34. Kapitel
Die Kampfpinasse Böses Erwachen stand am anderen Ende des Hofs. Es zischte und knisterte, als die angestaute Hitze nach ihrem feurigen Sinkflug auf die feuchte Dschungelluft traf. Die Außenhülle der Erwachen war karbonversengt und verbeult, und durch die dicke Kampfpanzerung zogen sich mehrere tiefe Furchen bis zum orangefarbenen Kreis eines Notfallhüllenflickens. Die Pinasse hatte offensichtlich ein heftiges Gefecht hinter sich – zweifellos mit Schiff, das Abeloth sofort wieder ins All zurückgeschickt hatte, nachdem sie mit ihren beiden Gefangenen von Bord gegangen war. Ben konnte nur hoffen, dass die uralte Meditationssphäre genauso viel Schaden genommen hatte wie die Erwachen, da sie andernfalls ein leichtes Ziel sein würden, wenn sie den Planeten zu verlassen versuchten.
»Warum hat das so lange gedauert?«, fragte Vestara. Sie hielt Ben aufrecht. »Sehen deine Leute denn nicht, dass du medizinisch versorgt werden musst?«
Ben schaute sie an. Sein Blick war noch immer ein wenig verschwommen, aber mit dem violetten Bluterguss um ihren Hals und den ganzen Schwielen und Schnittwunden im Gesicht sah sie nicht viel besser aus, als er sich fühlte. »Wir brauchen beide medizinische Versorgung«, sagte er. »Du siehst aus, als wärst du einem Hutt auf den Schwanz getreten.«
»Vielen Dank«, erwiderte Vestara. »Das nächste Mal werde ich mir beim Versuch, dich zu retten, jedenfalls nicht mehr die Frisur ruinieren.«
Ben runzelte die Stirn. »Habe ich nicht dich gerettet?«, fragte er. »So habe ich die Sache nämlich im Gedächtnis.«
Vestara spielte die Besorgte. »Armer Ben – du musst dir den Kopf schwerer angeschlagen haben, als ich dachte.« Sie zog ihn am Arm mit sich, als sie den Hof durchquerten. »Wir müssen dich sofort auf eine Medistation schaffen.«
Sie hatten den Hof ungefähr zur Hälfte überquert, als sich ein dunkles Rechteck aus der ramponierten Außenhülle der Pinasse löste und nach unten glitt, um sich langsam zu einer Einstiegsrampe zu entfalten. Im Eingang am oberen Ende der Rampe erschien eine schlanke Frau. Ihr braunes Haar war zu einem straffen Knoten zusammengebunden, ihre Augen waren vor Erschöpfung eingesunken, und die Furchen auf ihrer Stirn waren so tief wie Schluchten. Deshalb brauchte sogar Ben einen Moment, um seine Cousine Jaina Solo zu erkennen. Sie trug einen Kampfanzug und hielt ihr deaktiviertes Lichtschwert in der Hand. Die gesamte Vorderplatte ihres Anzugs war mit rotem, schaumigem Blut verschmiert.
»Jaina!« Ben eilte auf sie zu. Er schwankte leicht, als er Vestara mit sich zog. »Bist du okay?«
»Mir geht es gut.« Jainas Blick wanderte zu Vestara, und ihr gesamter Körper spannte sich vor Wachsamkeit an. »Wie steht’s mit dir, Ben?«
»Ben hat was am Kopf abbekommen«, sagte Vestara, die Ben stützte, als er stolperte. »Er hat eine Menge Blut verloren und leidet unter Gleichgewichtsstörungen.«
Jaina sah Ben an, und diesmal lag ebenso viel Sorge wie Skepsis in ihren Augen. »Dann solltest du lieber an Bord kommen.«
Ben und Vestara legten die letzten paar Schritte zur Pinasse zurück, ehe Jaina eine Handfläche hob, um Vestara daran zu hindern, dass sie einen Fuß auf die Einstiegsrampe setzte.
»Fürs Erste nur Ben«, sagte sie. »Bitte.«
Die Anspannung zwischen den beiden Frauen ließ die Macht kalt und reglos werden, und Ben und Vestara blieben am Fuß der Rampe stehen. Ben runzelte die Stirn und sah von Jaina zu Vestara, während er sich einen Reim darauf zu machen versuchte, warum die beiden mit einem Mal so voreinander auf der Hut waren. Dann ließ Vestara die Hand sinken, mit der sie ihn gestützt hatte, was in der dunklen Aura, die ihr noch immer anhaftete, eine Reihe von Wirbeln erzeugte, und da verstand er, was los war. Er ergriff Vestaras Hand und zog sie mit sich die Einstiegsrampe hinauf.
»Wegen dieses dunklen Zeugs musst du dir keine Gedanken machen, Jaina«, sagte Ben. »Das ist bloß eine Folgeerscheinung.«
Jaina bewegte die Hand, die ihr Lichtschwert hielt, in die hüfthohe Bereitschaftsposition. »Und wovon genau?«
»Ich stand zu nah an der Fontäne, als ich die Macht einsetzte«, erklärte Vestara. »Ich wusste, dass mich das besudeln würde, aber wir brauchten ihre Kraft. Das war der einzige Weg, um Abeloth zu töten.«
»Der Makel wird vergehen«, sagte Ben. »Er ist bereits wesentlich schwächer geworden.«
»Ich bin froh, das zu hören.« Jaina wandte ihren Blick nicht von Vestara ab. »Allerdings denke ich dabei eher an deinen Vater, Ben.«
»Dad?« Ben eilte die Rampe hinauf, so überrascht, dass er Vestaras Hand nicht losließ. »Was ist passiert?«
»Das weiß ich nicht genau«, sagte Jaina, die sich in der Mitte der Einstiegsrampe zu voller Breite aufbaute. »Es geschah jenseits der Schatten.«
Bens Herz wurde schwer. »Das ist schlecht«, sagte er. Physische Verletzungen ließen sich meist beheben, doch jenseits der Schatten war das Reich des Geistes. Keine noch so aufwendigen Operationen oder Bacta-Bäder würden eine Wunde heilen, die man dort erlitt. »Ist er bei Bewusstsein?«
»Noch nicht.« Jainas Blick schweifte von ihm zu Vestara, und sie sagte: »Ich muss einige Reparaturen durchführen, und meine Sensoren sind hinüber, deshalb will ich, dass ihr die Augen aufhaltet. Schiff könnte irgendwo in der Nähe sein.«
Jainas Bitte ergab einen Sinn – und selbst, wenn dem nicht so gewesen wäre, war Ben viel zu besorgt, um zu protestieren. Er hatte zwar nichts gespürt, das darauf hingewiesen hätte, dass sein Vater gestorben war, aber ebenso wenig gelang es ihm, die Präsenz seines Vaters wahrzunehmen. Es war, als ob Luke Skywalker aus der Macht verschwunden wäre.
