21. Kapitel
Wenn die Killiks des Himmelspalastes tatsächlich glaubten, dass das Ende aller Tage bevorstand, hatten sie eine seltsame Art, sich darauf vorzubereiten. Als sie von Abeloths Flucht erfuhren, brach in dem nahezu inaktiven Nest mit einem Mal rege Betriebsamkeit aus. Die Krippenwabe wurde bereit gemacht, um neue Eier zu empfangen, während andere Arbeiter hinauseilten, um das Pflanzen vorzubereiten. Innerhalb weniger Tage hatten sie das Gestrüpp von ihren Feldern entfernt und sie in durch niedrige Felsmauern voneinander getrennte Parzellen unterteilt, und jetzt waren sie eifrig damit beschäftigt, ein riesiges Netzwerk von Bewässerungsgräben anzulegen, in denen sich der silberne Glanz des Sonnenlichts bereits im Wasser brach.
Selbst Raynar, der das grenzenlose Potenzial des Killik-Fleißes besser kannte, als jeder andere, fand den Prozess erstaunlich. Sie hatten über fünf Quadratkilometer für die Bepflanzung vorbereitet und waren bereits dabei, Saatfässer ins Freie hinauszuschleppen, um sie in der Sonne aufzuwärmen.
Allerdings bedeutete nichts von alldem, dass ihr Getreide auch wachsen würde. Nach dem zu urteilen, was Raynar sehen konnte, war das Land rings um den Himmelspalast eine einzige Staubschüssel. Der Boden war so trocken und pulverartig, dass schon eine sanfte Brise genügte, damit Wolken davon über die Ebene tanzten, und falls der Dreck irgendwelchen Humus enthielt, war es nicht genug, dass man das Zeug als Erde bezeichnen konnte.
Im Korridor hinter Raynar erklang ein leises Rascheln, und seine Killik-Führerin trat neben ihn ans Fenster. Sie stützte ihre oberen Hände auf den Sims und lehnte sich nach draußen, um die Felder weiter unten zu mustern, ehe sie in ein Gesprächsgrollen verfiel.
»Ohne Hilfe der Macht wächst hier nur wenig«, dröhnte sie. »Dennoch muss sich das Nest vorbereiten und sich bereithalten.«
Zu Raynars Überraschung verstand er jedes Wort.
»Weil die Macht schon bald von Neuem herkommen wird«, fuhr die Killik fort.
Raynar antwortete nicht, doch in seinem Magen hatte sich ein kalter Knoten gebildet. Vielleicht erinnerte er sich bloß an eine fremde Sprache, auf dieselbe Art und Weise, wie es jeder tat, der in eine fremdartige Kultur zurückkehrte, in der er einst gelebt hatte. Allerdings war die Killik-Sprache unglaublich subtil und komplex, mit berührungs- und betonungsabhängigen Bedeutungen und über dreißig verschiedenen Vokalen, die für das menschliche Ohr allesamt wie der Buchstabe U klangen. So inständig er also auch glauben wollte, dass die Sprache einfach so zurückkam, schien es wesentlich wahrscheinlicher, dass er Thuruht verstand, weil er zu einem Thuruht wurde – weil sein Pheromon-Gegenmittel abgeklungen war und er erneut zu einem Killik-Neunister wurde.
»Deshalb bist du hergekommen – um die Macht mit dem Nest zu teilen«, sagte Thuruht.
»Ich verstehe«, sagte Raynar, der schließlich zu begreifen begann, warum Thuruht so zurückhaltend gewesen war, das Wissen des Nests mit ihnen zu teilen. »Und deshalb habt ihr euch so viel Zeit damit gelassen, uns mehr über Abeloth zu erzählen. Ihr habt uns hingehalten, bis wir zu Neunistern werden.«
»Thuruht hält euch nicht hin!«, protestierte die Führerin. »Wie kann Thuruht den Jedi etwas zeigen, worauf die Jedi nicht vorbereitet sind?«
»Und was ist nötig, um sich darauf vorzubereiten?«, fragte Raynar, der sich ziemlich sicher war, dass er die Antwort darauf bereits kannte. »Zu Neunistern zu werden?«
Thuruht ließ ihre Fühler in einer verneinenden Geste kreisen. »Du bist jetzt bereit«, sagte sie. »Die anderen Jedi jedoch brauchen noch mehr Zeit.«
»Die Jedi können nicht so lange warten, bis wir alle bereit sind«, sagte Raynar in der Erwartung der nächsten Ausrede der Killik, ihnen das Wissen des Nests auch weiterhin vorzuenthalten. »Abeloth ist jetzt frei, und ihre Freunde sind in diesem Moment dabei, sie zu jagen.«
»Dann musst du darauf hoffen, dass deine Freunde versagen, denn sonst werden sie sterben«, sagte Thuruht. »Wenn die rechte Zeit kommt, wirst du alles verstehen.«
»Und die rechte Zeit ist, wenn ich die Macht mit dem Nest teile?«, fragte Raynar in dem Versuch, Thuruht wenigstens dazu zu bringen, ihre Bedingungen zu nennen. »Willst du das damit sagen?«
»Ohne die Macht kann das Nest nicht wachsen«, sagte Thuruht. »Und das Nest muss wachsen, wenn Thuruht bereit sein will, wenn die Einen uns rufen, um ihnen zu dienen.«
Der Handel hätte nicht eindeutiger sein können, zumindest gemessen an Killik-Standards. Thuruht würde sein Wissen über Abeloth mit ihnen teilen, wenn Raynar im Gegenzug die Macht einsetzte, um den Thuruht dabei zu helfen, ihr Nest wieder instand zu setzen. Bedauerlicherweise brachte diese Übereinkunft zwei große Probleme mit sich. Zum einen würde das die Chiss erzürnen, die den Krieg nicht vergessen hatten, den sie geführt hatten, als Raynar das letzte Mal unter Killiks gelebt hatte. Und zum anderen: Wenn er noch viel länger bei den Thuruht blieb, würden sämtliche Gegenmittel und Filter an Bord der Langen Reise nicht verhindern, dass Raynar erneut zu einem Neunister wurde – und es gab nur eine Sache in der Galaxis, die Raynar noch mehr fürchtete, als seine Identität erneut an ein Killik-Nest zu verlieren – und diese Sache war Abeloth.
