27. Kapitel
Ben erwachte. Er fühlte die vertraute Geschmeidigkeit von Schiffs Form annehmendem Gelkissenboden unter seinem schmerzenden Körper, und die Nachwirkungen des Betäubungsgases ließen seine Schläfen hämmern … desselben Gases, das jedes Mal von Neuem die Passagierkabine erfüllte, wenn er sich zu befreien versuchte.
So, wie er es gelernt hatte, blieb er reglos liegen, wartete darauf, dass sich der Nebel klärte, und versuchte, sich einen Überblick über seine Lage zu verschaffen. Seine Hände waren nach wie vor hinter dem Rücken, von demselben paar Elektroschellen gesichert, die er zu öffnen versucht hatte, als das Gas das letzte Mal aus den Belüftungsschlitzen zischte. Dem dumpfen Schmerz in den Schultern nach zu urteilen, waren seine Arme schon seit einer ganzen Weile bewegungslos hinter dem Rücken verschränkt, und seine Zunge fühlte sich geschwollen an, so durstig war er. Offensichtlich war er dieses Mal länger bewusstlos gewesen, als bei einem normalen Schlafzyklus – mindestens vierundzwanzig Stunden lang, vielleicht sogar achtundvierzig.
Durch den Boden vibrierte das gedämpfte Grollen einer Schlacht herauf, die unter Schiff tobte, und gelegentlich erzitterte die gesamte Außenhülle von der Wucht einer Explosion, die entweder sehr nah oder sehr stark war. Wenn Ben aufmerksam lauschte, konnte er sogar das ferne Kreischen von Blastern vernehmen – auch wenn das Geräusch so leise war, dass es sich dabei möglicherweise um bloßes Wunschdenken handelte.
Lass mich das Gas nicht noch einmal einsetzen. Die Worte ertönten in Bens Kopf, so düster und voller Drohung wie immer. Du musst sehen, was gleich geschieht.
»Ich brauche Wasser«, krächzte Ben. »Wie lange war ich diesmal weg?«
Lange genug. Schiff gab seinen Gefangenen gegenüber niemals Informationen preis, aber Ben versuchte es trotzdem weiter. Manchmal verriet ihm das, was Schiff zu verbergen versuchte, mehr, als es eine direkte Antwort getan hätte. Setz dich auf.
Ben hob die Beine und schob sich an der Wand nach oben. Aus der Decke des Passagierabteils senkte sich ein Schlauch herab, der vor seinem Gesicht verharrte. Er beugte sich vor und begann zu trinken. Das Wasser war so warm und abgestanden, dass es selbst für jemanden, der so durstig war wie er, widerlich schmeckte, aber er zwang sich dennoch, weiter zu trinken. Schiff konnte ihn nach Belieben vergiften, indem es die Kabine mit giftigem Gas flutete, daher war der schlechte Geschmack vermutlich nichts weiter als eine kleine Grausamkeit. Und wenn Ben wieder zu Kräften kommen und fliehen wollte, musste er trinken.
Der Gedanke war Ben kaum durch den Kopf gegangen, als sich der Schlauch auch schon wieder in die Decke zurückzog. Hast du immer noch nicht begriffen, dass es kein Entkommen gibt?, fragte Schiff. Nicht vor Abeloth.
Ein Bereich der Hülle wurde transparent, und Ben sah, dass sich Schiff im offiziellen Empfangsbereich unweit der Gipfelplattform befand. Dazu entworfen, Eindruck zu schinden, handelte es sich bei dem Areal um eine gewaltige, gähnende Kammer mit alabasterweißen Wänden und einem weißen Larmalsteinboden. Von hier aus hatte man einen beeindruckenden Blick über den Gemeinschaftsplatz. Einst hatte der Jedi-Rat hier die angesehensten Besucher des Tempels empfangen. Im Moment jedoch war alles voller Explosionstrümmer, grauem Rauch und einer kleinen Gruppe erschöpft wirkender Sith.
Abeloth war ebenfalls zugegen. Sie stand in den Überresten des einstmals punktvollen Eingangs zur Halle, das Gesicht dem Landedeck zugewandt, zwischen zwei Laserkanonenstellungen. An den Enden ihrer erhobenen Arme schlängelten sich ihre Tentakel in der Luft – als würde sie mit ihnen den Qualm aufwirbeln, der über den Gemeinschaftsplatz wogte. Und obwohl sie ihm den Rücken zugewandt hatte, wusste Ben, dass sie zum fernen Zylinder des Galaktischen Justizzentrums hinüberschaute. Selbst, als drei Blitzjäger auf die Plattform zuschossen und ihre Bugkanonen aufblitzten, als sie das Deck beharkten, wandte sie ihren Blick nicht von dem Gebäude ab.
