27. KAPITEL

Taylor saß in ihrem alten Büro, abgetrennt von den Detectives der B-Schicht, und schaute angewidert eine Wiederholung der örtlichen Nachrichten. Sie hätte am liebsten alle Reporter erwürgt – und dazu noch ein paar Verantwortliche der Metro Police. Sie hatten ein Leck, und anstatt in ihrem Fall auf dem Laufenden zu bleiben, hatte sie dumme Spielchen mit dem blöden Briten gespielt. Geschah ihr ganz recht. Sie hatte ihren Fokus verloren.

Channel Four übertraf alle. Sie hatten mit jemandem vom Fundort am Radnor Lake gesprochen. Vermutlich mit einem der Ranger. Aber sie mussten sich die Informationen von einem anwesenden Officer oder Kriminaltechniker bestätigen haben lassen, und das war es, was Taylor so aufregte. Ihre Leute wussten es eigentlich besser. Zumindest, als es noch ihre Leute gewesen waren.

Sie hörte Demetria Kalodimos aus dem Off den Text lesen, während der Monitor eine Totale vom Parkeingang in Richtung Radnor Lake zeigte. Sie übergab dann an Cynthia Williams, die ganz Tennessee sowie Teile von Kentucky und die nördlichen Ausläufer von Alabama wissen ließ, dass am Tatort eine Postkarte mit einem berühmten Gemälde als Motiv gefunden worden war und die Polizei das Gefühl hatte, die Morde der beiden vergangenen Tage könnten miteinander in Verbindung stehen.

Oh, das war nicht gut. Das würde sie nicht wieder rückgängig machen können. Sie hatten sogar schon einen Namen für ihn. Der Dirigent. Kurz und prägnant. Großartig. Einfach nur großartig. Die Wahnsinnigen würden schon in wenigen Stunden aus ihren Löchern gekrochen kommen und sie auf falsche Fährten locken. Die nationalen Fernsehsender würden sich für den Fall interessieren, und bald darauf würden sich die internationalen Nachrichtenagenturen einschalten.

Das alles sorgte nur dafür, dass Taylor noch entschlossener wurde, den Mörder zu finden. Es war schon spät und sie war müde, aber sie schob die Müdigkeit beiseite. Sie musste den Täter ergreifen, und zwar jetzt.

Sie machte den Fernseher aus, ging an ihren Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Sie fing mit den Datenbanken an, die ihr hier zur Verfügung standen, und suchte nach Einträgen, die mit den Angaben von dem gefaxten Impressum übereinstimmten. Sie wünschte, der Name würde ihr ins Auge springen, sich von selbst erklären. Ich bin dein Mörder. Wäre das nicht schön? Es würde ihr auf jeden Fall eine Menge Zeit sparen.

Die Namen aus dem Impressum waren noch nicht einmal sonderlich einzigartig, was sich als Problem herausstellen könnte. Sie würde jeden Gavin Adler, Al Hardy und Paul Theroux in der Stadt überprüfen müssen. Die übrigen Namen gehörten zu Frauen, sodass Taylor sie gleich aussortierte. Diese Verbrechen hatten keinerlei weibliche Handschrift, so viel war mal sicher.

Die erste Suche ergab sieben Einträge allein für Theroux. Sie arbeitete schnell, überprüfte Adressen und Vorstrafen für jeden Namen, glich die Angaben mit der Datenbank des Department of Motor Vehicles ab, schaute sich die Steuererklärungen an.

Schließlich hatte sie sechsundvierzig mögliche Kandidaten. Sechsundvierzig. Das waren zu viele. Sie musste weitersuchen.

Sie schränkte die Suche auf Prius-Fahrer ein und kam so auf acht. Acht war machbar. Zwei G. Adler, drei A. oder Al Hardys und drei

P. oder Paul Theroux. Erstaunlich, dass so viele Namen zu einem weißen Prius passten. Es könnte sich um einen Fehler im System handeln. Aber um sicherzugehen, würde sie jeden überprüfen müssen. Der Prius und der Infiniti G35 hatten in Nashville den BMW als erste Wahl beim Autokauf abgelöst, womit dieses Ergebnis auf perverse Weise irgendwie Sinn ergab.

