KAPITEL 43
Pst!«
Der Laut war kaum zu hören, aber Alice wusste sofort, dass er real war.
Sie blieb einen Augenblick lang still stehen, dann machte sie einen Schritt durch die Eingangshalle.
»Pst.«
Sie blieb wieder stehen, lauschte angestrengt. »Simon?«
Sie trat an den Bogen, der ins Wohnzimmer führte. Es hatte ein Gewitter gegeben, und jetzt kam gerade wieder die Sonne durch und tauchte Simons Flügel in goldenes Licht.
»Alice, bist du allein?«, flüsterte die Stimme.
Es klang nicht nach Simon, aber Alice hoffte dennoch verzweifelt, er möge es sein.
»Simon, bist du das?«
»Bist du allein?«
»Wer ist da?«
»Antworte mir.«
Er saß in der Ecke, im Schatten. Jemand kauerte neben ihm.
Ein Sonnenstrahl glitt langsam über ihn hinweg. Er beugte sich vor.
In der hohlen Hand hielt er eine kleine schwarze Pistole mit weißem Griff.
Alice wich zurück und griff nach ihrem Handy.
»Simon!«, rief sie, in der Hoffnung, dass er oben war.
»Simon!«
»Pst!« Er beugte sich noch weiter vor, seine grünen Augen glänzten. Er hatte einen üblen Sonnenbrand. »Simon ist nicht zu Hause.«
»Daddy«, flüsterte eine kleine Stimme, »darf ich bitte herauskommen?«
Tim verbarg die Pistole unter einem Kissen. »Ja, komm«, sagte er dann.
Austin glitt aus dem Schatten. Er wirkte dünner. Sein Gesicht, sein Hals und seine Arme waren ebenfalls sonnenverbrannt. Er kauerte neben seinem Vater und blickte Alice flehend an.
Ohne auf Tim zu achten, ließ sie sich auf die Knie sinken und breitete die Arme aus. Austin stürzte sich hinein. Liebevoll umfing sie seinen kleinen Körper und wiegte ihn.
»Ich kann es nicht glauben«, flüsterte Alice an Austins Nacken. Tief atmete sie seinen Zimtduft ein. »Ich kann nicht glauben, dass es wahr ist.«
»Du hast es doch von Anfang an vermutet.« Tim schlug die Beine übereinander. Sorgfältig achtete er darauf, dass sein Sohn die Pistole nicht sah.
»Nein, ich habe es nie wirklich geglaubt, Tim.« Seine Augen waren feucht. Das sollte er lieber lassen. Sie würde es nicht dulden, dass er weinte.
»Das ist egal«, sagte er. »Dein Instinkt hat dich nicht getrogen.«
»Wo ist das Baby, Tim? Wo ist sie?«
Sein Blick wurde hart. »Auf der Beerdigung wollte ich dich etwas fragen«, sagte er, »aber ich wusste nicht wie.«
»Ich mag das nicht«, flüsterte Austin Alice ins Ohr.
»Lass Austin nach oben gehen, Tim«, verlangte Alice. Sie verabscheute ihn. Sie würde ihm jetzt die Meinung sagen. Wenn die Pistole nicht gewesen wäre, hätte sie schon längst die Polizei gerufen.
Tim nickte Austin zu, der sich aus Alices Armen wand und wie der Blitz zur Treppe schoss.
»Warum tust du das, Tim?«
Er veränderte seine Position im Sessel, und die Hand, die die Pistole hielt, kam wieder zum Vorschein. Lauren hatte sie gesehen, Pam hatte sie gesehen und jetzt Alice.
Wenn sie doch nur ihr Handy zu fassen bekäme, bevor er sie erschoss. Vielleicht konnte sie ja eine Leitung zu jemandem herstellen, der Zeuge ihres Todes wurde. Nicht Mike natürlich. Das konnte sie ihm nicht antun. Aber Frannie, oder Maggie.
»Ich will das nicht tun.« Er verzog das Gesicht und begann tatsächlich zu weinen.
Alices Angst schlug in Wut um. Was für ein Recht hatte Tim Barnet zu weinen?
