Toter Tourist in San Sebastián – Ehefrau entdeckt Leichnam im Hotelzimmer

Die Polizei von San Sebastián untersucht den rätselhaften Tod eines Urlaubers, dessen Leichnam von seiner Frau in ihrem Zimmer im Hotel Londres entdeckt wurde. Frau Schröder erklärte, sie und ihr aus Deutschland stammender Mann hätten eine Woche Urlaub gemacht, und ihr Mann habe keinerlei Anzeichen von Kummer oder Depressionen erkennen lassen. »Ich war vielleicht eine Stunde einkaufen, und als ich zurückkam, war er … war er –«, berichtete die trauernde Frau Schröder einem Reporter, bevor sie unter Tränen zusammenbrach.

Der Überfluss an Lebensmitteln war für mich der größte Schock. Nie hatte ich eine solche Fülle gesehen. Überall quollen Leckereien hervor. Frische Fische lagen auf einem Bett aus Eis, die Köpfe unverletzt, und die Theke quoll über von Köstlichkeiten, von Paprikarouladen bis zu diesen dicken Kartoffelpfannkuchen, die auch kalt einfach himmlisch schmeckten. Salami und Käse, alles zum Hineinbeißen, und dann wischte man sich mit einer Papierserviette den Mund ab und warf sie einfach auf den Boden. Und dann natürlich die Reihen der geräucherten Schinken über der Bar.

Ich gestehe, ich musste mich zwingen, diese Schinken dort oben nicht anzustarren. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Natürlich nicht im Ghetto, wo es überhaupt kein Fleisch gab, geschweige denn Schweineschinken. Aber auch nicht in London, wo ich mich niedergelassen hatte und wo Lebensmittel noch immer zu den kostbaren rationierten Waren gehörten. Wenn es sich so lebte, nachdem man einen Krieg verloren hatte, warum hatten wir dann alle so entschlossen gekämpft, um ihn zu gewinnen?

Ich saß allein da. Daran war ich inzwischen gewöhnt. Ich war kaum zweiundzwanzig Jahre alt, aber ich hatte schon ganz Europa bereist – Frankreich, Westdeutschland, Österreich – und war sogar in Südamerika und in Kanada gewesen, immer allein. Ich hatte gelernt, in einem Restaurant zu sitzen und zu lesen, ohne Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Der Trick bestand darin, sich nicht zu verstecken. Kein Filzhut, keine Zeitung vor dem Gesicht wie im Kino. Sich zeigen, sich selbstbewusst benehmen, sich bewegen wie ein Einheimischer oder ohne Verlegenheit wie ein Tourist. So bemerkte einen niemand.

Ein Regal über der Bar war voll von allen denkbaren Sorten Alkohol: fünf verschiedene Whiskys, mehr Wodka-Marken, als ich zählen konnte, und reihenweise Brandy. War es hier auch während des Krieges so gewesen? War der Wein in Strömen geflossen, hatten die Tische sich gebogen, während Rosa und ich wie wilde Tiere lebten und uns mühsam am Leben erhielten? Das Bild meiner Schwestern kam mir in den Sinn. Das passierte oft, wenn ich in einer Mission unterwegs war.

Ich musste einen klaren Kopf behalten und mich auf meine Aufgabe konzentrieren. Diesen Rat hatte mir einer der Anführer gegeben, bevor er selbst im Einsatz getötet wurde. »Hasse sie nicht«, hatte er gesagt. »Hasse sie vorher, und hasse sie nachher. Aber hasse sie nicht, wenn du deine Aufgabe zu erfüllen hast. Wenn du es tust, wirst du scheitern – und sie werden gewinnen.«

Meistens gelang es mir, diesen Rat zu befolgen. Als ich mich im weißen Arztkittel in das Krankenhaus in Bochum geschlichen hatte, weit im Westen Deutschlands, und meinem »Patienten«, einem ehemaligen Gestapo-Kommandanten, der jetzt mit einem Fieberthermometer unter der Zunge hübsch zugedeckt im Bett lag, erklärt hatte, es sei alles vorbereitet für die kleine Operation am nächsten Morgen, aber es sei noch eine kurze Untersuchung nötig – die zufällig erforderte, dass ich ihm Paraffin in den Blutkreislauf injizierte –, da hatte ich nichts als kühle Zielstrebigkeit empfunden.

