45. KAPITEL

Es kam ihr unwirklich vor, dass sie nur zwei Tage in Italien gewesen waren. Taylor hatte das Gefühl, es hätte mindestens einen Monat gedauert.

Wenigstens hatte sie eine Sorge weniger. Memphis war zum New Scotland Yard zurückbeordert worden, was ihr Anspannungslevel um einiges sinken lassen sollte. Der Macellaio-Fall war für den Moment erledigt und Memphis’ Vorgesetzte waren nicht gewillt, die Kosten weiter zu übernehmen, vor allem nicht, wenn andere, ungelöste Fälle auf seinem Schreibtisch warteten. Taylor machte es nichts aus, seinen Teil der Arbeit zu übernehmen. Der Abstand zu Memphis war ein Segen für sie.

Die Brüder waren in das Krankenhaus Santa Maria Nouva gebracht worden, wo man die Verbrennungen zweiten Grades an ihren Fingern und Handflächen versorgte. Es war ein grober Versuch gewesen, ihre Identitäten auszulöschen, aber für eine permanente Lösung hatte es nicht gereicht. Die Verbrennungen waren ernst, aber sie würden heilen, ohne dass eine Transplantation nötig wäre. Eine Verbrennung dritten Grades hätte vielleicht funktioniert, aber die einzigen Möglichkeiten, seine Fingerabdrücke wirklich loszuwerden, waren konzentrierte Säure oder eine Operation. Und sogar dann würde ein anderer, einzigartiger Abdruck zurückbleiben, anhand dessen sie von nun an identifiziert werden könnten.

Taylor wusste, was sie versucht hatten. Auf eine kranke Art ergab es Sinn. Anhand der DNA konnte die Polizei die beiden nicht auseinanderhalten, aber anhand der Fingerabdrücke sehr wohl. Keine Fingerabdrücke, keine Möglichkeit der Identifizierung. Die Regierungen der betroffenen Länder würden sie nicht voneinander trennen können, bis sie nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen konnten, wer wer war.

Zum Glück war die Polizei schlauer als die Zwillinge.

Taylor und Baldwin standen zusammen auf dem Flur vor dem Zimmer der Brüder. Die Carabinieri hatten keinen Grund gesehen, wieso die beiden nicht zusammenliegen sollten. Platz war in diesem Krankenhaus ein Luxus, und die Männer waren mit Handschellen an die Bettgestelle gefesselt. Die Ärztin, eine Frau mit ebenholzschwarzem, elegant frisiertem Haar und einem sizilianischen Akzent, erläuterte ihnen in perfektem Englisch ihre Befunde.

„Ihre Fingerspitzen werden wieder heilen. Die Verbrennungen sind ernst, aber nur das, was wir zweiten Grades nennen. Es werden Narben zurückbleiben, aber die Fingerabdrücke sind nicht vollkommen ausgelöscht worden. Patient A hat es schlimmer getroffen. Es sieht aus, als wenn seine Handflächen länger auf die glühende Pfanne gedrückt worden wären als bei Patient B. Seine Verbrennungen sind ein wenig schlimmer, sodass wir für ihn morgen früh eine Wundausschneidung angesetzt haben, um das restliche tote Fleisch zu entfernen. Für Patient B ist eine solche Behandlung nicht notwendig.“

„Wie lange wird es dauern, bis sie gesund genug sind, dass wir sie vor Gericht stellen können?“, fragte Baldwin.

„Ich kann nicht sagen, wie lange die Heilung dauern wird oder wie gut sie verläuft. Die Handflächen sind komplett abgeschabt, die Verbrennungen in der Handmitte sind am schlimmsten. Dio mio, seine Hand in ein brennendes Feuer zu halten, ich kann mir nicht vorstellen, wie man freiwillig diese Schmerzen auf sich nimmt. Die Patienten sind im Moment sediert, aber bei Bewusstsein, falls Sie mit ihnen sprechen möchten. Sie haben nach einer Katze gefragt.“

„Das muss Gavin sein“, sagte Taylor. „Wer hat die Frage gestellt?“ „Beide. Auf einen Blick hin haben sie gleichzeitig gesprochen. Sie haben beide einfach nur Katze gesagt.“

Kluge Jungs.

Sie bedankten sich bei der Ärztin, die nickte, ihnen die Hände schüttelte und ihre Runde fortsetzte.

„Bist du bereit, sie ein wenig aufzuscheuchen?“, fragte Baldwin.

