Kapitel 18

Karini hätte sich am liebsten gleich am nächsten Tag auf den Weg gemacht, Masra Wims Kontor zu suchen. Aber was konnte sie da eigentlich erwarten? Die Leute kannten sie nicht, und ihr einziges Pfand, der Zettel von Masra Wim, hatte sich mit dem Regen aufgelöst. Für die Rückreise nach Surinam brauchte sie Geld, und es war mehr als fraglich, ob die fremden Menschen in Masra Wims Kontor ihr, einem fremden schwarzen Mädchen, etwas geben würden. In einem hatte Tante Dela recht: Ohne Geld war man nichts in diesem Land. Karini besaß keine einzige Münze, außerdem hatte sie keine Unterkunft und konnte sich nicht einmal etwas zu essen kaufen.

Also blieb sie bei Tante Dela. Hier wollte sie in Ruhe überlegen, was sie tun konnte, um das Geld für ihre Rückreise zu bekommen. Sie versuchte, sich im Haus nützlich zu machen, das kannte und konnte sie wenigstens. Nach zwei Wochen aber empfing Tante Dela sie eines Morgens mit einem betrübten Gesicht.

»Kindchen, wir müssen uns etwas überlegen. So gerne, wie ich dich hab, und du bist ein wirklich anständiges Mädchen, aber ich kann dich nicht mehr mit durchfüttern.« Sie zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Wenn du also noch länger hierbleiben möchtest, dann musst du etwas Kostgeld abliefern. Ich bekomme sonst auch Ärger mit Onkel Alvers.« Sie machte eine umfassende Geste. »Ihm gehört die Hütte hier schließlich.«

Karini senkte betrübt den Kopf. Sie hatte es kommen sehen und war den Tränen nahe. »Aber wo soll ich denn hin? Ich kenne doch niemanden hier, der mir helfen würde. Und ich habe überhaupt kein Geld!«

»Na, nun wein mal nicht, Mädchen. Vielleicht finden wir ja einen Weg. Du könntest dir ja ein paar Gulden verdienen, aber …«

Karini hob den Kopf. Das klang, als hätte Tante Dela eine Idee für eine Stelle. Und wenn sie erst ihr eigenes Geld verdiente, könnte sie hier wohnen bleiben und Tante Dela einen Teilbetrag für Kost und Logis überlassen, ansonsten sparsam leben und den Rest für eine Fahrkarte nach Surinam sparen. Ihre Hoffnung wurde aber sogleich zerstört, als sie den Ausdruck in Tante Delas Gesicht sah. »Ich weiß ja nicht, ob dir das liegt … aber du musst ja nicht gleich mit den Männern Umgang haben.«

Karini wurde stocksteif auf ihrem Stuhl. Nein! Mit Männern würde sie nicht das tun, was die anderen Mädchen taten. Nicht für alles Geld der Welt! Sie hatte ja bisher nicht einmal überhaupt mit einem Mann …

»Sagtest du nicht, du kannst tanzen? Vielleicht wäre das ja eine Möglichkeit.« Tante Dela warf ihr einen aufmunternden Blick zu.

In Karinis Kopf rasten die Gedanken. Natürlich konnte sie tanzen, sie liebte es, sich im Rhythmus der Trommeln zu bewegen, allein auf die Musik zu hören und sich fallen zu lassen. Wie ihre Mutter … wie gerne hatten sie zusammen getanzt. Karini zwang sich, die Erinnerung an ihre Mutter beiseitezudrängen. Sie war unsicher, ob Tante Dela diese Art von Tanz meinte, vielleicht ging es eher um eine Vorführung wie bei Misi Gesine. Allein der Gedanke an die Demütigung ließ sie vor Wut kochen. Andererseits … sie hatte es nicht schlecht gemacht, und dieses Mal würde sie Geld dafür bekommen, anstatt wie ein Äffchen belächelt zu werden.

»Ja, tanzen könnte ich vielleicht«, sagte sie schließlich leise.

