6. Kapitel
Wynn Dorvan ließ seinen Blick über den Gemeinschaftsplatz schweifen und entdeckte dabei nur wenige Anzeichen dafür, dass auf Coruscant Krieg herrschte. Noch immer spazierten Passanten durch den Wandelgarten, um den süßen Duft von Lycandis- und Blarbaumblüten zu inhalieren. Noch immer verweilten Touristen an ihren Tischen auf dem Wenbas-Hof, um ein gemütliches Mittagessen im Schatten des Jedi-Tempels zu genießen. Noch immer schwebten Kinder über dem Mungo-Park in der Luft, lachend und kreischend, während sie über dem riesigen Negrav-Trampolin Saltos schlugen. Wohin er auch schaute, hatten die Leute ihren Spaß, in seliger Unwissenheit über Hunderte kleiner Schlachten, die im Verborgenen in jedem Winkel des Planeten tobten.
Und Wynn beabsichtigte, es dabei zu belassen – vorausgesetzt natürlich, er konnte seine Geliebte Königin der Sterne dazu überreden, dass es ihr keineswegs die Gunst ihrer Untertanen einbringen würde, wenn sie zuließ, dass auf der Hauptstadtwelt ein offener Krieg ausbrach.
Ohne sich vom Fenster abzuwenden, sagte die Geliebte Königin: »Diese ganzen Jedi auf meinem Planeten gefallen mir nicht.«
Für alle anderen war sie Roki Kem, eine elegante, in ein formelles weißes Gewand gekleidete Jessar-Frau. Wynn jedoch sah sie in ihrer wahren Gestalt vor sich. Für ihn war sie Abeloth, ein tentakelarmiges Ungetüm mit Augen wie winzige Sterne und einem Maul, das so breit war, dass es einen Menschenkopf zu verschlingen vermochte.
Die Geliebte Königin kehrte dem Fenster den Rücken, um eine groß gewachsene Keshiri mit dunkellila Haut anzusehen, die fast so blau war wie die von Roki Kem. »Wie viele dieser Geschöpfe haben uns infiziert, Lady Korelei?«
In Koreleis langen, ovalen Augen zeigte sich ein Anflug von Furcht. »Das ist schwierig zu sagen, Geliebte Königin«, antwortete sie. »Die Jedi greifen uns überall an, und dennoch ist es uns bislang nicht gelungen, sie irgendwo aufzuspüren.«
»Weil Ihr auf ihrer Welt seid, Lady Korelei.« Wynn zwang sich, beim Sprechen dem Blick der Frau zu begegnen, die ihn gefoltert hatte, doch es gelang ihm nicht ganz, ein Schaudern zu unterdrücken, als er sich umdrehte, um das Wort an die Geliebte Königin selbst zu richten. »Es können höchstens ein paar hundert Krieger sein. Der gesamte Jedi-Orden umfasst kaum mehr als tausend Mann, und das einschließlich der Schüler, die sie unter der Nase des Vergessenen Stammes von Ossus fortgebracht haben.«
Die Tentakelarme der Geliebten Königin erbebten ob ihres Unmuts. »Und dennoch haben sie wie viele Sith erschlagen, Lady Korelei?«
»Nicht ganz eintausend, Geliebte Königin.« Während Korelei sprach, blieb ihr Blick auf Wynn gerichtet. »Die genaue Zahl ist noch ungewiss.«
»Aber genug, um sagen zu können, dass man praktisch von eintausend sprechen kann?«, forschte die Geliebte Königin. Als Korelei nickte, fuhr sie fort: »Dennoch bleiben damit immer noch fünftausend Sith. Ich würde doch annehmen, dass das ausreichen sollte, um das Problem bis morgen bei Tagesanbruch aus der Welt zu schaffen?«
Natürlich waren die Worte der Geliebten Königin weniger eine Frage als ein Befehl. Das hielt Korelei allerdings nicht davon ab, beschämt das Kinn zu senken. »Das wird mir nicht möglich sein, Geliebte Königin.«
»Wird es nicht?« Ihre Stimme wurde so scharf wie ein Sith-Shikkar. »Ich fürchte, ich kann den Grund dafür nicht ganz nachvollziehen.«
»Die Jedi haben detaillierte Informationen über uns.« Korelei hob wieder den Kopf. »Sie kennen unsere Geheimidentitäten, und wir wissen nicht das Geringste über sie. Damit haben sie den Vorteil des Überraschungsmoments permanent auf ihrer Seite.«
»Und ihr habt nichts unternommen, um diesen Vorteil zunichtezumachen?«, fragte die Geliebte Königin. »Gewiss wurde doch wenigstens einer von ihnen gefasst?«
Außerstande, sich zu einer Antwort darauf durchzuringen, wandte Korelei bloß den Blick ab.