„Darauf kannst du wetten.“

Taylor öffnete die Tür zum Zimmer der Zwillinge. Sie lagen ruhig in ihren Betten, Seite an Seite, und schauten einander an. Sie starrten sich so intensiv in die Augen, sahen so konzentriert aus, dass Taylor das Gefühl hatte, sie würden auf telepathischem Weg miteinander kommunizieren.

Es war unheimlich, wie gleich sie aussahen. Taylor hatte in der Vergangenheit schon mit eineiigen Zwillingen zu tun gehabt – unter anderem hatte sie im letzten Jahr einen Fall bearbeitet, in dem es um Zwillingsmädchen gegangen war – aber Tommaso und Gavin waren anders. Sie waren sich noch ähnlicher. Taylor wusste, dass das eine psychologische Reaktion war. Die Vorstellung, dass die beiden getrennt voneinander aufgewachsen waren und dennoch den gleichen psychotischen Weg eingeschlagen hatten, war kaum zu begreifen. Eineiige Zwillingsnekrophile. Das war ein Fall für die medizinischen Fachzeitschriften.

Keiner der beiden rührte sich bei ihrem Eintreten. Taylor wusste, dass Baldwin es kaum erwarten konnte, die Männer zu befragen, also trat sie zur Seite und ließ ihm den Vortritt.

„Mein Name ist Dr. John Baldwin“, fing er an. Keiner der Zwillinge dreht sich zu ihm um, aber Taylor sah, dass derjenige in dem Bett, das mit „Patient A“ ausgewiesen war, leicht zusammenzuckte. Also mochten sie keine Ärzte. Diese Tatsache gepaart mit ihrer aktuellen Situation musste ihnen unendliche Schmerzen bereiten. Interessant.

Baldwin fuhr fort. „Ich bin vom FBI. Das hier ist meine Kollegin Detective Jackson von der Metro Nashville Police.“

Sie hielt nach einem Zeichen Ausschau, aber keiner der Männer ließ sich anmerken, dass er Tennessee kannte.

„Sie sind von der italienischen Justiz verhaftet worden, die Sie beide als indagato bezeichnet. Das bedeutet im Wesentlichen, dass Sie wegen Mordes angeklagt sind. Sie werden sich vor Gericht verantworten müssen und mit Sicherheit verurteilt werden. Italien ist kein großer Freund von Il Macellaio. Außerdem werden wir Sie trennen, sobald diese Befragung beendet wird. Und ich informiere Sie offiziell darüber, dass Italien zwar keine Todesstrafe kennt, die Vereinigten Staaten jedoch sehr wohl. Einer von Ihnen wird ausgeliefert, und nach Bundesgesetz haben die Vereinigten Staaten das Recht, die Todesstrafe gegen Sie zu verhängen.“

Immer noch nichts. Kein Wort, keine Bewegung in einem der Betten.

Baldwin nahm einen kleinen Plastikstuhl und setzt sich am Fußende zwischen die Betten. Er machte es sich bequem und lächelte freundlich. „Sie denken vielleicht, dass Sie uns ausgetrickst haben, indem Sie Ihre Fingerabdrücke vernichteten. Leider liegen Sie da falsch. Wir wissen, wer von Ihnen wer ist.“

Er wandte sich an den Mann in Bett A. „Gavin.“ Er schaute nach rechts zu Bett B. „Tommaso.“

„Ha“, sagte der Zwilling in Bett B. „Sehen Sie, Sie treffen bereits falsche Annahmen. Sie haben keine Möglichkeit, uns auseinanderzuhalten.“

„Oh, aber da irren Sie. Sie denken, clever zu sein, aber da müssen Sie schon früher aufstehen. Während wir miteinander sprechen, werden Ihre Zahnakten eingeflogen. Die Zahnärzte des 31st Dental Squadrons in Aviano haben detaillierte Aufzeichnungen über alle ihre Patienten. Ein Anruf im Archiv, und sie hatten die Akten von Thomas Fielding.“

Nun sprach Taylor zum ersten Mal. Sie wandte sich an den Mann in Bett A. „Und Gavin, Dr. Simpson aus Manchester war sehr enttäuscht, als er hörte, dass wir Ihre Röntgenaufnahmen benötigen. Er hat auch ein penibel geführtes Archiv und hat uns bereits verraten, dass wir auf den Engstand der unteren Vorderzähne achten sollen. Thomas hatte als Teenager eine Spange. Ihre Adoptiveltern hingegen wollten das Geld dafür nicht ausgeben.“

Bei der Erwähnung seiner Adoptiveltern zuckte der Mann in Bett A zusammen. Sie wussten bereits, dass es Gavin war, wussten, dass er der Mann war, der bei ihrem Eintreffen in der Hütte schon bewusstlos gewesen war. Sein Bruder hatte ihm die Hände den Bruchteil einer Sekunde länger auf den heißen Pfannenboden gedrückt als notwendig. Wie ein Kind, dass einer Fliege die Flügel ausreißt, um zu sehen, was passiert.

