003295.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003420.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003498.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003543.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003730.xhtml
b978-3-8387-2451-5_003813.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004014.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004118.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004239.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004338.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004427.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004454.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004697.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004898.xhtml
b978-3-8387-2451-5_004917.xhtml
b978-3-8387-2451-5_005068.xhtml
b978-3-8387-2451-5_005131.xhtml
b978-3-8387-2451-5_005351.xhtml
b978-3-8387-2451-5_005497.xhtml
b978-3-8387-2451-5_005601.xhtml
b978-3-8387-2451-5_005799.xhtml
b978-3-8387-2451-5_005861.xhtml
b978-3-8387-2451-5_006105.xhtml
b978-3-8387-2451-5_006209.xhtml
b978-3-8387-2451-5_006428.xhtml
b978-3-8387-2451-5_006516.xhtml
b978-3-8387-2451-5_006618.xhtml
b978-3-8387-2451-5_006792.xhtml
b978-3-8387-2451-5_006894.xhtml
b978-3-8387-2451-5_006956.xhtml
b978-3-8387-2451-5_007089.xhtml
b978-3-8387-2451-5_007203.xhtml
b978-3-8387-2451-5_007323.xhtml
b978-3-8387-2451-5_007514.xhtml
b978-3-8387-2451-5_007647.xhtml
b978-3-8387-2451-5_007820.xhtml
b978-3-8387-2451-5_007839.xhtml
b978-3-8387-2451-5_008015.xhtml
b978-3-8387-2451-5_008164.xhtml
b978-3-8387-2451-5_008221.xhtml
b978-3-8387-2451-5_008301.xhtml
b978-3-8387-2451-5_008376.xhtml
b978-3-8387-2451-5_008547.xhtml
b978-3-8387-2451-5_008772.xhtml
b978-3-8387-2451-5_008934.xhtml
b978-3-8387-2451-5_009161.xhtml
b978-3-8387-2451-5_009243.xhtml
b978-3-8387-2451-5_009377.xhtml
b978-3-8387-2451-5_009489.xhtml
b978-3-8387-2451-5_009558.xhtml
b978-3-8387-2451-5_009675.xhtml
b978-3-8387-2451-5_009731.xhtml
b978-3-8387-2451-5_009935.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010024.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010203.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010222.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010332.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010431.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010503.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010606.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010710.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010776.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010840.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010873.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010930.xhtml
b978-3-8387-2451-5_010977.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011179.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011205.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011254.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011306.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011424.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011502.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011552.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011607.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011791.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011849.xhtml
b978-3-8387-2451-5_011934.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012208.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012309.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012394.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012413.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012518.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012582.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012675.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012881.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012938.xhtml
b978-3-8387-2451-5_012986.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013044.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013140.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013219.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013265.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013309.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013362.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013432.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013568.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013675.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013789.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013823.xhtml
b978-3-8387-2451-5_013905.xhtml
b978-3-8387-2451-5_014024.xhtml
b978-3-8387-2451-5_014087.xhtml
b978-3-8387-2451-5_014203.xhtml
b978-3-8387-2451-5_014259.xhtml
b978-3-8387-2451-5_014371.xhtml
b978-3-8387-2451-5_014486.xhtml
b978-3-8387-2451-5_014561.xhtml
b978-3-8387-2451-5_015148.xhtml
b978-3-8387-2451-5_015218.xhtml
b978-3-8387-2451-5_015299.xhtml
b978-3-8387-2451-5_015336.xhtml
b978-3-8387-2451-5_015584.xhtml
b978-3-8387-2451-5_015647.xhtml
b978-3-8387-2451-5_015667.xhtml