Die Befragung von Tyrone Hill kam ihr wieder in den Sinn. Er hatte recht; die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mörder zur Vorbereitung solch schwerer Verbrechen sein eigenes Auto nutzte, war gering. Aber es konnte sein, und sie durfte diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen. Sie machte sich eine Notiz, bei Mietwagenagenturen nachzufragen, sollten diese Spuren zu keinen Ergebnissen führen.

Sie fing mit den Personen an, deren vollen Namen sie hatte, denn hinter Initialen verbargen sich oftmals Frauen.

Sie glich die Adressen von der Kfz-Behörde mit denen aus der Führerscheinmeldestelle ab und hatte damit ihren Ausgangspunkt. Sie überprüfte, ob Gefängnis- oder Bewährungsstrafen vorlagen, und konnte ihre Liste auf vier Personen eindampfen. Zwei Al Hardys und zwei Paul Theroux. Keiner der Adlers hatte eine polizeiliche Vorgeschichte. Einer von ihnen war allerdings so clean, dass sie ihn nach kurzem Nachdenken wieder mit auf die Liste setzte. Ihr Mörder war vorsichtig, und das könnte bedeuten, dass er bisher vollkommen unterhalb des Radars geflogen war.

Für den Anfang reichte ihr das. Fünf mögliche Verdächtige. Wirklich erstaunlich, dass im System so viele Namen und Autos aufgelistet waren, die zusammenpassten. Das war ein sehr guter Start. Schon oft genug hatte sie die Erfahrung machen müssen, dass Datenbankensuchen in einer Sackgasse endeten.

Sie schaute auf ihre Uhr – es war beinahe Mitternacht. Sie zögerte kurz und nahm ihre Schlüssel. Dann würde sie halt ein paar Leute aufwecken, Pech gehabt. Sie war diejenige mit der Waffe und der Marke. Sie rief Bob Parks an, damit er sie auf dem Spießroutenlauf begleitete. Auf gar keinen Fall würde sie um Mitternacht alleine an fremden Türen klopfen. Erst vor Kurzem war er in die B-Schicht versetzt worden und war seitdem ihre erste Wahl, wenn es um nächtliche Unterstützung ging. Er freute sich, sie zu begleiten; es war eine ruhige Nacht in Nashville, und er hatte gerade nichts anderes vor.

Sie fuhren als Erstes zu den vier Häusern, die der Innenstadt am nächsten lagen. Niemand machte auf. Zwei Häuser hatten Garagen, in denen gut und gerne ein passendes Auto mit ebenfalls passendem Nummernschild untergebracht werden konnte, also markierte Parks diese Adresse als „ja“. Morgen bei Tageslicht würden sie noch mal jemanden vorbeischicken.

Zwei der Häuser sahen verlassen aus. Die Adressen stimmten vermutlich nicht mehr. Die DMV-Datenbank war nicht notwendigerweise aktuell und auf dem neuesten Stand. Also erhielten diese beiden Namen ein Fragezeichen. Die fünfte und letzte Adresse war draußen in den Wäldern. Sie stimmten überein, dort noch gemeinsam vorbeizuschauen. Sollte nichts Unvorhergesehenes passieren, würde Taylor danach heimfahren und Parks sich zurück auf die nächtlichen Straßen begeben.

Taylor folgte Parks den Highway 100 hinunter. Der Mond beleuchtete ihren Weg, und sie achtete darauf, ob irgendwo Rehe am Straßenrand standen, die auf diesem Stück gerne unvermittelt über die Straße sprangen. Diese Gegend an der Grenze zum Davidson-Cheatham County war sehr ländlich und lag still und dunkel da.