Vestara löste ihre Hand aus seinem Griff und legte sie ihm dann sacht auf die Brust. »Geh nur, Ben. Sieh nach deinem Vater.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Ben auf die Lippen. Der Kuss war lang und tief und voller Liebe und hätte unter normalen Umständen dafür gesorgt, dass sein Herz einige Schläge lang aussetzt. Doch angesichts des Umstands, dass sein Vater verletzt in der Pinasse lag, betrachtete Ben den Kuss eher als Geste der Unterstützung – als Vestaras Art, für ihn da zu sein, obwohl sie draußen bleiben und Wache halten musste. Er ließ den Kuss andauern, bis er schließlich einen irgendwie traurigen, verängstigten Beigeschmack bekam, ehe er ihr die Hände auf die Schultern legte und in ihre braunen Augen schaute.
»Es gibt nichts, worüber wir uns Sorgen machen müssten, Ves«, sagte er. »Wenn Abeloth uns nicht umbringen konnte, dann hat Schiff erst recht keine Chance dazu.«
Vestara nickte und zwang sich zu einem Lächeln. »Das weiß ich.« Sie trat zurück, ehe sie mit ihren Fingern zum Eingang des Schiffs winkte. »Jetzt geh. Ich hoffe, dass dein Vater wieder in Ordnung kommt.«
»Danke«, sagte Ben. »Wir sehen uns in ein paar Minuten.« Er drehte sich um, und sobald Jaina zur Seite getreten war, ging er an Bord der Pinasse.
Die Erwachen war ein typisches Angriffsschiff für Elite-Einsatzkräfte, kompakt und vollgestopft mit Spezialausrüstung – vieles davon von den Treffern, die die Außenhülle durchschlagen hatten, verbeult, versengt und zertrümmert. Das Cockpit befand sich linker Hand, hinter einer Durastahlluke und einem geöffneten Irisblendenschott.
Jaina wies einen schmalen Gang hinunter, der zum Heck des Schiffs führte. »Die Medistation ist an achtern.« Sie drückte einige Knöpfe auf einem an der Innenhülle angebrachten Kontrollfeld, und die Einstiegsrampe fuhr in die Höhe. »Ich bin gleich wieder da.«
Ben runzelte die Stirn. »Was hast du vor?«, fragte er. »Ich sagte dir doch, dass …«
»Mit einer offenen Luke kann ich die Hüllenintegrität nicht überprüfen«, unterbrach Jaina, die ihm einen Blick zuwarf, in dem sich Mitgefühl und Ungeduld die Waage hielten. »Und deine Freundin kommt schon klar. Du solltest dir lieber Sorgen um Luke Skywalker machen.«
Jainas schroffes Verhalten verriet Ben, dass sie nicht vollkommen aufrichtig zu ihm war, doch gegen die Notwendigkeit eines Hüllenintegritätstests ließ sich nur schwerlich etwas einwenden. Er musterte sie einen Moment lang, um dahinterzukommen, warum sie sich so sonderbar benahm – und was sie ihm nicht sagte. Schließlich entschied er, dass das, was auch immer sie vor ihm verbarg, warten konnte, bis er seinen Vater gesehen hatte.
»In Ordnung, aber denk nicht mal daran, ohne Vestara zu starten«, sagte er, während er den Gang entlangging. »Wäre sie nicht gewesen …«
»Keine Sorge, Ben«, unterbrach Jaina ihn. »Das Letzte, was ich vorhabe, ist, Vestara Khai auf diesem Planeten zurückzulassen.«
Ben ignorierte den scharfen Tonfall und ging weiter zur Medistation. Der schwere Geruch nach Antiseptikum und Bacta-Salbe verriet ihm, dass sich sein Vater in schlechter Verfassung befand. Er streckte seine Machtsinne aus, bemüht, einen gewissen Eindruck vom Zustand seines Vaters zu bekommen, und fühlte die gleichgültige Präsenz eines nicht empfindungsfähigen Wesens – oder eines Jedi, der so tief in eine Heiltrance versunken war, dass er im Koma zu liegen schien.
Ben nahm einen beruhigenden Atemzug, ehe er durch das Schott in die mit zehn Kojen ausgestattete Medistation trat. Als Leerenspringer-Einsatzschiff war die Pinasse sowohl für den Kampf als auch für die Folgen davon ausgerüstet. Sein Vater lag angeschnallt in einer Koje an der Rückwand der Kabine. Ein Beatmungsschlauch steckte in seiner Kehle, und Arme, Hals und Beine waren mit einem halben Dutzend Infusionskanülen versehen. Ein großer Verband bedeckte die rechte Seite seiner Brust, und obgleich seine Haut nicht trocken oder schuppig war, hatte sie die Farbe von Asche angenommen. Was Jaina in Bezug auf Vestara auch immer denken mochte, was Bens Vater anging, sagte sie die Wahrheit. Luke Skywalker war dem Tode nahe.
Mit einem Mal bildete sich in seinem Innern ein hohler Schmerz, und schlagartig zog sich Bens Blickfeld zusammen und wurde dann vollkommen schwarz. Einen Moment lang dachte er, er würde ohnmächtig werden, doch er verspürte weder Schwindel noch Übelkeit, die darauf hingedeutet hätten, dass seine plötzliche Benommenheit einer Gehirnerschütterung geschuldet war. Er stützte sich mit einer Hand an der Schottlaibung ab, stand da und wartete darauf, dass sein Sehvermögen zurückkehrte.