Nach einem Moment nickte Raynar. »Abgemacht«, sagte er. »Wenn Thuruht alles Wissen über Abeloth jetzt mit mir und meinen Freunden teilt, verspreche ich, dass ich hierbleiben und die Macht einsetzen werde, um dem Nest beim Neuaufbau zu helfen. Einverstanden?«
Thuruht klackte zustimmend mit ihren Mandibeln. »Jetzt bist du bereit, die Historien zu sehen«, entgegnete Thuruht. »Und sobald du Abeloth verstehst, wirst du auch verstehen, wie wichtig Thuruht für die Galaxis ist. Dann wirst du Thuruht helfen wollen. Selbst die Chiss werden erkennen, dass Thuruht stark sein muss!«
Damit wandte sich Thuruht dem Innern des Plastes zu, wo Lowbacca, Tekli und C-3PO die in die Korridorwand gemeißelten Reliefs studierten. Thuruht wies auf eine Doppeltafel, die drei Wesen zeigte, die isoliert auf einem bergigen Waldplaneten lebten. Eine der Tafeln stellte eine lächelnde Frau mit bleichem Haar und ovalen Augen dar. Sie lief durch einen in voller Blüte stehenden Wald, gefolgt von Wolken voller Schmetterlinge und Schwärmen Possen treibender Killiks. Die nächste Tafel zeigte einen mächtig wirkenden Mann in einer dunklen Rüstung, der durch einen toten Wald mit kahlen Ästen und kargem Boden marschierte. Sein Gesicht war schroff, und zwei Streifen waren quer über seinen kahlen Schädel tätowiert. Die einzigen Spuren von Leben in seinem Wald waren die Kröte, die er unter seinem Stiefel zertrat, und eine Reihe von Killiks, die hinter ihm angekettet waren.
Eine dritte Tafel zeigte einen hohen Berggipfel, der über beiden Wäldern aufragte, wobei der öde Wald auf der linken Seite eines Flusses lag, der die Szene teilte, und der üppige Wald auf der rechten. Vom Balkon eines Klosters an den Klippen überblickte ein hagerer alter Mann das Panorama, der seine Arme so ausgebreitet hatte, dass eine Hand über der dunklen Seite des Waldes hing und die andere über der hellen. Auf dem Antlitz des Alten lag ein solcher Ausdruck von Überdruss und Leid, dass Raynar merkte, wie seine eigenen Schultern nach unten sackten, niedergedrückt von einer Bürde, die so geheimnisvoll wie uralt war.
Während Raynar dastand und die Tafeln betrachtete, ertönte hinter ihm ein Wookiee-Ächzen – es war Lowbacca, der sich darüber beschwerte, dass er es leid sei, seine Zeit zu vergeuden, und vorschlug, unverzüglich zur Langen Reise zurückzukehren. Der Wookiee fuhr fort: Bislang hätten sie nichts gesehen, das Abeloth oder die Himmlischen betraf, und allmählich finge er an zu glauben, dass die einzige Verbindung zwischen Thuruht und den Himmlischen der Name ihres Ameisenhügels sei.
Thuruht bat um eine Übersetzung, und C-3PO sagte: »Jedi Lowbacca fragt sich, welche Verbindung wohl zwischen diesen großartigen Bururru-Glaubenstafeln und Abeloth besteht?« Der Tonfall des Droiden wurde vertrauensvoll. »Ich bedaure, sagen zu müssen, dass er Kunst als solche einfach nicht zu schätzen weiß. Er scheint davon überzeugt zu sein, dass alles, was ihr uns zeigt, irgendeine Verbindung zu Abeloth oder den Himmlischen haben sollte.«
Thuruht wandte sich an Raynar und grollte eine scharfe Erwiderung. »Siehst du? Die anderen Jedi sind nicht bereit. Sie erkennen nicht, was direkt vor ihnen ist!«
Raynar war sich ebenfalls nicht sicher, was er hier vor sich sah. Ohne sein nachdenkliches Schweigen zu brechen, trat er näher an die Tafeln heran und betrachtete die drei Szenarien. Die leuchtende Frau und der schroffe Krieger symbolisierten zweifellos das Leben und den Tod. Da Thuruht fraglos ein gewisses Verständnis für die Macht besaß, repräsentierten die beiden möglicherweise sogar deren helle und dunkle Seite. Und das würde bedeuten, dass die Gestalt auf der dritten Tafel – der alte Mann, der eine Hand über jeden Teil des Waldes hielt – ein Sinnbild für das Gleichgewicht darstellte. Allerdings trug das nicht das Geringste dazu bei, Abeloth zu erklären.
Schließlich drehte sich Raynar wieder zu Thuruht um. »Nicht bloß Jedi Lowbacca erkennt nicht, was wir hier sehen sollen. Das gilt ebenso für mich.«
»Weil du nur nach dem suchst, was im Stein ist«, entgegnete Thuruht. »Um Abeloth zu finden, musst du das sehen, was fehlt.«
Die Killik hatte die Worte kaum gesprochen, als Raynar schließlich verstand. »Die Mutter natürlich«, sagte er. »Wir haben einen Vater, einen Sohn und eine Tochter. Aber es gibt keine Mutter.«
Thuruht brummte zustimmend.
Und Lowbacca knurrte beunruhigt.
Raynar drehte sich um und stellte fest, dass seine beiden Gefährten ihn ansahen. Lowbacca wirkte, als sei er drauf und dran, sich Raynar zu schnappen und unverzüglich zur Langen Reise zurückzukehren, während Tekli ihn mit zusammengekniffenen Augen anblickte und zweifellos darüber nachgrübelte, ob Raynar noch die Kontrolle über seinen eigenen Verstand besaß oder nicht.