Als ich in Paris auf das Gaspedal trat, nachdem ich dem SS-Hauptsturmführer Fritz Kramer in eine kleine Nebenstraße gefolgt war, strömte kein heißer Zorn durch meine Adern. Nicht einmal, als ich sah, wie dieser Massenmörder um sein Leben rannte. Nein, ich war ganz ruhig, als ich den ehemaligen Offizier aus dem Lager Birkenau einholte, als ich ihn mit hohem Tempo rammte, so dass er fünf Meter weit durch die Luft flog und mit ausgebreiteten Armen wie eine Vogelscheuche auf dem Geländer der Metro-Station landete.

Ich habe ein Andenken an jede Operation behalten, einen Bericht aus der Lokalzeitung über einen »Tod unter rätselhaften Umständen« oder den »tragischen Unfall«, der die Gesellschaft eines weiteren Nazi-Verbrechers beraubte, der sich als aufrechter Bürger ausgegeben hatte. Ich registriere ohne Freude, dass ich einer der erfolgreichsten Henker der Gruppe geworden war und mich ungehindert in die meisten Länder hinein- und wieder hinausschleichen konnte. Natürlich war es wie immer hilfreich, dass ich blond und blauäugig war. Gelegentlich schaute meine Jagdbeute mich warmherzig an und bildete sich ein, es handele sich um das Wiedersehen mit einem jungen Kameraden. Freilich konnten sie mein Gesicht nicht recht einordnen, aber ich sah schon aus wie einer von der richtigen Sorte. Woher kannten wir einander? Aus Sachsenhausen vielleicht, oder aus der Ukraine? Haben wir zusammen gedient, mein Herr? Nein, nicht ganz.

Für gewöhnlich tat ich also unbeirrt meine Arbeit. Aber dieser Auftrag war anders. Diesmal war mein Ziel Joschka Dorfman, der dem Reich ausgezeichnete Dienste als einer der Verantwortlichen im Todeslager Treblinka, etwa hundert Kilometer nordöstlich von Warschau, geleistet hatte. Für meine Kameraden war dies der Hauptanklagepunkt: rund 840000 Menschen, fast ausschließlich Juden, waren in Treblinka gestorben, »verarbeitet« in den Gaskammern – etwa zehntausend pro Tag, eine Effizienz, die den Neid der anderen Vernichtungslager weckte. Aus der ganzen Zeit, in der Treblinka in Betrieb war, haben nur wenig mehr als hundert Personen überlebt.

Aber nicht das war der Grund für die kleinen Schweißperlen, die ich auf dem Rücken spürte und die mein Hemd zu durchfeuchten drohten. Sie hatten ihren Grund in einem anderen Abschnitt von Joschka Dorfmans Lebenslauf. Denn der Leutnant hatte sich seine Beförderung nicht in Polen verdient, sondern im benachbarten Litauen, genau gesagt, in Kaunas. Bei der Neunten Festung, wo er einer von denen gewesen war, die den Auftrag hatten, die Gruben mit den Leichen von fünfzigtausend Menschen, größtenteils Juden, zu füllen. Ich wusste: Unter denen, die Dorfman hinterrücks hatte erschießen lassen – wenn er die Kugeln nicht selbst abgefeuert hatte –, waren meine Hannah, meine Rivvy und meine Leah gewesen.