Entschlossen zog sie ihr Handy aus der Tasche und drückte die Kurzwahl für Maggie.
Er stand auf und zielte auf Alice. Der Abzug klickte.
»Sag mir nur, warum.« Ihre Stimme klang brüchig, aber sie hatte keine Angst vor diesem Mann.
Er hob den Arm höher und richtete die Pistole plötzlich auf sich selbst.
»Nein!«, rief Alice.
Tim war ihr egal, aber sie dachte an Austin, der oben war. Das würde ihn vernichten.
»Warum?«, fragte sie noch einmal.
Tims Hand zitterte, als er die Waffe an seine Schläfe presste. Ganz langsam begann er, auf den Abzug zu drücken, aber dann hielt er plötzlich inne. Der Feigling. Tu es, drängte sie ihn im Stillen. Tu es, du Schwein.
Weinend brach er zusammen und ließ die Pistole los, als könne er es nicht mehr ertragen, sie zu berühren. Alice trat rasch hinzu und schob die Waffe mit der Fußspitze von ihm weg. Sie rutschte in die Ecke neben einen vergessenen Power-Ranger in Kampfpose.
Mitleidslos betrachtete sie Tim.
»Warum, Tim? Warum hast du Lauren umgebracht?«
»Ich habe sie nicht umgebracht«, weinte er.
Am liebsten hätte sie ihm für diese Lüge einen Tritt versetzt; auch wenn er nicht am Tatort gewesen war, so hatte er sie doch umgebracht.
»Warum?«
Er stand auf und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
»Bitte, nimm Austin«, bat er sie. »Bitte.«
»Was hast du mit dem Baby gemacht?«, fragte Alice.
»Nimmst du ihn, Alice?«
»Ja. Und jetzt sag es mir.«
Er griff in seine Hosentasche und zog einen zerknitterten Briefumschlag heraus. »Mit diesem Schreiben übertrage ich dir das Sorgerecht.«
Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt. Stets der Anwalt, der an alles dachte.
»Meine Tochter ist irgendwo auf dieser Welt.« Tim legte den Umschlag neben sich auf den Boden. »Wir haben überall nach ihr gesucht.«
Irgendwo, wo es heiß sein musste, dachte Alice, sonst hätten sie nicht beide einen solchen Sonnenbrand.
»Woher weißt du, dass sie lebt, Tim?«
Traurig schüttelte er den Kopf. »Ich muss sie jetzt finden.« Er stand auf und ging an Alice vorbei zum Fuß der Treppe.
»Austin!«
Der Junge antwortete nicht, obwohl er seinen Vater gehört haben musste.
»Ich gehe jetzt!«
Stille. Austin war erst fünf Jahre alt, aber er wusste es. Er wusste es.
»Ich liebe dich!«, rief Tim.
Er wandte sich wieder zu Alice und machte eine Bewegung, als wolle er gehen.
Alice trat in die Ecke des Wohnzimmers, in der die Pistole lag. Sie hob sie auf, hielt sich an der Wand fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und richtete die Waffe auf Tim.
»Nein, du gehst noch nicht!«, erklärte sie.
»Alice…«
»Sag mir erst, warum. Dann kannst du gehen.«
»Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.« Sein Blick irrte erneut zur Tür.
»Hast du mit ihr geschlafen?« Er antwortete nicht.
Sie hob die Waffe und fragte noch einmal: »Hast du mit Sylvie geschlafen? Hat damit alles angefangen?«
»Ja«, flüsterte er. »Ich habe Lauren noch nie zuvor betrogen. Sylvie hätte sich nicht in mich verlieben dürfen.«
Am liebsten hätte Alice geschrien: Das ist keine Liebe!