»Raynar«, sagte sie. »Wie es scheint, brauchst du Ce-Dreipeo nicht mehr, um mit Thuruht zu kommunizieren.«
Es hatte keinen Sinn, das Offensichtliche zu leugnen. »Nein, tue ich nicht«, gab Raynar zu. »Aber ich habe immer noch etwas Zeit. Noch besteht keine telepathische Verbindung.«
Lowbacca knurrte seine Ansicht, dass es höchste Zeit sei, von hier zu verschwinden. Thuruht würde sie bloß hinhalten und versuchen, sie zu Neunistern zu machen, ohne dass sie bislang auch nur das Geringste in Erfahrung gebracht hätten.
»Aber jetzt erfahren wir doch Neues, Lowie«, sagte Raynar. »Thuruht hat angeboten, alles mit uns zu teilen, was das Nest über Abeloth weiß.«
»Und was müssen wir ihnen dafür als Gegenleistung überlassen?«, wollte Tekli wissen.
»Buub«, erwiderte Thuruht, und C-3PO übersetzte: »Nichts.«
»Das stimmt«, sagte Raynar.
Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er seine Gefährten täuschen musste, doch er wollte nicht riskieren, Thuruhts Bereitschaft zu untergraben, über Abeloth zu reden, indem er jetzt anfing, über das Opfer zu diskutieren, das er brachte. Abgesehen davon hatte Thuruht tatsächlich bloß ein Versprechen von Raynar gefordert, nichts Materielles, sodass die Aussage von einem gewissen Standpunkt der Wahrheit entsprach.
Raynar wandte sich an Thuruht. »Was kannst du uns sonst noch zeigen?«
Die Killik winkte die Jedi mit ihren beiden linken Scheren hinter sich her und stieg den Korridor durch mehrere Torbögen zu einer weiteren Reihe von Reliefs hinunter. Das erste zeigte ein Dschungelparadies, mit einer kleinen Lichtung am Grund einer flachen Schlucht, die in einen ausgedehnten Sumpf mündete. Im Zentrum der Lichtung befand sich ein ausbrechender Geysir, und in der Dunstwolke darüber schwebten drei geisterhafte Gestalten, so substanzlos, dass es wirkte, als seien ihre Gliedmaßen noch nicht vollständig ausgebildet. Das Trio wirkte wesentlich jünger als auf den vorherigen Tafeln, aber die Gestalten waren noch immer als der Vater, der Sohn und die Tochter von den Waldtafeln erkennbar.
Auf den nächsten beiden Darstellungen war eine Art ummauertes Becken errichtet worden, um das Wasser aus dem Geysir aufzufangen. Auf einer Tafel stand ein teuflisch aussehendes Geschöpf mit dem Kopf des Sohnes am Rande des Beckens und trank daraus, während der Vater und die Tochter mit schockierten Mienen vom Rande der Lichtung aus zuschauten. Die folgende Tafel zeigte die Tochter, die in einem Teich schwamm, der sich im Innern einer Grotte zu befinden schien. Der Kopf, der auf ihren Schultern saß, war der eines phosphoreszierenden Vogels, und das Ding schaute mit vor Überraschung weit aufklaffendem Schnabel zum säulenflankierten Eingang der Höhle hinüber.
Raynar deutete auf die beiden Kreaturen, zuerst auf das brutal wirkende Mann-Ungetüm, dann auf die leuchtende Vogelfrau. »Sie scheinen von einer Form in die andere zu wechseln«, sagte er. »Sind dies noch dieselben Wesen?«
»Denkst du etwa, die Einen bestehen aus schlichter Materie?«, entgegnete Thuruht. »Die Einen sind Wesen der Macht. Die Einen nehmen jede Gestalt an, die sie wünschen.«
Während Raynar darüber nachdachte – und darüber, ob das bedeutete, dass es sich bei der Tochter oder einer der anderen Gestalten womöglich um Abeloth handelte –, trat Tekli vor.
Sie wies auf den Teich in der Grotte. »Erinnert dich das an etwas?«
»Das ist der Teich des Wissens, den Meister Skywalker in seinem Bericht beschrieben hat«, sagte Raynar.
Lowbacca wies auf die vorherige Szene und äußerte nölend die Ansicht, dass das Bild der Beschreibung vom Quell der Kraft ähnelte, den Meister Skywalker und Ben auf Abeloths Heimatplanet aufgesucht hatten.
»In der Tat.« Raynar wandte sich wieder an Thuruht und fragte: »Was sind diese drei Wesen? Himmlische?«
Thuruht wackelte mit ihren Fühlern. »Die Himmlischen sind in der Macht«, sagte sie. »Die Einen sind das, wozu die Himmlischen werden.«
»Wozu sie werden?«, fragte Raynar. Er dachte an die Szene, die zeigte, wie die Einen aus dem Quell der Kraft hervorschwebten. »Wenn die Macht sie hervorbringt?«
»Die Macht ist überall um uns herum, in uns … wir sind die Macht«, sagte Thuruht. »Wie kann ein Wesen von dem hervorgebracht werden, was es selbst ist?«
Raynar schwieg, damit C-3PO ihr Gespräch für die anderen übersetzten konnte, während er sich einen Reim auf Thuruhts verwirrende Erklärung zu machen versuchte. Er war sicher, dass sie ihm das erzählte, was sie für die Wahrheit hielt, aber wie zutreffend dieser Glauben war, ließ sich unmöglich sagen. Eine Killik-Erinnerung konnte aus einer Vielzahl von Quellen stammen – aus eigener Erfahrung, aus etwas, das einst ein anderer Neunister erlebt hatte, ja, sogar aus einem Holodrama, das sich jemand angesehen hatte, bevor er ein Teil des Nests wurde. Genauso verhielt es sich mit dem Killik-Kollektivgeist. So wurde das Gemeinschaftsgedächtnis des Nests mit der Zeit zu einem willkürlichen Durcheinander von Erinnerungen, bei dem sich Fakt, Fiktion und Mythos miteinander zu einer einzigen unzuverlässigen »Wahrheit« vermischten. Raynar wies auf die erste Tafel der Serie, auf die, die zeigte, wie sich das Trio aus dem Dunst über dem Geysir zu manifestieren schien. »Sind die Einen einst so erschienen?«
»So sind sie geworden, ja«, stellte Thuruht klar. »Genau so erinnern wir uns daran.«
Raynar, der sich nur zu gut darüber im Klaren war, das die »genaue« Erinnerung der Killik im Zweifelsfall nichts weiter sein konnte als der Schöpfungsmythos ihrer Spezies, stöhnte.