Er würde bald hier sein; daran zweifelte ich nicht. Bisher waren alle Informationen, die wir von unserem Mann in Spanien erhalten hatten, absolut zuverlässig gewesen. Dorfman und seine Frau machten tatsächlich Urlaub hier in der Stadt, wie es versprochen war. Sie wohnten in Alicante, im Südosten Spaniens. Hunderte hatten dort ein Zuhause gefunden; es war ein sicherer Hafen für ehemalige Diener des Führers geworden. Dorfmans Aufenthalt war bekannt; es wäre durchaus möglich gewesen, ihn dort zur Strecke zu bringen. Möglich, aber riskant. Eine Operation im Herzen einer Pensionärssiedlung ehemaliger Nazis hätte die anderen alarmiert, und vielleicht würden sie die Flucht ergreifen oder, schlimmer noch, versuchen, uns ins Visier zu nehmen. Besser war es, die Sache hier zu erledigen, am anderen Ende des Landes, wo es sich nicht herumsprechen würde.

Unser Informant hatte herausgefunden, dass die Eheleute Dorfman gern hier im Baskenland Urlaub machten. Sie hatten eine besondere Vorliebe für San Sebastián entwickelt, und das konnte ich verstehen. Die Stadt zog sich im Bogen um die Bucht herum, und die Strände waren breit und prächtig. Ich hatte beobachtet, wie das Ehepaar morgens schwimmen ging und wie sie ihre Haut in der Sonne trocknen ließen. Dann kamen sie zu einem späten Mittagessen hierher; sie trank Wein, er bevorzugte Bier. Gesättigt kehrte er danach zur Siesta ins Hotel Londres zurück, während sie durch die Pflasterstraßen spazierte und einen Schaufensterbummel machte. Es sah aus wie ein behagliches Programm, und an jedem der drei Tage, seit ich hier war, hatten sie sich daran gehalten.

Ich sah auf die Uhr, als sie hereinkamen: zehn vor zwei. Braungebrannt und gut sahen sie aus im Glanz eines schönen Urlaubs. Sie lächelte beim Hereinkommen; sie nahm einen großen, weichen Sonnenhut ab und schüttelte sich die letzten Sandkörner aus den Haaren. Er trug eine Sonnenbrille, und einen Moment lang war ich beunruhigt. Wenn er sie nun nicht abnähme? Es wäre unmöglich, ihn hundertprozentig sicher zu identifizieren, ohne seine Augen zu sehen. Aber dann traten sie an die Theke, und um das Angebot der pintxos zu begutachten, nahm er die Sonnenbrille ab, und ich war sicher.

Ich bestellte mir einen Pfefferminztee und vertiefte mich weiter in meine Zeitung: ein Mann, der den Nachmittag vertrödelte. Als die Dorfmans schließlich zahlten und gingen, legte ich in aller Ruhe ein paar Geldscheine auf den Tisch – mehr als genug für mein Essen –, nahm meine Tasche und ging ebenfalls hinaus.

Ich hielt ziemlich großen Abstand zu ihnen, viel mehr, als jemand, der so etwas nie getan hat, sich vorstellen würde. Ich ließ zu, dass ich sie aus den Augen verlor, wenn sie links oder rechts abbogen, denn ich wusste, ich würde sie wieder einholen. Es war mein großer Vorteil, dass ich wusste, wohin – zumindest – Dorfman gehen würde.

Ich sah, wie das Paar sich trennte; sie küsste ihn kurz auf die Wange und hob dabei kokett die rechte Ferse. Ich fragte mich, welche Worte sie dabei benutzte – ob sie ihrem Mann Lebwohl sagte oder nur au revoir. Mein Herz begann auf eine Weise zu klopfen, die mir nicht gefiel.

Ich wartete, bis sie schlendernd in einer der engen, abschüssigen Gassen verschwunden war, bevor ich schneller ging. Dorfman bewegte sich jetzt zügig voran; zu seiner Rechten lag der Strand, und das Meer funkelte blau. Hatte die Sonne an Orten wie diesem hier weiter geschienen, als meine Schwestern und ich im Ghetto lebten? Ich hatte immer angenommen, der Himmel über der ganzen Welt habe sich verfinstert.

Dorfman überquerte die Promenade; er ließ ein paar halbwüchsige Jungen auf Fahrrädern vorbei und betrat dann das Hotel durch eine der Schiebetüren, die dem Meer zugewandt waren. Ich beschloss, ihm nicht zu folgen, sondern den Eingang an der Straßenseite des Hotels zu nehmen.

