16. Kapitel
Draußen vor der luftdicht verriegelten Tür des Computerkerns hatten zwei Sith-Wachen Stellung bezogen, beide hielten ihr Lichtschwert in Händen. Sie trugen schwarze Roben über schwarzen Oberkörperpanzern, behielten den langen Zugangskorridor im Auge und sprachen regelmäßig in ihre Headset-Komlinks. Ohne Zweifel würde es nicht einfach sein, sie zu überraschen.
Jysella beobachtete die beiden Wachen noch einen Moment länger auf ihrem Bildschirm, ehe sie den Steuerball am unteren Rand der Fernsteuerung betätigte. Die beiden Sith schienen zu schrumpfen und sich zu entfernen, als der winzige Spionagedroide seinen Blickwinkel vergrößerte. Rings um den Außenrand des Bildschirms herum begann eine hellgrüne Begrenzung zu blinken, um sie darüber zu informieren, dass die Molekularabtaster der Einheit noch immer Spuren von Detonit registrierten – eine Hauptzutat der meisten Personenabwehrminen.
Sie lächelte. Die Minen würden kein Problem sein.
Jysella studierte den Schirm noch einen Moment länger. In der Weitwinkelaufnahme war auch nicht viel mehr zu erkennen, bloß der weiße Korridor, der zur Dekontaminationskammer außerhalb ihres Ziels führte – dem Computerkern des Jedi-Tempels. Sobald es ihrem Team gelang, zum Kern durchzubrechen, war die Schlacht – in praktischer Hinsicht – gewonnen. Ihr Droide, Rowdy, würde sich in eine Datenbuchse einstöpseln und den Zentralcomputer dazu bringen, die Schilde zu senken und die Schutztore zu öffnen. Dann würden drei Brigaden von Jedi angeführte Weltraum-Marines den Tempel stürmen. Das Gefecht würde blutig und reich an Opfern sein, doch die Sith konnten nirgendwohin fliehen. Man würde sie suchen, finden und eliminieren. Ganz einfach.
Jysella wechselte auf Thermalbild. Die beiden Wachen verwischten zu hellgelben Schemen in Männergestalt. Der Korridor selbst wurde hellblau, mit den orangefarbenen Streifen elektrischer Leitungen, die durch die Wände verliefen. Hinter den Streifen konnte sie die geisterhaften roten Umrisse von weiteren zwanzig Sith-Kriegern ausmachen, die sich in den beengten Hohlräumen hinter den Wandpaneelen versteckten.
Die Sith waren geduldig, das musste sie ihnen lassen. Es war inzwischen sechsunddreißig Stunden her, seit ihr Vater und Meister Skywalker den Entschluss gefällt hätten, in den Computerkern einzudringen, und vermutlich lagen die meisten der Feinde bereits den Großteil dieser Zeit über hinter den Wänden auf der Lauer. Mit etwas Glück würden sie angeschlagen und von der Geduldsprobe verlangsamt sein, sodass es einfach sein würde, sie auszutricksen – zumindest so einfach, wie es nur sein konnte, Sith auszutricksen.
Jysella öffnete einen Kom-Kanal zu Meister Skywalker. »Lage unverändert.«
Sie machte sich keine Sorgen darüber, dass man sie belauschen könnte. Sie, Ben und Valin versteckten sich in einem geschlossenen Raum, mehr als hundert Meter von den nächsten Sith entfernt. Jysella war sich nicht sicher, wo sich ihr Vater, Luke und Jaina versteckt hielten, aber sie wusste, dass sie sich an einem Ort befanden, an dem auch sie niemand hören würde, der sie nicht hören sollte.
Der Kom-Kanal selbst war sogar noch sicherer, mit den unknackbaren Logarithmen der Jedi selbst verschlüsselt. Das Angriffsteam hatte seine Komlinks dazu verwendet, um sich mit Admiral Bwua’tu und seinem Stab zu koordinieren. Einmal, in einer Verschnaufpause, hatten Jysella und ihr Bruder den Kanal dazu benutzt, um ihre Mutter Mirax wissen zu lassen, dass sie den katastrophalen Hinterhalt in der Wasseraufbereitungsanlage überlebt hatten. Jaina Solo war es sogar gelungen, sich ins HoloNet einzuklinken, damit sie mit Jagged Fel sprechen konnte – in den Imperialen Restwelten. Allein hier drin waren sie also nicht.