Sofort erwiderten die Kanonengeschütze das Feuer. Der Blitzjäger, der die Führung übernommen hatte, büßte eine Triebwerkslafette ein und verschwand trudelnd hinter der Balustrade. Zwei Sekunden später spürte Ben den plötzlichen Ruck, mit dem der Macht ein halbes Dutzend Leben entrissen wurden, und eine wogende Rauchwolke und Flammen schossen in die Höhe.
Mittlerweile sausten die beiden verbliebenen Blitzjäger sieben Meter über dem Boden über die Balustrade hinweg und bremsten stark ab. Ihre Bäuche zogen Rauchfahnen hinter sich her, während sie die Laserkanonen der Sith mit Raketen beschossen. Beide Geschütze vergingen in orangeroten Feuerbällen, und einen Moment lang dachte Ben, dass die Jäger stoppen würden, um Weltraum-Marines auszuspucken. Doch so viel Glück hatte er nicht.
Die Blitzjäger bremsten wie erwartet ab, und beide Bugschützen konzentrierten ihr Blasterfeuer direkt auf Abeloth. Sie ignorierte die Attacke, bis ein Schuss, der ihr eigentlich die rechte Schulter hätte wegfetzen müssen, sie lediglich herumwarf, sie dazu brachte, ihren Blick vom Galaktischen Justizzentrum abzuwenden – und den Schuss zu ihren Angreifern zurückzuschicken.
Abeloth hob ihren linken Arm so schnell, dass Ben nicht einmal sah, wie er sich bewegte, und der Beschuss der Blasterkanonen zischte als Querschläger zu den Angreifern zurück. Noch immer sieben Meter über dem Deck schwebend, schwangen die beiden Blitzjäger seitlich herum und winkelten ihre Flanken so an, dass die Läufe der schweren Laserkanonen in ihren oberen Geschützen weit genug nach unten zielten, um das Feuer zu eröffnen. Ben wusste, dass gleichzeitig die Schiebetüren auf der anderen Seite beider Schiffe aufglitten, um Weltraum-Marines abzusetzen.
Abeloth vollführte bloß eine ruckartige Geste mit ihrem Handgelenk. Der hintere Blitzjäger trudelte in den Abgasstrahl des vorderen Schiffs, und die Fahne aus überhitzten Ionen schmolz sich durch die Bugpanzerung. Die Macht erbebte von plötzlichem Entsetzen, ehe beide Schiffe in einer Wolke explodierender Geschütze verschwanden.
Einen Moment lang glaubte Ben, dass das das Ende der Marineinfanterie sei, aber so viel Glück hatten sie nicht. Brennende Leiber stürzten aus den Feuerbällen. Sie schlugen mit ihren Gliedern wild um sich und kreischten vor Schmerz, als sie in ihren Rüstungen gekocht wurden. Da ihre Schubrucksäcke bei der Detonation entweder beschädigt worden waren oder weiß lodernde Flammen über ihren Rücken bliesen, hatten sie keine Möglichkeit, ihren Sturz abzubremsen. Einige wenige Glückliche brachen sich den Hals und fanden einen schnellen Tod. Alle anderen brachen sich Arme, Beine oder Rückgrat, womit auch immer sie als Erstes aufschlugen, ehe sie sich in den Flammen wanden, während die Trümmer ihrer Blitzjäger auf sie herabregneten. Ihr Schmerz in der Macht war rein und lodernd, eine alles versengende Woge, die Ben mit der Wucht einer Explosionsdruckwelle traf.
Abeloth blieb innerhalb des ruinierten Eingangs stehen, einige Tentakel vor sich ausgefächert, während sie die Macht nutzte, um sich vor den Flammen und den Trümmerteilen abzuschirmen, die von der Plattform hinter ihr herüberwirbelten. Der Arm unterhalb ihrer verletzten Schulter hing schlaff an der Seite, doch die Tentakel an seinem Ende entrollten sich langsam, um einen plumpen Kegel zu formen, und begannen zu zucken – und der Schmerz der sterbenden Marines schwand aus der Macht.
Ben wusste, dass Abeloth sich an der dunklen Energie ihrer Furcht labte. Das hatte er bereits auf Pydyr mitangesehen, als die gesamte Bevölkerung des Mondes überzeugt davon war, an einer vermeintlichen Seuche zu sterben. Und jetzt tat sie dasselbe auf Coruscant, wo die Besorgnis der Bevölkerung mit jeder Stunde zunahm, während die Schlacht zusehends erbitterter tobte. Angesichts der Billionen von Einwohnern, die Coruscant besaß, würde Abeloths Ernte grenzenlos sein. Ben konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob dies von Anfang an ihr Plan gewesen war – die Jedi und die Sith gegeneinander aufs Feld zu führen und sich an den Konsequenzen ihres epischen Konflikts zu mästen.
