33. Kapitel

Der See der Erscheinungen war weder warm noch kalt, weder still noch aufgewühlt. Er existierte einfach, jenseits von Zeit und Empfinden, jenseits von Furcht, Verlangen oder Verantwortung. Er verkörperte Unterwerfung und Errungenschaft, Tod und Unsterblichkeit, und Luke hatte sich noch nie so bereit gefühlt, unter seine dunkle Oberfläche zu sinken und sich zu seiner geliebten Mara zu gesellen, sich von ihrer flüssigen Umarmung umschlingen und den Schmerz seiner Wunden, den Kummer seiner einsamen Verzweiflung von den Tiefen der Ewigkeit fortwaschen zu lassen. Doch irgendetwas wollte ihn nicht untergehen lassen.

Er lag ein Jahr oder eine Minute in dem Wasser, verletzt und erschöpft, und verfolgte, wie Abeloths bleiche Gestalt verging. Ihre Augen waren leer und dunkel, ihre Tentakel zu lockeren Knäueln zusammengerollt. Ihr goldenes Haar war einem treibenden Heiligenschein gleich um ihr Haupt auseinandergefächert, und sie schien weniger zu versinken, als vielmehr bloß zusammenzuschrumpfen. Luke sah weiter zu, wie sie auf die Größe eines Oberschenkels, eines Fußes, eines Fingers und dann zu einem bloßen Splitter schrumpfte, der unter ihm zu treiben schien, tanzend und flackernd, bevor er schließlich außer Sicht verschwand.

Und dennoch versank Luke immer noch nicht. Er war zu schwach, um aufzusteigen, und das Einzige von sich, das er spüren konnte, war die quälende Leere, die Abeloth in seine Brust gerissen hatte. Ihm kam in den Sinn, dass er vielleicht wirklich starb, und dieser Gedanke machte ihm nicht die geringste Angst. Selbst wenn sein Leben nicht so lang gewesen war wie Yodas, war es ein gutes Leben gewesen, voller enger Freunde und einer Familie, die er über alles liebte. Zumindest hatte er den anderen empfindungsfähigen Wesen seiner Zeit einen kleinen Dienst erwiesen. Und mit dem neuen Jedi-Orden hatte er ein Licht wiederentfacht, das in der Galaxis einst erloschen gewesen war. Er bedauerte nur wenig von dem, was er getan hatte, und wenn die Zeit gekommen war, die Fackel an einen anderen Jedi zu übergeben, war er bereit dazu.

»Noch nicht, Skywalker.«

Die Stimme war warm und vertraut und erklang hinter Luke. Er drehte sich um und sah, wie Maras Gesicht die Wasseroberfläche durchstieß. Dann sah er eine Hand, die die Rückseite seiner Oberarme umfasste, und ihm wurde bewusst, dass sie unter ihm schwamm, ihn am Sinken hinderte.

»Ist schon gut, Mara«, sagte Luke. »Ich bin bereit. Ich will mit dir vereint sein.«

»Zu schade«, erwiderte sie, während er spürte, wie sein Oberkörper höher glitt, als Mara ihn weiter nach oben zu stoßen versuchte. »Ich will nämlich nicht mit dir vereint sein – nicht hier, nicht jetzt.«

»Was?«, keuchte Luke, mehr von Verwirrung denn von Groll erfüllt. »Mara, ich bin verletzt … schwer. Abeloth hat mir etwas genommen.«

»Ihn hat sie ebenfalls verwundet.« Maras andere Hand stieg aus dem Wasser und wies an Lukes Kopf vorbei auf den tätowierten Sith, der Luke dabei geholfen hatte, Abeloth zu vernichten. Der Fremde war auf den Füßen und humpelte auf das ferne Ufer zu, beide Hände gegen seine Brust gedrückt. »Wenn er dazu imstande ist, bist du es auch.«

Luke zwang sich, sich aufrecht hinzusetzen. Die Anstrengung sorgte dafür, dass sich sein Kopf drehte und sein ganzes Wesen schmerzte, doch er weigerte sich, wieder zurück ins Wasser zu fallen. Er hatte keine Ahnung, wer der Sith in Wirklichkeit war, doch es schien keine allzu kluge Idee zu sein, ihn allein in die physische Welt zurückkehren zu lassen.

»Das ist lächerlich. Womöglich haben sie unterschiedliche Verletzungen erlitten.« Diese Stimme kam von Lukes anderer Seite, unheilvoll und schmeichelnd … und gleichermaßen vertraut. »Abgesehen davon sind Sith stärker. Sie haben die Dunkle Seite.«

»Wer ist er?«, fragte Luke. Er drehte sich und sah Jacen auf seiner anderen Seite aus dem Wasser aufblicken. »Du weißt es, nicht wahr?«

»Ich sagte es dir bereits«, entgegnete Jacen. »Er ist derjenige, den ich auf dem Thron des Gleichgewichts sitzen sah.«

»Der dunkle Mann aus deiner Vision?«, fragte Luke. Dies hier war die beste Gelegenheit, die sich ihm jemals bieten würde, um mit Gewissheit zu erfahren, warum sich Jacen der Dunklen Seite zugewandt hatte, und er war entschlossen, sich diese Chance nicht entgehen zu lassen. »Derjenige, den du aufhalten wolltest, indem du dich selbst geopfert hast?«