»Warum hast du sie denn nicht einfach verlassen, Tim? Warum musstest du sie ermorden?« Die Tränen schnürten ihr die Kehle zu, aber sie schluckte sie hinunter. Erst musste sie das hier erledigen. Weinen konnte sie später.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe Sylvie gesagt, dass ich meine Frau nie verlassen würde. Dass ich auch meine Kinder nie verlassen würde.« Er hob das Gesicht und blickte Alice an. »Ich habe Lauren geliebt.«
»Vergangenheit«, erwiderte Alice.»Du hast gesagt habe geliebt.«
»Ich wusste es erst, als alles vorbei war.« Er spannte die Kiefernmuskeln an und schluckte. Dann zwang er sich, weiterzusprechen. »Sylvie hat es getan, damit sie mich haben konnte, ohne dass ich meine Kinder aufgeben musste.«
Alices Hand begann zu schwitzen, aber es gelang ihr, die Pistole weiterhin auf Tim zu richten.
»Wo ist das Baby?«
»Irgendwo da draußen.« Er wies mit dem Kopf auf die Tür.
»Ich habe sie überall gesucht.«
»Aber Sylvie war doch noch so lange hier, nachdem… nachdem sie Lauren ermordet hat. Warum hast du sie nicht einfach gefragt?«
»Sie hätte es mir nicht gesagt.« Er verzog bitter das Gesicht.
»Sie wollte es mir erst sagen, wenn ich sie mitnähme. Sie hat auf mich gewartet.«
»Sie ist weg.«
»Ich weiß. Ich bin nur zurückgekommen, um dir Austin zu bringen. Er kann so nicht leben.« Eine Andeutung von Scham glitt über Tims gequältes Gesicht.
»Ich sollte dich erschießen.«
»Lass mich meine Tochter finden, und dann hat das alles ein Ende. Ich verspreche es dir. Bitte, Alice, lass mich gehen, damit ich sie finden kann.«
Von der Treppe her kam ein Geräusch. Austin stand da und beobachtete sie.
Alice ließ die Pistole sinken und steckte sie in die Tasche.
»Sie heißt Ivy«, sagte sie zu Tim, bevor er ging.
EPILOG ZWEI JAHRE SPÄTER Der Minivan holperte die Küstenstraße in Mexiko entlang, von Puerto Vallarta nach Cruz de Loreto. Seit zwei Stunden fuhren sie nun schon die kurvenreiche Strecke, und Alice machte sich langsam Sorgen. Als Lizzie ihnen die Reise zu Weihnachten geschenkt hatte, hatte sie ihnen nicht gesagt, wie unwirtlich die Gegend war. Sie hatte im letzten Frühjahr mit ihrem frisch gebackenen Ehemann George die Flitterwochen im Hotelito verbracht und hatte in ihrer Begeisterung sofort einen Urlaub für die gesamte Familie gebucht; ihr letzter Film war so erfolgreich gewesen, dass sie sich solche Extravaganzen leisten konnte. Angeblich handelte es sich um ein Luxushotel ohne Elektrizität, mit fabelhaftem Essen und Kerzenlicht jeden Abend – ein wunderbarer Gedanke. Und auf der Website hatte es auch hinreißend ausgesehen. Aber je tiefer sie ins ländliche Mexiko vordrangen, desto weniger wohl fühlte Alice sich. Das Land war ausgedörrt von der Hitze. Die Häuser, an denen sie vorbeikamen, konnte man bestenfalls als Hütten bezeichnen, und die gelegentlich auftauchenden Raststätten waren nicht mehr als Blechdosen, die vor Fliegen summten.
Mike saß vorne beim Fahrer, Miguel, und sie konnte seine Reaktion auf die verlassene Gegend, durch die sie fuhren, nicht sehen. Vor Jahren, als sie noch allein waren, hätte sie so ein Abenteuer gereizt, aber jetzt war sie Mutter von fünf Kindern. Wenn nun eins von ihnen krank wurde? Lizzie hatte behauptet, dass es im Hotelito ärztliche Hilfe gab, aber Alice sah hier nirgendwo ein Anzeichen dafür.
Nell, Peter und Austin, die in der dritten Sitzreihe des Vans saßen, schienen die Schlaglöcher zu gefallen. Aber die Zwillinge, die in der Reihe davor bei Alice saßen, wirkten ein wenig grün im Gesicht. Henry schlief in seinem Kindersitz, aber Oscar wurde immer quengeliger, vermutlich brauchte er eine frische Windel.