Stattdessen tauchten in der Dunkelheit Sterne und Raumnebel auf, die mit extremer Geschwindigkeit auf ihn zurasten, jedoch ohne bemerkbare Rotverschiebung und ohne beim Näherkommen auseinanderzudriften. Er fing an, sich beklommen und desorientiert zu fühlen, als würde er durch eine Galaxis reisen, die vollkommen anders war als jene, die seine Eltern gekannt hatten. Er sah das funkelnde goldene Rund von Coruscant, mit Flecken flackernder roter Flammen und ziehenden schwarzen Rauchwolken gesprenkelt, und jenseits davon lauerte eine Legion dunkler Umrisse, die von einer schattenumhüllten Welt emporstiegen und quer durch die Galaxis ausschwärmten, um auf eine wesentlich kleinere Streitmacht leuchtender Formen zu treffen.
Er sah zwei winzige körperlose Augen, die durch die Finsternis trieben und flüchtige Fetzen umhertreibenden Gases und lose Staubpartikel sammelten, um sich in ihrer endlosen Geduld in den Stoff zu hüllen, aus dem kalte Materie bestand.
Und Ben sah seine Cousine Allana, ein junges Mädchen, das im Schneidersitz vor einem weißen Thron saß und mit ihrem Nexu spielte, während ein kleiner Kreis von Jedi am Fuße des Podiums einen verzweifelten Kampf focht, um einen endlosen Ansturm von Gegnern abzuwehren. Darunter waren dunkle Gestalten, juwelengeschmückte Frauen und gehörnte Fremdweltler, und immer wieder tauchte ein grauer Tentakel auf den Stufen des Podiums auf und versuchte, sich unbemerkt vorbeizuschlängeln, bevor ein Lichtschwert herabsauste, um ihn in die Dunkelheit zurückschliddern zu lassen.
Was Ben hingegen nicht sah, war sein Vater, und dass Luke nicht hier war, jagte ihm mehr Angst ein als alles andere, das sich seinem erstaunten Blick dargeboten hatte. Angesichts einer Zukunft, die gefahrvoller war, als er sich auch nur vorzustellen vermochte, würde der Orden die Führung durch seinen Großmeister dringender denn je zuvor brauchen. Aber auch Luke Skywalker war nur ein Sterblicher. Selbst, wenn es noch nicht heute so weit war, würde irgendwann in nicht allzu ferner Zeit der Moment kommen, in dem er und die anderen älteren Meister nicht mehr da waren, um die Jedi anzuführen, in dem die Bürde der Führerschaft an Jaina Solo und ihre Generation fiel. Dieser Wandel war unvermeidlich, und in Anbetracht der neuen Gefahren, mit denen sich die Jedi jetzt konfrontiert sahen, vielleicht sogar vorteilhaft, um eine neue Denkweise einzuführen.
Allerdings bedeutete das nicht, dass Ben bereit war, zur Waise zu werden. Ob nun Jedi-Ritter oder nicht, er brauchte seinen Vater immer noch, und ganz gleich, was die Macht ihm auch zeigte, er würde kämpfen, um dafür zu sorgen, dass Luke Skywalker so lange wie irgend möglich am Leben blieb. Er ließ die Schottlaibung los und trat in die Dunkelheit seiner Vision, und dann fand er sich plötzlich in der Kabine auf der Medistation der Böses Erwachen wieder und starrte ins totenschädelartige Antlitz eines Medidroiden, der sich gerade in sein Blickfeld bewegt hatte.
Der Droide fuhr eine Hand aus, in der er eine OP-Maske hielt. »Legen Sie das an«, sagte er. Sein forscher, ernster Ton wies darauf hin, dass es sich dabei vermutlich um die Standardausführung von Leerenspringer-Droiden handelte, immerhin hatte Ben genügend Zeit in der Gesellschaft von Elitesoldaten zugebracht, um zu wissen, dass sie ihre Kommunikation gern kurz und knapp hielten. »Legen Sie sich dann auf den Untersuchungstisch, mit dem Gesicht zur Rückwand.«
»Erst will ich den anderen Patienten sehen.« Ben hakte die Halteschlaufen der Maske hinter die Ohren und fragte: »Wie ist sein Zustand?«
»Ernst«, gab der Droide zurück. »Unerklärbares Koma, unklassifizierte, rasch um sich greifende Infektion und massives Brusttrauma – aufgrund des Verlusts der zweiten Thorakalrippe und des rechten Hauptlungenlappens.«
Ben runzelte die Stirn. »Ein Trauma wegen des Verlusts einer Rippe und eines Lungenlappens?«, fragte er. »Ist der Verlust von Körperteilen nicht für gewöhnlich die Folge eines Traumas, nicht die Ursache?«
Der Droide richtete seine glänzenden Fotorezeptoren auf Ben. »Sind Sie Arzt, Soldat?«
»Ich wurde in Feldmedizin unterwiesen«, entgegnete Ben.
»Und das qualifiziert Sie dazu, die Diagnose eines Medidroiden infrage zu stellen?«
»Absolut nicht«, sagte Ben. Er war es nicht gewöhnt, mit dieser Art von Droiden umzugehen, aber er wusste genug über die Vorschriften von Elite-Streitkräften, dass ihm klar war, dass er nichts von dem Droiden erfahren würde, wenn er jetzt einen Rückzieher machte. »Allerdings bin ich sehr wohl qualifiziert zu erkennen, wenn etwas keinen Sinn ergibt.«
»Ich habe nicht behauptet, dass die Verletzung einen Sinn ergibt.« Der Droide trat zurück, um für Ben den Weg zu seinem Vater freizumachen. »Die Ursache der Verletzung scheint die spontane Entnahme des Lungenlappens zu sein. Auf die Hauptursache hingegen habe ich keinerlei Hinweise gefunden.«
»Keine Schrapnellwunden oder innere Verbrennungen?«, fragte Ben.