Nach einigen Sekunden bestätigte Meister Skywalker: »Verstanden, Lage unverändert. Ist die Luft rein?«
»Ihr könnt loslegen«, gab Jysella zurück. »Möge die Macht mit euch sein.«
»Und auch mit euch«, entgegnete Luke. »Falls ihr das Gefühl habt, dass irgendetwas nicht stimmt …«
»Keine Sorge, Dad«, sagte Ben. Er stand hinter Jysella, neben Valin, und behielt über ihre Schulter hinweg den Bildschirm der Fernsteuerung im Auge. »Von uns hat keiner vor, den Helden zu spielen.«
Die Stimme in Jysellas Ohrhörer wechselte zu der ihres eigenen Vaters. »Ihr drei seid bereits dadurch Helden, dass ihr dieses Wagnis überhaupt nur auf euch nehmt«, sagte er. »Was wir hingegen nicht brauchen, sind tote Helden. Verstanden?«
»Das gilt ebenso für euch Jungs«, sagte Jysella. »Könnten wir es jetzt bitte endlich hinter uns bringen? Es ist Ewigkeiten her, seit ich eine anständige Sanidusche hatte.«
Ein unbehagliches Schweigen senkte sich über den Kanal – hauptsächlich, weil niemandem wirklich der Sinn danach stand, die Verbindung zu unterbrechen. Nach fast zwei Tagen nervenaufreibender, schwerer Kämpfe und überhasteter Heiltrancen fühlte sich das gesamte Team ein wenig ermattet.
Das Schweigen dauerte an, bis Jysella schließlich seufzte. »Das war ein Scherz, in Ordnung?« Sie schüttelte den Kopf und fügte dann hinzu: »Wir sehen uns in Kürze.«
»Ja«, erwiderte Jaina vom anderen Ende aus. »Wir sehen uns in Kürze.«
Der Kanal verstummte wieder. Jysella schob einen Kontrollregler nach unten, und die unscharfen Bilder von lauernden Sith wurden noch vager, als sich der Spionagedroide zurückzog. Der Droide besaß kaum die Größe einer Wanderschnake, doch sie war sorgsam darauf bedacht, ihn nicht zu schnell werden zu lassen, um zu verhindern, dass er Aufmerksamkeit erregte. Dies war ihre letzte Chance, dafür zu sorgen, dass der Angriff auf den Tempel letztlich von Erfolg gekrönt sein würde, und falls sie versagten, war das Beste, worauf sie hoffen konnten, dass sie im Kampf starben, anstatt von den Sith lebend gefangen zu werden.
Trotzdem hätte Jysella in diesem Moment nirgendwo anders sein wollen. Als sie und Valin sich freiwillig gemeldet hatten, um mit der ersten Jedi-Welle in den Tempel einzudringen, hatte Meister Skywalker persönlich gesagt, dass es ihm eine Ehre sei, wenn die Horn-Geschwister ihm den Rücken freihalten würden – und das trotz der von Abeloth verursachten Psychose, die sie dazu verleitet hatte, ihn und Ben auf Nam Chorios zu verraten. Und wenn Luke Skywalker ihnen gegenüber diese Art von Loyalität an den Tag legen konnte, dann konnte Jysella dasselbe mit Sicherheit auch für ihn tun.
Nach einigen Sekunden erschienen drei gelbe Geistergestalten auf dem Thermalbild, die im Korridor vorrückten. Die beiden Wächter-Schemen, die den Computerkern sicherten, traten vor die Dekontaminationskammer, bloß um im nächsten Moment hinter der glühend heißen Helligkeit herniedersausender Lichtschwerter zu verschwinden.
