52. KAPITEL
„Der Typ führt dich doch verdammt noch mal vor!“ belehrte Antonio Morrelli Nick, saß bequem in dessen Schreibtischsessel und wippte vor und zurück. Der Ledersessel war das einzige Möbelstück, das Nick bei Amtsantritt von seinem Vater übernommen hatte.
„Du musst mehr mit diesen Fernsehleuten sprechen“ , fuhr Antonio fort. „Mach ihnen klar, dass du weißt, was du tust. Peter Jennings hat dich aussehen lassen wie ein dämliches Landei, das den eigenen Hintern nicht findet. Verdammt, Nick, ausgerechnet dieser Mistkerl Peter Jennings!“
Nick blickte aus dem Fenster über die schneebedeckten Straßen zum dunklen Horizont jenseits der Laternen. Blasses Mondlicht schimmerte hinter einem Wolkenschleier hervor.
„Ist Mom mit dir gekommen?“ fragte er vom Fenster aus, ohne seinen Vater anzusehen oder auf seine Vorwürfe zu reagieren. Sie spielten dasselbe alte Spiel. Sein Vater versuchte ihn zu belehren, und er schwieg dazu und tat, als höre er zu. Zu oft hatte er aus Bequemlichkeit dann doch seine Anweisungen befolgt.
„Sie ist bei deiner Tante Minnie unten in Houston“ , erklärte Tony Morrelli, doch seine Miene verriet, dass er sich nicht vom eigentlichen Thema ablenken lassen wollte. „Du musst anfangen, Verdächtige von der Straße zu holen. Lass die üblichen Halunken zum Verhör bringen. Tu so, als hättest du alles im Griff.“
„Ich habe einige Verdächtige“ , erklärte Nick wahrheitsgemäß.
„Großartig, laden wir sie vor. Richter Murphy könnte vermutlich in der Nacht noch einen Durchsuchungsbeschluss ausstellen. Wer sind sie?“
Nick fragte sich, ob es bei Jeffreys auch so einfach gegangen war. Ein Durchsuchungsbeschluss spät in der Nacht, nachdem man sorgfältig die falschen Beweismittel ausgelegt hatte.
„Wer sind deine Verdächtigen, Sohn?“ wiederholte Antonio.
Vielleicht wollte er seinen Vater nur schockieren. Die Vernunft riet ihm, den Mund zu halten. Stattdessen wandte er sich vom Fenster ab und erklärte: „Einer von ihnen ist Pater Michael Keller.“
Er sah, wie sein Vater aufhörte mit dem Stuhl zu wippen. Überrascht legte Antonio kopfschüttelnd die wettergegerbte Stirn in Falten. „Was versuchst du da abzuziehen, Nick? Ein verdammter Priester - die Medien werden dich kreuzigen! War das deine Idee oder die der hübschen kleinen FBI-Agentin, von der die Jungs mir erzählt haben?“
Die Jungs. Seine Jungs. Sein Department! Nick konnte sich vorstellen, wie sie hinter seinem Rücken über ihn und Maggie herzogen und lachten.
„Pater Keller entspricht Agentin O‘Dells Profil.“
„Nick, wie oft muss ich es dir noch sagen? Du darfst deine Entscheidungen nicht von deinem Schwanz beeinflussen lassen.“
„Das tue ich nicht.“ Nick lief rot an. Er wandte sich wieder dem Fenster zu und widmete seine Aufmerksamkeit der Straße. Doch sein Blick verschwamm vor Wut.
„O‘Dell kann sich durchsetzen. Und vermutlich macht sie dir nach einer durchvögelten Nacht ein gutes Frühstück. Aber das heißt nicht, dass du auf sie hören sollst.“
Nick rieb sich über Kinn und Mund, um sich an einer wütenden Erwiderung zu hindern. Er schluckte trocken, wartete einen Moment und wandte sich seinem Vater zu.
„Es ist meine Ermittlung, und es sind meine Entscheidungen. Ich werde Pater Keller zur Befragung vorladen.“
„Gut.“ Antonio gab sich mit erhobenen Händen geschlagen. „Mach dich nur zum Arsch.“ Er stand auf und ging zur Tür. „In der Zwischenzeit werde ich mal sehen, ob Gillick und Benjamin nicht ein paar echte Verdächtige auftreiben.“
Nick wartete, bis sein Vater den Flur hinuntergegangen war. Dann drehte er sich um und schlug mit der Faust gegen die Wand. An der rauen Oberfläche schürfte er sich die Knöchel ab, und Schmerz schoss ihm den Arm hinauf. Er atmete tief durch, um ruhiger zu werden, und hoffte, der Schmerz überlagerte das Gefühl, gedemütigt worden zu sein. Gedankenlos wischte er mit dem weißen Hemdsärmel das Blut von der Wand. Er musste bereits eine zerbrochene Glastür bezahlen, er wollte nicht auch noch das Büro streichen lassen.