Baldwin beendete seine Begutachtung: „Und Thomas, wir wissen von Ihren Amalgamfüllungen. Das Militär hinkte der Zeit ein wenig hinterher, was die Zahnmedizin anging. Die ästhetischen, kosmetischen Fortschritte, die in den Privatpraxen gemacht wurden, interessierten dort nicht. Während alle Jungen in Ihrem Alter, Gavin eingeschlossen, zahnfarbene Kunststofffüllungen erhielten, hat man bei Ihnen noch Amalgam eingesetzt. Eineiige Zwillinge haben keine identischen Zähne, und Umwelteinflüsse können die Unterschiede noch größer machen. Also haben Sie sich die Hände verbrannt, sich diesen unerträglichen Schmerz angetan, und alles umsonst. Gavin, Sie werden mit uns in die Staaten zurückkehren. Thomas, die Italiener haben bereits eine Zelle mit Ihrem Namen daran vorbereitet.“

Baldwin erhob sich. Taylor war beeindruckt. Sie wusste, wie viel Zurückhaltung es verlangte, nicht jedes Fitzelchen an Information aus den beiden herausquetschen zu wollen.

Der Zwilling, von dem sie wussten, dass er Gavin war, fing an zu weinen.

Taylor verbrachte die nächste Stunde am Telefon und ging mit Julia Page jede Einzelheit für die Auslieferung von Gavin nach Nashville durch.

Die italienische Justiz war kein großer Freund der Todesstrafe und würde keinen der Brüder an ein Land ausliefern, in dem ihnen ein entsprechendes Urteil drohte. Außerdem mussten sie noch ein schwieriges Rätsel lösen, von dem sie den Brüdern natürlich nichts gesagt hatten. Die zahnärztlichen Unterlagen konnten ihnen nur in gewissen Grenzen weiterhelfen. Die Röntgenaufnahmen bewiesen nämlich lediglich eines: die Identität eines jeden Zwillings.

Aber sie halfen überhaupt nicht dabei, Gavin definitiv mit den Morden in Tennessee und Tommaso mit denen in Italien und Großbritannien in Verbindung zu bringen, weil nirgendwo irgendwelche Bissspuren hinterlassen worden waren. Keiner der Männer hatte seine Opfer gebissen, und so lag es durchaus im Bereich des Möglichen, dass der Zwilling, den sie als Tommaso kennengelernt hatten, in Tennessee gewesen war und sein Zwilling, bekannt als Gavin, sich in Italien umgetrieben hat. Und das wiederum könnte reichen, um in den Köpfen der Jury begründete Zweifel zu säen.

Ohne zu wissen, wer von ihnen wo gewesen war, konnten sie keinen der Brüder für die Morde anklagen. Sie wussten, dass Tommaso für die Morde in Italien und in London verantwortlich war und Gavin all die Morde in den USA begangen hatte. Aber es zu wissen und es vor Gericht zu beweisen waren zwei ganz verschiedene Sachen. Ein guter Verteidiger würde den Fall mit dieser schlichten Tatsache in Stücke reißen. Es würde stundenlanger ermittlerischer Kleinstarbeit bedürfen, um jedes Beweisfitzelchen jedem von ihnen individuell zuzuschreiben.

Nachdem Taylor das Gespräch mit Julia beendet hatte, kaute sie auf dem Ende ihres Kulis herum und dachte über die Situation nach. Sie fragte sich, wie viel die Zwillinge über die verschiedenen Wege wussten, auf denen ihre Identitäten enthüllt werden konnten. Der Plan, ihre Fingerabdrücke zu vernichten, war einfach, aber genial. Taylor fragte sich, wer ihn erdacht hatte. Vermutlich Tommaso, der mit den brutaleren Tötungsmethoden.

Es würde einige Tage brauchen, bis alle Einzelheiten geklärt waren. Was bedeutete, dass sie ein paar Tage für sich hatten, während die Italiener, die Botschaften der USA und Englands, die Met, das FBI und Metro Nashville das Chaos ordneten. Die Situation überstieg ihre Dienstgrade um Längen.

