11. Kapitel
Staatschef Jagged Fel hatte nicht die geringste Ahnung, wie es dem Scoutschiff gelungen war, durch die Blockade zu schlüpfen. Er hatte tausend Sienar-Wachschiffe dort draußen, die sämtliche Anflugvektoren auf den Planeten Exodo II im Auge behielten. Er hatte sechs Sternenzerstörer-Kampfverbände im Einsatz, die sich in einem Bereich des Weltraums drängten, der kaum tausend Kilometer im Durchmesser maß. Er befehligte über hundert Turbolaser-Teams, die auf die Ansammlung sonnenerhellter Megalithen feuerten, die einst Boreleo gewesen waren, der Mond von Exodo II, und er hatte drei Sensormannschaften, die jeden Kubikmeter zwischen der Zielzone und der Sperrlinie überwachten. Und dennoch war er da auf dem Brückenschirm: der goldene Funken eines KTW-Sternenrangers, der in die dunkle Kluft zwischen drei kilometerlangen Mondtrümmern glitt.
Die wahrscheinlichste Erklärung für den Durchbruch war gleichzeitig die beunruhigendste, nämlich, dass irgendjemand das Schiff absichtlich durchgelassen hatte. Seine Belagerung der ehemaligen Staatschefin der Galaktischen Allianz und des Möchtegernoberhaupts des Imperiums, Natasi Daala, ging bald in den zweiten Monat, und Jag war sich durchaus darüber im Klaren, dass seine Macht an einem seidenen Faden hing. Jeder imperiale Moff mobilisierte derzeit seine Privatflotte, und es war bereits zu mehreren Grenzgefechten gekommen, als alte Feinde sich Jags derzeitige Abgelenktheit zunutze zu machen versuchten, um sich Sterne unter den Nagel zu reißen. Seine Spione berichteten, dass sich derzeit unmöglich sagen ließ, ob sich jene Moffs, die sich aktuell nicht gegenseitig bekämpften, letztlich dazu entschließen würden, ihn gegen Daala zu unterstützen, oder ob sie sich auf die Seite des Feindes schlugen, um gegen ihn vorzugehen. Der Imperialen Flotte selbst war ebenfalls nicht zu trauen. Tatsächlich war Jag gezwungen gewesen, ganze Verbände in die abgelegensten Winkel des Imperiums zu entsenden, aus Angst, dass sich ihre Offiziere eher auf die Seite von Lecersen oder Vansyn schlagen würden, als auf die von Jag, dem legitimen Staatschef.
Und jetzt ließ jemand von der Heimatflotte Blockadebrecher durch den Kordon schlüpfen. Er hegte keinen Zweifel daran, dass es sich dabei um Boten handelte, die Unterstützungsangebote überbrachten, die Daala und Lecersen begierig annehmen würden, ganz gleich, was sie ihren »Gönnern« dafür im Gegenzug zusichern mussten. Wenn Jag diesen Aufstand nicht bald niederschlug, würde sich die Sache zu einem Bürgerkrieg ausweiten. Und vielleicht drohte ihnen sogar noch Schlimmeres, wenn das Imperium in Anarchie versank und sich die Moffs gegeneinander wandten.
Während Jag über die Schwierigkeiten nachgrübelte, das Imperium zusammenzuhalten, zuckten ein Dutzend Turbolasersalven über den Brückenschirm, die die Sternenranger ins Visier genommen hatten, die gerade in das Trümmerfeld von Boreleo eintrat. Überall explodierte Gestein, dann ließ eine leuchtende Überladung den Bildschirm weiß werden, und das Bild der Sternenranger verschwand, bevor man richtig ausmachen konnte, ob das kleine Scoutschiff zerstört worden war oder nicht.
Jag wartete und starrte weiter auf den Schirm. Als sich das Bild auch nach einigen Sekunden nicht klärte, wandte er sich an den Kommandanten des Kampfverbands, Admiral Vitor Reige, und zog erwartungsvoll eine Augenbraue hoch.
»Ich werde Ihnen so schnell wie möglich einen Statusbericht liefern, Staatschef.«
Reige, ein groß gewachsener, hakennasiger Mann mit dunklem Haar und durchdringenden blauen Augen, warf seinem Adjutanten einen raschen Blick zu, der unverzüglich die Brücke überquerte, um die Anfrage an den Kapitän der Blutflosse weiterzugeben. Das war zwar ein frustrierend langsamer Weg, um eine einfache Antwort zu erhalten, doch beim Militär stand die Befehlskette über allem.
