KAPITEL 31

Mike, Frannie, Giometti und Dana standen zusammen in der Lobby der Polizeiwache, als Alice hereinkam. Mike eilte sofort zu ihr. Seine Haare waren so zerzaust, dass sie ihm förmlich ansah, was für Sorgen er sich gemacht hatte. Er schob ihr eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn.

»Wie war es?«, fragte er.

Alice schüttelte sich. »Lass uns nie mehr Fleisch essen«, sagte sie.

Lächelnd legte Mike den Arm um sie und führte sie zu einem Stuhl, damit sie sich hinsetzen konnte. Frannie holte ihr eine Flasche Wasser aus dem Getränkeautomaten, und erst als sie sie mit drei Schlucken leer getrunken hatte, merkte sie, wie durstig sie gewesen war.

»Sie haben Ihre Sache gut gemacht«, sagte Frannie anerkennend.

Dana streichelte ihr über den Nacken. »Hervorragend.« Langsam entspannte sich Alice, aber immer noch brach ihr der Schweiß aus.

»Das ist die verspätete Reaktion auf den Stress«, erklärte Dana. »Kommen Sie, wir nehmen Ihnen die Kabel ab.«

Sie führten sie wieder in den kleinen Raum im Keller, wo der Techniker gerade die Geräte aus dem Lieferwagen in den Schrank räumte.

»Hast du alles, Eddie?«, fragte Frannie ihn.

»Ja. Alles da.«

»Wir können nichts im Wagen lassen.« Frannie verdrehte die Augen. »Noch nicht einmal auf unserem eigenen Parkplatz.«

»War es denn gut?«, fragte Alice.

»Ja, es war sehr gut.« Frannie wandte sich an Eddie.

»Okay, Kumpel, raus mit dir.«

Eddie verschwand, und die beiden Polizistinnen befreiten Alice von den Kabeln und dem Mikrophon.

»Wir haben erfahren«, sagte Frannie, »dass Garden Hill Realty involviert ist. In dem Moment, als Sie Judy Gersten erwähnt haben, wurde Cattaneo nervös. Warum, wissen wir nicht genau. Aber mein Gefühl sagt mir, dass die Verhältnisse auf dem hiesigen Immobilienmarkt nun gehörig durcheinander geraten werden.«

»Und jetzt?«, fragte Alice.

»Wir warten ab«, erwiderte Frannie.

»Soll das heißen, wir sollen einfach ganz normal weitermachen, obwohl von normal gar keine Rede sein kann?«

»Ich will damit nur sagen, dass Sie versuchen sollten, so alltäglich wie möglich weiterzuleben, und dann sehen wir mal.«

»Und wenn wir eine Zeit lang verreisen würden?«, fragte Mike. »Ich würde gerne mit Alice und den Kindern irgendwohin fliegen.«

In der Pause, die entstand, blickte Alice ihren Mann voller Mitgefühl an. Er hatte ihr gegenüber nichts davon erwähnt, aber sie konnte sich denken, dass er seinen Plan, nach Las Vegas zur Möbelmesse zu fahren, aufgegeben hatte. Jeden Tag mussten sie im Augenblick neue Prioritäten setzen, und ihr war klar, dass er »weit weg« meinte, wenn er von »irgendwohin verreisen«

sprach. Er würde sicher in ein ganz anderes Land wollen.

»Uns wäre es lieber, Sie blieben hier.« Frannie setzte sich an den Tisch. »Es könnte für die Ermittlungen wichtig sein.«

»Warum?« An Mikes Hals pochte eine Vene. »Damit dieser Irre meine Frau abschlachten kann? Damit Sie ihn auf frischer Tat ertappen können, wenn es für uns zu spät ist?«

Frannie seufzte tief und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Sie schloss die Augen. Sie hatte lange Wimpern, stellte Alice fest.

Und ihr war eins klar: Auf Mikes Vorwürfe gab es keine Antwort, weil sie berechtigt waren.

»Sagen Sie uns nur«, bat Alice Frannie leise, »was als Nächstes passiert, damit wir uns darauf einstellen können. Wir müssen es einfach wissen, damit wir unsere Entscheidungen treffen können.«

Frannie öffnete die Augen. Sie schwieg einen Moment lang, dann sagte sie: »Wir haben uns ein paar Dinge überlegt, aber darüber dürfen wir im Augenblick noch nicht sprechen.«

Ach, so weit war es also schon wieder! Alice presste die Lippen zusammen. Frustration und Ärger schnürten ihr die Kehle zu.

»Ich will nach Hause«, flüsterte sie Mike zu.

»Ich auch«, erwiderte er ärgerlich. »Das geht aber nicht.«

Alice vermisste ihr altes Zuhause in der President Street und sehnte sich nach dem neuen Zuhause am Third Place. Aber nun, da sie in Simons Haus lebte, hatte sie entdeckt, dass Zuhause immer dort war, wo ihre Familie sich aufhielt. Zuhause, das waren Nell und Peter und Mike und auch die Zwillinge. Zuhause war das dunkle Loch in ihrem Leben, wo sie Lauren vermisste und wo es schmerzte. Zuhause war eine gute Mahlzeit, eine heiße Dusche, ein sauberes Bett. Zuhause konnte überall sein.

Und dennoch fehlte ihr die Wohnung in der President Street. Obwohl sie sich ein wenig davor fürchtete, wandte sie sich mit einer Bitte an Frannie.

»Ich muss in unsere alte Wohnung.« Unerschrocken blickte sie Frannie in die Augen. »Ich muss ein paar Sachen dort holen.«

Und sie musste sich verabschieden.

Frannie nickte. »In Ordnung. Morgen. Ich arrangiere das.«