Sie brauchte dringend etwas zu essen. Also machte sie sich auf die Suche nach Baldwin, der gerade mit Pietra Dunmore telefonierte, um sicherzugehen, dass sie alle ihr zur Verfügung stehenden Beweise so schnell wie möglich übermittelte, damit die Ermittlungen vorangehen konnten. Nachdem er aufgelegt hatte, fuhr er sich mit der Hand durchs Haar.

„Ich habe ein riesiges Loch im Magen. Komm, lass uns was zu essen holen und ins Hotel zurückgehen.“

„Das klingt gut.“ Er nahm seine Jacke von der Stuhllehne und schlüpfte hinein. Taylor fuhr mit der Hand über das weiche Leinen. Zu schade, dass sie nicht hierbleiben und vor allen Sorgen davonlaufen konnten.

Der Weg zurück zum Hotel dauerte zu Fuß fünf Minuten. Die Schönheit von Florenz lag auch in der überschaubaren Größe, und schnell kamen sie durch den Innenhof des Palazzo Strozzi zum Colle Berreto.

Dort saß Memphis, ein unberührtes Glas Wein vor sich auf dem Tisch.

Taylor war bei seinem Anblick sofort leicht genervt, fühlte sich aber auch irgendwie von ihm angezogen. Sie schaute Baldwin an. „Sollen wir uns zu ihm setzen?“

„Natürlich. Er schlägt vermutlich die Zeit tot, bis er zum Flughafen muss.“

Sie überquerten die Piazza und begrüßten Memphis.

„Setzt euch“, sagte er.

Das taten sie und bestellten Espresso und Tiramisu.

Memphis hatte sich in den letzten paar Stunden tadellos benommen. Taylor wartete nur darauf, dass sich das wieder änderte. Sie wusste, dass zwischen ihnen noch einiges ungeklärt war, dass sie mit ihm über den Kuss sprechen musste. Aber da er quasi schon auf dem Weg nach London war, würde sie wohl kaum noch die Gelegenheit dazu erhalten. Am Tatort in den florentinischen Hügeln hatte es sich nicht richtig angefühlt, das Thema anzusprechen. Dort hatten die Obsessionen bereits schwer genug in der Luft gehangen.

Baldwins Telefon klingelte. Er warf einen Blick auf das Display, entschuldigte sich dann und nahm den Anruf entgegen. „Garrett, hey. Wie steht’s in D. C.?“

Taylor beobachtete einen Moment, wie er mit gefurchten Brauen zuhörte. Dann stand er auf und ging quer über die Piazza.

„Was sollte das denn?“, fragte Memphis.

„Ich weiß nicht.“

„Oh. Ich wette, ich weiß es.“

Sie wandte sich ihm zu. „Was?“

„Nun, die Pläne haben sich ein wenig geändert. Ich fliege nicht direkt zurück nach London.“

In ihr regte sich Misstrauen. Sie wusste, dass eine Pause von Memphis’ sengenden Blicken zu schön gewesen wäre, um wahr zu sein.

„Was soll das heißen?“

„Es ist schon seit einiger Zeit in Arbeit, obwohl ich vorhatte, abzusagen. Mir ist eine Position in Quantico angeboten worden.“

Sie brauchte einen Moment, um das zu verdauen. „Was?“, fragte sie dann.

„Mir ist eine Position in …“

„Das habe ich gehört. Welche Position?“

„Das BAU-Team gegen Terrorismus. Besondere Verbindung zur Metropolitan Police bei New Scotland Yard. Mir hat es da echt gut gefallen, weißt du. Ich dachte, es könnte Spaß machen, also habe ich zugesagt. Vermutlich ist das der Grund, warum dein Kerl da drüben wie ein Löwe im Käfig auf und ab läuft. Er mag mich nicht sonderlich.“

„Ich auch nicht“, sagte sie.

Er beugte sich verschwörerisch vor. „Doch, tust du wohl. Und das bedeutet, dass ich dir viel näher sein werde.“

„Oh, denk nicht mal darüber nach. Ich war dir gegenüber doch wohl sehr klar und eindeutig, oder? Ich. Bin. Nicht. Interessiert.“

„Warum hast du mich dann geküsst?“

„Habe ich gar nicht, du Arsch. Du hast mich geküsst.“

„Und du hast den Kuss erwidert.“ Er fing ihren Blick auf. „Und es hat dir gefallen.“

Jesus, mit ihm zu reden war wie mit einem Fünfjährigen zu streiten. Selber, selber, lachen alle Kälber.

„Nein, hat es nicht. Und ich würde es wirklich sehr zu schätzen wissen, wenn du den ganzen Vorfall einfach vergessen könntest. Ich habe es schon, okay?“

„Absolut, Darling. Zumindest für den Moment.“ Er griff über den Tisch und berührte sanft ihre Hand. Sie zog sie zurück.