»Ich verstehe.« Die Geliebte Königin starrte die Sith gerade lange genug an, dass die Frau erbleichte, und fragte dann: »Und was werdet ihr tun, um das zu ändern?«
Korelei richtete ihren Blick auf Wynn. »Es gibt noch vieles, das Euer Ratgeber uns nicht gesagt hat.«
»Wie kann das sein? Ihr hattet über einen Monat mit ihm.« Die Geliebte Königin wandte sich an Wynn und musterte ihn viele Sekunden lang, bis er bloß noch die silbernen Nadelstiche ihres Blickes sehen konnte. Kalte Tentakel der Furcht schlängelten sich in ihm empor, und noch immer sah sie ihm tief in die Augen. Schließlich sagte sie: »Ja, er hat uns vieles vorenthalten. Aber wenn es nicht gelungen ist, ihn dazu zu bringen, es zu erzählen, werden wir es auch heute Nacht nicht von ihm erfahren – und morgen wird es zu spät sein.«
Koreleis schmales Gesicht wurde hager vor Angst. »Dann bleibt uns bloß eine Möglichkeit, Geliebte Königin«, sagte sie. »Wir müssen uns dem Volk von Coruscant zu erkennen geben. Wir müssen ihnen sagen, dass sie jetzt unter der Herrschaft der Sith stehen.«
Wynns Brust zog sich zusammen. »Warum solltet ihr das tun?«, fragte er. »Damit die gesamte Bevölkerung von Coruscant gegen euch aufbegehrt?«
»Das Volk von Coruscant wird gegen gar nichts aufbegehren«, gab Korelei scharf zurück. »Die Leute werden leiden und gehorchen – und wir werden die Jedi als jene erkennen, die nicht unter unserer Peitsche erzittern.«
Wynns Pulsschlag pochte so hart, dass es sich anfühlte, als würden ihm die Schläfen platzen. Der Plan der Sith war von einer grausamen Einfachheit – und es bestand die Möglichkeit, dass er sogar funktionierte. Wenn die Invasoren anfingen, sich nur brutal genug zu betragen, würden die Jedi gezwungen sein, ihre Tarnung aufzugeben – um aufs Schlachtfeld hinauszutreten und in aller Öffentlichkeit zu kämpfen, ganz gleich, wie schlecht ihre Chancen stünden.
Die Geliebte Königin lächelte, ihr grausiger Mund streckte sich weit in die Breite. »Das wird zwar keine zeitnahen Resultate bringen«, sagte sie. »Aber es wird Resultate bringen.«
Die Begeisterung in ihrer Stimme verriet Wynn, dass Koreleis Plan aus mehr als dem offensichtlichen Grund das Wohlwollen der Geliebten Königin fand. Allein am vergangenen Tag hatte er sie mehrfach in die Unterstadt begleitet, und man brauchte kein Jedi zu sein, um zu erkennen, wie sie sich an der Furcht und dem Leid dort unten labte. Die Unbill anderer schien geradezu in sie hineinzuströmen, machte sie stärker und gesünder – und je mehr sie davon in sich einsog, nach desto mehr schien es sie danach zu gelüsten. Koreleis Plan würde ihr einen endlosen Vorrat an Furcht und Schmerz verschaffen, und der ganze Planet würde zu ihrer Futterstelle werden – und das konnte Wynn Dorvan nicht zulassen. Nachdem er tief durchgeatmet hatte, fragte er: »Geliebte Königin, wollt Ihr das wirklich? Die Schlacht gewinnen … und den Krieg verlieren?«
Die Augen der Geliebten Königin blitzten weiß auf. »Warum sollten wir den Krieg verlieren? Das Volk wird den Sith gehorchen.« Sie wandte sich an Korelei. »Ist dem nicht so?«
Korelei senkte ihr Kinn. »Wir werden dafür sorgen.«
Wynn schüttelte den Kopf. »Die Leute werden kämpfen«, sagte er. »Und sie werden erst damit aufhören, wenn der Tod sie dazu zwingt.«
»Dann werden wir sie dazu zwingen«, entgegnete Korelei. »Wenn wir genügend von ihnen umgebracht haben, wird ihr Kampfeswille schon erlahmen.«
Wynn war nicht überrascht, die Geliebte Königin vor Missfallen düster dreinschauen zu sehen. Sie war ein Geschöpf, das sich von Furcht und Qual nährte, nicht von Tod, und alles, was die Bevölkerung von Coruscant dezimierte, dezimierte sie genauso. Er trat ans Fenster und ließ seinen Blick über den geschäftigen Platz schweifen, während er versuchte, sich eine Möglichkeit einfallen zu lassen, um ihren dunklen Hunger zu benutzen, um zu verhindern, dass all diese Unschuldigen in den geheimen Krieg zwischen den Jedi und den Sith hineingezogen wurden – oder zumindest, um dafür zu sorgen, dass sie noch eine Weile länger nichts davon mitbekamen.