Jysella aktivierte erneut ihr Kehlkopfmikro. »Sieben Meter«, sagte sie und gab damit ihre Schätzung der Entfernung zu den Personenabwehrminen wieder, die der Spionagedroide aufgespürt hatte. »Bleibt stehen.«
Alle drei Gestalten – eine klein und weiblich, die anderen beiden groß und männlich – verharrten. Der größere Mann streckte eine Hand aus, und Jysella schaffte es kaum, auf Normalbild umzuschalten, bevor eine machtgenerierte Druckwelle die erste Mine auslöste. Ein orangefarbener Feuerkegel schoss empor, um pilzgleich zur Decke aufzusteigen. Dann explodierte eine zweite und eine dritte und eine vierte. Das Bild auf dem Schirm verschwamm zu einem verwackelten Schemen, als die Schockwellen den Spionagedroiden ins Trudeln brachten.
»Falle unschädlich gemacht«, kommentierte Jysella. Sie warf Ben einen Blick zu. »Guter Plan. Hoffen wir, dass der Rest genauso reibungslos funktioniert.«
»Die Sache war nicht allein meine Idee«, sagte Ben.
Bens ursprünglicher Vorschlag hatte vorgesehen, dass er und Jysella die im Hinterhalt lauernden Sith weglockten, doch ihre Väter waren der Ansicht gewesen, dass ihre Gegner eher auf die List hereinfallen würden, wenn sie wussten, wo sich die beiden Meister und Jaina befanden.
»Aber es wird funktionieren«, sagte Ben. »Verlass dich darauf.«
Die Worte waren kaum über seine Lippen gekommen, als das gedämpfte Knistern von Machtblitzen aus dem Computerkern drang. Jysella benutzte den Daumensteuerball, um den Spionagedroiden wieder unter Kontrolle zu bringen, und richtete ihn dann neu aus, bis sie die Sith sehen konnten, die es auf sie abgesehen hatten. Alle zwanzig schienen hinter dem tosenden Sturm aus Blasterfeuer und Machtblitzen den Korridor entlangzueilen. Weder von Bens Vater noch von ihrem eigenen war irgendetwas zu sehen, doch man konnte einen flüchtigen Blick auf Jainas zierliche Gestalt in Deckennähe erhaschen, wie sie sich mittels der Macht durch die Luft katapultierte und dabei bunte Blastersalven zu der Meute zurückschlug, die ihr auf den Fersen war.
Jysella richtete den Spionagedroiden wieder auf den Computerkern aus. Auf ihrem Bildschirm erschien ein rauchverhangener, von Blastereinschüssen übersäter Korridor, in dem hier und da Leitungen und Rohre freilagen. Sechs Leichen – allesamt Sith – lagen im Gang verstreut. Die schwere Tür, die in die Dekontaminationskammer führte, war zwar zu, aber unbewacht. Die Tastatur der Kontrolltafel verlieh dem Schlachtdunst einen mattgrünen Schein.
»Das ist zu einfach«, meinte Jysella. »Selbst Eure Pläne sind nicht so gut, Jedi Skywalker.«
»Noch eine Falle«, stimmte Ben zu. »Keine Wachen, und das sind eine Menge Leichen für drei Leute, die in die andere Richtung liefen.«
»Das war nicht irgendjemand, der in die andere Richtung lief«, erinnerte Valin ihn. »Das waren das Schwert der Jedi und zwei Ratsmeister.«
»Wie auch immer.« Ben streckte die Hand über Jysellas Schulter, um den Bildschirm zu berühren. »Lass den Droiden an ihnen vorbeilaufen, um zu sehen, wer von denen bloß so tut als ob.«
Jysella stellte die Akustiksensoren des Droiden auf Maximum und befolgte Bens Vorschlag. Sie vernahmen jede Menge Knistern und Zischen von kaputten Leitungen und Leck geschlagenen Rohren, aber nichts, das auch nur entfernt wie Herzschlag klang – nicht einmal nach einem schwachen. Sie hielt den Droiden ein paar Meter vom Computerkern entfernt an.
»Wir werden die Tatsache wohl einfach akzeptieren müssen«, sagte Valin. »Unsere Väter sind großartige Kämpfer.«
»Jaina ebenfalls«, fügte Jysella hinzu. »Aber wir sollten trotzdem auf Nummer sicher gehen – ich gehe vor und schaue mich um.«
Bevor Ben oder ihr Bruder dagegen Einwände erheben konnten, betätigte Jysella den Türöffner und trat in den Korridor hinaus. Zwanzig Sekunden später rückte sie in den raucherfüllten Gang vor, der zum Computerkern führte. Sie blieb an der Weggabelung stehen, dehnte ihre Machtwahrnehmung dann langsam in Richtung der Tür aus und registrierte nicht das Geringste – nicht einmal ein schwaches Anzeichen von Leben.