Alice hätte es lieber vermieden, Miguel abzulenken, damit er sich auf die holperige Straße konzentrieren konnte, aber sie würden trotzdem anhalten müssen. Sie beugte sich vor und sagte mit lauter Stimme, damit er sie über dem Rumpeln der Reifen auch verstand: »Entschuldigung, ich müsste Oscar die Windeln wechseln. Könnten wir mal kurz anhalten?«
Miguel, der ziemlich gut Englisch sprach – er arbeitete im Hotelito und hatte sie am Flughafen in Empfang genommen –, drehte sich um und erfasste die Situation mit einem Blick. Er bog abrupt ab und hielt vor einer verfallenen Hütte mit dem handgeschriebenen Schild »Café«. Dort stieg er aus dem Wagen und öffnete ihr die Seitentür. Die drei älteren Kinder sprangen sofort heraus. Mike blieb im Auto, um auf den schlafenden Henry aufzupassen, während Alice Oscar aus dem Kindersitz hob und sich die Windeltasche schnappte.
Die Luft war wunderbar und tat Alice gut. Da die Luftfeuchtigkeit nicht so hoch war wie in New York, hatte man nicht das Gefühl zu ersticken, sondern fühlte sich eher von der trockenen Wärme liebkost. Auf einmal freute Alice sich darüber, so weit weg von zu Hause zu sein.
Miguel war mit den großen Kindern ins Café gegangen und hatte ihnen Orangenlimonade in Glasflaschen gekauft. Jetzt standen sie da und beäugten einige mexikanische Kinder, die sie ihrerseits ebenfalls musterten. Aber als einer der Jungen seine Yu-Gi-Oh-Karten herauszog, war der Bann sofort gebrochen.
»Sehen Sie?«, sagte Miguel lächelnd. »Kinder finden überall auf der Welt zueinander.«
»Sie sollten bei den Vereinten Nationen arbeiten.« Mike war aus dem Van gestiegen und reckte sich.
Alice setzte Oscar ab, der sich sofort an ihre Beine klammerte. Henry war der Unternehmungslustigere von den beiden. Oscar hielt sich die meiste Zeit in ihrer Nähe auf. An der Seite war ein Fleckchen Rasen, das so aussah, als sei es gut zum Windelnwechseln geeignet. Oscar legte sich bereitwillig hin und reckte ihr die Beinchen entgegen. Er wollte seine schmutzige Windel loswerden. Rasch machte Alice ihn sauber und kitzelte sein weiches Bäuchlein dabei. Dann stellte sie ihn wieder hin und packte zusammen.
In diesem Moment ertönte Motorengeräusch, das sich von hinten dem Café näherte. Auf einem schmalen Feldweg, der hinter einem Hügel verschwand, näherte sich ein Auto. Es war ein alter Saab, kein Geländewagen, mit dem man hier bestimmt besser vorwärts gekommen wäre.
Alice drehte sich nach Oscar um, der zu den anderen Kindern wackelte. Auch Miguel hatte das andere Auto gesehen und lächelte sie an. »Das sind Gringos, wie Sie.«
Alice lachte. Ja, Gringos wie sie. Wieder blickte sie zu dem Auto, das mittlerweile vor dem Café angehalten hatte. Auf dem Beifahrersitz saß eine sehr gelangweilt aussehende, gebräunte Frau mit kurzen schwarzen Haaren. Sie kam Alice irgendwie bekannt vor – und dann sah sie den Mann, der gerade ausgestiegen war.
Er war schlank, und seine etwas längeren, blonden Haare kräuselten sich im Nacken. Er hatte sehr grüne Augen und ein strahlendes Lächeln.
Die Frau gähnte und stieg ebenfalls aus. Sie trug ein schwarzes Bikini-Oberteil und einen langen, weißen, fließenden Rock, der tief auf ihren Hüften saß. Ein rubinroter Stein schmückte ihren Bauchnabel, und um den Knöchel wand sich ein Tattoo.