»Hätte ich eins von beidem entdeckt, hätte ich wohl kaum von einer ›spontanen Entnahme‹ gesprochen.« Der Droide trat beiseite. »Sie dürfen mit dem Patienten reden, aber fassen Sie sich kurz. Sie bedürfen ebenfalls medizinischer Versorgung.«
Ben ging zu der Koje hinüber, und seine Besorgnis wuchs mit jedem Schritt. Selbst mit den Klebestreifen über den Lidern war offensichtlich, dass die Augen seines Vaters tief eingesunken waren – tatsächlich wirkten die Höhlen leer. Und sein Brustverband war mit runden Flecken gelben und grünen Wundsekrets gesprenkelt, was darauf hinwies, dass die Infektion, von der der Droide gesprochen hatte, wesentlich schlimmer war als jede gewöhnliche Komplikation. Am beunruhigendsten jedoch war die faustgroße Vertiefung in der Mitte des Verbandes. Es sah aus, als wäre sein Vater vom Schuss einer Blasterkanone getroffen worden, und Ben hatte Schwierigkeiten zu verstehen, was sich jenseits der Schatten zugetragen haben mochte, um einem physischen Leib eine solche Verletzung zuzufügen. Er umklammerte die gekrümmten Finger der Hand seines Vaters, während er gleichzeitig seine Machtsinne nach ihm ausstreckte.
»Hey, Dad. Danke, dass du uns gesucht hast«, sagte Ben. Es war allgemein bekannt, dass viele Komapatienten einen sprechen hören konnten, deshalb versuchte Ben, seine Furcht aus der Stimme herauszuhalten. »Ich weiß nicht, was jenseits der Schatten passiert ist, aber vermutlich hat es uns das Leben gerettet. Vestara und …«
Schlagartig krampfte sich die Hand seines Vaters so fest zusammen, dass Ben glaubte, seine Finger würden brechen.
»Dad?«
Der Griff seines Vaters wurde schwächer, ohne jedoch vollends zu erschlaffen.
»Dad, bist du wach?«
Der Medidroide trat an den Fuß der Koje und stöpselte sich in die Datenbuchse ein.
»Es tut mir leid, Soldat. Die Hirnaktivität des Patienten ist nach wie vor minimal.«
»Er hat meine Hand gedrückt«, sagte Ben. »Um genau zu sein, drückt er sie noch immer.«
»Das ist lediglich ein motorischer Reflex«, erklärte der Droide. »Bei diesem Maß an Gehirninaktivität …«
»Mir ist es gleich, was deine Scanner sagen«, unterbrach Ben. »Dieser Mann ist ein Jedi-Großmeister. Er besitzt Fähigkeiten, die du dir nicht einmal vorstellen kannst.«
Der Medidroide richtete seine runden, glänzenden Fotorezeptoren auf Ben und stieß den Kopf vor. »Alternative Medizin ist eine Narretei der geistig Schwachen, Soldat.«
»Jedi-Ritter sind nicht geistig schwach«, sagte Jaina, die in die Kabine trat. »Und die Macht fällt schwerlich unter ›alternative Medizin‹. Ist das klar?« Sie zeigte mit dem Finger auf den Droiden, der zu seiner primären Schnittstellenbuchse im vorderen Bereich der Kabine zurückschwebte. Ein steter Strom statischen Rauschens drang aus seinem Vokabulator, doch Jaina ignorierte sowohl sein Geplapper als auch die unaufrichtige Entschuldigung, mit der der Droide aufwartete, sobald seine Füße wieder das Deck berührten. Stattdessen kam sie zu Ben herüber und blieb neben ihm stehen. »Luke hat deine Hand gedrückt?«
»Ja, hat er«, bestätigte Ben. »Momentan tut er das zwar nicht, aber er hat sie definitiv gedrückt. Er fing damit an, als ich zu ihm sprach.«
»Als du Vestara erwähnt hast?«
Sobald sie Vestaras Namen sagte, schloss sich die Hand seines Vaters erneut um Bens.
Ben drehte sich um, um Jaina zu mustern. »Was geht hier vor?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass er dir etwas zu sagen versucht.«
»Und das wäre?«, fragte Ben. »Wenn du mir sagen willst, dass man ihr nicht trauen kann, dann vergiss es.«
Jainas Augen blieben hart. »Ich glaube nicht, dass ich dir irgendetwas sagen muss, Ben. Ich denke, du weißt bereits Bescheid.«
Ben schüttelte den Kopf. »Was ich weiß, ist, dass Vestara ihr Leben riskiert hat, um mich vor Abeloth zu retten.« Seinen Worten zum Trotz konnte er nicht umhin, sich daran zu erinnern, wie bereitwillig sie vom Quell der Kraft getrunken hatte und wie sie das mit der Behauptung gerechtfertigt hatte, dass es der einzige Weg sei, um Abeloth zu besiegen. »Sie kann keine Sith mehr sein. Ihr eigenes Volk hat sie Abeloth überlassen … zusammen mit mir.«
Jaina breitete die Hände aus. »Ich kann dir dafür keine Erklärung liefern«, sagte sie. »Aber es gibt da etwas, das du über die Schlacht im Tempel wissen musst.«
Bens Herz wurde schwer, doch er schüttelte weiterhin den Kopf. »Nein … Den Hinterhalt in der Wasseraufbereitungsanlage kannst du unmöglich ihr anlasten«, sagte er. »Sie kannte den Plan ja nicht einmal, bevor unsere Kapsel in der Röhre war.«
»Das ist ein ausgezeichnetes Argument«, gab Jaina zu. »Und sie war auch nicht diejenige, die den Sith verraten hat, wo wir reinkommen würden. Das war Abeloth.«
»Abeloth?«
Jaina nickte. »Wynn Dorvan hat diesbezüglich Licht ins Dunkel gebracht«, erklärte sie. »Er war eine Weile Abeloths Gefangener, und er sagte, sie könne in die Zukunft sehen. Wir denken, dass sie vermutlich flussgewandelt ist.«
Ben überkam ein Anflug von Hoffnung. »Siehst du? Wenn Vestara nicht …« Er wurde von einem grässlichen, würgenden Geräusch aus der Koje neben sich unterbrochen, und der Griff seines Vaters wurde so fest, dass Bens Fingerknöchel knackten. Er blickte hinunter, um zu sehen, wie sich die Augenlider seines Vaters flatternd öffneten und sich sein Mund bewegte, als er um den Beatmungsschlauch herum zu sprechen versuchte. »Er ist wach!«
Ben sah sich nach dem Medidroiden um und sah ihn herbeieilen, seinen Schnittstellenarm bereits nach der Datenbuchse der Koje ausgestreckt. Sein Vater stieß einen weiteren Würgelaut aus, und diesmal wurde deutlich, dass er ein einzelnes Wort zu sagen versuchte. Die ersten Geräusche waren zu feucht und zu guttural, um sie zu verstehen, aber die letzte Silbe klang wie ih.