Das war der Moment, in dem sie das leise Surren von Droidenrädern hörte, die sich ihr von hinten näherten. Jysella warf einen Blick hinter sich und stellte fest, dass Rowdy ihr mit einigen Metern Abstand folgte. Es war unmöglich zu sagen, ob der kleine Droide ihre Anweisungen falsch gedeutet hatte oder Ben und Valin aus eigenem Antrieb entwischt war. Ihn zurückzuschicken, kam jedoch nicht infrage. Dafür hatten sie keine Zeit, und allein schon, den entsprechenden Befehl zu äußern, würde mehr Aufmerksamkeit auf sie lenken, als ihr lieb war.
Jysella bedeutete Rowdy, hinter ihr zu warten, zog ihre Blasterpistole und rückte durch den Korridor bis zur ersten Leiche vor. Der Sith hatte ein noch immer rauchendes Blasterloch in der Stirn und stellte offenkundig keine Bedrohung dar. Sie jagte zwei weitere Schüsse in den Leichnam, in der Hoffnung, damit jeden, der sich bloß tot stellte, dazu zu bewegen, sich jetzt zu erkennen zu geben.
Als sich keiner rührte, ging Jysella weiter zur nächsten Leiche und stellte fest, dass diese hier ebenfalls ein Blasterloch mitten in der Stirn hatte. Genau wie der nächste und der danach und auch der letzte der sechs Sith. Sie versuchte, sich einzureden, dass das nur logisch war, da die Sith Körperpanzer unter ihren Gewändern trugen und die einzige Stelle, ihnen Schaden zuzufügen, nun einmal der Kopf war. Doch ganz gleich, wie sie die Sache auch betrachtete, für jemanden auf der Flucht war das eine erstaunliche Zielgenauigkeit.
Jysella war bloß noch wenige Schritte vom Computerkern entfernt, als hinter ihr abermals ein leises Surren ertönte. Sie wirbelte herum, aktivierte ihr Lichtschwert und riss es in einem Bogen herum – die Klinge sauste weniger als einen Zentimeter über Rowdys Kuppel hinweg. Der kleine Droide stieß ein besorgtes Kreischen aus und ruckelte auf seinen Laufflächen zurück – ehe er mit einem Mal seinen Schweißarm ausfuhr und erneut vorwärtsrollte, während er Funken in Jysellas Richtung sprühte.
»Hör auf damit!« Jysella wies mit ihrem Lichtschwert den Korridor entlang zur Weggabelung. »Habe ich dir nicht gesagt, dass du dort hinten warten sollst?«
Rowdy ignorierte sie und rollte unter ihrer brummenden Klinge auf den Computerkern zu. Er ersetzte den Schweißarm durch einen Schnittstellenarm und machte sich daran, das Schloss zu knacken.
Jysella nutzte die Gelegenheit, um Ben via Komlink zu kontaktieren. »Vermisst ihr nicht etwas?«
»Rowdy.« Ben klang gereizt. »Er ist ungefähr zehn Sekunden nach dir zur Tür raus, und als ich versuchte, ihn wieder reinzuziehen, fing er an, zu viel Lärm zu machen. Letzten Endes fanden Valin und ich, dass es sicherer sei, ihn dir einfach folgen zu lassen.«
»Ich schätze, das hat funktioniert«, sagte Jysella. »Im Korridor gab es nichts zu befürchten, und ich hätte ihn ohnehin gebraucht, um das Schloss der Dekontaminationskammer zu knacken. Ich gebe euch Bescheid, wie die Lage ist, sobald ich im Kern bin.«
»In Ordnung«, entgegnete Ben. »Wir rücken jetzt vor, um dich bei Bedarf zu unterstützen.«
Jysella unterbrach die Verbindung, und fünf Sekunden später standen sie und Rowdy in einer kleinen Kammer, um mit Luft abgebürstet und mit einem Staubbinder eingesprüht zu werden. Sobald die Dekontamination abgeschlossen war, öffnete sich die Innentür, und Jysellas Blick schweifte durch eine große, kreisrunde Kammer, die vom Flimmern blauer Datenströme gesäumt wurde.
