99. KAPITEL

„Wie hast du herausgefunden, dass ich im Krankenhaus bin?“ fragte Maggie Greg, sobald sie allein waren. Sie breitete die Anzüge aus, die sie vor Tagen sorgfältig eingepackt hatte, erfreut, dass sie zwei Reisen quer durchs Land unbeschadet überstanden hatten.

„Ich habe es erst heute Morgen im Sheriff Department erfahren. Irgend so ‘n Flittchen im Lederrock hat es mir gesagt.“

„Sie ist kein Flittchen.“ Maggie konnte kaum glauben, dass sie Lucy Burton verteidigte.

„Das unterstreicht nur mein Argument, Maggie.“

„Welches Argument?“

„Dass dieser Job viel zu gefährlich ist.“

Sie sah den Kurzreisekoffer durch, den er ihr gebracht hatte, beherrschte ihren aufkeimenden Ärger und dachte lieber daran, wie gut es war, wieder eigene Sachen zu haben. So lächerlich es klang, aber die eigene Unterwäsche anzufassen, vermittelte ihr ein Gefühl von Sicherheit und Normalität.

„Warum gibst du es nicht einfach zu?“ beharrte Greg.

„Was soll ich zugeben?“

„Dass dein Job zu gefährlich ist.“

„Für wen, Greg? Für dich etwa? Ich habe kein Problem damit. Die Risiken waren mir immer bewusst.“

Sie sah ihn kurz über die Schulter hinweg an. Er ging hin und her, die Hände auf den Hüften, als warte er auf einen Urteilsspruch. „Als ich dich bat, meinen Koffer vom Flughafen abzuholen, habe ich nicht gemeint, du sollst ihn mir bringen.“ Sie versuchte ein Lächeln, doch er schien entschlossen, sich nicht vom Thema ablenken zu lassen.

„Nächstes Jahr werde ich Partner in der Kanzlei. Wir sind auf dem Weg, Maggie.“

„Auf dem Weg, wohin?“ Sie holte Slip und passenden BH heraus.

„Mein Gott, du solltest nicht diese gefährliche Arbeit vor Ort machen. Du hast acht harte Jahre beim FBI hinter dir. Du solltest die Erfahrung haben, um ... ich weiß nicht, bei der Dienstaufsicht oder Ausbilderin zu sein ... etwas in der Art.“

„Meine Arbeit macht mir Spaß, Greg.“ Sie begann das Krankenhaushemd auszuziehen und warf einen Blick über die Schulter. Greg hob die Hände und verdrehte die Augen.

„Was? Willst du, dass ich gehe?“ höhnte er verärgert. „Ja, vielleicht sollte ich gehen, damit du deinen Cowboy wieder hereinholen kannst.“

„Er ist nicht mein Cowboy.“ Zornesröte überzog ihre Wangen.

„Hast du deshalb meine Anrufe nicht erwidert? Läuft da was zwischen dir und Sheriff Muskelprotz?“

„Mach dich nicht lächerlich, Greg.“ Sie riss sich das Hemd herunter und stieg mühsam in ihren Slip. Das Bücken und Armheben schmerzte. Zum Glück verbarg eine Bandage die unansehnlichen Stiche.

„O mein Gott, Maggie!“

Sie fuhr herum und sah, wie er auf ihre verletzte Schulter starrte, das Gesicht zur Grimasse verzogen. Ob vor Ekel oder Sorge konnte sie nicht entscheiden. Er musterte ihren übrigen Körper, und der Blick verweilte auf der Narbe unter ihren Brüsten. Plötzlich wurde sie sich schamvoll ihrer Nacktheit bewusst, was unsinnig war. Schließlich war er ihr Ehemann. Trotzdem schnappte sie sich das Hemd und presste es vor die Brust.

„Das stammt nicht alles von letzter Nacht“ , stellte er aufgebracht fest. „Warum hast du mir nichts davon gesagt?“

„Warum hast du es nicht bemerkt?“

„Dann ist es also meine Schuld?“ Wieder hob er die Hände hoch, eine Geste, die sie kannte, wenn er sein Plädoyer übte. Bei Geschworenen zeigte das vielleicht Wirkung, für sie war das wertloses Melodram, eine schlichte Technik, Aufmerksamkeit zu erregen. Wie konnte er es wagen, sich über ihre Narben zu beschweren.

„Es hat nichts mit dir zu tun.“

„Du bist meine Frau. Bei deinem Job wird dein Körper zerschnitten, und das hat nichts mit mir zu tun? Ich mache mir Sorgen!“ Sein blasses Gesicht bekam vor Wut große rote Flecke wie ein Ausschlag.

„Du bist nicht besorgt, du bist wütend, weil ich es dir nicht gesagt habe.“

„Verdammt richtig, ich bin wütend. Warum hast du es mir verschwiegen?“

Sie warf das Hemd beiseite und bot ihm einen guten Blick auf die Narbe.

