7.

Die Frau sah gut aus, das musste Sean zugeben. Rassig und todschick. Haar und Make-up waren tadellos, das Kleid kurz und eng und die Absätze schmal und hoch, sodass ihre schlanke Gestalt bis auf wenige Zentimeter an seine eins neunzig heranreichte. Ihre Beine waren gerade und schön geformt, ihre Brüste üppig, weich und vollkommen echt, das wusste Sean aus Erfahrung. Ja, sie sah gut aus … nein, besser als gut: fantastisch. Sean empfand absolut nichts für sie.

Joan Dillinger schien das zu fühlen und winkte ihm rasch, sich auf eine Couch zu setzen. Sie selbst saß auf einem Stuhl neben ihm und schenkte ihm Kaffee ein.

»Lange nicht gesehen«, sagte sie in freundlichem Tonfall. »Und? Noch ein paar Massenmörder gefangen?«

»Diese Woche noch nicht«, antwortete Sean und versuchte ein Lächeln, während er Zucker in den Kaffee gab.

»Wie geht es diesem scheußlichen kleinen Mädchen, mit dem du dich eingelassen hast? Mildred, stimmt’s?«

»Sie heißt Michelle, und es geht ihr gut. Danke der Nachfrage.«

»Ihr arbeitet noch immer zusammen?«

»Ja.«

»Wow! Sie versteht sich wirklich gut auf Tarnung und solche Dinge. Ich kann sie nirgends sehen.«

Sean wurde misstrauisch. Hatte Joan herausgefunden, was mit Michelle geschehen war? Das würde zu einem Kontrollfreak passen, wie Joan einer war.

In beiläufigem Tonfall sagte Sean: »Sie hat heute zu tun. Wie ich schon am Telefon sagte, wir sind gerade erst wieder in die Stadt gezogen, und ich habe mich gefragt, ob du vielleicht etwas für Freiberufler hättest …«

Joan stellte ihre Kaffeetasse ab, erhob sich und ging auf und ab. Sean wusste nicht, warum sie das tat; vielleicht wollte sie ihren Körper noch ein wenig besser in Szene setzen. Obwohl Joan Dillinger für gewöhnlich eine eher komplizierte Frau war, so war sie bisweilen seltsam durchschaubar, wenn es um Dinge wie Sex oder Beziehungen ging. Sean vermutete, dass sie Letzteres lediglich mit Ersterem verbergen wollte.

»Du willst also, dass ich dir Arbeit auf freiberuflicher Basis gebe, obwohl ich in meinem Unternehmen erfahrene Ermittler beschäftige, die jeden Auftrag erledigen können, der mir ins Büro flattert. Wie lange habe ich eigentlich nichts mehr von dir gehört? Über ein Jahr?«

»Ich hielt es für besser, ein bisschen Abstand zu wahren.«

Ihre Miene verhärtete sich. »Du machst es mir wirklich nicht leicht, dir zu helfen, Sean.«

»Wenn du nichts für mich hast, warum hast du dich dann überhaupt mit mir getroffen?«

Joan setzte sich auf die Schreibtischkante und schlug die Beine übereinander. »Ich weiß es nicht. Vielleicht wollte ich dich einfach sehen.«

Sean stand auf und trat zu ihr. »Joan, ich brauche wirklich einen Job. Wenn du mir nichts anbieten kannst, in Ordnung. Dann werde ich dir nichts mehr von deiner kostbaren Zeit stehlen.« Sean stellte seine Kaffeetasse ab und wandte sich zum Gehen, doch Joan hielt ihn am Arm fest.

»Immer mit der Ruhe. Du musst ein Mädel auch mal schmollen lassen. Das ist nur recht und billig.« Joan setzte sich hinter ihren Schreibtisch und – ganz Geschäftsfrau – schob ihm einen Vertrag hin. »Lass dir ein paar Minuten Zeit, und lies ihn sorgfältig durch. Schließlich bist du Anwalt.«

»Wie ist die Bezahlung?«

»Das Übliche bei einem solchen Job. Ein vernünftiger Tagessatz für Spesen und ein netter Bonus, wenn du den Fall löst.« Sie ließ den Blick über seinen Körper schweifen. »Du hast abgenommen.«

»Ich hab eine Diät gemacht«, erwiderte Sean in Gedanken, während er den Vertrag durchlas. Schließlich unterschrieb er und schob Joan die Papiere wieder zu. »Kann ich jetzt die Akte sehen?«

»Wie wär’s, wenn ich dich zum Mittagessen einlade? Dann können wir darüber reden. Ich habe da ein paar Ideen, und du musst sowieso noch einige Papiere unterschreiben. Deine Partnerin übrigens auch.«

Sean wand sich. »Nun ja, weißt du … Bei diesem Fall wird sie nicht mit mir zusammenarbeiten.«

Joan pochte mit dem Stift auf die Kladde. »Hat wohl gut zu tun, die kleine Mildred?«

»Ja, Michelle ist ausgelastet.«

Beim Mittagessen in Morton’s Steakhouse besprachen sie den Fall, wobei Sean sich sehr auf sein Essen konzentrierte.