»Es tut uns leid«, sagte Thuruht. »Wir wissen nicht, wie wir die Himmlischen besser erklären können. Sie übersteigen schlichtweg das Verständnis von Sterblichen.«
»Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen«, sagte Raynar. »Allerdings haben wir fürs Erste genug über die Himmlischen erfahren. Führe uns zu den Tafeln, die Abeloths Geschichte zeigen.«
»Aber das alles ist Abeloths Geschichte«, protestierte Thuruht. »Ihre Geschichte ist lang und kompliziert. Ihr werdet sehen.«
Thuruht bedeutete ihnen mit einem Wink, ihr zu folgen, und stieg den Korridor zu einer weiteren Reihe von Reliefs hinauf. Auf den ersten Blick schien es, als würde Thuruht ihnen noch mehr vom bereits Bekannten zeigen. Die ersten beiden Tafeln porträtierten den entsetzten Vater, der versuchte, den Frieden zwischen dem Sohn und der Tochter zu wahren, die sich beide größere Teile des Waldes unter den Nagel reißen wollten. Auf der dritten Tafel jedoch gab es eine neue Figur – eine junge Frau, die kaum älter aussah als die Tochter, mit breitem Lächeln und funkelnden Augen.
Zuerst hielt Raynar die Neue für eine Dienerin. Der Sohn und die Tochter hoben ihre Gläser, offensichtlich in der Erwartung, dass die Frau ihnen aus dem Krug, den sie in Händen hielt, nachgießen würde. Derweil sah der Vater sie mit offenkundiger Wärme an und erwiderte ihr Lächeln, während sie einschenkte.
Thuruht tippte mit einer Schere gegen den Fuß der Frau. »Abeloth.«
Raynar nahm die Gestalt eingehender in Augenschein und verglich die Frau auf dem Relief mit der Abeloth aus dem Bericht der Skywalkers. Die funkelnden Augen entsprachen nicht ganz den sternförmigen Lichtpunkten, die sie beschrieben hatten, und obgleich ihr Lächeln breit war, reichte es schwerlich von einem Ohr zum anderen. Raynar hatte den Eindruck, als würde er nicht Abeloth vor sich sehen, sondern die Saat, aus der später Abeloth werden würde. »Warum haben wir sie nicht aus dem Nebel der Fontäne kommen sehen?«, fragte Raynar. »Ist sie nicht so wie die übrigen Einen?«
Thuruht breitete alle vier Arme aus. »Eines Tages tauchte eine Dienerin im Hof auf. Wir wissen nicht, wie sie dorthin gelangt ist.«
Sobald C-3PO dies übersetzt hatte, fragte Tekli: »Aber das ist Abeloth? Die Dienerin, nicht die Mutter?«
»Abeloth ist die Dienerin, die zur Mutter wurde«, entgegnete Thuruht. »Ihr werdet sehen.« Damit marschierte er weiter den Korridor hinauf.
Die nächste Reliefserie zeigte Abeloth, die die Einen zu etwas machte, das einer glücklichen Familie ähnelte. Sie hielt den Sohn und die Tochter mit Spielen und Aufgaben beschäftigt und umschwärmte den Vater. Sie schaffte es sogar, die zerstörerischen Energien des Sohnes in etwas Nützliches umzuwandeln, indem sie ihn seine Machtblitze einsetzen ließ, um gemütliche kleine Kammern in die Seitenwände der Schlucht zu sprengen. Auf der dritten Tafel schien sie zu einem vollwertigen Mitglied der Familie geworden zu sein. Sie saß beim Essen an der Seite des Vaters und hielt dem Sohn ihr Glas hin, damit er ihr nachschenkte.
Sobald die Jedi diese Bilder zu Ende betrachtet hatten, stieg Thuruht weiter den Korridor hinauf und blieb vor einer Szene stehen, die eine wesentlich ältere Abeloth zeigte. Jetzt wirkte sie alt genug, um die Gattin des Vaters zu sein – und die Mutter des Sohnes und der Tochter. Auf dieser Tafel stand sie vor einem langen Bogengang, der aus der Schluchtwand gemeißelt worden war, und lehnte sich vor einem Haufen Pflastersteine gegen die Schulter des Sohnes. Unterdessen war die erschöpft wirkende Tochter dabei, auf Händen und Knien den Hof zu pflastern. Im Hintergrund saß der Vater, in zufriedenem Schlummer versunken, die Hände über dem Bauch gefaltet.
In der nächsten Szene war Abeloth betagt. Sie stand auf einer Seite des Hofs, abseits der anderen. In der Mitte, nahe dem Quell der Kraft, führte der Vater eine hitzige Debatte mit dem Sohn und der Tochter. Alle drei gestikulierten wild, und entwurzelte Farnbäume, Felsbrocken und sogar zwei sechsbeinige Echsen von der Größe von Rancoren wirbelten um sie herum durch die Luft.
Zu Raynars Überraschung ging Thuruht weiter, ohne ihm und den anderen sonderlich viel Zeit zu geben, die Tafel zu betrachten. Schlagartig argwöhnisch, signalisierte er Tekli und Lowbacca zu bleiben, wo sie waren.
»Gibt es hier etwas, das wir nicht sehen sollen?«, fragte er.
Thuruht verharrte und wirbelte herum, ihre Fühler gereizt aufgerichtet. »Verweilt, wenn ihr wollt«, sagte sie. »Das Nest hat nichts dagegen. Aber du warst derjenige, der gesagt hat, dass die Jedi rasch über Abeloth Bescheid wissen müssten.«
Lowbacca grunzte zustimmend und drängte Raynar weiterzugehen – bevor er vollends zum Neunister wurde.