Ihr Jedi denkt in so kleinem Maßstab, sagte Schiff und riss ihn damit aus seinen Grübeleien. Abeloth will so viel mehr, Ben … besonders für dich.
»Ach ja? Nun, das kann sie vergessen«, meinte Ben, der nicht vergessen hatte, wie Abeloth von zwei der alten Freundinnen seines Vaters Besitz ergriffen hatte. »Ich würde lieber sterben, als zuzulassen, dass sie mich dazu benutzt, um nah an meinen Vater heranzukommen.«
Wer hat gesagt, dass das ihr Plan ist?, entgegnete Schiff. Oder dass du eine Wahl hast?
»Ich bin ein Mensch, kein verworrener Haufen von Bioschaltkreisen wie du«, konterte Ben. »Ich habe immer eine Wahl.«
Schiff zog sich in einen Strudel düsteren Spotts zurück und überließ es Ben, sich allein mit seiner wachsenden Verzweiflung auseinanderzusetzen. Ungeachtet seiner tapferen Worte machte er sich keine Illusionen darüber, wie seine Chancen standen, sich Abeloth in seinem gegenwärtigen Zustand zu widersetzen. Jedes Mal, wenn er auch nur an Flucht dachte, vernahm er ein Zischen in der Ventilationszuleitung, um dann später ohne die leiseste Ahnung wieder zu sich zu kommen, wie lange er bewusstlos gewesen war. Wenn sie den Körper mit ihm tauschen oder seinen stehlen wollte, oder was immer sie auch tat, wenn sie von jemandem Besitz ergriff, er konnte praktisch nichts tun, um sie daran zu hindern.
Und das war der Furcht einflößendste Aspekt seiner Gefangenschaft. Abeloth hatte ihm nichts angetan, ja, hatte kaum ein Wort mit ihm gewechselt. Tatsächlich schien sie ihn die meiste Zeit überhaupt nicht wahrzunehmen. Und doch konnte er ihre Präsenz zu jeder Zeit spüren, eine kalte Ranke der Furcht, die tief in seinem Innern Wurzeln geschlagen hatte, um ihn auf eine Art und Weise an sie zu binden, wie Ketten es nie vermocht hätten. Abeloth wollte Ben für sich. Das wollte sie schon immer. Zum ersten Mal hatte er ihre Berührung als zwei Jahre altes Kind gespürt, als seine Eltern ihn und die anderen Jedi-Kinder während des Krieges gegen die Yuuzhan Vong in der Zuflucht versteckt hatten. Er war noch keine Stunde dort gewesen, als die Ranke ihn liebkoste, ein kaltes, qualvolles Verlangen, das ihm solche Angst eingejagt hatte, dass er sich jahrelang von der Macht abgeschottet hatte.
Jetzt hatte Abeloth ihn endgültig im Griff. Das konnte er an der Art und Weise spüren, wie sich die Ranke in seinem Innern verknäuelt hatte, sodass sich ihre kalten Fasern in seinem Herzen und seiner ganzen Brust verankert hatten. Selbst, wenn er nicht gewillt war, das einfach hinzunehmen, sah Ben doch die Hoffnungslosigkeit seiner Situation. Er gehörte Abeloth, schlicht und einfach, und das einzige Schicksal, das ihn jetzt noch erwartete, war das, was sie für ihn vorgesehen hatte. Das begriff er.
Das Einzige, das Ben nicht begriff, war das Warum. Es gab Hunderte mächtiger junger Jedi in der Galaxis, Dutzende davon gleich hier auf Coruscant. Und dennoch hatte Abeloth beträchtliche Mühen auf sich genommen, um ihn gefangen zu nehmen, um ihn in die Falle zu locken und ihn von seinen Gefährten zu trennen. Er musste irgendetwas Besonderes an sich haben – etwas, das Abeloth von Ben brauchte, das ihr kein anderer junger Jedi verschaffen konnte.
Die offensichtliche Antwort darauf war natürlich seine Abstammung. Ben war das einzige Kind von Luke Skywalker, der seinerseits wiederum der einzige Sohn des Auserwählten Anakin Skywalker war. Selbstverständlich war auch Jaina Solo ein Enkelkind des Auserwählten – doch bloß einer ihrer Elternteile hatte die Macht. Damit konnte es eigentlich nur das sein, weshalb Abeloth es auf ihn abgesehen hatte – seine Blutlinie.
Aber warum?
