33. KAPITEL
Taylor beendete das Telefonat mit Baldwin. Sie schloss den Laptop und schaute sich nach einer Tasche dafür um. Sie fand keine, stieß bei der Suche aber auf das Ladekabel, dass sie aufwickelte und einsteckte. Tim beendete gerade die Untersuchung des Sargs. Der Keller war penibel durchgekämmt worden. Man hatte DNA-Spuren genommen, Fingerabdrücke, alles, was sie brauchten, um Adler festzunageln. Falls sie ihn fassen würden.
Keri McGee beobachtete alles mit erfahrenem Blick und wartete, bis Julia Page nach oben gegangen war, um frische Luft zu schnappen, bevor sie sich Taylor näherte.
„Sollte ich das eben lieber von den Bändern löschen?“
Taylor schenkte ihr ein Lächeln. „Nein. Ich habe einfach nur die Initiative ergriffen. Sollte ich dafür Ärger bekommen, dann ist das halt so. Quantico ist einfach besser ausgerüstet als wir. Ich muss nur noch kurz in die Stadt fahren und meinen Fall wem auch immer vortragen, damit ich offiziell gehen darf. Baldwin sagt, er würde sich darum kümmern, aber ohne Erlaubnis kann ich nicht einfach mit den Beweisen abdüsen.“
„Okay. Ich habe gehört, was Sie gesagt haben. Eineiige Zwillingsmörder, hm?“
„Sieht so aus.“
Keri schob sich den Pony aus den Augen. „Wissen Sie, mein Granddad, Welton Keif, war ein Cajun. Ich erinnere mich, wie wir einmal ins Bayou gefahren sind, um ihn zu besuchen. Wir fuhren mit so einem Flachbodenboot, durch das trübe Wasser glitten Mokassinschlangen, und Mücken so groß wie Handteller flogen durch die Luft. Wir waren vorher bei einer Cousine von mir gewesen, die eineiige Zwillinge hatte, und brachten Fotos mit, damit mein Großvater sie auch mal sah. Wir zeigten ihm die Babys und sagten ihm, dass sie eineiig wären. Er schaute uns an und fragte, „Was zum Teufel ist ein eineiiger Zwilling?“ Wir waren erstaunt, weil wir dachten, das müsste doch jeder kennen. Meine Mutter erklärte dann, dass es sich um zwei Jungs handelte, die zur gleichen Zeit geboren wurden und total gleich waren. Er sagte. „Ah, du meinst, sie sind geborene Partner, jetzt verstehe ich.“ Klingt, als hätten Sie es genau damit zu tun, Detective Jackson. Geborene Partner, die den Trieb haben, zu töten. Ich frage mich, was sie dazu gemacht hat?“
„Geborene Partner, was? Nun ja, sie sind definitiv Partner beim Morden. Ich frage mich auch, was einen Menschen dazu macht, Keri. Wenn wir mehr über sie herausfinden können, kann ich diese Frage vielleicht irgendwann beantworten. Aber danke für den Input. Klingt, als wenn Ihr Großvater ein sehr scharfsinniger Mann gewesen wäre.“
„Das war er, Detective. Zu scharfsinnig. Er hat auch gesagt, dass ich noch einmal auf welche stoße, und zwar weit von ihm entfernt. Das erscheint einem heute ziemlich prophetisch, finden Sie nicht?“
Taylor bekam eine Gänsehaut. „Ja, Keri, das ist wirklich ein wenig seltsam.“
„Ich mach mich mal wieder an die Arbeit, Detective. Haben Sie eine gute Reise. Und viel Glück dabei, die Kerle zu schnappen.“
McKenzie erwartete Taylor oben an der Treppe. Er hielt den grauen Kater im Arm, der sich eng an seine Schulter schmiegte und laut schnurrte. Er sah glücklich und zufrieden aus.
„Er heißt Art“, sagte McKenzie. „Das steht auf seinem Halsband.“
„Art der Kater. Tja, das passt. Diese Mörder imitieren berühmte Gemälde, warum sollte man seinen Kater da nicht ‚Kunst‘ nennen. Hey, Süßer.“ Sie kraulte den Grauen hinter den Ohren und hätte schwören können, dass er lächelte.
„Er ist sehr zutraulich. Und er kam mir so einsam vor, also dachte ich, dass ich ihm ein wenig Zuneigung schenke. Nun habe ich Angst, ihn wieder herunterzulassen.“
„McKenzie, wir haben Arbeit zu erledigen. Hast du irgendwelche Bilder von dem Mann gefunden, irgendetwas, das uns helfen könnte, ihn zu identifizieren? Wir haben nur das Foto aus seinem Führerschein, und der ist 1998 ausgestellt worden. Du weißt, wie diese Fotos trügen können. Er könnte sein Aussehen seit damals ein Dutzend Mal verändert haben.“
„Nein, ich habe leider nichts gefunden. Das Haus ist sauber. Abgesehen von den ganzen CDs und dem Keller gibt es hier erschreckend wenig Persönliches. Äh, Jackson? Ich habe Art versprochen, mich um ihn zu kümmern.“
Taylor fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Wir müssen den Tierschutz anrufen, damit sie kommen und ihn mitnehmen.“
„Nein. Die werden, die werden …“ Er schaute sie verzweifelt an und formte mit dem Mund stumm die Worte ihn einschläfern.
„Nicht unbedingt. Was schlägst du sonst vor?“
„Kann ich ihn nicht behalten?“
McKenzie klang wie ein Achtjähriger, der einen Streuner gefunden hatte. Taylor musste lachen.
