17. KAPITEL
Taylor erwachte mit der Sonne. Sie hatte mindestens sechs Stunden durchgeschlafen. Normalerweise war sie nachts immer wach, wenn sie mitten in einem Fall steckte, spielte Pool und versuchte, ihre Nerven zu beruhigen. Aber als sie am Abend zuvor nach Hause gekommen war und zwanzig Minuten lang am Computer recherchiert hatte, um zu erfahren, dass wirklich niemand eine Ausgabe der Picasso-Bücher auf Lager hatte, war sie einfach ins Bett geklettert. Baldwin war ihr eine Stunde später gefolgt und hatte irgendwas von einem Detective der Met gemurmelt, aber sie war schon nicht mehr wach genug gewesen, um es zu verstehen. Sie hatte sich einfach nur an ihn gekuschelt und war sofort wieder eingeschlafen.
Jetzt streckte sie sich ausgiebig und schlüpfte dann vorsichtig aus dem Bett, um Baldwin nicht zu wecken. Er sollte ruhig noch etwas schlafen, für ihn war der gestrige Tag auch lang gewesen.
Sie ging die Treppe hinunter, stellte die Alarmanlage ab, holte die Zeitung von den Stufen vor der Haustür und ging dann in die Küche, um Kaffee für Baldwin und Tee für sich aufzusetzen. Im Gehen klappte sie die Zeitung auf und sah die schreiende Schlagzeile.
Keine Spur in der Jagd nach dem Dirigenten
Na großartig. Genau das, was sie jetzt brauchen konnte. Die Medien, die ihr in ihren Fall hineinpfuschten und unter den Einwohnern von Nashville eine Panik auslösten. Wenigstens war nichts über die Stellung, in der das Mädchen gefunden worden war, oder die Verbindung nach Italien an die Presse durchgesickert. Das würde noch kommen, aber mit etwas Glück könnte sie die Informationen zurückhalten.
„Guten Morgen“, sagte eine tiefe Stimme.
Taylor schrie überrascht auf, die Zeitung fiel zu Boden und verteilte sich in der gesamten Küche. An ihrem Küchentisch saß ein Mann. Ein fremder Mann. Sie tastete nach ihrer Waffe, merkte aber schnell, dass sie im Nachteil war – sie trug nämlich nur ein Tanktop und ein Paar von Baldwins Boxershorts, deren Bündchen sie drei Mal hatte umkrempeln müssen, damit sie passten. Der Mann stand auf und machte einen Schritt auf sie zu. Sie überschlug im Kopf die Entfernung zu dem Messerblock, der auf der Granitarbeitsfläche stand. Der Fremde grinste und streckte ihr seine Hand hin.
„Ganz ruhig. Mein Name ist Highsmythe. Hat Ihr Bursche Sie gestern nicht gewarnt, dass er mich mitgenommen hat?“
Taylor wurde einer Antwort enthoben, weil in diesem Augenblick Baldwin die Treppe hinunterkam.
„Ist alles in Ordnung? Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört.“
Taylor drehte sich zu ihm um und hoffte, dass ihre Stimme nicht versagen würde. „Alles gut. Ich wusste nur nicht, dass wir einen Gast haben.“
„Tut mir leid. Du warst vollkommen hinüber, als ich gestern heimgekommen bin. Loews hat die Reservierung vermasselt und angeboten, ihn woanders unterzubringen, aber es war schon so spät, dass ich angeboten habe, er könne hier schlafen. Taylor Jackson, darf ich vorstellen: James Highsmythe.“
Der Mann hob eine Augenbraue und schaute Taylor dann einmal von oben bis unten an, bevor er ihr in die Augen sah.
Taylor verspürte mehrere Gefühle auf einmal. Allerdings überlagerte die Demütigung das leichte Kribbeln, das sich in ihrem Magen regte, als ihre Blicke sich trafen. Das weiße Tanktop, in dem sie geschlafen hatte, war sehr dünn, und sie trug keinen BH. Ihr war mit einem Mal eiskalt, und sie wusste, dass ihr Körper das sehr deutlich zeigte. Also verschränkte sie die Arme vor der Brust und sagte: „Ich zieh mir nur schnell was über.“ Dann huschte sie aus der Küche.