Ben grübelte noch immer über diese Frage nach, als zwei müde wirkende Sith in Sicht kamen, die sich aus dem hinteren Bereich der Empfangshalle näherten. Die erste war eine große, lavendelhäutige Keshiri, und obgleich ihre aufwendig gearbeitete Robe übel zerfleddert war, verriet sie dennoch ihren Stand als Sith-Lady. Vermutlich war sie einst wunderschön gewesen – noch vor einigen Tagen, um genau zu sein –, doch jetzt war ihr Antlitz so von Ausschlag bedeckt und angeschwollen, dass die Haut stellenweise sogar aufgeplatzt war. Die zweite Sith – eine junge Frau – war genauso verhärmt wie die erste. Hätte sie keinen leichten Kampfpanzer unter einem braunen Jedi-Mantel getragen, wäre es durchaus möglich gewesen, dass Ben überhaupt nicht aufgefallen wäre, dass er sich Vestara Khai gegenübersah.
Ein Teil seiner Verwirrung war dem Lichtschwert geschuldet, das an Vestaras Hüfte hing, wie auch dem Umstand, dass sie neben der Lady herzugehen schien. Vestaras Hände waren auf keine Art und Weise gefesselt, die Ben erkennen konnte, und die Hände ihrer Begleiterin befanden sich nicht sonderlich dicht bei ihren Waffen. Offensichtlich hatte die Lady nicht das Gefühl, dass sie von Vestara irgendetwas zu befürchten hatte.
In der Zeit, die die beiden Frauen brauchten, um die zehn Meter zu Abeloth hinüberzugehen, die noch immer dastand und sich an der Furcht und dem Schmerz der sterbenden Marines labte, verwandelte sich Bens Verblüffung erst in Verwirrung und dann in Wut. Er konnte kaum glauben, was sich seinen Blicken darbot – Vestara, die sich frei unter den Sith bewegte –, und ihm ging durch den Kopf, dass es sich hierbei womöglich um eine Form von Fallanassi-Illusion handelte, ähnlich der, die Abeloth auf Pydyr benutzt hatte, um ihn und Vestara zu täuschen. Vielleicht trug Vestara in Wahrheit Elektroschellen und war unbewaffnet, mit einer Sith-Lady hinter ihrem Rücken, die ihr einen Shikkar in die Nieren drückte.
Vielleicht … Doch irgendwie glaubte Ben nicht, dass dem so war. Dass sie sich in Begleitung der Keshiri-Frau befand, erklärte einfach zu viel – wie etwa den Hinterhalt in der Wasseraufbereitungsanlage und wie es den Sith möglich gewesen war, ihnen beim Angriff auf den Tempel scheinbar stets einen Schritt voraus zu sein.
Die Feuersbrunst draußen auf der Plattform wurde schwächer, als die letzten Blitzjägertrümmer auf die Weltraum-Marines herniederkrachten. Abeloth ließ den Arm sinken, mit dem sie sich abgeschirmt hatte, und drehte sich um, um Vestara und die Keshiri-Lady zu begrüßen. Wie treue Untertanen fielen beide Frauen sogleich auf ein Knie und neigten ihre Häupter.
Abeloth ballte die Tentakel am Ende ihres verletzten Arms zu einem Knäuel zusammen, das sie der Keshiri hinhielt, die das Tentakelknäuel küsste, als sei es eine Hand, und sich dann wieder erhob. Abeloth wiederholte die Geste bei Vestara, wobei sie diesmal in Bens Richtung schaute, ihren breiten Mund zu einem selbstzufriedenen Grinsen verzogen.
Und das war der Moment, als Ben sich daran erinnerte, was Vestara auf Pydyr getan hatte. Als sie erkannt hatte, dass Lord Taalon dabei war, Abeloths Einfluss zu erliegen, hatte sie ihn umgebracht. Und als ihr eigener Vater Gavar Khai – in Abeloths Diensten stehend – aufgetaucht war, hatte sie ihn gleichfalls getötet. Womöglich war Vestara tatsächlich die ganze Zeit über eine Sith-Spionin gewesen … auch wenn es Ben einmal mehr schwerfiel, das zu glauben. Eins jedoch wusste er mit Bestimmtheit: Vestara würde Abeloth niemals aus freien Stücken dienen. Das bedeutete, dass Vestara Abeloths wahre Gestalt direkt vor sich entweder nicht sehen konnte … oder dass sie lediglich mitspielte – weil sie keine andere Wahl hatte.
Abeloth blickte noch ein paar Sekunden länger in Bens Richtung, nachdem Vestara das Tentakelknäuel geküsst hatte. Schließlich bedeutete sie ihrer »Untertanin«, sich zu erheben, und führte Vestara und die Keshiri-Lady dann zu Ben hinüber. Als das Trio näher kam, schälte sich ein Abschnitt von Schiffs Außenhülle beiseite und nahm die Form einer Einstiegsrampe an. Abeloth wies die ältere Keshiri an, zurückzubleiben, ehe sie mit Vestara an Bord ging und direkt im Innern der Kabine stehen blieb.