»Vielen Dank, Admiral Reige.« Jag war sich ziemlich sicher, dass der Admiral dem rechtmäßigen Staatschef des Imperiums weiterhin treu ergeben war. Allerdings war Gilad Pellaeon persönlich Reiges Mentor gewesen, und es war unmöglich, sich nicht zu fragen, welche Auswirkungen die Freundschaft zwischen Pellaeon und Daala wohl auf das Urteilsvermögen des Admirals haben mochte. »Und es wäre schön, wenn Sie mir den Flugbericht dieses Sternenrangers besorgen könnten. Wo auch immer dieses Schiff hinwill, ich bin sehr daran interessiert zu erfahren, wie es ihm gelungen ist, durch die Blockade zu schlüpfen.«
»Genauso wie ich, Staatschef«, sagte Reige. »Im Moment kann ich jedoch nur mutmaßen, dass das Schiff mit Tarntechnologie ausgestattet ist.«
»Tut mir leid, Admiral – ich wünschte wirklich, das wäre alles, was dahintersteckt«, warf Tahiri Veila ein.
Tahiri, die auf der Seite gegenüber von Reige neben Jag stand, war unbewaffnet und trug grellrote Handfesseln um beide Gelenke. Obgleich Jag zuversichtlich war, dass Tahiri tatsächlich die Absicht hatte, ihr Versprechen zu halten, sich dem Mordprozess zu stellen, kündete ihr Auftreten unverhohlen von ihrem Status als imperiale Gefangene – und noch dazu war es Tahiris eigene Idee gewesen. Auf eben diesem Schiff hatte sie Gilad Pellaeon ermordet. Deshalb hatte Tahiri angeboten, die Fesseln als Zugeständnis an die Gefühle von Vitor Reige und den vielen anderen an Bord zu tragen, die Pellaeon wie einen Vater geliebt hatten. Bislang schien die Strategie aufzugehen. Es gab zwar jede Menge mürrischer Blicke und gemurmelter Beleidigungen, aber davon abgesehen schien die Mannschaft zu akzeptieren, dass sie lediglich so lange auf Bewährung war, bis ihr ein ordentlicher Prozess gemacht werden konnte.
Nach einem angespannten Schweigen nahm Reige den Kommentar widerwillig zur Kenntnis, indem er ihr den Kopf zuwandte. »Ich nehme an, Sie haben eine andere Erklärung dafür, Gefangene Veila?«
»Die Macht hat eine«, entgegnete Tahiri. »Eine mächtige Präsenz ist in das Trümmerfeld eingedrungen – eine, die ich hier zuvor noch nicht wahrgenommen habe.«
»Eine mächtige Präsenz?«, spöttelte Reige. »Und was genau wollen Sie damit sagen?«
»Sith«, erklärte Jag, der zu ignorieren versuchte, wie sich sein Magen zusammenzog. Er wandte sich an Tahiri. »Willst du das damit andeuten?«
Tahiri zögerte. Ihre Augen waren auf den Brückenschirm gerichtet, als das Bild wieder normal wurde. Zwei der kilometerlangen Felsmassive waren zu einer Ansammlung heiß glühender Gesteinsbrocken reduziert worden, und von dem Sternenranger war nichts zu sehen.
Schließlich sagte sie: »Ich fühle tatsächlich eine gewisse Dunkelheit, aber ob es sich dabei um einen Sith handelt …« Ihr Blick schweifte zum vorderen Sichtfenster, jenseits dessen der zertrümmerte Mond kaum mehr zu sein schien als eine winzige Flammenkugel am Konvergenzpunkt eines steten Stroms von Turbolaserfeuer. »Alles, was ich sagen kann, ist, dass die Macht stark in denen ist, die dort draußen sind, wer auch immer sie sein mögen. Sehr stark.«
»Und noch am Leben.« Die Bemerkung ertönte direkt hinter Tahiri, wo Jags Chiss-Adjutant und -Leibwächter Ashik stand. »Spürst du das ebenfalls?«
Tahiri nickte. »Ja, das tue ich.«
»Höchst beeindruckend, Gefangene Veila«, sagte Reige trocken. »Mit Ihnen an Bord muss man sich wirklich fragen, wozu wir überhaupt Sensormannschaften haben.«
»Das habe ich mich bereits gefragt, bevor sich die Gefangene zu Wort gemeldet hat, Admiral«, erwiderte Jag mit durastahlharter Stimme. Er konnte Reiges Entrüstung darüber verstehen, dass sich Tahiri frei an Bord der Blutflosse bewegen konnte, doch ihre Jedi-Fähigkeiten waren im Augenblick einfach zu nützlich, als sie in einer Zelle eingesperrt zu lassen – und es wurde allmählich Zeit, dass Reige das begriff. »Hätte sie an einer Sensorstation gesessen, hätte sie den Blockadebrecher wahrscheinlich entdeckt, bevor sich seine Umrisse vor dem Trümmerfeld abhoben.«
Während Jag sprach, kehrte Reiges Adjutant zurück und flüsterte dem Admiral etwas ins Ohr. Der Ausdruck der Verwirrung, der auf Reiges Gesicht trat, wandelte sich rasch in eine defensive Miene, bevor er sich beinahe trotzig wieder an Jag wandte.