»Diese Leute sind Coruscanti«, sagte Wynn, während er mit einem Finger gegen den Transparistahl tippte. »Sie sind daran gewöhnt, die Herren der Galaxis zu sein, nicht ihre Sklaven – und wenn Korelei das in Bezug auf Eure Untertanen nicht versteht, versteht sie nicht das Geringste.«
Koreleis Miene verfinsterte sich nicht, noch zischte sie einen Fluch oder machte ihre Absicht deutlich, ihn anzugreifen, indem sie auf Wynn zutrat. Stattdessen glitt einfach ihr Shikkar aus seiner Scheide und segelte einem gläsernen Schimmer gleich auf seinen Bauch zu, so schnell, dass ihm kaum genügend Zeit blieb, dass ihm das Blut in den Adern erstarrte.
Gleichwohl, einer der Tentakel der Geliebten Königin wand sich bereits vor ihm in der Luft, und im nächsten Moment schrie Wynn nicht vor Qual auf oder rang nach Luft, sondern stand noch immer auf seinen eigenen zwei Beinen, ohne dass er blutete oder auch nur übermäßig zitterte.
Er zwang sich, Koreleis hasserfülltem Blick zu begegnen. »Ihr solltet Euer Repertoire um einige neue Problemlösungsstrategien erweitern, Lady Korelei«, sagte er. »Die Gegenseite zum Schweigen zu bringen, ist nicht immer die beste Lösung.«
Koreleis Antlitz wurde ungestüm, und sie schickte sich an, eine Hand zu heben, um Wynn eine Art von Machtstoß zu versetzen.
»Noch nicht«, meinte die Geliebte Königin, die Koreleis Angriff mit einem einzigen Blick einen Riegel vorschob. »Falls Staatschef Dorvan eine bessere Idee hat, würde ich sie gern hören.«
»Die habe ich in der Tat«, sagte Wynn und zwang sich wieder zu atmen. Er und die Bwua’tus hatten viele Male darüber diskutiert, wie man Coruscant vor den Sith retten konnte, ohne die Welt zu zerstören, und letzten Endes lief es stets darauf hinaus, die Schlacht einzudämmen, den Kampf irgendwo auszutragen, von wo es keine Rückzugsmöglichkeit gab … für keine Seite. »Wenn Ihr möchtet, dass das Volk weiterhin fügsam bleibt, Geliebte Königin, müsst Ihr die Jedi ohne viel Aufhebens bezwingen. Die Leute dürfen niemals erfahren, was Ihr getan habt.«
»Das ist unmöglich«, protestierte Korelei. »Der einzige Weg, die Jedi zu töten, besteht darin, sie aufzuspüren, und der einzige Weg, sie aufzuspüren, ist, sie aus der Reserve und ins Freie hinauszulocken.«
»Verzeiht mir, aber Ihr irrt Euch.« Wynn blickte auf den Shikkar hinab, der noch immer in dem Tentakel vor ihm hing, ehe er sich an die Geliebte Königin wandte und sagte: »Es gibt bloß eine Möglichkeit, um die Jedi zu finden, und die ist, sie zu uns kommen zu lassen.«
»Zu uns?«, wiederholte die Geliebte Königin. »In meinen Tempel?«
»Ganz genau«, sagte Wynn. Er wartete ein Dutzend Herzschläge lang, während der Shikkar weiter vor ihm schwebte – bevor er schließlich ein erleichtertes Seufzen ausstieß, als sich der Tentakel zurückzog und Korelei die Waffe zurückgab. »Die Sith müssen sich im Tempel verschanzen – und die Jedi dazu zwingen, ihn zu betreten, um sie innerhalb seiner Mauern zu stellen.«