Vestara schaffte es nicht einmal in die Kabine. Sie erstarrte auf der Schwelle, offenkundig fassungslos. »Ben?«
Ben hob das Kinn und starrte sie an, bemüht, so zu wirken, als habe er Mühe, seinen Zorn unter Kontrolle zu halten. »Tut mir leid, dass ich dich bei der Wasseraufbereitungsanlage zurückgelassen habe«, sagte er, während er an Abeloth dachte, damit es ihm gelang, echte Gehässigkeit in seine Stimme zu legen. »Aber wie es aussieht, bist du ja wunderbar allein aus der Sache rausgekommen. Das tun Sleemos immer.«
Vestara trat in die Kabine und ohrfeigte ihn mit dem Handrücken … hart. »Hüte deine Zunge, Jedi, oder sie wird an der Spitze meines Parangs baumeln!«
Hinter ihr funkelten Abeloths winzige silberne Augen vor Vergnügen, und Ben gelangte zu dem Schluss, dass er – wenn er sich in Bezug auf Vestara nicht irrte – möglicherweise doch eine Chance hatte zu überleben. Er starrte sie einen Moment lang finster an, ehe er ihr einen Machtstoß verpasste … den sie instinktiv abblockte. Vestara wippte bloß auf ihren Fersen nach hinten, ehe sie ruckartig ihr Handgelenk drehte und ihn mit solcher Wucht durch die Luft schleuderte, dass sein Kopf beinahe in die Kabinenwand krachte, als er dagegendonnerte.
»Sei vorsichtig, Kind«, sagte Abeloth, die mit sechs Stimmen auf einmal zu sprechen schien. Sie trat vor und legte ihre Tentakel über Vestaras Unterarm, was ihr einen kaum wahrnehmbaren Schauder bescherte, doch das genügte gerade, damit Ben ahnte, dass Vestara genau wusste, wer sie berührt hatte. »Tot nützt er mir nichts.«
Vestara starrte Ben mit scheinbar echtem Hass in den Augen an. »Wie Ihr befehlt, meine Geliebte Königin.«
»Gut.« Abeloth zog sich zur Tür zurück. »Schiff hat mir gesagt, dass der Junge schon wieder an Flucht gedacht hat. Du wirst ihn ab sofort bewachen.«
»Und wenn er zu entkommen versucht?«
»Dann wirst du ihn daran hindern«, gab Abeloth zurück. Sie blieb am oberen Ende der Einstiegsrampe stehen. »Vielleicht ist er geneigter zu bleiben, wenn du ihm erzählst, was du in dem Fluchttunnel getan hast.«
Vestaras Augen wurden groß, und Ben registrierte ein Aufwallen von Sorge in der Macht. Aber bevor Vestara darauf etwas entgegnen konnte, drehte Abeloth sich um und stieg die Rampe hinunter.
Ben wartete, bis sich Abeloth wieder dem ruinierten Eingangsbereich der Empfangshalle zugewandt hatte, ehe er aufschaute und Vestaras Blick suchte. Ihre Augen waren jetzt sanfter als zuvor, doch sie widerstand weise dem Verlangen, ihn zu trösten oder aufzumuntern. Sie kannte Schiffs Fähigkeiten genauso gut wie Ben. Schiff war nicht bloß imstande, sie zu beobachten, sondern konnte sogar die Gedanken an der Oberfläche ihres Bewusstseins lesen. »Also, was ist in dem Fluchttunnel geschehen?«, wollte Ben wissen.
»Ich habe einen Angriff aus dem Hinterhalt angeführt.« In ihrer Stimme lag eine harte Schärfe, die nicht zu der Entschuldigung passte, die in ihren feuchten Augen lag. »Auf den Millennium Falken.«
»Du hast was getan?« Ben brauchte die Überraschung, den Zorn und die Verwirrung in seiner Stimme nicht vorzutäuschen. Ihre Geschichte ergab keinen Sinn, doch er konnte ihrem Gesicht ansehen, dass sie stimmte, was er ebenfalls in der Macht fühlte. »Was hat der Falke da unten gemacht?«
»Bazel Warv absetzen. Er ist tot.« Vestara hielt inne, und es gelang ihr ziemlich gut, die Gefühllose zu mimen, indem sie Ben auf die Neuigkeiten warten ließ, von denen sie wusste, dass sie ihm am wichtigsten waren. »Den Solos ist es gelungen, in den Tempel zu flüchten, aber sie werden schon bald tot sein … falls sie das nicht bereits sind.«
Als Ben bemerkte, dass sie nichts über Allana oder andere Opfer gesagt hatte, stieß Ben im Stillen ein erleichtertes Seufzen aus und sagte: »Du bist ein verlogenes Voorkstück. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, warum der Falke dort unten sein sollte.«
»Deine Verwirrung ist verständlich.« Vestara gelang es, so zu klingen, als würde sie das hier tatsächlich genießen – und vielleicht tat sie das in gewisser Weise auch. Immerhin war es der Schlüssel zu gutem Schauspiel, von seinen verborgenen Gefühlen zu zehren. »Ich weiß, dass der Falke eigentlich bei den Schülern von der Akademie sein sollte. Wir haben keine Ahnung, warum er das nicht war – bloß, dass unsere Signalleute irgendwelches Gerede über Eindringlinge abgefangen haben, die durch die Evakuierungsroute in den Tempel vorstoßen. Da ich die Einzige war, die wusste, wie man den Tunnel findet, habe ich den Angriff angeführt. Stell dir nur meine Überraschung vor, als sich herausstellte, dass es sich dabei um den Millennium Falken handelte.«
Vestara sagte die Wahrheit, was ihre Überraschung anbetraf – alles andere jedoch war gelogen. Das konnte Ben in ihren Augen sehen und in der Macht fühlen, und eigentlich war sie eine so gute Lügnerin, dass ihm das nicht so leicht hätte fallen sollen. Abgesehen davon konnte sie ihm nichts weiter mitteilen, und das ließ sie ihn so wissen.