»Ich sah nur den einen«, gab Jacen zurück, »und du lässt ihn gewinnen.«

Luke schüttelte den Kopf. »Er kann nicht gewinnen, Jacen. Welchen Schaden auch immer du der Macht zugefügt hast, zumindest dafür hast du gesorgt. Die Sith werden niemals über die Galaxis herrschen … nicht jetzt.«

Der Tätowierte blieb stehen und wirbelte herum. Luke ertappte sich dabei, wie er sich bereit machte, einem Machtblitz auszuweichen. Doch der Fremde war ebenso wenig in der Verfassung zu kämpfen, wie Luke. In seiner Brust klaffte eine üble Wunde, genau wie bei Luke, und Luke konnte sehen, dass sein ganzer Körper zitterte. Statt anzugreifen, stand der Sith einfach nur da und starrte sie an. Ein Auge leuchtete gelb, das andere war eine leere Höhle, und sein rechter Arm war bloß noch der nutzlose Geist einer Gliedmaße.

Dann, nach einer Ewigkeit, die ebenso gut bloß eine Sekunde gedauert haben mochte, sagte er: »Ihr solltet nicht so sehr von Euch überzeugt sein, Meister Skywalker. Womöglich denkt Ihr, Ihr hättet die Sith aufgehalten, aber Ihr wisst nichts über uns … nicht das Mindeste.«

»Ich weiß, dass Jacen die Zukunft verändert hat«, gab Luke scharf zurück. »Und Ihr wisst das ebenfalls – andernfalls wärt Ihr nicht hier gewesen, um mich beim Kampf gegen Abeloth zu unterstützen.«

Der Fremde senkte zustimmend sein Kinn. »Das mag sein«, sagte er. »Aber könnt Ihr Euch sicher sein, dass diese Veränderung Bestand haben wird? Vielleicht hat Caedus die Zukunft ja gar nicht geändert. Vielleicht hat er sie lediglich hinausgezögert

Luke spürte, wie seine Energie und Entschlossenheit zurückkehrten. »Ich schätze, das werden wir sehen, nicht wahr?«

Langsam verzog sich der Mund des Fremden zu einem Grinsen. »In der Tat.« Er wandte sich ab und humpelte davon. »Das werden wir sehen, Meister Skywalker. Das verspreche ich Euch.«

Luke rappelte sich auf und behielt den Fremden im Auge, bis der Sith schließlich ans Ufer trat und verschwand. Der Mann war kaum fort, als Jacen erneut sprach, diesmal aus dem Wasser vor Luke.

»Was hat Abeloth mit alldem zu tun?«, fragte Jacen. »Sie gehörte nicht zu meiner Vision.«

Luke musterte das verbitterte Antlitz seines Neffen und überlegte, wie viel er von dem preisgeben sollte, was Raynar von Thuruht erfahren hatte – ob es gerecht oder grausam sei, Jacen wissen zu lassen, dass er persönlich die Verantwortung für eine Apokalypse trug.

»Das dachte ich mir«, spöttelte Jacen. »Du bist genauso ein Lügner wie ich.«

Luke schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Lügner, Jacen. Du bist derjenige, der Abeloth befreit hat.«

»Ich?« Jacens Ton war abfällig, aber Luke konnte die Überraschung in seinen Augen sehen. Er verstand tatsächlich nicht, was er angerichtet hatte. »Wie das?«

Luke schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das sagen sollte«, entgegnete er. »Das wäre nicht gut.«

»Erwartest du von mir, dir zu glauben, dass du mich damit schützen willst?«, spöttelte Jacen. »Tatsächlich? Denn ich kann mit der Wahrheit umgehen, das versichere ich dir.«

»In Ordnung«, sagte Luke. Jacen ahnte bereits, was passiert war, und es wäre bloß unbarmherzig gewesen, ihn im Unklaren zu lassen, wenn er mit seiner Vermutung doch richtig lag. »Allerdings musst du mir zuerst eine Frage beantworten, die mich schon seit Langem beschäftigt.«

»Kommt darauf an«, meinte Jacen. »Fragen kostet ja schließlich nichts.«

»Manchmal schon«, sagte Luke. Er kauerte sich hin und schaute geradewegs in Jacens tote Augen. »Ich will wissen, warum du nicht zu mir gekommen bist.«

»Mit meiner Vision?«, fragte Jacen.

»Mit allem. Eine Weile dachte ich, es läge daran, weil ich der dunkle Mann sei, den du auf dem Thron des Gleichgewichts gesehen hast – dass du versucht hast, meinen Platz einzunehmen.« Luke wies zum Ufer hinüber, dorthin, wo der Fremde verschwunden war. »Aber wenn du den Sith gesehen hast, ergibt das keinen Sinn. Du hättest dich dem nicht allein stellen müssen. Wir hätten gemeinsam nach einer Lösung suchen können …«

»Nein, das konnten wir nicht«, sagte Jacen kopfschüttelnd. »Denn der dunkle Mann hatte mit meiner Entscheidung nicht das Geringste zu tun.«

Luke runzelte die Stirn. »Was dann?«

»Es ging darum, wen ich neben dem dunklen Mann stehen sah.« Jacens Blick schweifte davon, und mit einem Mal wurde seine Miene sehr entschlossen und sehr traurig. »Ich sah Allana.«