Sie hörte Baldwin etwas murmeln, und der Brite besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit, zu lachen.
Verdammte Männer. Sie konnten spärlich bekleidet unter Fremden herumlaufen, ohne sich auch nur eine Sekunde lang zu schämen.
Als sie sich endlich beruhigt hatte, schlüpfte sie in eine schwarze Yogahose und ein schwarzes T-Shirt und ging wieder hinunter. Baldwin hatte sich inzwischen um ihren Tee gekümmert und bereitete gerade ein Frühstück zu. Taylor nahm die Tasse dankbar entgegen und setzte sich gegenüber von dem britischen Polizisten an den Tisch.
„Memphis hat mir gerade von seinem Leben bei der Met erzählt. Das klingt verdammt ähnlich wie bei der Metro.“ Baldwin stellte je einen Teller mit Spiegeleiern vor sie und vor Highsmythe.
„Ach ja?“ Taylor sah, dass Highsmythe blass geworden war, und fragte sich, ob er sich nicht wohlfühlte. Vermutlich war er einfach nur müde. Zeit, ihre vorherige Unbeholfenheit wiedergutzumachen.
Sie reichte ihm Salz und Pfeffer und schüttelte ihm dann die Hand.
„Es ist schön, Sie kennenzulernen. Ich bin Taylor Jackson. Sie müssen Baldwins Kontakt von Scotland Yard sein.“
„Bitte, nennen Sie mich Memphis“, sagte er. Ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen. Er senkte den Blick, und Taylor hätte schwören können, für einen kurzen Moment Schmerz in seinen Augen aufblitzen zu sehen.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte sie.
Er zuckte zusammen und schaute sie dann an. „Ja. Ja, natürlich. Der Jetlag, Sie wissen schon.“
„Ja, der kann einen umbringen“, sagte Baldwin. „Tut mir leid wegen des Chaos gestern Abend. Nach dem Frühstück geht es Ihnen bestimmt gleich besser.“
„Ja, vielen Dank.“ Highsmythe nahm die Gabel in die linke Hand und steckte sich ein winziges Stück Ei in den Mund. Hervorragende Tischmanieren, dachte Taylor. Langsam kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück. Sie entschied, dass mit ihm alles in Ordnung war.
Er war ein gut aussehender Mann, wenn man auf Blond stand. Was sie nicht tat. Aber sie sah durchaus, dass eine andere Frau ihn attraktiv finden würde. Er sah … wunderbar bedrohlich aus. Seine Finger an der Teetasse wirkten beinahe lächerlich – perfekt manikürt, aber dennoch dick genug, um mit einem Schnippen den Griff von der Tasse abzubrechen. Er trug ein graues Button-down-Hemd und darüber einen schwarzen Kaschmirpullover, der eng genug war, um sowohl den taillierten Schnitt des Hemdes als auch Memphis’ muskulöse Brust zu betonen. Seine ganze Haltung war wie Granit; ein Fels aus Spannung und Stärke. Er strahlte einen körperlichen wie auch emotionalen Eigensinn aus. Warum allerdings ausgerechnet sie seine Gefühle berührt hatte, war ihr ein Rätsel.
Er war anders als Baldwin, dessen großer, schlanker Körper in ihr den Wunsch weckte, die Hände auszustrecken und ihn zu streicheln, sich an ihn zu kuscheln und ihn nie wieder loszulassen. Nein, Highsmythe hatte einen gewalttätigen Kern, der sich hinter einer säuberlich errichteten Fassade verbarg. Sie machte sich eine mentale Notiz, niemals allein mit ihm zu sein. Er machte sie nervös, und sie wollte bei ihm keinen falschen Eindruck erwecken.
Sie aß ihre Eier auf und entschuldigte sich. Bevor sie das Haus für den Tag verließ, hatte sie noch einiges zu erledigen. Der Brite erhob sich, als sie aufstand, und nickte. Nun ja, wenigstens passte er gut zu den Südstaatlern, die einfach wussten, wie man eine Lady behandelte.
Sie nahm ihre Teetasse und ging nach oben, wo sie sich an ihren Tisch setzte und alle Gedanken an den fremden Mann in ihrer Küche beiseiteschob. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, die Kunstbücher aufzuspüren.