Ben nickte, um zu zeigen, dass er verstand, und fragte dann: »Dann hast du mich also die ganze Zeit über zum Narren gehalten? Es war dir nie ernst damit, eine Jedi zu werden?«
»Sieht das hier vielleicht aus, als sei es mir damit ernst gewesen?« In Vestaras Stimme lag so viel Verachtung, dass sie aufrichtig klang, und in Ben begann etwas Dunkles zu brennen. »Ja, Ben, ich habe dich zum Narren gehalten. So machen Sith das nun mal.«
Ben starrte Vestara finster an, während er an all die Male dachte, die sie ihn in der Vergangenheit verraten und getäuscht hatte, und mit voller Absicht zuließ, dass das Stück dunkler, glühender Kohle in ihm zu Flammen lodernder Wut angefacht wurde. Angesichts des Umstands, dass Schiff in der Lage war, praktisch nach Belieben die Oberfläche ihres Verstandes abzutasten, war es wichtig, die Emotionen auch wirklich zu fühlen, die ihre Worte vermittelten, andernfalls würde Schiff die Diskrepanz registrieren und erkennen, auf wessen Seite Vestara tatsächlich stand.
Ben starrte sie noch immer zornig an, als ein schwaches Rumpeln durch Schiffs Landestützen vibrierte. Das Rumpeln war so tief und dumpf, dass ihm der Gedanke kam, er würde es sich bloß einbilden – bis Vestara die Stirn runzelte und auf ihre Füße hinabblickte.
»Was ist das?«, wollte sie wissen.
Ben zuckte die Schultern. »Das wollte ich dich auch gerade fragen.«
Er schaute durch das Sichtfenster, das Schiff zuvor gebildet hatte, und sah, dass Abeloth vollends auf die Gipfelplattform hinausgetreten war. Sie stand an der Balustrade, ein wenig über das Geländer gelehnt. Und wieder war ihr Blick auf das Galaktische Justizzentrum gerichtet. Ein Tentakelarm schien auf die Basis des fernen Gebäudes gerichtet zu sein, derweil der andere nach unten hing, zum Gemeinschaftsplatz weisend, pulsierend und schimmernd, als sie in der dunklen Energie der verängstigten Menge weit unten schwelgte.
»Ah … Abeloth ist wütend«, sagte Vestara, die Bens Blick folgte. Während sie die Szene studierte, wurde das Rumpeln noch tiefer und vernehmlicher, und Schiff schwankte auf seinen Landestützen. Ein oder zwei Sekunden lang sagte sie nichts, ehe die gesamte Empfangshalle erbebte und weitere Trümmerstücke vom ohnehin schon ruinierten Eingang herabstürzten. »Das Volk von Coruscant hat die Geliebte Königin enttäuscht. Jetzt werden sie dafür ihren Zorn zu spüren bekommen.«
Ben hatte ein ganz mieses Gefühl bei der Sache. »Ein Erdbeben?«
Vestara wandte sich ihm wieder zu, den Mund zu einem Lächeln verzogen, das eher verängstigt denn grausam wirkte. »Die Erdbeben sind nur der Anfang, du Narr«, sagte sie. »Der Vulkan wird die wahre Bestrafung sein.«
Ben erinnerte sich an den riesigen Vulkan auf Abeloths Heimatplaneten im Schlund und an den Magmasee auf Pydyr und erkannte rasch, dass Vestara die Wahrheit sagte. Ob die Vulkane nun irgendwie Abeloths Macht nährten oder ein bloßer Nebeneffekt ihres Wirkens waren, ließ sich unmöglich sagen, aber es schien offensichtlich, dass sie mit ihrer Gegenwart verbunden waren. Und auf Coruscant würde selbst ein kleiner Magmastrom Millionen töten. Wenn die Fundamente der Gebäude quadratkilometerweit schmolzen, würden Tausende Wolkenkratzer einstürzen, gegen Nachbargebäude krachen oder in denselben Lachen geschmolzenen Gesteins vergehen, die bereits ihre Basis verschlungen hatten. Die Dämpfe des Vulkans, siedend heiß und voller giftiger Gase, würden Hunderte Millionen umbringen – und wenn sich ein pyroklastischer Strom bildete, würden die Opferzahlen in die Milliarden gehen.
