Kapitel 11
Inika war manchmal sehr unwohl. Zunächst hatte sie gedacht, sie hätte sich bei ihrer Mutter angesteckt, aber dann konnte sie es nicht länger vor sich selbst leugnen. Es war fast dreizehn Wochen her, seit Masra Pieter sie … und sie zeigte deutliche Symptome einer Schwangerschaft. Es konnte nur in der verhängnisvollen Nacht geschehen sein. Sie hatte sonst nicht …
Inika war verzweifelt. Was sollte sie jetzt bloß tun? Bogo würde sofort wissen, dass es nicht sein Kind war. Zumal das Kind ein Mischling sein würde, für alle sichtbar. Sie beide hatten zudem nie das Lager geteilt, und Inika würde es auch jetzt nicht übers Herz bringen. Bogo war ihr Freund, ihr einziger Freund, der einzige, der ihr nie wehgetan und der sie immer beschützt hatte. Sie würde ihn nicht mit noch einer Lüge belasten und ihm, neben der Zweckhochzeit, noch ein fremdes Kind unterschieben.
Kurz dachte sie daran, es von einer der schwarzen Frauen wegmachen zu lassen. Inika hatte davon in der Stadt gehört, damals bei Misi Erika: Sie konnten das. Aber ob es auf Watervreede eine Medizinfrau gab, die sich darauf verstand? Wen sollte sie danach fragen? Außerdem war es gefährlich, angeblich waren dabei schon viele Frauen gestorben. Es gab nur eine Lösung, sosehr Inika der Gedanke auch missfiel: Sie würde das Kind austragen und sie brauchte einen Vater, einen weißen Vater. Sonst würde der Verdacht doch schnell wieder auf Masra Pieter fallen, was wiederum den Verdacht erwecken könnte, Inika hätte ihn … es war verzwickt.
Während Inika noch über dieses Problem grübelte, agierte Martin ihr gegenüber immer vertrauensvoller. Er hatte ihr inzwischen sogar verboten, ihn mit Masra anzusprechen, und lud sie immer wieder ein, ihm Gesellschaft zu leisten.
Inika kam ein Gedanke, den sie zunächst verwarf, dann aber wieder und wieder durch ihren Kopf kreisen ließ. Wenn sie Martin jetzt dazu bringen würde, mit ihr das Bett zu teilen, wäre ein Vater für das Kind gefunden. Niemand würde genau nachrechnen. Schon bei dem Gedanken, einem Mann so nahe zu sein, brach Inika der Schweiß aus, doch sosehr sie die Sache auch drehte und wendete, es führte wohl kein Weg daran vorbei. Kurz schob sich Baramadirs Gesicht in ihr Blickfeld, dröhnte Masra Pieters Stöhnen in ihren Ohren, doch sie schob die Gedanken harsch beiseite. Dieser eine katastrophale Moment war nichts gegen ein Leben in Schande. Sie hatte keine Wahl.
Also gab sie sich bei ihren Treffen mit Martin redlich Mühe, war nett zu ihm und anschmiegsam, und nach wenigen weiteren Tagen sah Inika in seinem Blick ein begehrliches Glänzen. Sofort stieg Ekel in ihr auf, aber sie schob ihn beiseite. Ihr Plan ging auf, nur das zählte.
An einem heißen, dunstigen Abend führte er sie zum Fluss. »Inika, ich möchte mich bei dir bedanken, dass du mir hier während all der Wochen beigestanden hast.« Er nahm ihre Hand. Sie versuchte ein liebliches Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern, aber allein seine Berührung ließ sie erschaudern. Sie riss sich zusammen, sie brauchte diesen Mann.
»Inika, du bist eine sehr hübsche junge Frau geworden. Eine wahre Blume, die aufgeblüht ist.« Martin strich ihr zärtlich über die Wange.
Inikas Herz wurde zu Stein. Ja, vielleicht, aber sie war eine giftige Blume.
Er zog sie sanft an sich und küsste zaghaft ihre Lippen. Sie ließ es geschehen, gab sich Mühe, ebenfalls irgendwie das Gefühl von Zuneigung zu erwecken. Eine Stimme tief in ihrem Inneren befahl ihr, fortzurennen. Auch dieser Mann würde Dinge mit ihr machen, die sie nie, nie wieder erleben wollte. Aber sie durfte diesem Impuls nicht nachgeben, sie musste es geschehen lassen. Mit scheinbar unmenschlicher Kraft zwang sie sich, sich an ihn zu schmiegen. Sofort wurden seine Küsse fordernder und er legte ihr die Hand auf den Rücken. Dann zog er sie sanft auf den moosbewachsenen Boden. Inika wappnete sich innerlich gegen das, was jetzt geschehen würde. Er gab sich sichtlich Mühe, zärtlich zu ihr zu sein, dennoch gelang es Inika nur mit äußerster Anstrengung, den Schein zu waren. Sie empfand nichts als Ekel. Doch Martin tat ihr nicht weh, und sie war sogar ein bisschen überrascht, dass es nicht so schlimm war, wie sie erwartet hatte. Damit konnte sie leben.
Was ihr allerdings wenig später einen schmerzhaften Stich versetzte, war die Tatsache, dass Bogos Sachen fort waren, als sie in die kleine Kammer kam, in der sie hausten. Er musste etwas gesehen haben. Andererseits war sie ihm so wenigstens keine Erklärung schuldig.