Ein halbrunder Wartungsbalkon ragte etwa fünfzehn Meter in die Kammer hinein und bot Platz für mehrere Bildschirmreihen und Interfacekonsolen. Unmittelbar hinter dem Balkongeländer hingen Konstellationen holografischer Statusanzeigen in der Luft, die rot, grün und gelb funkelten. Weiter entfernt schwebte der sanfte blaue Schein von Speicherwolken zwischen den knisternden Kugeln von Prozessorclustern.
Jysellas Herz pochte laut, als ihr bewusst wurde, wie dicht sie davorstanden, diese Mission erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Alles, was sie noch tun mussten, war, ein Dutzend Meter hinter sich zu bringen und Rowdy in eine Computerkonsole einzustöpseln. Dem Droiden war dies offensichtlich ebenfalls klar, da er ein aufgeregtes Piepsen ausstieß und auf den Balkon hinausrollte.
»Nicht so hastig, Kurzer.« Jysella nutzte die Macht, um ihn zurück in die Dekontaminationskammer zu ziehen. »Das kommt mir zu einfach vor.«
Der Droide gab ein protestierendes Pfeifen von sich, aber Jysella ignorierte ihn und dehnte ihre Machtwahrnehmung in den Raum aus. Irgendwo über ihr schwebte eine schwache, gepeinigte Präsenz in der Nähe des Eingangs. Doch da war außerdem eine dunkle Präsenz in der Kammer – diffus, mächtig und überall, als wäre der Computerkern selbst zu einem Sith geworden.
Außerstande, in den magnetisch abgeschirmten Wänden des Computerkerns ihr Komlink zu benutzen, streckte Jysella ihre Machtsinne aus und fand Ben und Valin ganz in der Nähe. Sie kamen gerade den Korridor zur Dekontaminationskammer entlang. Zuerst erfüllte sie ihre Präsenz mit einem Gefühl von Erfolg – um sie wissen zu lassen, dass sie drinnen war –, dann mit Unbehagen. Sie fühlte, wie die Präsenz ihres Bruders ihr beinahe augenblicklich antwortete, vorsichtig und besorgt. Ben fügte dem noch Geduld hinzu, und Jysella wusste, dass sie warten sollte. »Soll mir recht sein«, sagte sie laut.
Noch immer, ohne die Dekontaminationskammer zu verlassen, streckte sie über Rowdy hinweg die Hand zur Kontrolltafel aus. Er stieß ein enttäuschtes Piepsen aus und senkte sich auf seine Rollen herab. Dann, als Jysella den Knopf drückte, um die luftdichte Tür zu schließen, ließ der kleine Droide ein vorwurfsvolles Sirren hören und schoss auf den Balkon hinaus.
»Rowdy!«
Jysella blieb kaum genügend Zeit, mit einem Satz durch die Öffnung zu hechten, bevor sich die Tür mit einem Tschunk hinter ihr schloss. Sie landete unmittelbar außerhalb der Dekontaminationskammer und rollte sich ab, um in einer kampfbereiten Kauerposition wieder auf die Beine zu kommen, aufmerksam auf das schwächste Kribbeln drohender Gefahr achtend. Sie gewahrte bloß die gequälte Präsenz über ihr, ein Stück weiter hinten, schwach und kaum aktiv, und jenseits der Balkonbrüstung dasselbe Miasma dunkler Energie, das sie schon zuvor wahrgenommen hatte.
Rowdy rollte weiter vorwärts. Sein Ziel schienen drei Drehsessel zu sein, die vor der Hauptschnittstellenkonsole standen. In der Rückenlehne des mittleren Sessels prangte ein sternenförmiger Brandfleck, der ein dunkles Loch umgab, das ungefähr dort war, wo sich das Herz eines sitzenden Menschen befände. Jysella drückte ihren Rücken gegen die Tür der Dekontaminationskammer und dehnte von Neuem ihre Machtwahrnehmung aus. Sie registrierte noch immer keinen Hinweis auf einen bevorstehenden Angriff.