»Das ist ein ausgezeichneter Vorschlag«, sagte C-3PO. »Ich nehme jede Tafel in voller Holografie-Auflösung auf. Wenn wir nach Coruscant zurückkehren, werden die Meister jedes Detail analysieren können.«
Thuruht stieß ein selbstgefälliges Grollen aus und eilte dann zur nächsten Reliefserie. Als Raynar sich zu ihr gesellte, lief ihm ein kalter Schauder über den Rücken.
Die erste Tafel zeigte eine gealterte Abeloth, die heimlich aus dem Quell der Kraft trank, während der Vater Machtblitze auf den Sohn und die Tochter schleuderte. Auf der zweiten Tafel schwamm eine wesentlich jünger aussehende Abeloth im Teich des Wissens. Sie wirkte verschlagen und trotzig, als sie zum Vater emporlächelte, der am Ufer des Teichs stand. Er hatte die Hände erhoben und in Abeloths Richtung ausgestreckt, als würde er die Macht einsetzen, um sie aus dem Teich zu ziehen, und seine Miene war gleichermaßen sorgenvoll wie zornig. Hinter ihm stand die Tochter, die einen Machtschild benutzte, um zu verhindern, dass die Teufelserscheinung des Sohns dem Vater auf den Rücken sprang.
Die dritte Tafel zeigte wieder die Bogenganganlage, diesmal mit einer stark veränderten Abeloth, die im Herzen eines stürmischen Innenhofs stand. Ihr Haar war drahtig und lang geworden, ihre Nase war so weit abgeflacht, dass sie praktisch verschwunden zu sein schien, und ihre funkelnden Augen waren so eingesunken und düster, dass das Einzige, was man von ihnen sehen konnte, ihr Funkeln war. Sie hob die Arme in Richtung der am Boden kauernden Tochter und des Sohnes, der sie finster anstarrte, und dort, wo ihre Finger hätten sein sollen, schossen lange Tentakel aus ihren Händen. Derweil trat der aufgebrachte Vater vor, um sie zu schützen, eine Hand auf den Sumpf am offenen Ende des Tempels gerichtet, während er die andere ausstreckte, um ihre Tentakelfinger abzufangen.
»Allmählich beschleicht mich der Gedanke, dass Abeloth überhaupt keine Himmlische sein kann«, stellte Tekli fest. »Sie unterscheidet sich zu sehr von den anderen. Sie ist gealtert, als sie es nicht taten – und sie wurde vom Quell und dem Teich verändert, während der Sohn und die Tochter davon unbeeinflusst geblieben sind.«
»Es liegt in Abeloths Natur, nach dem zu streben, was außerhalb ihrer Reichweite liegt«, sagte Thuruht. »Deshalb ist sie die Chaosbotin.«
»Dann ist Abeloth also eine Himmlische?«, fragte Raynar. »Soll es das heißen?«
Thuruht klackte im Killik-Äquivalent eines Schulterzuckens mit den Mandibeln. »Ist Abeloth die Botin des Chaos, weil das der Wunsch der Himmlischen ist? Oder bringt sie das Chaos, weil sie sich dem Wunsch der Himmlischen widersetzt hat?« Sie breitete ihre vier Arme aus und ließ sie dann sinken. »Den Willen derer, die zu erfassen wir außerstande sind, werden wir niemals verstehen.« Damit wandte Thuruht sich ab, um weiter den Korridor entlangzugehen.
Raynar überließ es C-3PO, den Wortwechsel für die anderen zu übersetzen, und folgte ihr dichtauf. Er konnte in Thuruhts Verhalten ihm und seinen Gefährten gegenüber eine grundlegende Veränderung wahrnehmen, ein ausgeprägtes Selbstvertrauen, das nahelegte, dass sie sie bereits als Angehörige des Nests betrachtete. Und dennoch hatte er bislang noch keinerlei fremde Gedanken oder Anflüge von unerwarteter Einsicht gehabt, die hätten vermuten lassen, dass die Transformation zu Neunistern bereits abgeschlossen war. »Thuruht, ich habe das Gefühl, dass du dich nicht mehr darum sorgst, ob wir Neunister werden oder nicht«, sagte Raynar.
»Dem ist auch so.«
»Warum?«
»Weil wir fühlen, wie verängstigt ihr seid«, sagte sie. »Wie entschlossen ihr seid, Abeloth aufzuhalten. Und wir wissen, dass ihr euch uns mit Freuden anschließen werdet, sobald ihr erst einmal verstanden habt, wie dies nur zu bewerkstelligen ist.«
Raynar schüttelte den Kopf. »Darauf solltet ihr euch lieber nicht verlassen«, meinte er. »Unsere Mission ist es, über das, was wir hier in Erfahrung bringen, Bericht zu erstatten, damit die Jedi Abeloth vernichten können.«
Aus den Atemtracheen in Thuruhts Brustkorb drang ein amüsiertes Trillern. »Abeloth vernichten? Unmöglich.« Sie ging durch den nächsten Torbogen und blieb stehen. »Sieh!«
In diesen Reliefs stand Abeloth allein in dem Hof und sah zu, wie der Vater mit dem Sohn und der Tochter von dannen zog. Ihr Gesicht war zornverzerrt, und in der Luft um sie herum wirbelten Farnwedel, Dschungelreptilien und Blitze umher. Auf den folgenden Tafeln wirkte sie sogar noch geistesgestörter. Der Hof war von Vegetation überwuchert, und eine große, geflügelte Echse versuchte, ihrem Griff zu entkommen, die Augen weit vor Entsetzen, die Schwingen angespannt, als die Kreatur darum kämpfte, den Fuß aus ihrer Hand zu zerren.
Die dritte Tafel ließ Raynar das Blut in den Adern gefrieren. Darauf zu sehen war eine Gruppe von mit sechs Tentakeln bewehrten Kopffüßern, die den knochenübersäten Hof betraten. Mit kunstvollen Roben und Kopfschmuck angetan, schleiften sie drei große, echsenartige Gefangene auf den Quell der Kraft zu, wo Abeloth stand und freudig grinste.
