Nachwort des Autors
Tag der Abrechnung ist ein Roman – aber die Geschichte, die in seinem Mittelpunkt steht, ist wahr. Eine Gruppe von Holocaust-Überlebenden hat in den Monaten und Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich Rache für den Mord der Nazis an den Juden geübt, und sie haben es etwa so getan, wie es in diesen Buch geschildert wird. Auf Hebräisch nannte man sie Nokmim, die Rächer, und sie bestanden aus einem harten Kern von ungefähr fünfzig Männern und Frauen, hauptsächlich Widerstandskämpfern aus den Ghettos. Andere nennen die Gruppe nach ihrem Motto – Dam Israel Nokeam –, und das bedeutet: »Das Blut Israels wird Rache nehmen.« Die Abkürzung ist DIN.
Ihre Geschichte wurde zum ersten Mal in einem wirklich bemerkenswerten Buch in englischer Sprache erzählt: Forged in Fury, verfasst von dem ehemaligen Korrespondenten der BBC in Jerusalem, Michael Elkins. Es erschien 1971, als viele der Beteiligten noch lebten, und vielleicht ist es der umfassendste Bericht über die Nachkriegsaktivitäten des DIN. In den Jahren danach sind durch die Memoiren Beteiligter weitere Details bekannt geworden, in From the Wings von Joseph Harmatz und in Rich Cohens ausgezeichnetem Bericht The Avengers (dt. Nachtmarsch, Frankfurt a.M. 2002). Ein Interview mit Harmatz, erschienen im Observer am 15.März 1998, enthält weitere erhellende Informationen.
In vielen Details weichen diese Quellen voneinander ab, aber in einem Punkt äußern sie sich klar: Es gab tatsächlich den Plan A, Toxine in die deutsche Trinkwasserversorgung einzuleiten, und den Plan B, ehemalige SS-Offiziere über eine Nürnberger Bäckerei zu vergiften. Wie viele Nazis durch letztere Operation getötet wurden, ist umstritten, aber Harmatz – der unmittelbar beteiligt war – und andere lassen keinen Zweifel daran, dass sie stattgefunden hat. Die Artikel aus der New York Times vom April 1946, in dem die Folgen dieses Unternehmens geschildert werden und die Tom und Rebecca im Internet-Café lesen, sind nicht erfunden; sie erscheinen in diesem Buch genau so, wie sie gedruckt wurden, und sie lassen sich im Archiv der New York Times nachlesen.
Die Quellen zeigen außerdem, dass der Anführer der Rächer, Abba Kovner, nach Palästina reiste – wie Aron es in diesem Buch tut –, um die moralische Unterstützung derer zu suchen, die an der Spitze des künftigen Staates Israel stehen werden. Kovner besuchte Chaim Weizmann, der nicht nur der ehemalige Sprecher des weltweiten Zionismus und später der erste Präsident Israels war, sondern auch ein angesehener Chemiker. Weizmann, schreibt Cohen, hörte Kovner zu und erklärte dann: »Wäre ich an deiner Stelle, und hätte ich gelebt, wie du gelebt hast, würde ich tun, was du tun wirst« – so, wie der »Älteste« in diesem Roman Aron seinen Segen gibt. Und Weizmann vermittelte Kovner tatsächlich an einen jungen Chemiker, der ihm das Gift verschaffte. Nach Cohens Darstellung wusste Weizmann lediglich von Plan B und nichts von dem sehr viel tödlicheren Plan A, aber Elkins deutet an, der alte Mann habe auch diesen Plan gekannt und unterstützt.