Ben beugte sich über die Koje und sagte: »Ganz ruhig, Dad. Der Medidroide entfernt gleich den Beatmungsschlauch, und dann kannst du meinetwegen den ganzen Tag lang quasseln.«
»Selbst, wenn er wieder zu Bewusstsein käme, wäre das mit seinen angeschlagenen Stimmbändern kaum möglich.« Der Droide beließ den Schnittstellenarm in der Datenbuchse und drehte den Kopf, um Ben anzusehen. »Die Hirnaktivität ist nach wie vor minimal. Ich fürchte, er hat lediglich versucht zu schlucken.«
»Blödsinn – sieh her«, sagte Ben, ohne den Blick von seinem Vater anzuwenden. »Vestara.«
Wieder verstärkte sein Vater den Griff und stieß einen grässlichen Würgelaut aus.
»Etwas Derartiges habe ich noch nie zuvor gesehen«, sagte der Droide. »Der Patient liegt zwar weiterhin im Koma, doch der Name scheint eine primitive Angstreaktion auszulösen.«
Ben runzelte die Stirn. »Eine Angstreaktion?«
»Er hat Angst um dich, Ben«, sagte Jaina. »Ich glaube, ich weiß, was er dir zu sagen versucht.«
Ben drehte sich um und starrte sie finster an. »Also, gut, Jaina. Seit du gelandet bist, behandelst du Vestara, als wäre sie die Brut von Palpatine. Was auch immer du für ein Problem mit ihr hast, es wird Zeit, damit rauszurücken.«
Jainas Miene wurde weicher, und das war der Moment, in dem Ben wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte. Seine Cousine war nicht unbedingt für ihr Mitgefühl bekannt, was bedeutete, dass die Sache übel sein musste.
Jaina sah ihm direkt in die Augen und sprach mit leiser, beinahe entschuldigender Stimme. »Nach deiner Gefangennahme wurde Vestara mit einer Gruppe von Sith im Tempel gesehen.«
»Natürlich. Sie war eine Sith-Gefangene«, sagte Ben bedächtig.
»Sie war keine Gefangene«, sagte Jaina sanft. »Es war ein Angriff aus dem Hinterhalt, den Vestara angeführt hat.«
Jetzt verstand Ben, warum Jaina so vorsichtig war. Sie versuchte ihm etwas einzureden, das einfach nicht wahr sein konnte. Er wollte ihr sagen, dass irgendjemand das, was sie gesehen hatte, falsch gedeutet hatte, doch der Griff seines Vaters war so fest geworden, dass Ben fürchtete, in seiner Hand würde jeden Moment ein Knochen brechen. Allmählich beschlich ihn ein ganz mieses Gefühl … das sich immer schwerer ignorieren ließ. »Und du bist dir sicher, dass es Vestara war?«, fragte Ben. »Dass sie tatsächlich zu den Sith gehört hat?«
Jaina nickte widerstrebend. »Meine Eltern haben es mir erzählt«, sagte sie. »Sie haben via HoloNet Verbindung zu uns aufgenommen, unmittelbar bevor wir in den Schlund eintraten.«
Ben verließ aller Mut. Mit jedem Wort, das Jaina sprach, wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Behauptungen der Wahrheit entsprachen. »Was hatten Tante Leia und Onkel Han damit zu tun?«
»Sie waren diejenigen, die von den Sith überfallen wurden – und sie haben beide gesehen, dass Vestara den Angriff geleitet hat«, erklärte Jaina. »Der Falke hat in der Verladebucht aufgesetzt, in der der Evakuierungstunnel endet. Dort wartete Vestara bereits mit ein paar Dutzend Sith. Sie setzte den Falken mit einem Thermaldetonator außer Gefecht, während der Rest ihres Teams angriff. Dad ist absolut sicher, dass sie es war.«
Ben war zu geschockt, um sich zu fragen, woher Vestara gewusst haben könnte, wo sich die Solos wann aufhalten würden oder warum sich der Falke überhaupt auf Coruscant befand, wo er doch eigentlich Schüler nach Shedu Maad transportieren sollte. Die Solos waren zu unvoreingenommen, um einen solchen Vorwurf zu erheben, ohne sich vollkommen sicher zu sein, was sie gesehen hatten, und er war nicht so töricht zu glauben, dass sie diesbezüglich logen. Die schlichte Wahrheit war, dass Vestara Khai einen Angriff auf die Solos angeführt hatte. Die hässliche Wahrheit war, dass Ben zugelassen hatte, dass es dazu kam, weil er sich von Vestara zum Narren hatte halten lassen.