Sie beiden verpassten die Abzweigung, die sie hätten nehmen müssen, und machten mitten im Nirgendwo eine Kehrtwendung. Taylor fuhr jetzt vor Parks und fand die Querstraße beim zweiten Versuch. Die Adresse des Hauses war mit einer Schablone und weißer Schrift auf die Seite eines schwarzen Briefkastens gemalt worden. Taylor bog langsam auf die lange, gekieste Einfahrt und stieg dann aus dem Wagen. Parks stellte sein Fahrzeug hinter ihrem ab; die Scheinwerfer seines Streifenwagens blendeten sie für einen Moment. Sie schloss die Augen, um sie wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Hier schien auch nichts los zu sein, wie es aussah. Das Haus lag im Dunkeln. Keine Bewegungen, keine Lichter. Kein weißer Prius.

Sie gingen trotzdem zur Tür und klopften zwei Mal. Nichts. Frustriert kehrten sie zu ihren Autos zurück. Der Kies knirschte unter ihren Stiefeln.

„Lassen wir es für heute gut sein?“, fragte Parks.

Sie streckte sich und massierte sich mit den geballten Händen den unteren Rücken. „Ja. Es ist schon spät. Ich schicke morgen früh einen Streifenwagen vorbei, sie sollen sich mal umschauen.“

„Hast du was von Fitz gehört?“

„Nein. Nichts.“

„Ich bin sicher, dass es ihm gut geht. Zerbrich dir nicht deinen hübschen kleinen Kopf, ja?“

Sein Funkgerät knackte. Die Zentrale verlangte seine Anwesenheit am The Corner Pub, wo es Probleme mit Betrunkenen gab. Parks rieb sich müde über seinen Schnauzbart, salutierte mit einem Grinsen und stieg in seinen Wagen. Er setzte rückwärts aus der Einfahrt und war kurz darauf verschwunden.

Taylor winkte ihm nach und stand dann noch ein paar Minuten neben der Fahrertür ihres Autos. Sie starrte auf das verlassene Haus. Vielleicht hatte der Bewohner einen besonders tiefen Schlaf. Vielleicht war aber auch niemand zu Hause. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Was, wenn es sich um ihren Mann handelte, und er heute Nacht auf Beutezug war?

Ach, komm schon, Taylor, ermahnte sie sich. Jetzt fängst du an zu fantasieren.

Sie stieg ins Auto und gähnte.

Es war an der Zeit, den Tag zu beenden und nach Hause zu fahren.

Da waren Geräusche. Autos auf dem Kies, zuschlagende Türen. Schritte, die um den Springbrunnen herumgingen. Ein Schatten … mein Gott, wer auch immer es war, er war gerade am Kellerfenster vorbeigegangen. Er machte sich keine Sorgen, dass jemand hineinschauen könnte; er hatte an den Fenstern eine Folie angebracht, die es ihm erlaubte hinauszuschauen, von außen aber undurchsichtig war. Doch es machte ihn nervös, zu wissen, dass da draußen jemand war.

Er hörte das Klopfen und erstarrte. Es war sehr, sehr spät. Anfangs war er sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt ein Klopfen gewesen war. Vielleicht war er eingeschlafen und träumte das alles nur. Er war im Keller, es konnte auch Art sein, der spielte. Aber nein, da war es wieder. Alle Lichter waren aus. Er rührte sich nicht.

Die Puppe wimmerte im Schlaf. Er stand auf und ging zu ihr, schaute in ihr gläsernes Puppenhaus. Er hatte die ganze Nacht mit sich gerungen. Er wollte mit Morte sprechen, aber er war immer noch so verärgert darüber, wie der ihn behandelt hatte.

Die Autotüren schlugen erneut zu, dann heulten Motoren auf. Musste wohl die falsche Adresse gewesen sein.

Das sagte er sich wieder und wieder, während er zitternd die Arme um seinen Oberkörper schlang.