„Die bekam ich vor über einem Monat, Greg.“ Sie fuhr mit dem Finger die rote Narbe entlang, die Stucky ihr beigebracht hatte. „Die meisten Ehemänner hätten es bemerkt. Aber wir schlafen nicht mal mehr miteinander, wie könntest du es also bemerken? Dir ist noch nicht einmal aufgefallen, dass ich nachts nicht neben dir liege, sondern die meiste Zeit umherwandere. Ich bin dir gleichgültig, Greg.“

„Das ist doch lächerlich! Wie kannst du so etwas behaupten? Ich will ja aus Sorge um dich, dass du das FBI verlässt.“

„Wenn ich dir etwas bedeuten würde, könntest du verstehen, wie wichtig mir meine Arbeit ist. Nein, du sorgst dich nur, wie du vor den anderen dastehst. Deshalb soll ich mit der Arbeit am Tatort aufhören. Du möchtest deinen Freunden und Partnern sagen können, dass ich ein hohes FBI-Tier bin mit einem großen Büro und einer Sekretärin, die deine Anrufe durchstellen muss. Ich soll sexy schwarze Cocktailkleider tragen, damit du mich auf euren schicken Anwaltspartys herumzeigen kannst. Und meine unschönen Narben passen da nicht ins Bild.“ Sie stand da, die Hände auf den Hüften, und unterdrückte ein Frösteln. „So bin ich nun mal. Vielleicht passe ich einfach nicht mehr in deinen Countryclub-Lebensstil.“

Er schüttelte den Kopf wie ein Vater, der die Geduld mit einer störrischen Göre verliert. Sie nahm das Hemd und hielt es wieder vor die Brust. Sie fühlte sich schutzlos, da sie mehr gezeigt hatte als nackten Körper. „Danke, dass du mir die Sachen gebracht hast“ , sagte sie leise. „Und jetzt möchte ich, dass du gehst.“

„Na, prima.“ Er stieß die Arme in die Ärmel des Trenchcoat. „Warum treffen wir uns nicht zum Lunch, nachdem du dich abgekühlt hast?“

„Nein, ich möchte, dass du nach Hause zurückkehrst.“

Er sah sie mit eisigen grauen Augen an, die zusammengepressten Lippen hielten eine zornige Erwiderung zurück. Sie wartete auf die nächste Verbalattacke, doch er machte auf den Absätzen seiner teuren Lederschuhe kehrt und stürmte hinaus.

Maggie warf sich aufs Bett. Der Schmerz in der Seite verstärkte noch ihre Erschöpfung. Sie hörte das Klopfen kaum, wappnete sich jedoch vor Gregs Zorn. Stattdessen kam Nick herein, warf einen Blick auf sie und drehte sich rasch um.

„Entschuldige, ich wusste nicht, dass du nicht angezogen bist.“

Sie blickte an sich hinab und merkte, dass sie nur den Slip trug und das dünne Krankenhausnachthemd an die Brust presste. Sie vergewisserte sich, dass Nick ihr den Rücken zuwandte, und zog eilig ihren BH an, behindert durch die Stiche in der Seite.

„Eigentlich müsste ich mich wohl entschuldigen“ , sagte sie mit einer Spur Sarkasmus. „Offenbar wirkt mein vernarbter Körper abschreckend auf Männer.“

Sie fuhr mit den Armen in die Ärmel ihrer Bluse, merkte, dass die Innenseite außen war, zog sie wieder aus und versuchte es erneut.

Nick riskierte einen raschen Blick über die Schulter. „Mein Gott, Maggie, inzwischen solltest du wissen, dass ich der Falsche bin, das zu bestätigen. Seit Tagen versuche ich irgendetwas an dir zu entdecken, das mich nicht antörnt.“

Sie spürte, dass er lächelte, und hielt kurz beim Zuknöpfen der Bluse inne, da ihr ohnehin die Hände zitterten. Ihr war heiß geworden. Nick musste sie nicht mal ansehen, um solche Reaktionen bei ihr auszulösen.

„Jedenfalls wollte ich nicht einfach so hereinplatzen“ , entschuldigte er sich. „Ich wollte dir nur mitteilen, dass es ein Problem mit dem Verhör von Pater Keller gibt.“

„Ich weiß, ich weiß, wir haben nicht genügend Beweise, ihn vorzuladen.“

„Nein, das ist es nicht.“ Noch ein rascher Blick, um zu sehen, wie weit sie war. Sie hatte die Hose halb angezogen, und er wandte sich wieder der Tür zu. Sie lächelte über sein Taktgefühl. Schließlich hatte er sie schon mit weniger bekleidet gesehen, sie dachte an das Footballtrikot und den weichen, bequemen Bademantel.

„Wenn es nicht um Beweise geht, worum dann?“

„Ich habe gerade im Pastorat angerufen und mit der Köchin gesprochen. Pater Keller ist weg und Ray Howard ebenso.“