Nach einem Moment befreite Ben seine Hand aus dem zermalmenden Griff seines Vaters und massierte seinen Unterarm. »Danke für die Warnung, Dad. Ich verstehe.« Er wandte sich ab und kämpfte darum, dass ihm keine Tränen in die Augen stiegen. »Dann ist Vestara Khai also eine Sith. Und das war nie anders.«
»Ich fürchte, ja«, sagte Jaina. »Es tut mir leid, Ben.«
»Das muss es nicht«, versicherte Ben, beinahe verärgert. Er verdiente ihr Mitgefühl nicht – nicht, nachdem er Vestara einen so umfassenden Einblick in den Jedi-Orden verschafft hatte. »Sind sonst alle in Ordnung?«
Jainas Stimme klang betrübt. »Mom und Dad geht es gut«, sagte sie. »Aber Bazel Warv starb bei dem Angriff.«
Bens Entsetzen wurde kalt und bitter. Er begriff nicht, wie er so blind für Vestaras Betrug sein konnte, wie er so lange glauben konnte, dass die Hoffnung darauf bestand, sie zu erlösen – wie er nur glauben konnte, dass irgendein Kind, das von den Sith großgezogen worden war, der Dunklen Seite jemals den Rücken kehren würde. Bens Kinn sank auf die Brust. »Das ist alles meine Schuld«, sagte er. »Ich kann nicht glauben, dass sie mich so zum Narren gehalten hat – oder dass ich dumm genug war zu glauben, sie würde mich wirklich lieben.«
Jaina legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Sei nicht so hart zu dir selbst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Vestara dich tatsächlich liebt. Anders wäre es ihr gar nicht möglich gewesen, dich lange genug an der Nase herumzuführen, um diese Sache durchzuziehen.«
Ben schaute verwirrt auf. »Wie kommst du darauf?«
»Ben, du bist ein ausgesprochen sensibler junger Mann, und die Macht ist so stark in dir wie in deinem Vater«, sagte Jaina. »Denkst du nicht, dass es dir aufgefallen wäre, wenn sie bezüglich ihrer Gefühle gelogen hätte?«
Ben ließ sich die Frage einen Moment lang durch den Kopf gehen, ehe er schließlich das wahre Ausmaß von Vestaras Verrat zu begreifen begann. »Du hast recht«, sagte er. »Sie liebt mich. Es spielt bloß keine Rolle.«
»Das ist nun einmal das Wesen der Sith – sie zehren von der Kraft ihrer Emotionen, um zu bekommen, was sie wollen.«
Jaina nahm ihre Hand von Bens Schulter, und er konnte spüren, wie sie die Stärke dafür sammelte, ihm noch etwas anderes zu sagen – etwas, von dem sie glaubte, dass es ihn völlig am Boden zerstören würde. »Raus damit«, sagte Ben. »Erzähl mir den Rest.«
»Ich wünschte, das müsste ich nicht tun, aber du musst es wissen«, sagte Jaina. »Bei diesem Hinterhalt, den Vestara angeführt hat … da waren sie hinter Allana her. Die Sith wissen, wer sie ist.«
Vestara hielt sich im Dschungel verborgen, ließ ihren Blick über den Hof schweifen und fühlte sich sorgenschwer, nutzlos und allein, während sie im Stillen nach Schiff rief. Sie wusste nicht, ob Schiff zerstört worden war oder immer noch irgendwie unter Abeloths Einfluss stand, weil er nicht antwortete, doch sein Schweigen sorgte dafür, dass Vestara Mühe hatte, sich vorzustellen, dass ihre gegenwärtige Situation mit etwas anderem endete, als damit, dass sie getötet, eingesperrt oder – vom Rest der Galaxis abgeschnitten – hier zurückgelassen wurde.
Jaina Solo wusste, was sich im Innern des Jedi-Tempels zugetragen hatte. Das erklärte, warum sie sich so bemüht hatte, dafür zu sorgen, dass Ben allein an Bord der Pinasse ging – und warum sie Vestara den Zutritt verwehrt hatte. Vermutlich hielt sie Vestara für eine Sith-Attentäterin und glaubte, Luke Skywalker sei ihr nächstes Ziel. Inzwischen war Ben vermutlich derselben Ansicht.
Es zerriss Vestara innerlich, sich vorzustellen, wie Ben auf diese Anschuldigung reagiert haben mochte – sich den Zorn und den Hass auszumalen, den er jetzt für sie empfinden musste –, doch sie war klug genug, um zu wissen, dass sie die Sache nicht abstreiten und auch nicht versuchen konnte, sich aus dem Schlamassel rauszureden. Selbst, wenn die beiden Jedi bereit gewesen wären, ihr zuzuhören, würde keine Ausrede in der Galaxis genügen, dass sie ihr einen Anschlag auf Allana Solo verziehen. Ihr Orden gründete sich auf närrischem Idealismus und der Großmütigkeit von Selbstaufopferung, sodass selbst eine aufrichtige Erklärung – dass Vestara Allanas wahre Identität nur preisgegeben hatte, um ihr eigenes Leben zu retten – ihre Verachtung bloß noch steigern würde.
Und damit blieben Vestara nur drei Möglichkeiten: in den Dschungel zu fliehen und den Rest ihres Lebens allein und gestrandet auf diesem Planeten zu verbringen; sich zu ergeben und darauf zu hoffen, dass es ihr irgendwann im Laufe des nächsten Jahrzehnts gelingen würde, den Jedi zu entkommen; oder den Versuch zu unternehmen, die ramponierte Pinasse zu stehlen. Zwar ließen sich alle drei Optionen bloß als verzweifelt umschreiben, aber sie tendierte dennoch zur dritten Möglichkeit. Nach dem Gefecht gegen Abeloth befand sie sich nicht unbedingt in bester Verfassung, um zu kämpfen, und um die Pinasse unter ihre Kontrolle zu bringen, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als Ben und seine Schwert-der-Jedi-Cousine zu töten. Allerdings war Vestara, nachdem Jaina die Einstiegsrampe der Pinasse hochgefahren hatte, als Erstes zum Quell der Kraft zurückgekehrt, um ihr Lichtschwert und das Parang aus dem Körper der Keshiri zu ziehen, die Abeloth benutzt hatte, also war sie zumindest bewaffnet.
Und abgesehen davon ergeben Sith sich nicht. Die Stimme war kratzig, leise und vertraut, und Vestara vernahm sie allein in ihrem Geiste. Sith kämpfen, und wenn sie erkennen, dass sie sterben müssen, sterben sie niemals allein.
Schlagartig wurde Vestara leichter ums Herz. »Schiff?« Sie blickte zum Himmel hinauf und sah bloß die grünstichigen Wolken dieser seltsamen Welt. Dann sprach sie nur in ihren Gedanken: Bist du das?
So wahr ich bin, gab Schiff zurück. Und ich stehe ganz zu Euren Diensten, meine Herrin.
Dann ist Abeloth also tatsächlich tot?, fragte Vestara.
In dem Maße, in dem das möglich ist, ja.
»In dem Maße, in dem das möglich ist?«, wiederholte Vestara. In ihrer Beunruhigung sprach sie laut. »Was soll das heißen?«
Bloß, dass es einige Dinge gibt, die die Macht uns gegenüber nicht preisgibt, Lady Khai. Unter den fernen Wolken wurde ein dunkler Fleck sichtbar, der zu ihr herabzuschweben begann. Und dass es uns endlich möglich ist, zu den Unseren zurückzukehren.
