Kapitel 17

Karini!«

Karini fuhr erschrocken herum. Es war bereits dunkel in den Straßen von Paramaribo. Sie hatte für Misi Gesine ein Kleid von der Schneiderin holen müssen und das Stadthaus nun fast wieder erreicht.

»Julius?« Karini traute ihren Augen nicht. Dort stand er, lässig an den Stamm einer Palme gelehnt, als hätte er sie erwartet.

»Schön, dich mal wiederzusehen«, sagte er und trat auf sie zu.

»Ja, ich … wir … mussten damals sehr überraschend abreisen. Ich habe dich gesucht, aber … du warst nicht zu finden.«

»Ja, ich war eine Zeit lang nicht in der Stadt. Du bist gewachsen, kleine Karini …«

Karini war nervös. Trotz aller Freude entging ihr nicht, dass er mit schwerer Zunge sprach und lallte. Er trat noch einen Schritt auf sie zu, deutlich schwankend. Karini fuhr der Schreck in die Glieder: Julius war betrunken.

»Ich … ich muss gehen … ich werde erwartet«, stieß sie hervor und rannte an ihm vorbei in Richtung Haus. Doch er holte sie schon nach wenigen Schritten ein und packte sie am Arm.

»Na, wer wird sich denn so zieren«, lallte er, »ich dachte, wir machen dort weiter, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben.« Er versuchte, Karini an sich zu ziehen. Karini erschauderte. Nichts in dieser Situation erinnerte an den Julius, den sie kannte. Seine Kleidung war zerlumpt und zerrissen, er roch sehr streng und war umgeben von einer Schnapsfahne.

»Lass mich los! Du bist ja betrunken.« Karini versuchte, sich zu befreien. Entsetzt bemerkte sie, dass er noch fester zupackte und versuchte, sie zu küssen.

»Nicht!« Karini wand sich und ließ dabei das Kleid von Misi Gesine fallen. Julius trampelte achtlos darauf herum, in dem Versuch, sie wieder an sich zu ziehen.

»Komm jetzt her.« Er versuchte mit der freien Hand nach ihrer Brust zu grabschen.

Karini gelang es, eine Hand zu befreien. Sie holte aus und schlug ihm, so fest sie konnte, auf die Wange. Kurz hielt er verwundert inne, dann holte auch er aus und schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht. Karini stürzte und Julius zog sie lachend wieder auf die Füße und presste sie an sich. Sie spürte seine Erregung durch seine lumpige Hose. Seine Augen glänzten lüstern.

»Na komm, kleine Karini, nun hab dich doch nicht so.«

»Hey … Hey … lass sofort das Mädchen los«, ertönte plötzlich eine Stimme.

Zu Karinis Überraschung tauchte Masra Henry durch die Pforte zum Hinterhof auf.

»Aaaaah, schau an, die kleine Karini hat einen blanken zum Freund … na komm, den lässt du doch bestimmt auch ran.« Julius machte keine Anstalten, Karini loszulassen, sondern versuchte, sie hinter sich herzuschleifen, fort vom Haus. Karini trat ihm mit aller Kraft gegen das Schienbein. Julius zuckte zusammen und ließ los. Karini sprang sofort beiseite.

»Komm hierher, zu mir.« Masra Henry zog sie hinter sich und baute sich vor Julius auf. Der war aber trotzdem fast einen Kopf größer.

»Was ist … willst du die Kleine ganz für dich allein?« Julius torkelte auf die beiden zu. »Gib deinem schwarzen Freund doch mal was ab …«

Masra Henry ballte die Fäuste und wirkte entschlossen, als er einen Schritt auf Julius zutrat.

»Komm, Weißnase … komm.« Auch Julius ballte die Fäuste und machte einen ungelenken Hüpfer.

Masra Henry überlegte nicht lange und verpasste Julius einen Hieb ins Gesicht. Ehe Karini sich versah, waren die beiden jungen Männer zu einem Knäuel auf dem Boden verschmolzen.

Für Karini sah es nicht so aus, als ob Masra Henry gegen seinen größeren Gegner eine Chance hätte. Hektisch überlegte sie, was sie tun konnte. Als Julius, mit dem Rücken zu ihr, auf die Knie gelangte, während er versuchte, Masra Henry am Boden zu halten, holte sie einfach mit dem rechten Bein Schwung und trat ihm mit dem Fuß zwischen die Beine. Sie wusste, dass Jungen dort sehr empfindlich waren …

Der Tritt verfehlte seine Wirkung nicht. Julius sackte stöhnend zusammen, und Masra Henry war frei. Er sprang auf, packte Karini am Arm, schob sie hastig durch die Hofpforte und verriegelte das Tor von innen. Schwer atmend, die Hände auf die Knie gestützt, blieb er vornübergebeugt stehen.

»Wer war denn das?«, keuchte er, als er sich aufrichtete.

»Ich … du blutest ja.« Karini tupfte Masra Henry vorsichtig mit einem Zipfel ihrer Schürze die Spuren des Kampfes aus dem Gesicht.

»Du gehst ab heute nicht mehr allein vor die Tür, wenn es dunkel ist.« Sein Tonfall war ungewohnt streng. Dann aber grinste er sie spitzbübisch an. »Da habe ich dich wohl gerettet.«

Karini hielt einen Moment mit der Hand an Masra Henrys Gesicht inne. Ja, er hatte sie gerettet. »Danke.«

Plötzlich erschien vor ihrem inneren Auge das Bild von Masra Martin. Auch mit ihm hatte sie vor einigen Monaten hier hinter diesem Tor gestanden, in einer ähnlichen Situation. Und mit genau demselben Blick, den Masra Martin damals gehabt hatte, sah Masra Henry sie gerade an.

Karini trat einen Schritt zurück. »Ich … ich glaube, wir sollten noch das Kleid holen. Misi Gesine wird … böse sein.«

»Sag einfach, dich hätte fast eine Droschke überfahren … du hättest es fallen gelassen vor Schreck«, sagte Masra Henry leise, streckte kurz die Hand nach ihr aus, ließ den Arm dann aber wieder sinken. Er drehte sich zum Tor und schaute durch einen Spalt zwischen den Brettern. »Der Kerl ist fort.«

Karini nickte und hoffte inständig, dass sie ihn so schnell nicht wiedersehen würde.

Die Blume von Surinam
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