„McKenzie, das bleibt aber unser kleines Geheimnis. Du kannst den Kater so lange zu dir nehmen, bis wir herausgefunden haben, was mit ihm passieren muss. Ist das fair?“
Er nickte nur und grinste.
„Okay, dann wäre das besprochen. Ich muss zurück ins CJC und mir die Erlaubnis holen, nach Quantico fliegen zu dürfen. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wer mir die geben kann. Kannst du hierbleiben und die Ermittlungen weiter leiten? Tim hat Unmengen an Beweisen, die erfasst werden müssen, und ich möchte, dass du ein Auge darauf hast. Und dann nimm bitte das Führerscheinfoto von Adler, mische es unter fünf andere Bilder und guck, ob Hugh Bangor ihn identifizieren kann. Gibt es Neuigkeiten von Kendra Kelley?“
„Sie ist mit Naloxon vollgepumpt worden und reagiert sehr gut darauf. Sieht so aus, als wenn sie es schaffen würde.“
„Das freut mich“, sagte Taylor. „Ist sie schon wach genug, um zu sprechen?“
„Nein, noch nicht. Warum fliegst du nach Quantico?“
„Die Macellaio-Taskforce ist dort bereits versammelt. Sie brauchen dieses Puzzlestück.“ Sie tippte auf den Laptop. „Baldwin bespricht das gerade mit unseren Vorgesetzten. Ich werde darum kämpfen, dass du auch mitkommen kannst. Du hast an diesem Fall von Tag eins entscheidend mitgearbeitet.“
„Mach dir keine Sorgen, wenn sie Nein sagen. Ich habe hier auch genug zu tun, um mich beschäftigt zu halten.“
Wie nett von ihm, dachte Taylor. McKenzie ging in die Küche, wobei er dem Kater leise etwas vorsummte. Tz. Ein erwachsener Mann, der sich von einer Katze um den Finger wickeln lässt. Aber sie musste zugeben, dass Art auch ein besonders süßes Exemplar war.
Im Moment hatte sie allerdings größere Probleme, als dass einer ihrer Detectives sich um die Katze eines Verbrechers kümmerte.
Sie korrigierte sich schnell. McKenzie war nicht einer ihrer Detectives, er war ihr Partner. Noch hatte sie ihre Position nicht zurück.
Taylor fuhr schnell nach Hause, um ein paar Sachen zu packen, und steckte für den Fall der Fälle auch den Reisepass ein. Als sie im CJC ankam, lagen schon alle Bewilligungen für ihren Trip nach Quantico vor. Joan Huston, mit der sie in der Vergangenheit schon mal zusammengearbeitet hatte, erwartete sie im Büro der Mordkommission.
„Commander“, begrüßte Taylor sie.
Huston strich ihr sonnengebleichtes braunes Haar glatt und lächelte. Dann reichte sie Taylor eine Akte. „Detective. Ich leite die Mordkommission, bis wir die Angelegenheit mit Lieutenant Elm geregelt haben. Ich habe hier ihre Papiere für Quantico. Ich weiß Ihr Ersuchen, Detective McKenzie mitzunehmen, zu schätzen, aber wir haben entschieden, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht reisen muss. Er kann ihre Verbindung zu den Ermittlungen in Nashville sein. Sie sind für einen vorübergehenden Sondereinsatz der Behavioral Unit des FBI überlassen worden. Das schließt ein, dass Sie sowohl nach Quantico als auch, wenn nötig, nach Übersee reisen dürfen. Mehr war in der Kürze der Zeit nicht möglich. Da die Kosten vom FBI getragen werden, war es für den Chief leichter zu schlucken. Sie müssen sich jedoch beeilen, wenn Sie Ihren Flug nicht verpassen wollen. Ich hoffe, Sie halten mich über Ihre Fortschritte auf dem Laufenden.“
Wow. Das ging ja leicht. Baldwin musste ein paar interessante Telefongespräche geführt haben. „Das werde ich. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“
„Gern geschehen. Machen Sie uns stolz. Bis Sie zurückkehren, haben wir das hier …“, mit einer Handbewegung machte sie deutlich, dass sie die Mordkommission meinte, „… alles geklärt.“
Sie lächelte noch einmal und schüttelte Taylors Hand. Taylor war mit Huston schon immer klargekommen. Es war nett, mal wieder von einem Vorgesetzten angelächelt zu werden. Vielleicht fing das Blatt langsam an, sich zu wenden.
Es war noch früh genug am Tag, dass die Fahrt zum Flughafen nicht allzu lange dauerte. Sie stellte ihr Auto im Parkhaus ab und ließ sich mit dem Shuttlebus zum Terminal fahren. Ihr Flug nach D. C. ging in vierzig Minuten, und sie musste noch ihre Waffe prüfen und registrieren lassen. Bewaffnet zu fliegen war nicht einfach, aber als sie in den Flughafen kam, war schon alles für sie vorbereitet. Nachdem sie die Waffe abgegeben hatte, wurde sie durch die Sicherheitskontrolle begleitet, wo ihre Tasche geröntgt wurde. Fünfzehn Minuten später saß sie im Flugzeug.
Das musste ein neuer Rekord für die Durchlaufzeit am Flughafen sein. Sie mochte es, mit dem FBI zu arbeiten. Da wusste man die richtigen Knöpfe zu drücken.
Der Flug würde zwei Stunden dauern. Taylor tat das einzig Sinnvolle. Sie lehnte ihren Kopf gegen das Fenster und schlief ein.