Mit zielstrebigem Schritt, den ich damals auf der Zugfahrt von Kowno nach Warschau perfektioniert hatte, marschierte ich an der Rezeption vorbei, ignorierte den Lift und nahm die Treppe. Unser Informant hatte sogar die Zimmernummer geliefert. Bevor ich das Treppengeländer berührte, zog ich ein Paar enge Lederhandschuhe an.

Auf halbem Wege zwischen dem zweiten und dem dritten Stock blieb ich stehen. Ich schaute hinauf und sah, wie Dorfman aus dem Aufzug kam und wie seine Füße über den Teppichboden des Korridors tappten. Mit angehaltenem Atem wartete ich auf das Geräusch seines Schlüssels im Türschloss.

Vor dem Zimmer 212 gestattete ich mir keinen Augenblick des Zögerns. Ich klopfte zwei Mal und rief auf Spanisch: »Servicio de habitaciones!« Der Zimmerservice!

Ich schob die Hand unter meine Achsel und zog die Beretta 1951 aus dem Halfter, so dass der Lauf sichtbar war, als die Tür sich öffnete. Er wäre das Erste, was Dorfman sehen würde.

Ich gab ihm keine Zeit zum Reagieren. Mit der linken Hand stieß ich ihn ins Zimmer zurück, damit er gar nicht erst auf die Idee kommen konnte, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Ich hielt die Pistole fest in der Rechten und schob die Tür mit dem Fuß ins Schloss.

»Guten Tag, Herr Dorfman«, sagte ich auf Deutsch, und im nächsten Augenblick war ich bei dem Telefon neben dem Bett und riss mit einem Ruck die Schnur aus der Wand. »Schreien Sie nicht, sonst bringe ich Sie auf der Stelle um.« Erleichtert hörte ich, dass meine Stimme nichts verriet und nicht verräterisch zitterte. »Sie sind Joschka Dorfman, Untersturmführer der SS im Vernichtungslager Treblinka und zuvor bei der Neunten Festung in Kowno, und Sie sind persönlich verantwortlich für den Tod von Hunderttausenden von Juden. Ich handle im Namen der Juden, und ich bin gekommen, um Gerechtigkeit walten zu lassen.«

Über diese Phase des Unternehmens hatte es in der Gruppe lange Diskussionen gegeben. Manche waren der Ansicht, sie berge ein unnötiges Risiko, und jede Verzögerung sei unvernünftig. Ich konnte nicht widersprechen; in manchen Fällen war es tatsächlich unmöglich. Ich hatte zum Beispiel keine Gelegenheit gehabt, Fritz Kramer anzusprechen, als ich ihn auf der Straße über den Haufen fuhr, und auch manche anderen nicht, die in Straßengräben oder in brennenden Wracks auf der Autobahn geendet hatten. Aber da, wo es möglich war – wie hier –, lohnte es sich. Der Anführer unserer Gruppe – Aron, der ernste, eindringliche Mann im kerzenbeleuchteten Keller in Kowno, der mich mit meiner ersten Mission als Bote betraut hatte – war mit großer Leidenschaft dafür eingetreten. »Diejenigen, die des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte schuldig sind, sollten noch bei ihrem letzten Atemzug wissen, dass ihre Opfer dieses Verbrechen nicht ungesühnt lassen. Dass man die Juden nicht ungestraft ermorden kann. Dass die Juden zurückschlagen.«

Dorfmans Sonnenbräune verblasste. Beim Anblick der Pistole wich das Blut aus seinem Gesicht. Außerdem sah ich einen Schimmer von Ratlosigkeit in seinen Augen, einen verblüfften Ausdruck, den ich schon öfter gesehen hatte. Warum sagst du, ein junger, kräftiger Arier, solche Dinge zu mir?

»Nein. Sie irren sich, ich bin –«

»Ich bin ein Jude, und ich bin hier, um mein Volk zu rächen.«

»Aber ich habe nichts getan! Sie haben den falschen –«

»Keine Sorge, ich werde Sie nicht erschießen.«

Dorfman sank erleichtert in sich zusammen. Er taumelte rückwärts und ließ sich auf die Bettkante fallen. »Gott sei Dank«, sagte er. »Gott sei Dank.«

Ich hielt die Waffe auf ihn gerichtet und schwieg.