Mit ihrem ersten Versuch traf sie gleich ins Schwarze. Der Taschen Verlag, in dem die Bücher erschienen waren, hatte eine Zweigstelle in New York. Eine kompetente Mitarbeiterin notierte sich die Informationen und schob Taylor dann in die Warteschleife. Sie kam wieder in die Leitung und sagte Taylor, dass sie von den Büchern selber leider keine Exemplare mehr vorrätig hatten – die Auflage war sehr klein gewesen und sie war vollkommen vergriffen. Die gute Nachricht war jedoch, sie hatte Zugang zu Archiven, in denen sich die elektronischen Dateien befanden, von denen die Bücher gedruckt worden waren. Sie würde gleich eine entsprechende Anfrage stellen und sich dann bei Taylor zurückmelden. Vielleicht sogar noch heute Vormittag. Taylor gab der Frau ihre Handynummer und die Faxnummer im Büro. Die Verlagsmitarbeiterin versprach, die beiden Seiten so schnell wie möglich auszudrucken und ihr zukommen zu lassen.
Dann verabredete Taylor sich mit McKenzie am Truck Stop an der I-65 und Old Hickory um 8:30 Uhr. Sie ging kurz unter die Dusche und wickelte gerade ihre nassen Haare in ein Handtuch, als Baldwin in der Tür zum Badezimmer erschien.
„Du siehst nass aus, weißt du das?“
Sie lachte. „Du bist verrückt.“
„Bin ich nicht.“ Er streckte die Hände nach ihr aus. „Ich wünschte, wir wären allein.“
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. „Ich auch. Was hast du heute vor?“
„Kommt ganz drauf an, was der Mann von der Met zu sagen hat. Außerdem will ich mir alles angucken, was wir hier unten haben. Irgendwas an diesen Fällen … na, du weißt schon. Es fühlt sich so ähnlich an, aber irgendetwas stimmt nicht. Rufst du mich an, wenn du in Manchester fertig bist, und erzählst mir, was du gefunden hast? Wenn diese Fälle tatsächlich miteinander in Verbindung stehen, dann ist der Mörder schon eine ganze Weile unterwegs, was bedeutet, dass wir vielleicht etwas haben, worauf wir aufbauen können. Ich werde die neuesten Informationen nutzen, um ein aktuelles Profil zu erstellen und es zu präsentieren. Hoffentlich können wir diesen Hurensohn so fangen.“
„Oh, wo wir gerade davon sprechen. Erinnere mich daran, dir die ViCAP-Berichte zu faxen. Ich habe noch eine mögliche Verbindung gefunden. Unten in Chattanooga. Der Spur gehe ich heute auch noch nach.“
Er sah besorgt aus. „Von einem dritten Fall hast du mir gar nichts erzählt.“
„Ich weiß auch nicht, ob wirklich ein Zusammenhang besteht. Ist nur so ein Bauchgefühl, weißt du? Ich schick dir die Details rüber.“
„Okay. Gute Arbeit. Du würdest eine teuflisch gute Agentin abgeben.“ Er küsste sie so leidenschaftlich, dass ihr ganz schwindelig wurde. Dann schenkte er ihr ein verruchtes Lächeln. „Vergiss nicht, mir die ViCAP-Berichte zu faxen.“
„Klugscheißer“, sagte sie, erwiderte sein Lächeln aber. „Ich muss los. Fährst du heute Abend nach Quantico zurück?“
„Nein, erst morgen. Ich muss Highsmythe mit dem Rest des Teams zusammenbringen.“ Er ließ Taylor los, und sie fühlte die leichte Enttäuschung, die sie immer überkam, wenn sie einander nicht mehr berührten. Bei ihm fühlte sie sich lebendig, und wenn sie getrennt waren, vermisste sie die Elektrizität zwischen ihnen.
Sie gab ihm noch einen kurzen Kuss, dann zog sie sich fertig an. Baldwin ging unter die Dusche. Sie stand in der Tür und beobachtete ihn eine Weile. Sein geschmeidiger Körper, das Wasser, das über seine breiten Schultern rauschte, die Art, wie er sein Gesicht in den Wasserstrahl hielt, als wenn er so die bösen Dinge wegwaschen könnte, die er jeden Tag sehen musste. Tief in ihrem Bauch spürte sie ein Ziehen und seufzte. Er war einfach so schön. So intelligent, so großzügig. Sie war glücklich, ihn zu haben.