Als Rowdy die Hauptadministrationskonsole erreichte und sich in die Droidenbuchse einklinkte, ohne dass es zu irgendwelchen Zwischenfällen kam, entschied Jysella, dass sie es riskieren konnte, ihren Blick für einen Moment von ihm abzuwenden. Sie trat von der Tür weg und drehte sich zur Dekontaminationskammer um.
Einige Meter entfernt hing eine vertraute Gestalt mit dem Kopf nach unten und starrte sie mit Augen an, die umgeben waren von Blutergüssen durch massive Prügel. Sein Gesicht war so zerschlagen und geschwollen, dass sie ihn beinahe nicht erkannt hätte, und eine seiner Schultern ragte in einem unmöglichen Winkel aus der Gelenkpfanne. Allerdings waren der konservative Schnitt seines kurzen braunen Haars und der reservierte Stil seines formellen grauen Geschäftsanzugs unverkennbar.
»Staatschef Dorvan?«, keuchte Jysella. Sie widerstand dem Drang, ihm zu Hilfe zu eilen. Stattdessen zog sie es vor zu bleiben, wo sie war, bis sie irgendeine Ahnung hatte, was geschehen war. »Was ist passiert?«
»Sie … Sie hat mich unterschätzt«, entgegnete Dorvan. Eine Furche, bei der es sich um ein Lächeln handeln konnte, grub sich in sein geschwollenes Gesicht. »Genau wie alle anderen.«
»Wer?«, fragte Jysella.
Dorvans Blick wanderte zur Hauptschnittstellenkonsole hinüber, wo Rowdy noch immer beschäftigt war – und wo der Sessel mit dem Brandloch stand.
»Sie.«
»Wer?«, fragte Jysella wieder.
»Sie.« Dorvan sah aus, als wolle er auf etwas zeigen, doch in seiner Körperhaltung war ihm das unmöglich. »Sieh doch.«
Jysella verwendete einen Moment darauf, die Möglichkeit einer Falle in Betracht zu ziehen, und gelangte schließlich zu dem Schluss, dass das, was sich hier auch abgespielt hatte, bereits eine Weile zurücklag. Sorgsam darauf bedacht, weiterhin wachsam auf Dorvans Präsenz zu achten, rückte sie vor, bis sie zur Konsole gelangte, wo Rowdy blinkend und piepend mit dem Computerkern kommunizierte.
Sie drehte sich um und sah sich die Administratorensessel an. Zwei der Sitze waren leer, doch im mittleren saß eine zusammengesunkene, blauhäutige Jessar-Frau. Sie hatte ein geschwärztes Brandloch in der Brustmitte, ein weiteres zwischen den Augen und ein drittes seitlich im Kopf.
Roki Kem.
»Sei … vorsichtig.« Auf diese Entfernung war Dorvans Stimme so schwach und so voller Schmerz, dass sie kaum zu hören war. »Sie ist nicht tot.«
Jysella wandte sich wieder dem Mann zu, von dem sie allmählich annahm, dass er unter der Sith-Folter den Verstand verloren hatte. »Haben Sie Roki Kem getötet?«
»Ich sagte es doch gerade!«, schnappte Dorvan. »Sie ist nicht tot! Und das ist nicht Staatschefin Kem.«
Bevor Jysella etwas darauf erwidern konnte, unterbrach Rowdy sie mit einem drängenden Pfeifen. Sie hob eine Hand, um Dorvan zu bedeuten, zu warten, und wandte sich wieder zu Rowdy.
»Was ist los?«
Der Droide gab ein ungeduldiges Zwitschern von sich, ehe ein Bildschirm über der Schnittstellenstation mit einem Mal abrupt zum Leben erwachte. Das Bild war dunkel und unscharf, doch Jysella hatte den Eindruck, als würde der Droide ihr einen Korridor zeigen. Der trüben Beleuchtung und den Schleiern von Korrosion und Moos nach zu urteilen, die sich an die Durastahlwände klammerten, befand er sich vermutlich tief im Innern des Jedi-Tempels – oder möglicherweise sogar in irgendeinem anderen Gebäude.