Und die ganze Zeit über würde Abeloth sich an der Furcht und dem Leid der Opfer laben. Sie würde sich zu einem Wesen entwickeln, das das Verständnis der Sterblichen schlichtweg überstieg. Wenn die Dunkle Seite erst ihrem Befehl gehorchte, konnte sie die Galaxis sprichwörtlich so umgestalten, wie es ihr beliebte.
Ben schüttelte den Kopf, nicht gänzlich imstande, die enorme Tragweite dessen zu erfassen, was sich gerade vor seinen Augen abspielte. Er wurde Zeuge der Geburt einer Gottheit – und zwar keiner gütigen. Es kam ihm vor, als sei er in einem dieser schrecklichen Alpträume gefangen, aus denen man ums Verrecken nicht aufwachte, bloß mit der Ausnahme, dass dieser Alptraum – falls es denn einer war – bereits so lange währte, dass er inzwischen zu seinem Leben geworden war.
Bens Blick glitt zu Vestara zurück, und er stellte fest, dass sie ihn musterte, ihn dabei beobachtete, wie er zu derselben Schlussfolgerung kam, zu der sie zweifellos schon Tage zuvor gelangt war, als sie beschlossen hatte, die Sith zu infiltrieren. Abeloth musste um jeden Preis aufgehalten werden, selbst wenn das bedeutete, sich selbst zu opfern – oder einander.
Nach einem Moment fragte Ben: »Wie genau hat das Volk von Coruscant Abeloth denn enttäuscht? Nichts, was sie getan haben könnten, würde diese Art von Bestrafung auch nur annähernd rechtfertigen.«
Vestaras Lächeln wurde angemessen grausam. »Wer sagt, dass die Geliebte Königin eine Rechtfertigung für irgendetwas braucht, was sie tut? Und abgesehen davon ist es das, was diese Kreetel nicht machen, das sie erzürnt.«
»Und das wäre?«
»Sie haben sie nicht verteidigt«, entgegnete Vestara. »Als die Jedi und ihre Marine-Galoomps vor drei Tagen den Palast unserer Geliebten Königin stürmten, unternahmen nur wenige tapfere Geister den Versuch, sie zu schützen. Die meisten Coruscanti hingegen gingen einfach nach Hause und verkrochen sich wie die Feiglinge, die sie sind – und deshalb werden sie leiden.«
»Unsere Streitkräfte sind in den Tempel vorgedrungen?«, keuchte Ben, der sich nicht ganz sicher war, ob er darüber erleichtert oder beunruhigt sein sollte. Wenn sie bereits seit drei Tagen drinnen waren, dann lief die Schlacht offensichtlich nicht gut für die Jedi. »Wie?«
»Sie kamen rein wie Flitnats, durch eine Ventilationsöffnung«, antwortete Vestara. »Seitdem versuchen diese Narren, den Palast von den Sith zu befreien – ohne dabei auch nur zu ahnen, womit sie es tatsächlich zu tun haben. Und wenn sie schließlich auf die Geliebte Königin treffen, werden sie sich wünschen, stattdessen durch einen Sith-Shikkar gestorben zu sein.«
Ben starrte Vestara mit einer Miene reinen Hasses an, von der er hoffte, dass sie die Dankbarkeit kaschieren würde, die er für die Informationen empfand, die sie ihm auf so subtile Weise übermittelte. Indem sie ihm die Stelle des ersten Durchbruchs verraten hatte – ein Ventilationsschacht –, hatte sie gleichzeitig durchblicken lassen, warum es so lange dauerte, den Tempel zu sichern. Die Jedi und ihre Weltraum-Marines-Verbündeten waren gezwungen, um jeden Meter zu kämpfen, und das dauerte schlichtweg seine Zeit. Noch wichtiger jedoch war, was Vestara ihm darüber erzählt hatte, dass die Angreifer nicht wussten, mit wem sie es wirklich zu tun hatten. Wenn die Jedi keine Ahnung hatten, dass sich Abeloth im Tempel aufhielt, dann würden sie auch nicht alles in ihrer Macht Stehende tun, um sie zu vernichten. Wenn das Magma schließlich zu fließen begann, würde sie das vollkommen überrumpeln – und wenn es erst einmal so weit war, spielte es keine Rolle mehr, ob sie von Abeloth wussten oder nicht. Dann wäre Abeloth längst zu stark, als dass sie sie noch bezwingen könnten.