Taylor warf einen Blick auf ihre Uhr. Wenn sie noch länger hier herumstünde, käme sie zu spät zu ihrer Verabredung mit McKenzie. Sie öffnete die Tür der Dusche und bedeutete Baldwin, näher zu kommen. Dieses Mal küsste sie ihn leidenschaftlich und sah, welchen Effekt das auf ihn hatte. Grinsend zwickte sie ihn einmal kurz und wandte sich dann zum Gehen.
„Das ist gemein“, rief er. Sie lachte.
„Tut mir leid, Babe. Ich bin schon zu spät. Hab einen schönen Tag.“
Sie hörte ihn noch grummeln, als sie die Treppen hinunterging. Es machte sie irgendwie an, wie leicht sie ihn erregen konnte.
Highsmythe saß immer noch in der Küche und starrte traurig in seine Tasse.
„Was ist los?“, fragte Taylor.
„Sie ist leer.“ Er grinste sie an. Sie lächelte. Verrückte Engländer.
„Genießen Sie Ihren Tag“, sagte Taylor. „Lassen Sie sich ein wenig was von Nashville zeigen, wenn Sie schon mal hier sind.“
„Das werde ich tun. Vielen Dank.“
Sie schaute ihn noch einen Moment lang an und fragte sich, ob er das ehrlich meinte. Dann nahm sie ihre Schlüssel. Er war charmant, das musste sie ihm lassen.
„Auf Wiedersehen, Mr Highsmythe.“
„Auf Wiedersehen, Miss Jackson“, sagte er, aber die Tür war schon ins Schloss gefallen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und bemerkte, dass er außer Atem war. Er fühlte sich, als hätte er von dem Moment an, in dem sie in diesem engen weißen Top auf ihren unglaublich langen Beinen in die Küche geschlendert war, die Luft angehalten. Sie war vermutlich die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Tief in seinem Herzen verspürte er ein leichtes Ziehen. Fotos von ihr und dem FBI-Agent standen im Wohnzimmer; Urlaubsfotos, auf denen beide lächelten und sich verliebt anschauten. Auf ihnen sah die Frau seiner Evan sehr ähnlich; er hatte mit jemandem gerechnet, der eine ähnliche Knochenstruktur aufwies, aber als sie dann leibhaftig vor ihm stand, war ihre Persönlichkeit … einfach überwältigend. Groß, geschmeidig, mit Kurven an den richtigen Stellen, die Haare von dem genau gleichen Honigblond, das Evan sich so sehr bemühte zu erreichen. Sie rochen jedoch nicht gleich – Evans Shampoo ließ ihr Haar immer leicht nach Zitrone duften.
Memphis goss sich noch eine Tasse Tee ein und nahm einen großen Schluck. Er war ziemlich beeindruckt. Baldwin hatte den Tee gemacht – Porzellankanne, loser Earl Grey. Ein echter Tee also, nicht diese lausigen Teebeutel am Band, das über den Rand eines Plastikbechers hing. Er hatte nicht erwartet, dass ein Amerikaner wusste, wie man Tee richtig zubereitete.
In Gedanken ging er jeden kostbaren Augenblick des bisherigen Morgens noch einmal durch.
„Ich bin Taylor Jackson“, hatte sie gesagt. „Sie müssen Baldwins Kontakt von Scotland Yard sein.“
Er hatte den Drang unterdrückt, sie zu korrigieren – New Scotland Yard; seit circa 1890 heißt es nicht mehr Scotland Yard; es hatte ihm auf der Zunge gelegen, doch er hatte es heruntergeschluckt.
„Bitte nennen Sie mich Memphis“, war alles, was er zustande gebracht hatte. Das und ein gewinnendes Lächeln. Sie hatte darauf reagiert, er hatte gemerkt, wie ihr Griff um die Gabel sich für einen winzigen Moment verstärkte. Ihr anfänglich lediglich höfliches Lächeln hatte in diesem Augenblick auch die grauen Tiefen ihrer Augen erreicht. Sein Herz hatte buchstäblich einen Schlag ausgesetzt.
„Geht es Ihnen gut?“, hatte sie gefragt.
Gott, nein. Es würde ihm nie wieder gut gehen.