Tante Dela klatschte in die Hände und freute sich sichtlich. »Das ist doch fein, Mädchen, damit haben wir das Problem schon gelöst. Dann bringe ich dich heute Abend zu Onkel Alvers, und wir schauen mal, ob er mit dir etwas anfangen kann.«

»Tanzen?« Onkel Alvers war ein kleiner, dicker, rotgesichtiger Mann mit einer mächtigen Nase im Gesicht und wenig Haaren auf dem Kopf. Karini mochte ihn auf Anhieb nicht. Tante Dela hatte Karini bei Einbruch der Dunkelheit durch ein paar dunkle und windige Gassen geführt, bis zu einem Haus, aus dem nur wenig Licht, dafür aber umso lautere Musik drang. Durch eine Seitentür waren sie eingetreten, und in einer Art kleinem Büro hatte Tante Dela Karini Onkel Alvers vorgestellt. Er beschaute Karini wie einen Sonntagsbraten beim Fleischhändler auf dem Markt.

»Na ja, eine nette Hautfarbe hat sie schon und auch genug …«, er deutete auf Karinis Busen. Sie wurde rot.

»Und etwas genierlich, das ist nett, das mögen die Kerle.« Er quetschte sich hinter seinem Schreibtisch hervor und bedeutete ihr, ihm zu folgen.

»Du kannst heute Abend dann mit Johanne nach Hause kommen«, sagte ihr Tante Dela noch, dann musste Karini sich auch schon eilen, Onkel Alvers zu folgen. Er führte sie durch einen engen Flur, an dessen Ende zwei Türen lagen, öffnete die linke einen Spalt breit und schob Karini vor, damit sie gucken konnte. Aus dem Raum, der in schummeriges Licht getaucht war, drang Musik und Gelächter. Karini sah Tische, an denen Männer saßen, und frivol gekleidete Mädchen, die zwischen den Tischen umherschwirrten wie bunte Schmetterlinge.

»Das ist der Gastraum. Lass dich von den Kerlen nicht anfassen, das kostet extra. Wenn einer Ärger macht, sag Bescheid.« Onkel Alvers zog die Tür zu und öffnete die andere. »Hier kannst du dich umziehen.« Er trat in den Raum. Dort saßen mehrere Mädchen vor kleinen Spiegeln und schminkten sich. Es roch nach Parfüm. »Jette? Jette!«, rief Onkel Alvers ungeduldig, woraufhin eine vollbusige Frau mit einer üppigen blonden Lockenmähne herbeieilte. »Gib dem Mädchen etwas zum Anziehen. Bitte etwas Passendes … Exotisches … sie soll nachher tanzen.«

Jette musterte Karini kurz und nickte Onkel Alvers zu, dann zog sie Karini am Arm mit sich. Kurz darauf stand Karini, nur mit einem kurzen Baströckchen und einer Girlande aus Seidenblumen über dem Busen bekleidet, im Raum. Jette musterte ihr Werk und nickte. »So werden sich alle Männer den Hals nach dir verrenken.«

Karini fühlte sich äußerst unwohl. Daheim in Surinam, im Arbeiterdorf der Plantage, war es nicht außergewöhnlich, spärlich bekleidet zu sein, aber hier, umgeben von Weißen, da fühlte sie sich einfach nur nackt.

Karini blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Kurz darauf führte Jette sie in den Schankraum, wo es eine kleine Bühne gab.

»So, jetzt gehst du da hoch und tanzt, solange die Musik spielt.«

Karini sah am Fuß der Bühne drei Männer mit Instrumenten sitzen. Auf ein Zeichen von Jette begannen sie zu spielen. Karini seufzte, raffte dann all ihren Mut zusammen und stieg auf die Tanzfläche. Sie wollte schließlich Geld verdienen. Tanzen konnte sie, sie war schon als Kind bei jedem dansi wild ums Feuer getanzt. Das hier ist auch nicht viel anders, sagte sie sich, auch wenn die Musik in ihren Ohren fremd klang. Sie begann, die Beine und ihre Hüften zu schwingen. Die Männer im Schankraum johlten und klatschten. Karini bemerkte erleichtert, dass der Tanz ihnen zu gefallen schien und niemand sie auslachte. Ermutigt machte sie weiter. So tanzte Karini die halbe Nacht, verdiente sich damit Geld für einige Übernachtungen bei Tante Dela und machte Onkel Alvers glücklich, da das Bier in Strömen floss.

Die Blume von Surinam
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