»Lass dich nicht täuschen«, rief Dorvan vom Balkon zu ihr herüber. »Das ist nicht … Roki Kem!«
»Okay, wenn Sie das sagen.« Jysella schaute bei diesen Worten nicht auf, da sie bereits wusste, was Dorvan ihr vermutlich sagen wollte – dass es sich bei Roki Kem um eine mächtige Sith-Doppelgängerin handelte. Ohne den Blick von dem Bildschirm abzuwenden, fragte sie Rowdy: »Was sehe ich mir hier an? Hat das irgendwas mit den Schilden oder den Schutztoren zu tun?«
Auf einer Seite des Schirms, neben dem Bild des Korridors, scrollte eine Textnachricht nach unten. ICH HABE VESTARA KHAI GEFUNDEN. Im selben Moment, als die Worte erschienen, wurde eine zierliche Frauengestalt sichtbar, die eine Jedi-Robe trug und durch den Gang lief, der vom unteren zum oberen Bildschirmrand führte. SIE FLIEHT IN DIE SUBSTRUKTUR DES TEMPELS. GEGENWÄRTIG BEFINDET SIE SICH AUF EBENE 30, KORRIDOR N300X.
»In die Substruktur?«, echote Jysella. »Was bei allen Welten macht sie da unten?«
Noch bevor ihr die Frage vollständig über die Lippen gekommen war, tauchten ein Dutzend Sith-Krieger auf dem Schirm auf, die hinter Vestara den Korridor entlangliefen.
UM IHR LEBEN RENNEN, entgegnete Rowdy.
»Das sehe ich«, erwiderte Jysella. »In Ordnung, behalte sie im Auge, falls du das schaffst – Ben wird wissen wollen, wie es ihr ergeht. Allerdings haben die Schilde und die Schutztore für uns Priorität.«
Sie spürte, wie Valin seine Machtsinne nach ihr ausstreckte, verwirrt und besorgt. Zweifellos hatten er und Ben die Dekontaminationskammer betreten und waren beunruhigt darüber, sie dort nicht anzutreffen. Sie reagierte mit einem kurzen Ausbruch der Frustration – Rowdy –, gefolgt von einem Gefühl der Gelassenheit.
Der Austausch endete abrupt, als von der Wand, an der Dorvan hing, ein gequältes Kreischen herüberdrang. In der Erwartung, etwas noch Schlimmeres zu erblicken, als bereits dort hing, schaute Jysella zu Dorvan hinüber – und war überrascht, dass es sich bloß um den gepeinigten Bürokraten handelte, der um ihre Aufmerksamkeit heischte.
»Du spielst ihr geradewegs in die Hände!«, heulte Dorvan.
»In wessen Hände?« Jysella deutete auf Kems Leiche. »In ihre?«
»Ja!«, gab Dorvan zurück. »Begreifst du denn nicht? Sie manipuliert dich!«
Jysella studierte die reglose Frau. Als sie feststellte, dass sie noch immer tot war, gelangte sie zu dem Schluss, dass Dorvan offensichtlich übergeschnappt war.
»Staatschef Dorvan«, sagte Jysella mit absichtlich ruhiger Stimme. »Ich weiß bereits, wer Staatschefin Kem in Wahrheit ist.«
Dorvans Augen weiteten sich vor Furcht. »Ach, tust du das?«
Jysella nickte. »Ja, sie ist eine Hochlady der Sith.« Während sie sprach, verlangte Rowdy zwitschernd nach ihrer Aufmerksamkeit. Sie bedeutete dem Droiden, einen Moment zu warten, und fügte dann hinzu: »Möglicherweise ist sie sogar Erbgroßlady auf Coruscant.«
Die Furcht in Dorvans Gesicht verwandelte sich in Entsetzen. »Nein.« Sein Teint wurde grau, und es sah aus, als sei er kurz davor, in Hysterie zu verfallen. »Du verstehst nicht!«
Rowdy bat erneut um ihre Aufmerksamkeit, diesmal mit einem dringlichen Kreischen. Jysella beschloss, sich lieber auf ihre Mission zu konzentrieren als auf den zerrütteten Verstand eines Gefangenen, und streckte ihre Machtsinne nach Dorvan aus.