»Die Diät hast du offenbar wieder drangegeben«, bemerkte Joan und beobachtete, wie Sean das Essen in sich hineinschaufelte.

Er lachte verschämt. »Anscheinend bin ich hungriger, als ich dachte.«

»Wenn das doch nur wahr wäre«, entgegnete sie spöttisch. »Okay. Also, die Sache, mit der du es zu tun bekommst, könnte eine ziemliche Herausforderung werden. Es geht um den rätselhaften Tod eines Mannes namens Monk Turing. Man hat ihn auf einem Grundstück gefunden, das der CIA gehört, in der Nähe von Williamsburg, Virginia. Finde heraus, ob es Mord oder Selbstmord war. Falls es ein Mord war, muss ich wissen, warum der Mann sterben musste und wer ihn umgebracht hat.«

»Hat Turing für die CIA gearbeitet?«

»Nein. Hast du schon mal von einem Ort mit Namen Babbage Town gehört?«

Sean schüttelte den Kopf. »Was ist das?«

»Mir hat man es als eine Art Denkfabrik beschrieben – mit ökonomischen Zielsetzungen von potenziell gewaltigen Ausmaßen. Turing hat dort als Physiker gearbeitet. Da die CIA in den Fall verwickelt ist und das FBI die Untersuchung leitet, weil der Tote auf einem Grundstück gefunden wurde, das den Vereinigten Staaten gehört, musst du sehr vorsichtig sein. Ich habe ein paar gute Leute, die ich hinschicken könnte, aber ich bin nicht sicher, ob einer von denen so gut ist wie du.«

»Danke für dein Vertrauen. Wer ist dein Klient?«

»Die Leute in Babbage Town.«

»Und was sind das für Leute?«

»Auch das wirst du herausfinden müssen – wenn du kannst. Bist du dabei?«

»Du hast von einem Bonus gesprochen.«

Joan lächelte und tätschelte seine Hand. »Denkst du an Bargeld oder eher an professionelle Dienstleistungen?«

»Lass uns mit dem Geld anfangen.«

»Bei uns teilen wir den Bonus mit den Außendienstmitarbeitern, sechzig zu vierzig.« Sie legte den Kopf zur Seite. »Das weißt du doch noch vom letzten Mal, Sean. Aber du wolltest das Geld ja nicht nehmen, obwohl du ein Anrecht darauf hattest, und hast alles mir überlassen. Ich habe nie richtig verstanden, warum du das getan hast.«

»Weil ich der Meinung war, so wäre es für uns beide sicherer. Außerdem glaubte ich, du würdest dich mit dem Geld zur Ruhe setzen.«

»Leider sind meine Ausgaben ein bisschen aus dem Ruder gelaufen. Deshalb arbeite ich noch immer in dieser Tretmühle.«

»Wenn wir diesen Fall lösen, mit wie viel kann ich rechnen?«

»Das ist ein bisschen kompliziert, weil die Zahlen auf bestimmten Formeln beruhen, aber es wird auf jeden Fall ein schöner Batzen.« Wieder musterte sie ihn von Kopf bis Fuß. »Ich könnte mir vorstellen, dass du dann nicht mehr so dünn bleibst.«

Sean kratzte den letzten Rest Kartoffelpüree vom Teller.

»Bist du interessiert?«, fragte Joan.

Sean nahm die dicke Akte. »Danke für das Essen. Und danke für den Job.«

»Ich werde alles für deine Reise arrangieren. Ich melde mich dann bei dir.«

»Gut. Ich brauche noch ein wenig Zeit, um ein paar Dinge zu erledigen.«

»Zum Beispiel, Mildred Lebewohl zu sagen?«

Bevor Sean etwas erwidern konnte, schob Joan ihm einen Umschlag zu. Sean blickte sie fragend an. »Das ist ein Spesenvorschuss. Ich dachte mir, du könntest ihn brauchen.«

Sean schaute sich den Scheck an, ehe er ihn in der Tasche verschwinden ließ. »Ich bin dir was schuldig, Joan.«

»Ich hoffe, das meinst du ernst«, sagte sie leise zu sich selbst und ging.

Im Takt des Todes
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