„Komm heil nach Hause, Memphis. Bitte, tu uns beiden einen Gefallen und bleib nicht in Kontakt.“

Sie stand auf, ignorierte sein leises „Taylor“ und ließ ihn allein am Tisch zurück.

Sollte er dieses Mal die Rechnung übernehmen. Sie schaute nicht zurück, sondern gesellte sich zu Baldwin, der gerade sein Handy zuklappte.

„Was ist los?“, fragte sie.

„Das Übliche. Garrett wollte die Fakten des Falles. Du bist ja ganz rot, was ist los?“

Sie spürte das Brennen auf ihren Wangen. „Nichts. Es ist … nichts.“ „Memphis mal wieder?“

„Wirklich, es ist nichts. Er hat nur gerade erzählt, dass er sich der BAU anschließt.“

„Komm, gehen wir ein Stück“, schlug Baldwin vor.

Als sie nebeneinander hergingen, fanden ihre Hände sich wie von alleine. Die Lichter der Stadt umgaben sie; die Rufe der obdachlosen Bettler, die Touristen, die Menschenmengen waren verschwunden. Die Nächte in Florenz waren magisch. Die Wärme von Baldwins Fingern vertrieb Taylors Ängste. Baldwin war der Richtige. Der Einzige. Als sie die Piazza della Signoria betraten, blieb er stehen und gab ihr einen kurzen Kuss.

„Hm“, sagte sie. „Mach das noch mal.“

Er leistete ihrer Bitte nur zu gerne Folge, dann schlenderten sie weiter.

„Memphis wird nicht so bald nach Quantico kommen“, sagte er. „Was?“

„Ich habe darum ersucht, ihn nach London zurückzuschicken.“ Sie blieb stehen und sah ihn an. „Das hast du nicht.“

„Oh doch.“

„Das ist nicht fair, Baldwin. Er ist ein guter Cop. Er hat uns geholfen, den Fall zu lösen.“

Memphis zu verteidigen war genau der falsche Ansatz. Sie sah, wie das Feuer in Baldwins Augen aufflammte. Seine Stimme war angespannt.

„Ein guter Cop, der sich an dich herangemacht hat. Ich nahm an, dass du dich freuen würdest, ihn vom Hals zu haben.“

„Ich kann selber auf mich aufpassen, Baldwin.“

„Das weiß ich, verdammt noch mal. Deshalb mach ich mir ja Sorgen.“ Er raufte sich die Haare und atmete dann tief durch, um sich zu beruhigen. Sie hatte noch nie erlebt, dass er die Kontrolle verlor, und war von der Intensität dieser speziellen Unterhaltung mehr als überrascht.

„Ich will mich nicht mit dir streiten“, sagte sie.

„Ich will mich auch nicht mit dir streiten. Wir müssen nur aufpassen, was wir tun. Ich habe das Gefühl, alles verändert sich. Ich bin mir nicht sicher, wie, aber inmitten von dem Fall hier, dem Predator und Memphis ist irgendetwas Schlimmes im Anmarsch. Ich will ein Auge auf dich haben. Vielleicht ist es an der Zeit, für immer nach Nashville zurückzukehren.“

Sie löste sich von ihm. „Tu das nicht. Tief in deinem Inneren willst du das nicht. Ich kenne dich. Du willst nicht an ein Haus gekettet sein, an ein fades Leben in nur einer Stadt. Dir würde die Jagd fehlen, die Möglichkeit, etwas zu bewirken.“

Er bedachte sie mit einem eigenartigen Blick. „Glaubst du wirklich, dass es nicht meine Priorität ist, rund um die Uhr bei dir zu sein?“

Sie senkte unbehaglich den Blick. „In deinem Herzen ja. Aber in deinem Kopf? Nein, Honey. Du brauchst die BAU, genau wie ich die Metro brauche. Sie ist ein Teil von dir.“

„Du bist ein Teil von mir. Die BAU ist nur ein Job.“

„Sie ist mehr als das. Sie ist dein Leben.“

„Nein, Taylor. Du bist mein Leben.“ Er küsste sie erneut, dieses Mal leidenschaftlicher. „Und vergiss das ja nicht. Komm, gehen wir ins Hotel zurück und gönnen uns ein wenig Schlaf. Morgen wird ein langer Tag.“

Sie ließ sich von ihm Richtung Hotel ziehen, wohl wissend, dass diese Unterhaltung noch lange nicht vorbei war.