»Ich verstehe durchaus, Staatschef Dorvan«, sagte sie und badete ihn in einem massiven Strom derselben besänftigenden Machtenergien, auf die sie zurückgriff, wenn sie irgendwelche Machtsuggestionen wirkte. »Alles kommt wieder in Ordnung.«
Dorvans Stimme versank in Zusammenhanglosigkeit – was für Jysella beinahe genauso gut war, als würde er komplett seinen Mund halten. Sie wandte sich wieder dem Bildschirm über Rowdys Schnittstellenbuchse zu. Beinahe augenblicklich begannen Worte über den Schirm zu scrollen.
DER COMPUTERKERN HAT EINE FEHLFUNKTION. SIE BEHARRT DARAUF, DASS SIE DIE HERRIN DES JEDI-TEMPELS IST. SIE BEHARRT DARAUF, DASS SIE DIE GELIEBTE KÖNIGIN DER STERNE IST, UND SIE BEHARRT DARAUF, DASS SIE SÄMTLICHE SCHILDE AKTIVIERT UND ALLE SCHUTZTORE IM JEDI-TEMPEL AUSSER FUNKTION GESETZT HAT.
In Jysella machte sich ein ungutes, hohles Gefühl breit. »Die Geliebte Königin der Sterne?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Atmen. »Frag den Computer nach seinem Namen.«
Eine Flammengischt schoss aus der Schnittstellenbuchse, und Rowdy sauste – Funken, Rauch und den beißenden Gestank schmelzender Schaltplatinen hinter sich herziehend – über den Balkon. Er rollte weiter, bis er gegen das Sicherheitsgeländer krachte, dann kippte er um, und aus jeder Fuge seines Gehäuses sickerten geschmolzenes Metall und Löschschaum hervor.
Am Bildschirm ertönte ein Signal, das um ihre Aufmerksamkeit heischte, und die Antwort auf Jysellas Frage rollte über den Monitor.
DU WEISST, WER ICH BIN.
Und Jysella wusste es tatsächlich. Die Jedi waren wegen der Sith hergekommen – und hatten Abeloth gefunden. Ihr gesamter Körper erstarrte zu Eis. Ihre Gedanken wurden träge und ihre Gefühle konfus, und sie fing an zu zittern. Abeloth hatte ihren Verstand schon einmal übernommen. Sie durfte nicht zulassen, dass das noch einmal geschah … sie würde es nicht zulassen. Jysella riss einen Thermaldetonator von ihrem Kampfgeschirr, machte ihn scharf, wich in Richtung Luftschleuse zurück … und dachte an ihren Bruder und Ben.
Mittlerweile hätten sie eigentlich längst neben ihr stehen sollen, um ihr Kraft und Mut zu spenden und ihr bei der Entscheidung zu helfen, was jetzt zu tun war. Doch sie hatte noch nichts von ihnen gehört – nicht einmal einen Notruf in der Macht.
Jysella wirbelte herum und sah, dass die Statusleuchte über der Luftschleuse nach wie vor gelb war. Die Austauschpumpen liefen noch, um die Luft in der Kammer zu filtern – oder sie einfach abzusaugen. Sie suchte in der Macht nach ihnen – und fand bloß eine einzige Präsenz, zu schwach und dem Tode zu nahe, als dass es ihr möglich gewesen wäre, zu bestimmen, ob es sich dabei um Ben oder ihren Bruder handelte. Jysella stellte den Zünder des Thermaldetonators auf eine Sekunde ein, ehe sie sich wieder dem Computerkern zuwandte … und damit Abeloth. »Öffne die Luftschleuse … sofort!«
Zu Jysellas Überraschung glitt die Tür augenblicklich auf und gab dabei ein lautes, zischendes Ploppen von sich, das darauf hinwies, dass der Druck bereits aus der Luftschleuse abgelassen worden war. Ben war nirgends zu sehen, doch der Körper ihres Bruders lag reglos auf dem Boden. Sie griff in der Macht nach ihm, und als sie feststellte, dass er noch lebte, begann sie, ihn zu schütteln. »Valin! Wach auf!« Den Detonator noch immer in der Hand haltend, trat sie in die Luftschleuse und kniete neben ihm nieder. »Wo ist Ben?«
Über der Luftschleusentür ertönte ein lautes Warnsignal, und dann drang Wynn Dorvans Stimme zu ihr herüber.
»Habe ich dich nicht gewarnt?«, heulte er. »Sie kann die Zukunft sehen!«