Von der ramponierten Pinasse weiter unten drang ein gedämpftes Tschunk herüber, und die Einstiegsrampe glitt nach unten. Ein schrecklicher Stich des Verlusts durchfuhr Vestara, und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich vollkommen hoffnungslos. Sie hatte nicht bloß Bens Liebe verloren, sondern ebenso ihr Zuhause, ihr Volk und ihre Identität. Was auch immer die Zukunft fortan für sie bereithalten mochte, sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie es ihr möglich sein sollte, je wieder eine Sith zu sein. Sie stand auf und zog sich tiefer in den Dschungel zurück, um bloß stehen zu bleiben, wenn es schwierig wurde, die Meditationssphäre durch die dichte Vegetation auszumachen.
Ich fliege mit dir, entgegnete Vestara. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob die Unseren mich überhaupt wollen. Dafür habe ich zu viele von ihnen getötet.
Lady Khai, denkt Ihr wirklich, dass die Angehörigen des Vergessenen Stammes die einzigen Sith in der Galaxis sind?, fragte Schiff. Es gibt noch andere – die Euch brauchen.
»Andere Sith?« Schlagartig war Vestara ein wenig optimistischer zumute. »Sith, die mich willkommen heißen würden?«
Sith, die Euch brauchen, wiederholte Schiff. Ihr habt Zeit mit den Skywalkers verbracht – viel Zeit. Ihr solltet Euch vor Augen führen, von welch ungeheurem Wert das ist.
Vestaras Optimismus wurde zu Zuversicht – ja, sogar zu Stolz. Sie hatte etwas vollbracht, das kein anderer Sith in der Galaxis geschafft hätte. Sie hatte fast ein Jahr lang mit Luke und Ben Skywalker zusammengelebt und – bis jetzt – überlebt, um daraus ihren Nutzen zu ziehen.
Dann solltest du dich besser beeilen, erklärte sie Schiff. Die Rampe der Pinasse schlug wieder auf die Pflastersteine des Hofs, und sie fügte hinzu: Ben und Jaina kommen jetzt, um mich zu holen.
Ich bin in zwei Minuten und zehn Sekunden bei Euch, sagte Schiff. Gewiss ist eine Sith-Lady imstande, sie so lange hinzuhalten.
Eine Sith-Lady? Vestara war mehr verwirrt als aufgeregt, da sie noch nie etwas von einer Sith-Lady unter zwanzig gehört hatte – ja, nicht einmal von einer unter dreißig. Ich bin gewiss keine Lady. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon dazu bereit bin.
Wenn ich sage, dass Ihr eine Sith-Lady seid, dann seid Ihr das, Lady Khai, entgegnete Schiff. Und ich sage Euch dies jetzt. Zwei Minuten.
Vestara wusste nicht recht, ob sie begeistert oder verängstigt sein sollte, da es ebenso viele Gefahren wie Privilegien mit sich brachte, eine Sith-Lady zu sein. Allerdings hatte Schiffs Erklärung keinen Raum für Zweifel gelassen. Und warum hätte dem auch so sein sollen? Immerhin hatte Vestara monatelang den berühmten Luke Skywalker hinters Licht geführt. Sie hatte einen Sith-Lord erschlagen und die entscheidende Rolle bei der Vernichtung von Abeloth höchstpersönlich gespielt. Und – was am wichtigsten war – sie hatte die Identität der Jedi-Königin entdeckt.
Vielleicht war Vestara doch dazu bereit, den Titel einer Sith-Lady zu tragen. Vielleicht hatte sie sich dieses Recht sogar verdient.
Ben und Jaina tauchten am oberen Ende der Einstiegrampe der Pinasse auf und runzelten misstrauisch die Stirn, als sie den Hof nach Vestara absuchten. Ben trug noch immer seine blutdurchtränkte Robe, und Jaina hatte ihren Kampfanzug an. Keiner von ihnen schien eine Waffe in Händen zu halten – zumindest keine, die Vestara durch die Vegetation hindurch ausmachen konnte.
»Vestara? Wo bist du?«, rief Ben. Sie fühlte, wie er in der Macht nach ihr suchte, ehe er fast augenblicklich in ihre Richtung sah. »Komm raus!«
Als ihr klar wurde, dass ihre beste Chance darauf, sich zwei Minuten gegen Ben und Jaina zu behaupten, darin bestand, mit ihnen zu reden, anstatt gegen sie zu kämpfen, verbarg Vestara ihre Waffen unter dem Gewand. Dann stand sie auf und trat näher an den Abhang heran, der in den Hof hinabführte. »Hier oben!«, rief sie. »Tut mir leid!«
Die Blicke beider Jedi wanderten zu dem Vorsprung empor, auf dem sie stand. Sie stiegen rasch die Rampe in den Hof hinab und gingen auseinander.
Ben musterte sie einen Moment lang und fragte dann: »Was treibst du da oben, Ves?«
Seine Stimme klang so beiläufig, dass Vestara den Schluss, zu dem sie zuvor gelangt war, beinahe anzweifelte. Allerdings entfernte Jaina sich weiterhin in einem Bogen von der Pinasse, in dem Versuch, sich für einen Flankenangriff in Stellung zu bringen, und jetzt konnte Vestara erkennen, dass Bens linke Hand leicht gekrümmt war, als habe er etwas im Ärmel, das in seine Finger fallen würde, sobald er das Handgelenk streckte.