»Das erste Mal, dass Abeloth aus ihrem Käfig entkam«, erklärte Thuruht. Die Killik übernahm erneut die Führung, weiter den Korridor hinauf, durch den nächsten Säulengang. Sie kamen an einer Reihe von Tafeln vorbei, die eine gewaltige Schlacht zwischen den Kopffüßern und den Echsen darstellten. »Der Krieg tobte erst einige Jahrhunderte, als Abeloth befreit wurde. Für gewöhnlich dauert das wesentlich länger. Häufig Tausende von Jahren.«
»Moment«, sagte Raynar, der unter dem nächsten Torbogen stehen blieb. »Soll das heißen, Abeloth wird jedes Mal befreit, wenn Krieg ist?«
»Nicht bei jedem Krieg. Aber ja, wenn Abeloth entkommt, dann stets in einer Zeit großen Unfriedens.« Thuruht setzte sich wieder in Bewegung, um weiter dem Gang zu folgen, und bedeutete Raynar, sich ihr anzuschließen. »Manchmal, wenn ein Krieg zu gewaltig wird, wird die Chaosbotin losgelassen. Sie zerschmettert die alte Ordnung, damit eine neue entstehen kann.«
»Moment«, sagte Raynar wieder. Er wollte den anderen nicht so weit vorauseilen, dass C-3PO Schwierigkeiten bekam, Thuruhts Worte aufzuzeichnen. »Soll das bedeuten, dass Abeloth ein Teil des Plans der Himmlischen ist?«
Thuruht breitete ihre Hände aus. »Wer vermag schon zu sagen, ob die Himmlischen überhaupt Wesen von einer Art sind, die einen Plan haben?« Ohne Raynars Bitte, stehen zu bleiben, nachzukommen, marschierte sie weiter den Korridor entlang. »Aber so funktioniert die Galaxis nun einmal. So funktioniert die Macht.«
Raynar warf einen Blick zurück zu seinen Gefährten und bedeutete ihnen, sich zu beeilen, ehe er sich beeilte, wieder zu Thuruht aufzuschließen. Sie kamen an einer langen Reihe von Reliefs vorbei, die jedoch kaum mehr als die Geschichte des Krieges zwischen den Kopffüßern und den Echsen wiederzugeben schienen. Als er Thuruht einholte, fragte Raynar: »Aber warum wurde Abeloth jetzt befreit? Die Galaxis befindet sich nicht im Krieg.«
Thuruht blieb stehen, neigte den Kopf und fixierte mit einem einzelnen, kugelrunden Auge Raynars Antlitz. »Aber natürlich tut sie das«, sagte sie. »Die Jedi und die Sith liegen seit fünftausend Jahren miteinander im Krieg.«
Plötzlich wurde Raynar innerlich eiskalt. »Soll das heißen, dass wir Abeloth befreit haben?«
»Ja. Ihr und die Sith. Gemeinsam habt ihr die Chaosbotin entfesselt.«
Thuruht setzte sich wieder in Bewegung, um dem Korridor weiter zu folgen, und Raynar stolperte ihr hinterher. Er wollte die Killik-Version der Geschichte nicht glauben, aber die Wahrheit, die sie barg, war offensichtlich. Während des Krieges gegen den Sith-Lord Caedus war die Centerpoint-Station zerstört wurden, was eine katastrophale Kette von Ereignissen in Gang gesetzt hatte. Die Schlundloch-Station war außer Gefecht gesetzt worden, was es dem Vergessenen Stamm erlaubt hatte, Abeloth und ihren Planeten zu entdecken. Thuruhts Behauptungen ließen sich nicht von der Hand weisen. Der Krieg zwischen den Jedi und den Sith hatte geradewegs zu Abeloths Befreiung geführt.
Nein, sagte Thuruht, die jetzt in Raynars Kopf sprach. Qoloralogs Zerstörung folgte zwar, war jedoch nicht die Ursache dafür. Das war lediglich ein nachgebendes Glied in einer Kette voller nachgebender Glieder.
Tief in seinem Innern wusste Raynar, dass er über das, was mit ihm geschah, eigentlich beunruhigt sein sollte, sogar entsetzt. Jetzt, wo er auf telepathischem Wege mit Thuruht kommunizierte, war der Umstand, dass er letztlich zum Neunister werden würde, keine Befürchtung mehr, sondern eine Tatsache.
Allerdings erschien ihm sein eigenes Schicksal verglichen mit dem Maß an Zerstörung, das in Kürze über die Galaxis kommen würde, vollkommen unbedeutend. Was jetzt für ihn zählte, war, noch mehr über Abeloth zu erfahren – und über die Ursachen für ihre Freilassung, wenn nicht, wie er vermutet hatte, die Vernichtung der Centerpoint-Station dafür verantwortlich gewesen war.
Wisse, entgegnete Thuruht, dass Abeloth auf dieselbe Weise befreit wurde, wie sie immer befreit wird. Der Fluss wurde umgekehrt.
Der Fluss der Zeit?, fragte Raynar. Er dachte an Jacen Solo und sein Flusswandeln. Tahiri hatte den Meistern erklärt, dass Jacen ihrer Meinung nach der Dunklen Seite in dem Bemühen anheimgefallen war, ein tragisches Ereignis abzuwenden, das er in der Zukunft gesehen hatte, und dass er sich des Flusswandelns bedient hatte, um einen Blick in beide Richtungen der Zeit zu werfen. Oder geht es um den Fluss der Macht?
Gibt es da einen Unterschied? Die Macht ist es, die die Zukunft lenkt.
Nachdem sie durch zwei weitere Torbögen geeilt war, blieb Thuruht schließlich vor einer Reihe von Tafeln stehen, die drei verwüstete Welten zeigten. Auf der ersten lag eine gesamte Stadt in Trümmern. Pilze ragten aus dem Schutt hervor, und man konnte eine Herde dreiäugiger Zweibeiner sehen, die vor einer Horde tentakelbewehrter Katzenwesen flohen. Auf dem zweiten Relief waren Scharen aufgescheuchter Waldgeschöpfe zu sehen, die sich durch einen dem Erdboden gleichgemachten Wald kämpften. Viele versuchten vergebens, den Fangranken zu entkommen, die sich um ihre Beine geschlungen hatten. Die dritte Szene war die grauenvollste von allen: Sie zeigte eine ozeanische Welt mit Schwärmen von Seevögeln, die über treibenden Inseln aus modrigem Fleisch in der Luft schwebten. Und am Himmel jeder Welt prangte das Antlitz einer Frau mit einem klaffenden, von Reißzähnen erfülltem Lächeln, das sich von einem Ohr zum anderen erstreckte.