»Ich bezweifle, dass es irgendeinen Unterschied gemacht hätte, wer an den Sensorstationen Dienst tat, Staatschef.« Reige wies auf ein Holofeld im Salon des Flottenadmirals im hinteren Teil der Brücke und sagte: »Der Sternenranger scheint eine neue Form von Störtechnologie einzusetzen. Wenn Sie so freundlich wären, mich zu begleiten, erkläre ich Ihnen alles weitere.«
Als sich Jag und die anderen kurz darauf in den Salon zurückgezogen hatten, wurde bereits das Taktik-Hologramm des Planetensystems von Exodo II angezeigt. Das Bild zeigte eine äußere Schicht von Kennungssymbolen, die mit den Buchstaben ISW begannen – für »Imperiales Sienar-Wachschiff« – und eine grün-schwarz-gesprenkelte Kugel umgaben. Abgesehen davon, dass es keine Wolken gab, war der Planet mit jener Welt identisch, die Jag jede Nacht draußen vor dem Fenster seiner Privatkabine sah. Der Kampfverband, der dort im Orbit schwebte, wo sich vormals der Mond Boreleo befand, war ein so dichtes Gewirr von Kennungssymbolen, dass es unmöglich war, einzelne davon zu entziffern.
Reige nickte, und sein Adjutant richtete eine Fernbedienung auf das Holofeld. Einen Moment später verwandelte sich ein Kreis von knapp dreißig ISW-Symbolen in statischen Schnee.
»Der zeitliche Rahmen wurde um ein Tausendfaches komprimiert«, erklärte Reige. »Jede Sekunde des Holos entspricht etwas weniger als einer Viertelstunde in Echtzeit.«
Der Statikkreis breitete sich noch einige Augenblicke weiter aus, ehe er rasch zu schrumpfen begann und sich in die gegengesetzte Richtung der Rotation von Exodo II ausdehnte. Innerhalb von drei Sekunden – ungefähr einer Dreiviertel-Echtzeit-Standardstunde – hatte sich der Kreis zu einem kleinen, schmalen Band zusammengezogen, das sich um den Planeten herum auf den Kampfverband zubewegte.
»Die Statik resultiert aus einem Energieblitz, der sich auf dieser Route bewegt und die Sensoren vorübergehend blind gemacht hat«, erklärte Reiges Adjutant. »Zu diesem Zeitpunkt werteten die Aufklärungsoffiziere das Ganze als Sonneneruption und machten sich keine weiteren Gedanken darüber.«
»Was ein großer Fehler war, der sich besser nicht wiederholen sollte«, sagte Jag. Er wandte sich an Tahiri. »Wärst du so frei, uns zu erläutern, was wir hier vor uns sehen?«
»Natürlich, Staatschef.« Tahiris Blick blieb fest auf das Holo gerichtet. »Das ist ein Machtblitzen.«
»Ein Machtblitzen, Gefangene Veila?«, erwiderte Reige. »Ich fürchte, dass Sie diesen Begriff für all jene von uns näher definieren müssen, die nicht mit Angehörigen des Jedi-Ordens auf du und du sind.«
»Es handelt sich dabei um eine Anti-Überwachungstechnik«, sagte Jag, der die Erklärung damit persönlich übernahm. »Die Jedi setzen sie ein, um Sicherheitskameras und Intrusionsalarmsysteme vorübergehend außer Gefecht zu setzen. Auf den Videos sieht das Ganze dann wie ein unbedeutender kurzer Störimpuls aus.«
Tahiri nickte. »Exakt. Aber das hier …« Sie verstummte, als sich der Maßstab des Hologramms veränderte, um den inneren Kordon der Blockade zu zeigen. Dann drehte sie sich um und sah Jag an. »Das hier war ausgesprochen stark. Selbst Großmeister Skywalker ist nicht mächtig genug, um die Sensoren eines Blockadekontrollschiffs über eine solche Entfernung hinweg zu stören.«
»Falls du uns damit mitzuteilen versuchst, dass es kein Jedi war, der diesen Sternenranger gesteuert hat, dann kannst du dir das sparen«, sagte Jag. »Ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass die Jedi für Daala im Augenblick sogar noch weniger übrighaben als ich.«
Das entlockte den Stabsoffizieren ein höfliches Lachen – mehr aber auch nicht.
Doch Tahiris Miene blieb ernst. »Um ehrlich zu sein, Staatschef Fel, wollte ich damit sagen, dass der Pilot auch kein Sith sein kann.« Sie deutete auf das Hologramm, das jetzt die Kennungssymbole von sechs Zerstörern und dreißig Begleitschiffen zeigte, die sich um die zertrümmerten Überbleibsel des Mondes Boreleo herum formiert hatten. Sage und schreibe die Hälfte aller Schiffe war von statischem Rauschen befallen. »Kein Sith ist stark genug, um so viele Raumschiffe zu blenden.«
Jag sah die Furcht, die sich in ihren Blick stahl, und wusste, was ihr durch den Kopf ging. »Nur zu, raus damit, Tahiri«, forderte er sie auf. »Admiral Reige muss wissen, womit wir es hier zu tun haben.«
»Also gut.« Tahiri schluckte und sagte dann: »Ich glaube, wir haben Abeloth gefunden.«