In Arons Schicksal in diesem Roman spiegelt sich das Schicksal des realen Abba Kovner, der tatsächlich an Bord eines britischen Schiffes mit Giftkanistern nach Europa fuhr und am Ende der Reise von der britischen Militärpolizei verhaftet wurde, so dass er Plan A aufgeben musste. Die Überlieferer dieser Episode wissen nicht, wer ihn verraten haben könnte, aber sie sind – wie Kovner selbst es war – überzeugt, dass es ein Jude und Zionist war. Die Person, die Aron in diesem Roman bei der Polizei anzeigt, ist allerdings frei erfunden. Tatsächlich sollte ich sogar ausdrücklich erklären, dass der israelische Staatspräsident, den ich hier erfunden habe, nicht mit dem derzeitigen Inhaber dieses hohen Amtes verwechselt werden darf – auch wenn beide mehr als achtzig Jahre alt sind.
Gershon Matzkin ist ebenfalls meine Schöpfung, aber er hat seine Wurzeln in der Realität. Er ist ein Amalgam aus mehreren Personen; dazu gehört Lebke »Arye« Distel, der blonde, blauäugige »Rächer«, der Harmatz und Cohen zufolge das Gift auf die für Stalag 13 bestimmten Brote gestrichen hat, sowie der Mann, den Elkins Ben-Issachar Feld nennt (höchstwahrscheinlich ein Pseudonym, mit dem seine Anonymität geschützt werden soll) und den er später als »Benno den Boten« bezeichnet. Als Junge wurde Feld beauftragt, die Nachricht vom nationalsozialistischen Plan zur Vernichtung der Juden zu verbreiten. Der verschlüsselte Satz, den Matzkin verbreitet – »Tante Esther ist zurückgekommen, und sie ist in der Megilla-Straße 7, Wohnung Nummer vier« –, wurde nach Elkins’ Angaben auch von Feld verbreitet.
Die Schilderung des Ghettos von Kowno, die Umstände, die zu seiner Entstehung führten, und die Massenmorde bei der »Neunten Festung« beruhen gleichfalls auf dokumentierten Fakten. Viele Quellen berichten detailliert über das Pogrom im Juni 1941, unter anderem The Vanished World of Lithuanian Jews von Alvydas Nitzentaitis, Stefan Schreiner, Darius Staliunas und Donskis Leonidas. Bei der Beschreibung der »Großen Aktion« am 28.Oktober 1941 habe ich mich vor allem von Avraham Torys Surviving the Holocaust: The Kovno Ghetto Diary und von den auf der Website HolocaustResearchProject.org versammelten Augenzeugenberichten leiten lassen. Das Bild des Massengrabs, das noch drei Tage lang zu atmen schien, stammt von Rev. Patrick Desbois, zitiert in »Ein Priester enthüllt methodisch das Schicksal ukrainischer Juden«, erschienen am 6.Oktober 2007 in der New York Times. George Kadish, der Fotograf, dessen Bilder Tom dabei helfen, das Rätsel dieser Geschichte zu entwirren, ist ebenfalls nicht erfunden: Bis auf das letzte, das Tom findet, sind alle seine Fotos im Internet zu sehen.
Die vergilbte Liste der Zielpersonen des DIN, die Rebecca auf ihrer Fußmatte findet, erscheint genau so in Forged in Fury; allerdings sind im Roman zwei fiktive Namen hinzugefügt worden: Joschka Dorfman und Fritz Kramer. Die Statistik über die große Zahl von straflos ausgegangenen Nazis, die Henry Goldman präsentiert, entstammt dem Werk Raul Hilbergs; die Zahlentabelle findet sich in einer Fußnote zu David Cohens Essay »Transition Justice in Divided Germany After 1945« in Retribution and Reparation in the Transition to Democracy, herausgegeben von Jon Elster. Angesichts der intensiven Geheimhaltung, mit der DIN operierte, ist praktisch unmöglich zu verifizieren, wen die »Rächer« im Einzelnen getötet haben; ein paar der Namen, die Elkin 1971 zitiert, halten der heutigen historischen Überprüfung nicht stand. Aber es ist unbestreitbar, dass Nazis überall auf der Welt gejagt und getötet wurden, in ihren Häusern, auf offener Straße und mitten in der Nacht – durch eine Gruppe von Männern und Frauen, die entschlossen waren, der Welt zu zeigen, dass jüdisches Blut nicht billig vergossen werden darf.