Der erinnerte Geruch an Zitronengras und Waffenöl erzwang sich einen Weg in seine Sinne, und als er aufschaute, sah er sich wieder dieser Frau gegenüber. Gott sei Dank roch sie nicht wie Evan. Das wäre mehr gewesen, als er ertragen hätte.
„Ich habe mein Telefon vergessen. Sorry, falls ich Sie erschreckt habe.“
Er erhob sich ungelenk vom Stuhl, der quietschend über den Boden glitt, aber sie hatte sich schon wieder umgedreht und war auf dem Weg zu der Tür, die in die Garage führte. Irgendetwas an Taylor Jacksons Augen war seltsam. Sie waren von einem klaren Grau, das Rechte ein wenig dunkler als das Linke, wie ein herannahender Sturm, der noch nicht den ganzen Himmel bedeckte. Sie war eine wahre Schönheit, aber weit entfernt davon, perfekt zu sein, was sie noch anziehender machte. Er war verzaubert. Er spürte, dass er hart wurde, und richtete seine Aufmerksamkeit schnell wieder auf den Tisch und den Teller vor ihm. Guter Gott. Er bekam einen Ständer wie ein pickliger Teenager.
Was zum Teufel war nur mit ihm los? Er machte eine Bestandsaufnahme der Situation, brach sie in kleinste Teile hinunter, genau, wie der Polizeipsychologe es empfehlen würde. Die Frau war schön, ja. Sie sah aus wie seine tote Ehefrau, ja. Sie war lebendig und nah und lächelte ihn so nett an, oh ja. Sie gehörte zu dem Agent, der mit ihm an dem größten Fall arbeitete, den er seit Jahren gehabt hatte, auch wieder ja.
Er bemühte sich, die Frau aus seinen Gedanken zu vertreiben, sich wieder auf die vor ihm liegende Arbeit zu konzentrieren. Es gab drei Mädchen, deren Tod aufgeklärt werden musste. Aus allein diesem Grund war er hier.
Ein paar Minuten lang funktionierte es. Er goss sich den letzten Rest Tee ein und setzte sich wieder an den Tisch. Lange dauerte es nicht, dann wanderten seine Gedanken wieder zu Taylor Jackson.
Zwischen Taylors Stimme und der von Evan gab es zwei große Unterschiede: Während Evans Stimme eher hell klingend und ihr britischer Oberklassenakzent perfekt war, klang Taylors Stimme tief und rauchig, als wenn sie die ganze Nacht auf gewesen wäre. Zudem hatte sie einen leichten Südstaatenakzent, der Schlimmes in seinem Inneren anrichtete.
Evans Augen waren auch anders, sie hatten die Farbe eines warmen Sommerhimmels gehabt. Genau wie seine.
Einen Moment lang hatten er und Taylor sich direkt in die Augen gesehen. Er hätte schwören können, dass er eine Art von Erkennen darin gesehen hatte, Verständnis. Aber er war müde, und sie war ihm zu vertraut.
Er hörte die Garagentür zufallen. Jetzt war sie endgültig fort. Ein freudloses Lachen entfuhr ihm. Reiß dich zusammen, Mann. Die mentale Ermahnung klang genauso wie sein Tutor in Oxford, der auch der Trainer seiner Rudermannschaft gewesen war. „Reiß dich zusammen, Mann. Du musst mit deinem Kopf beim Rennen sein.“ Auf dem Fluss war er erbarmungslos gewesen. Hinter seinem Rücken hatten sie ihn den Schrecken vom Balliol College genannt.
Neben seiner Schulter ertönte eine Stimme. „Hey, Erde an Memphis. Wo sind Sie?“
Hups.
Er drehte sich um und sah, dass Baldwin ihn anschaute. Bestimmt sah er total albern aus, wie er dasaß, die Teetasse in der Hand, den Blick auf die geschlossene Tür gerichtet.
„Tut mir leid. Ich bin für einen Moment abgelenkt gewesen.“
„Das würde ich wohl auch sagen. Sie sahen ganz gedankenverloren aus. Kommen Sie, ich bringe Sie erst einmal nach Downtown, danach sehen wir uns die Fälle an.“
Als wenn er in der Lage wäre, sich auf seinen Job zu konzentrieren.