Und wenn der Fluss umgekehrt wird, sagte Thuruht, ist es die Macht, die darunter leidet.
Raynar fühlte sich elend. Auf der ersten Jedi-Akademie auf Yavin 4 waren er und Jacen gute Freunde gewesen. Tatsächlich hatte Jacen zu jenen gehört, die Raynar und seinem Vater dabei geholfen hatten, ein verschollenes Arsenal von Biowaffen vor einer Terrorgruppe zu schützen, denen Menschen verhasst waren. Und als Raynars Vater starb, war Jacen einer der Freunde gewesen, die ihn getröstet hatten. Als Jacen später der Dunklen Seite verfiel und zu Darth Caedus wurde, war es Raynar deshalb schwergefallen, das zu akzeptieren. Zuerst hatte er sich geweigert zu glauben, dass Jacen die Jedi tatsächlich verraten hatte, und dann suchte er die Schuld dafür in der Folter, die Jacen als Gefangener der Yuuzhan Vong erdulden musste. Aber während der Zweite Bürgerkrieg weiter tobte, waren Caedus’ Taten zunehmend ruchloser geworden, und schließlich hatte Raynar eingesehen, dass sein alter Freund zu einem der mordgierigsten aller Sith-Lords avanciert war. Jetzt jedoch schien es, als sei selbst diese Ächtung noch nicht schrecklich genug gewesen. In seinem Streben danach, die Vision zu ändern, die ihm zuteilgeworden war, hatte Darth Caedus die Zerstörung selbst entfesselt.
Nein, nicht die Zerstörung, korrigierte Thuruht. Chaos bringt Zerstörung hervor, aber ebenso neue Energie und Veränderung.
Als sich Lowbacca und die anderen zu ihnen gesellten, sprach Raynar wieder laut, zum einen, damit seine Gefährten ihn verstanden, und zum anderen, damit C-3PO alles aufzeichnen konnte.
»Thuruht glaubt, dass eine Veränderung im Fluss zu Abeloths Freilassung geführt hat«, sagte Raynar, um damit die wichtigsten neuen Erkenntnisse für seine Begleiter zusammenzufassen. Er wandte sich wieder an Thuruht. »Die Jedi hingegen glauben, dass die Zukunft ständig in Bewegung ist. Daher kann ich nicht recht nachvollziehen, weshalb eine Veränderung im Fluss dafür sorgen sollte, dass Abeloth freikommt.«
»Ist die Strömung in einem Fluss etwa nicht in Bewegung?«, gab Thuruht – jetzt ebenfalls laut – zurück. »Und trägt sie ein Boot nicht zu vielen verschiedenen Orten, je nachdem, wohin jene an Bord paddeln?«
»Ja, das ist wahr«, sagte Raynar mit einer gewissen Ungeduld. »Aber wo auch immer sie anlegen mögen, führt das normalerweise nicht dazu, dass Abeloth befreit wird.«
»Sie befreien sie ja auch überhaupt nicht, weil sie selbst den Fluss nicht verändert haben«, entgegnete Thuruht. »Sie haben sich davon bloß zu einem seiner vielen Ziele tragen lassen. Aber wenn sie sich dorthin begeben wollen, wohin der Fluss sie nicht bringen kann, muss die Strömung verändert werden.«
»Und dazu muss man den Strom selbst ändern«, stellte Raynar fest.
»Ja«, erwiderte Thuruht. »Die Macht leitet den Fluss. Es ist unmöglich, den Fluss zu verändern, ohne gleichzeitig auch die Macht zu verändern.«
»Und das ist es, was Abeloth befreit hat«, stellte Raynar klar.
»Ja«, stimmte Thuruht zu. »Die Macht obliegt der Botmäßigkeit der Himmlischen. Wenn ihr Einfluss geschmälert wird, kommt die Chaosbotin.«
Raynar wartete, während C-3PO den Wortwechsel für seine Gefährten zusammenfasste. Er wollte gerade seinen Verdacht in Bezug auf Jacen zur Sprache bringen, als Tekli zur selben Schlussfolgerung gelangte.
»Dann hat also Jacen Abeloth befreit?«, fragte sie.
»Ja.«
»Indem er das verändert hat, was er in seiner Machtvision sah?«, hakte Tekli nach.
Thuruht klickte im Killik-Äquivalent eines Schulterzuckens mit den Mandibeln. »Wir wissen nicht, was Jacen in seiner Machtvision sah.«
Tekli legte frustriert die Ohren an. Sie sah zu Lowbacca, der ein kummervolles Stöhnen ausstieß und entgegnete, dass selbst Tahiri das nicht mit Gewissheit sagen konnte. Sie glaubte, dass die Vision etwas mit einem dunklen Mann zu tun hatte, der die Galaxis beherrschte, und dass das, was er gesehen hatte, Jacen so verstört hat, dass er sich der Dunklen Seite zuwendete, um zu verhindern, dass es dazu kam.
Nachdem C-3PO Lowbaccas Erklärung übersetzt hatte, rollte Thuruht ihre Fühler im Killik-Äquivalent eines Nickens zusammen.
»Dann ja«, entgegnete Thuruht. »Wenn der dunkle Mann die Zukunft war, die Jacen zu verhindern suchte, dann muss das die Zukunft sein, die er verändert hat.«
Damit wandte Thuruht sich um und übernahm die Führung, den Korridor entlang zur nächsten Reihe von Reliefs – und Raynar erkannte, warum Thuruht so zuversichtlich war, dass er hierbleiben würde, um dem Nest zu helfen.