Vestara zuckte die Schultern. »Mich verstecken, offenkundig.« Ihr Blick glitt zu Jaina, die rasch stehen blieb und eine Hand in ihre Hüfte stemmte. »Falls Schiff tatsächlich hier in der Nähe ist, will ich nicht, dass er mich sieht.«
»Oh ja, gute Idee«, sagte Ben. »Aber wir können jetzt verschwinden. Komm runter.«
Vestara blieb, wo sie war, ohne ihren Blick von Jaina abzuwenden. »Hast du bei Ben bereits einen Schädelscan durchgeführt?«
Jaina nickte. »Ihm geht’s gut.« Sie verharrte, wo sie war, und jetzt ging Ben in die entgegengesetzte Richtung, um Vestara zu umkreisen. »Allerdings kann man das von Großmeister Skywalker nicht unbedingt behaupten. Wir müssen hier weg.«
»Du hast bereits einen Schädelscan und die Reparaturen durchgeführt?«, fragte Vestara bemüht, bewundernd zu klingen. »Du bist ja wirklich flott.«
Jaina kniff die Augen zusammen, ehe sie sich weiter Vestaras Flanke näherte. »Der Medidroide hat den Scan gemacht. Kommst du jetzt da runter oder nicht?«
»Sicher.« Vestara warf verstohlen einen Blick zum Himmel empor und sah einen dunklen Kreis von der Größe einer Faust, der sich über den Kamm hinweg näherte, der jenseits der anderen Seite des Innenhofs aufragte, ehe sie Ben mitten in der Bewegung erstarren ließ, indem sie ihm wieder ihren Blick zuwandte. »Sobald Ben mir gezeigt hat, was er da im Ärmel versteckt.«
Ben zog überrascht eine Augenbraue hoch. »Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest, Ves.« Er streckte sein Handgelenk, und aus dem Ärmel glitt eine Spritze in seine Hand. »Das ist bloß ein Beruhigungsmittel.«
»Und wozu sollte ich ein Beruhigungsmittel brauchen?« Vestara tat einen, wie sie hoffte, sehr natürlich wirkenden Schritt zurück in Richtung Dschungel, ehe sie sich der Macht öffnete und kampfbereit machte. »Mache ich vielleicht einen aufgeregten Eindruck auf euch?«
»Ich fürchte, das ist meine Schuld«, sagte Jaina, ohne stehen zu bleiben. Sie war jetzt fast beim Bogengang angelangt, in Position, um mit einem einzigen Machtsprung zum Angriff überzugehen. »Da sich Luke in so schlechter Verfassung befindet, bin ich nicht in der Stimmung, Risiken einzugehen – und, nun ja, es ist schließlich auch noch nicht sonderlich lange her, seit du eine Sith warst.«
»Bloß, bis wir aus dem Schlund raus sind, Ves.« Ben fing wieder an, in der entgegengesetzten Richtung um sie herumzugehen. »Das hat nichts zu bedeuten. Vertrau mir.«
»Ach, Ben.« Vestara spürte einen reißenden Schmerz in ihrem Innern, als wäre ihr das Herz im wahrsten Sinne des Wortes aus der Brust gerissen worden. »Warum musstet du das jetzt sagen?« Sie riss die Hand hoch und verpasste ihm einen Machtblitz, der ihn mit in Flammen stehender Robe nach hinten taumeln ließ. Doch da stürzte sich Jaina natürlich bereits längst mit einem Machtsprung auf sie. Vestara wirbelte herum und nahm mit ihrem nächsten Machtblitz die unmittelbarste Bedrohung ins Visier.
Jaina fing den Blitz mit ihrem Lichtschwert ab und landete oben auf dem Vorsprung, bloß wenige Meter entfernt.
Springt! Das feurige Knistern eines rasch näher kommenden Vehikels hallte vom Dschungelkamm wider und wurde rasch lauter, als Schiff im Sinkflug auf den Hof zusteuerte. Springt hoch!
Vestara nutzte die Macht, um sich in einem hohen, Rad schlagenden Bogen über den Hof hinwegzukatapultieren. Jaina wirbelte herum, um ihre Verfolgung aufzunehmen, doch da zuckte bereits eine feuerrote Lichtspur unter Vestara hindurch – eins von Schiffs Steinprojektilen, das sich so schnell bewegte, dass es tatsächlich die Luft in Brand steckte.
Das Geschoss schlug mit einem ohrenbetäubenden Krachen in den Vorsprung, und Schiff sauste herbei, um Vestara aus der Luft zu fischen. Sie krachte so hart gegen die Rückwand der Passagierkabine, dass ihr die Luft aus der Lunge getrieben wurde, ehe die rasante Beschleunigung sie an Ort und Stelle festnagelte.
Ich entschuldige mich für den Aufprall, sagte Schiff. Ich habe so weit abgebremst, wie es mir möglich war, ohne Euch zu verfehlen.
»Das hast du … gut gemacht«, keuchte Vestara, bemüht, wieder zu Atem zu kommen. »Allerdings könntest du jetzt ruhig ein bisschen langsamer machen.«
Wie Ihr befehlt, Lady Khai. Schiff reduzierte seine Geschwindigkeit so weit, dass Vestara ihre Beine auf den weichen Boden der Passagierkabine schwingen konnte. Ich vertraue darauf, dass Ihr nicht verletzt seid.
»Ähm … nein.« Vestara ging zur Seite der Kabine hinüber. Sogleich bildete sich vor ihr ein transparenter Bereich, durch den sie auf den Hof hinabblickte, in dem sie und Ben Abeloth vernichtet hatten, ein daumengroßes Oval aus grauem Stein, das rasch in der smaragdgrünen Weite des Dschungels ringsum dahinschmolz. Zu ihrer Bestürzung fühlte sie, wie ihr eine Träne über die Wange lief. Sie wischte sie unverzüglich fort. »Jedenfalls nicht äußerlich.«
Schiffs Verwirrung wogte durch die Macht. Dann habt Ihr innere Verletzungen?
»Nein, nichts dergleichen«, entgegnete Vestara. »Es ist nichts Körperliches.«
Ah … Ihr leidet wegen des jungen Skywalker.
Vestara verfolgte, wie das graue Oval zu einem grauen Punkt verkam und schließlich unter der undurchdringlichen Wolkendecke verschwand, ehe sie sich umdrehte und nickte. »Ja, das stimmt«, sagte sie. »Ich habe ihn geliebt.«
Dann werdet Ihr darüber hinwegkommen, versicherte Schiff ihr. Und sogar daran wachsen.
»Warum bist du dir da so sicher?«, fragte Vestara.
Weil Liebe Schmerz bedeutet, Lady Khai, gab Schiff zurück. Und Schmerz macht Sith stark.