Ben suchte Vestaras Blick, ehe er unauffällig zur noch immer abgesenkten Einstiegsrampe hinüberschaute. »Und du lässt das einfach geschehen?« Er sah wieder Vestara an. »Du lässt einfach zu, dass Abeloth das Juwel der Galaxis auslöscht?«
»Solange dadurch auch die Jedi vernichtet werden, ja.« Vestara hielt ihren Blick auf Ben gerichtet. »Warum sollte ich etwas dagegen haben?«
»Du hast recht. Ich habe keine Ahnung, warum du etwas dagegen haben solltest.« Ben schaute zur Einstiegsrampe hinüber, dann zu Vestara und dann wieder zur Rampe. »Es kommt mir bloß wie schreckliche Verschwendung vor, so viel Reichtum zu vernichten.« Er schaute zurück zu ihr und wies mit dem Kopf in Richtung der Einstiegsrampe.
Vestara hielt seinen Blick einen Moment lang, dann wurden ihre Augen sanft, und sie nickte ihm fast unmerklich zu. Sie hatte verstanden. Sie musste die Jedi finden und sie zu Abeloth führen.
»Coruscants Reichtümer bedeuten mir nichts.« Vestara griff nach unten und löste den Sicherungsclip ihres Lichtschwerthakens. »Die gehören der Geliebten Königin, und es steht ihr frei, damit zu tun, was ihr beliebt.«
»Die Geliebte Königin ist ein widerlicher Haufen Tentakel.« Während Ben sprach, rappelte er sich auf und wirbelte herum, um ihr den Rücken zuzukehren. »Ich habe schon verhungernde Hutts gesehen, die nicht so verrückt waren, wie sie es ist.«
»Du schweißleckender Skarg!« Hinter Ben ertönte ein zischendes Knistern, als Vestara ihr Lichtschwert einschaltete. »Dafür verlierst du deine Hand!«
Ben breitete die Arme so weit aus, wie er es vermochte, um seine Elektroschellen möglichst weit auseinanderzuhalten. Eine sengende Hitze wärmte die Ballen seiner beiden Handflächen, als die Klinge knisternd durch das gepanzerte Kabel schnitt, und dann waren seine Hände frei.
Aus dem Ventilationsschlitz drang ein vertrautes Zischen, als Betäubungsgas in die Kabine strömte, und Schiff sackte auf einer Seite auf seine Landestützen, als es die Einstiegsrampe hochfuhr, um sie an der Flucht zu hindern.
Ben wirbelte herum und schnappte sich die Blasterpistole aus Vestaras Halfter. »Gas!« Er stieß sie auf die Rampe zu. »Geh! Ich kümmere mich um Schiff.«
Das musste man Vestara nicht zweimal sagen. Sie nickte nur und sprang mit einem Satz zum Ausgang hinüber. Ben entsicherte den Blaster und wirbelte von ihr fort, um auf einen kleinen Kontrollknoten an Schiffs Rückwand zu zielen. Dann schrie Vestara hinter ihm überrascht auf, und das Brummen ihres Lichtschwerts verstummte.
Ben widerstand dem Verlangen, sich umzudrehen, um zu sehen, was los war. Stattdessen hob er den Blaster und zog den Abzug durch – um einen einzigen Schuss in den Boden zu feuern, als ihm die Waffe mit einem Machtruck aus der Hand gerissen wurde.
Im selben Augenblick krachte Vestara gegen seine Flanke. Sie traf ihn mit solcher Wucht, dass es sich anfühlte, als wäre sie aus einem Raketenschacht abgefeuert worden. Sie flogen zusammen durch die Kabine und donnerten gegen eine Innenwand, dann fielen sie in einem verknäuelten Haufen zu Boden.
Das Betäubungsgas sorgte bereits dafür, dass sich Bens Kopf mit Nebel füllte, und er konnte fühlen, wie sich dort, wo er und Vestara mit den Köpfen zusammengestoßen waren, eine Beule bildete. Dennoch gelang es ihm, lange genug gegen die ansteigende Woge der Dunkelheit anzukämpfen, um zum Ausgang hinüberzuschauen, wo die lavendelhäutige Sith-Lady auf der halb hochgefahrenen Rampe stand, Ben ansah und höhnisch grinste.
»Törichter Jedi!«, sagte die Keshiri. »Wenn sie uns verrät, wird sie dich ebenso verraten!«