Die erste Tafel zeigte eine lange, schlauchförmige, noch im Bau befindliche Raumstation. In der skelettartigen Struktur wimmelte es nur so von Killiks, die alle dünne Anzüge und blasenförmige Helme trugen. Und das war alles. Sie hatten keine Raketenrucksäcke, keine Raumkräne, ja, nicht einmal irgendwelche Sicherheitsleinen – bloß Millionen von Killiks, die in Gruppen von den Ausmaßen kleiner Asteroiden umherschwebten. Vor ihnen schienen die gewaltigen Durastahlträger in Position zu gleiten, ohne dass irgendwelche Hilfsmittel auszumachen gewesen wären, mit denen sie bewegt wurden.
Raynar begriff, was er hier vor sich sah. Thuruht hatte die Macht nicht bloß eingesetzt, um die Station selbst zu bauen – die zweifellos genauso groß wie Centerpoint war –, sondern auch, um sich selbst im Weltall zu bewegen.
Wenn wir bauen, verwenden wir die Macht für alles, bestätigte Thuruht.
Sie lenkte Raynars Aufmerksamkeit auf die nächste Tafel, die eine Gruppe von Killiks zeigte, die mithilfe von Machtexplosionen Erz aus einem felsigen Asteroiden extrahierten. Darüber hinaus schienen sie Telekinese einzusetzen, um das Erz in einen Schmelzofen zu dirigieren, der von einem anderen Killik-Schwarm betrieben wurde, der dazu kugelförmige Machtblitze verwendete.
Zum Abbauen, zum Bewegen, zum Schmelzen.
Jetzt verstand Raynar, warum sich Thuruht die Macht zunutze machen musste. Aber selbst, wenn er wusste, wie man sie teilte, war er nicht stark genug, um dies bei so vielen Wesen gleichzeitig zu tun.
Thuruht amüsierte seine Verwirrung. Wenn wir schließlich bereit sind zu bauen, wirst du nicht mehr sein, sagte sie. Dann werden die Architekten die Einen sein, die uns die Macht schenken.
»Die Architekten?«, fragte Raynar vernehmlich. Einmal mehr driftete die Unterhaltung in einen Bereich ab, von dem die Meister unbedingt erfahren mussten. »Wer genau sind die Architekten?«
Der Bruder und die Schwester, erklärte Thuruht, die noch immer in Raynars Kopf sprach. Abeloth ist das Einzige, das imstande ist, sie zusammenzubringen. Es verärgert sie, mitansehen zu müssen, wie sie Zivilisationen zerstört, die sie im Laufe von Jahrmillionen hervorgebracht haben.
Die Killik trat zur nächsten Tafel, auf der zwei Insekten über einem kleinen Schwarm von Killiks aufragten, die so eine Art übergroßen Fusionskern zusammenzubauen schienen. Der erste Aufseher war ein leuchtender Schmetterling mit großen, ovalen Augen und hauchzarten Schwingen. Ihr Gefährte war ein mächtig wirkender Käfer mit schweren Flügeln und einem schroffen Schädel, den zwei erhabene Streifen zierten.
Schon bald werden die Architekten einen Pakt schließen und ihr selbstauferlegtes Exil aufgeben, fuhr Thuruht fort. Und wenn es so weit ist, muss das Nest bereit sein, ihnen zu Diensten zu sein, wenn sie uns rufen.
»Das sind die Architekten?«, fragte Raynar. Er trat näher an die Tafel heran und wies auf die beiden Insekten, die die Aufsicht führten. »Soll das bedeuten, dass der Bruder und die Schwester Insekten sind?«
Thuruht breitete ihre vier Hände aus. Für uns sind sie das.
»Ah … natürlich.« Während Raynar sprach, ergoss sich ein tosender Strom von Erinnerungen in seinen Geist – von den Architekten, die sich mit Thuruht und Dutzenden anderer Nester zusammenschlossen; außerdem war da das plötzliche Wissen, wie man Wunder wie den Weltenschlepper, den Schleier der Stille und den Abgrund der Ewigkeit baute –, und da wusste er, dass Raynar Thul nicht mehr war. Er nickte. »Jetzt verstehen wir.«
Als er sich von der Tafel abwandte, stellte er fest, dass Tekli und Lowbacca nicht das bedeutungsvolle Relief ansahen, sondern ihn. Lowbaccas Schnauze hing halb offen, um seine Hauer weniger drohend, denn entsetzt zu entblößen, und Teklis Augen waren groß vor Besorgnis.
»Raynar«, sagte sie. »Es ist Zeit zu gehen.«
Das ist nicht möglich, sagte Thuruht. Die Worte sprudelten bereits aus ihr heraus, kaum dass Tekli ihren Satz zu Ende gebracht hatte. Das Nest muss bereit sein, wenn die Einen rufen …
… und dazu braucht das Nest einen Jedi, der ihm dabei hilft zu wachsen. Die Übereinkunft wurde in der Zeit getroffen, die ein Gedanke brauchte, um von einem Verstand in einen anderen zu wandern, und als Raynar sich Tekli zuwandte, geschah das so schnell, dass sie nicht einmal zu begreifen schien, dass noch ein zweites, ungehörtes Gespräch stattgefunden hatte. »Wir sind einverstanden«, sagte er. »Die Zeit ist gekommen, dem Jedi-Rat über das Bericht zu erstatten, was wir in Erfahrung gebracht haben.« Er wies auf die beiden Insekten auf der Tafel. »Sagt den Meistern, dass die Einen nicht für alle Wesen so aussehen. Sie nehmen eine Gestalt an, die zu ihren Dienern passt.«
Lowbacca knurrte, dass er den Meistern überhaupt nichts sagen würde, weil nämlich Raynar derjenige sein würde, der das Reden übernehme. Er hob eine pelzige Klaue und streckte sie nach seinem Arm aus, hielt jedoch inne, als sein Freund die Macht einsetzte, um seine Hand sanft nach unten zu drücken.
»Es tut uns leid, mein Freund, aber wir müssen hierbleiben«, sagte Thur Thul. »Und ihr müsst jetzt gehen. Raynar Thul existiert nicht mehr.«