40.

Hayes und Sean folgten der Frau auf den Parkplatz einer sehr beliebten Bar, knapp drei Querstraßen vom William und Mary College entfernt. Als die Frau die Bar betrat, berieten Sean und Hayes sich kurz. Schließlich beschlossen sie, dass Sean ihr alleine folgen sollte, während der uniformierte Hayes in seinem Streifenwagen sitzen blieb.

Als Sean aus dem Wagen stieg, hob der Sheriff die Hand. »Ich muss Sie warnen. Falls die Frau wirklich mit Whitfield verheiratet sein sollte und Sie sich ihr auch nur auf zwei Meilen nähern, kann es richtig übel werden.«

»Aber falls Monks Tod doch mit Camp Peary und Ian Whitfield in Verbindung steht, könnte die Frau uns vielleicht entscheidende Informationen liefern. Außerdem könnte ich auf die Art zusätzlich herausfinden, wer versucht hat, mich umzubringen.«

Die Gäste der Bar waren eine Mischung aus Collegekids und Leuten, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten. Hinter dem altmodischen Tresen, der geradewegs aus dem Cheers-Studio zu kommen schien, nahmen zwei junge und ein älterer Mann Bestellungen entgegen; sie arbeiteten so schnell sie konnten. Offenbar verursachte eine höhere Bildung einen größeren Durst.

Schließlich entdeckte Sean die Frau. Sie saß an einem Tisch im hinteren Teil auf einer Empore, nicht weit von den Pool-Tischen. Sie hatte bereits einen Drink und setzte sich geschickt gegen die Avancen eines jungen Burschen zur Wehr, der zum College-Footballteam zu gehören schien – seinem massigen Körper nach zu urteilen ein Abwehrspieler. Nicht dass Sean dem Jungen den Versuch hätte übel nehmen können. Der Rock der Frau war kurz und die Beine lang; ihr blondes Haar fiel ihr über die Schultern und in den wohlgeformten Ausschnitt, und dann die funkelnden blauen Augen … Verdammt, wenn er noch am College gewesen wäre, er hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die Frau ins Bett zu bekommen.

Der junge Bursche schrieb etwas auf eine Papierserviette und gab sie der Frau. Diese schaute sich das Geschriebene an – vermutlich eine Telefonnummer –, dann schüttelte sie den Kopf und gab dem Jungen mit einer Geste zu verstehen, er solle verschwinden.

Sean nutzte die Gelegenheit und setzte sich neben sie. Ob es nun daran lag, dass er offenbar alt genug zum Trinken war oder dass sie ihre ganze Kraft bei der Abwehr des Jungen verbraucht hatte – sie lächelte Sean an.

»Ich habe Sie noch nie hier gesehen«, bemerkte sie.

»Weil ich noch nie hier war.« Sean winkte der Kellnerin. »Bringen Sie mir das Gleiche wie der Dame.«

Sie hob ihren Drink. »Sie mögen Mojitos?«

»Jetzt ja.« Er schaute auf den Ehering an ihrem Finger.

Sie bemerkte seinen Blick. »Soweit ich weiß, gibt es kein Gesetz, das einer verheirateten Frau verbietet, allein auszugehen.«

»Natürlich nicht. Tut mir leid. Ich bin Sean Carter.«

»Valerie Messaline.«

Wenn sie tatsächlich mit dem alten Ian verheiratet war, hatte sie seinen Nachnamen nicht angenommen.

Sie schüttelten sich die Hände. Valeries Händedruck war kräftig und selbstbewusst. Sean fühlte sich an einen ähnlichen Händedruck erinnert: den von Michelle.

»Was führt Sie in unser Dorf?«

»Ich bin beruflich hier«, antwortete Sean. »Wohnen Sie hier in der Nähe?«

»Nein, aber mein Mann hat nicht weit von hier ein Büro. Eigentlich wollte ich heute Abend mit ihm ausgehen«, sie schaute in ihr Glas, »aber es hat nicht sollen sein.«

Das erklärte die kleine Szene vor dem Gebäude.

»Weiß Ihr Mann denn nicht, was für ein Glückspilz er ist? Oder war diese Frage jetzt indiskret?«

»Die Frage war nicht indiskret, aber meine Antwort könnte es sein.«

Seans Drink kam, und beide nippten an ihren Getränken, während Sean den Blick durch die Bar schweifen ließ und nach möglichen Beobachtern Ausschau hielt, die ihnen mehr als nur beiläufige Aufmerksamkeit schenkten.