Hinten im Auto saß ein ungefähr zweijähriges kleines Mädchen im Kindersitz und schlief. Sie hatte den Kopf abgewandt, und Alice konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber ihre braunen Haare waren zu Rattenschwänzchen zusammengebunden, und man konnte das rote Muttermal an ihrem Nacken deutlich sehen. Das war so gut wie ein Gesicht und ein Name. Es war exakt Laurens Muttermal in Miniatur. Das Muttermal, das sich seit mittlerweile vier Generationen auf jedes weibliche Mitglied der Familie vererbte.
Mike machte einen Schritt nach vorn. Also hatte auch er sie gesehen. Tim, Analise, Ivy. Sie standen direkt vor ihnen.
Auch Austin hatte sie gesehen. Er war jetzt sieben, ein schlaksiger, selbstbewusster Junge. Er ließ seine Limonadenflasche fallen und machte ein paar Schritte vorwärts.
Analise drehte sich abrupt zu Tim, der sie mit einem Nicken zurück in den Wagen schickte. Dann ging Tim mit raschen Schritten auf Austin zu, wobei seine Strohsandalen kleine Staubwolken aufwirbelten. Seine Zehennägel waren schmutzig. Er packte Austin an der Hand und versuchte, ihn zum Auto zu zerren.
»Nein!«, protestierte Austin.
»Bitte!«, bat Tim. »Ich kann dich nicht schon wieder zurücklassen.«
Austin riss sich los und rannte zu Alice, die sich wie ein Schutzschild vor ihn stellte. Für sie war die Sache klar: Austin war jetzt ihr Sohn. Sie würde ihn nie gehen lassen.
»On y va!«, rief Analise Tim zu. Ihr Tonfall war hart, nicht so süß und weich wie damals in Brooklyn.
Mike stand am Wagen und versuchte verzweifelt, sein Handy in Gang zu bringen, aber er bekam keinen Empfang. Tim drehte sich um und lief zum Auto zurück. Mike ließ sein Handy fallen und setzte ihm nach. Kurz bevor Tim das Auto erreichte, packte er ihn am T-Shirt.
»Bleib stehen!«, schrie Mike. »Es reicht!«
Tim wand sich aus seinem Griff, und es gelang ihm, sich in sein Auto zu setzen und den Motor zu starten. Aber bevor er losfuhr, sagte er noch etwas zu Mike. Es war ein seltsamer Moment: Tim redete drängend auf Mike ein, Mike hörte zu, beide Männer verschwitzt und erschöpft, verängstigt und wütend; was von ihrer alten Freundschaft übrig war, zerbrach in diesem Augenblick ganz.
Kurz bevor das Auto losfuhr, bemerkte Alice, dass Analise sie aus kalten, leeren Augen ansah. Als sie Tim anherrschte, »Vite!«, wachte Ivy auf und drehte sich um.
Alice prägte sich ihr Gesicht ein. Sie war wunderschön. Runde Wangen und Laurens sandbraune Haare, die ihr fransig in die Stirn fielen. Lebhafte grüne Augen.
Tims Augen. Sie würde die Welt mit seinen Augen sehen.
Mike zog einen Zettel und einen Stift aus der Tasche und schrieb sich das Kennzeichen des weißen Saab auf.
»Ich habe es mir notiert«, rief er Alice zu, als der Wagen verschwand.
»Kennen Sie diese Leute?«, fragte Miguel.
»Sehr gut sogar«, erwiderte Alice. »Können wir hier irgendwo telefonieren?«
Bis das Telefon im Café eingestöpselt war und Empfang hatte, damit sie die örtliche Polizei anrufen konnten, die dann ihrerseits Interpol, das FBI und schließlich Francesca Viola im 76. Revier in Brooklyn, New York, informierte… bis alle Landstraßen, Highways und Flughäfen in Puerto Vallarta und Mexico City abgeriegelt waren… war es zu spät.
Sie waren weg.
Als sie später am Abend im Bett unter einem weißen Moskitonetz lagen, fragte Alice Mike: »Was hat Tim eigentlich zu dir gesagt?«
Mike lag auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er verzog das Gesicht. »Ich liebe sie.« Er rollte sich auf die Seite, um Alice anzusehen. »Was glaubst du, wen er damit gemeint hat? Ivy oder Analise?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Alice. Sie schob die weiße Bettdecke beiseite und schloss die Augen.