»Was machen Sie beruflich, Sean?«

»Ich bin Problemlöser.«

»Oh, gut. Kann ich Sie engagieren?«, fragte sie im Scherz.

»Ich bin nicht billig.«

»Wären Sie’s, würde ich Sie nicht hier sitzen lassen.«

»Und was machen Sie?«

»Heutzutage nicht mehr viel.«

»Kinder?«

»Nein. Hat sich nicht so ergeben.«

»Bei mir auch nicht.«

Sie schaute auf seine Hand. »Nicht verheiratet?«

»Geschieden. Bin nie wieder in den Sattel gekommen.«

»Was haben Sie getan, dass Ihre kleine Frau sich von Ihnen hat scheiden lassen?«

»Anscheinend schnarche ich, und das sehr laut.«

»Dafür gibt es eine todsichere Heilung.«

»Und was?«

»Vögeln bis der Arzt kommt.«

Sean lächelte. »Soll ich jetzt rot werden?«

»Das war nur so eine Bemerkung. Sie war nicht unbedingt an Sie gerichtet, obwohl Sie ein sehr attraktiver Mann sind. Aber Sie brauchen mich nicht, um Ihnen das zu sagen, oder?« Ihr Tonfall war offen, beinahe aggressiv. Die Frau flirtete nicht. Hier ging eindeutig etwas anderes vor sich.

Sean schaute auf die Uhr. Michelle würde bald auftauchen, und er wollte Valerie beim ersten Mal nicht allzu sehr unter Druck setzen.

»Tut mir leid, wenn ich Sie langweile«, sagte sie.

»Oh, ganz im Gegenteil. Aber ich muss zu einem Termin.«

»Nun, dann sollten Sie besser gehen, und vielleicht kann ich dann endlich meinen Drink in Ruhe trinken.«

»Valerie, ich habe gesehen, wie sich vorhin der junge Kerl an Sie rangemacht hat. Ich bin nicht so.«

»Berühmte letzte Worte.«

Sean griff in seine Tasche, holte ein Stück Papier heraus und schrieb etwas darauf. Dann reichte er es ihr. »Ich muss jetzt gehen; aber hier ist meine Nummer.«

»Warum sollte ich Ihre Nummer wollen?«

»Sagen wir einfach, sie dient dazu, dass neue Freunde ein paar Informationen austauschen können.« Er schaute sie erwartungsvoll an. »Sie müssen mir Ihre Nummer nicht geben, wenn Sie nicht wollen.«

»Gut, denn das will ich wirklich nicht.«

Sean leerte seinen Mojito und stand auf. »Es war mir eine Freude, Sie kennen zu lernen, Valerie.«

Sie erwiderte nichts, doch Sean spürte ihren brennenden Blick im Rücken, als er zur Tür ging.

Im Streifenwagen berichtete er Hayes von der Begegnung.

»Leiden Sie unter Todessehnsucht?«, rief Hayes. »Whitfield schien Sie ja schon umbringen zu wollen, weil Sie ihm eine einzige Frage über Camp Peary gestellt haben. Können Sie sich vorstellen, was er mit Ihnen anstellt, wenn er herausfindet, dass Sie sich an seine Frau rangemacht haben?«

»Ich hab nur einen Drink mit ihr genommen. Erst war sie freundlich, doch dann ist irgendwas geschehen, und sie hat sich um hundertachtzig Grad gedreht. Das war einer der Gründe, warum ich den Rückzug angetreten habe.«

»Vielleicht ist sie es gewöhnt, dass fremde Kerle versuchen, über sie an ihren Mann heranzukommen. Und genau das haben Sie ja auch getan.«

Schweigend fuhren sie nach Babbage Town zurück. Als Sean ausstieg, sagte er: »Ein paar meiner Mitstreiter kommen hierher, Sheriff. Würden Sie die Abmachung, die Sie mit mir haben, auch auf diese Leute ausdehnen?«

»Sie meinen, ob ich mit denen zusammenarbeiten will?«

Sean nickte.

»Ich weiß nicht. Sind diese Leute gut in ihrem Job?«

»Genauso gut wie ich, wenn nicht besser.«

»Nun, was Sie betrifft, werde ich vielleicht bald zuschauen dürfen, wie Sie von einem eifersüchtigen Ehemann erschlagen werden.«

Kaum war Hayes verschwunden, sah Sean die Scheinwerfer eines SUV, die rasch näher kamen.

Michelle war eingetroffen.

Im Takt des Todes
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