»Sie wollen Geld, ja? Das ist es. Natürlich. Sie wollen Geld. Wie viel wollen Sie, damit Sie Ihre Informationen, äh, vertraulich behandeln? Nennen Sie Ihren Preis. Es gibt genug Leute, die eine telegrafische Überweisung arrangieren können. Sie brauchen mir nur –«

»Ich werde Sie nicht erschießen, weil das zu schnell ginge. In meiner Tasche habe ich zwei Injektionsspritzen und eine kleine Flasche Benzin. Ich werde Ihnen das Benzin ins Herz injizieren. Das Sterben dauert dann mindestens – aber Sie wissen, wie lange es dauert. Sie kennen Aribert Heims Experimente in Mauthausen, und dieses spezielle Experiment hat er viele Male durchgeführt. Die Resultate hat er Ihnen doch sicher mitgeteilt, oder?«

»Bitte tun Sie das nicht mit mir. Bitte. Was immer Sie wollen, Sie können es bekommen. Namen. Ich kann Ihnen Namen nennen.«

Auch das war Bestandteil unseres Verfahrens. Die flehentliche Bitte um Gnade und das Angebot von Informationen über andere flüchtige Kriegsverbrecher – ihr Aufenthaltsort, ihre Identität –, das alles hörten wir uns geduldig an.

Ich öffnete meine Tasche und nahm Notizbuch und Stift heraus, und ich schrieb auf, was Dorfman mir erzählte. Manchmal musste ich ihn auffordern, langsamer zu sprechen. Der Strom seiner Worte, getrieben von seiner Angst, wurde so schnell, dass ich nicht mitkam, wenn ich die Pistole in der linken und den Stift in der rechten Hand hielt.

Aber mir war auch bewusst, dass die Zeit verging. Ich wusste, dass Frau Dorfman bald genug von ihrem Einkaufsbummel haben würde. Ich klappte mein Notizbuch zu und steckte es wieder in die Tasche. Der Nazi atmete tief aus. Er glaubte, das Martyrium sei zu Ende.

»So. Wo waren wir?«, sagte ich. »Ach ja. Ich habe Ihnen erklärt, wie ich Sie töten werde.«

»Drecksjude! Wir haben eine Abmachung!«

»Dann sollten Sie wohl Ihren Anwalt anrufen.«

Dorfman wollte sich auf die Waffe stürzen. Aber er hatte sich verrechnet. Ich hielt sie immer noch in der linken Hand, und so war meine Rechte frei für einen kurzen, aber kräftigen Haken an seinen Unterkiefer.

Einen Moment lang befürchtete ich, ich hätte ihn k. o. geschlagen. Das wäre nicht gut. Dorfman lag flach auf dem Bett und drückte die Hände ans Gesicht – aber er war bei Bewusstsein.

»Wie gesagt, das Benzin wird geradewegs in Ihr Herz gespritzt. Zum Glück habe ich zwei Spritzen. Eine für jeden von Ihnen.«

Der Mann auf dem Bett rührte sich und grunzte leise.

»Tut mir leid, ich kann Sie nicht verstehen.«

Er sprach undeutlich, und Blut füllte blasig seinen Mund, als er es noch einmal versuchte. »Wie meinen Sie das, für jeden von uns?«

»Für Sie und Ihre Frau natürlich. Wir werden warten, bis sie zurückkommt, und dann können Sie zusammen sterben. Aber wie Sie dank Dr.Heim wissen, kann das eine Weile dauern.«

Mit ungeheurer Anstrengung richtete Dorfman sich auf. In seinem Blick lag wilde Angst. Ich sah, dass ein feuchter Fleck sich auf seiner Hose ausbreitete: Der Nazi hatte sich eingenässt.

Er begann zu betteln. Zuerst um ihrer beider Leben, das seiner Frau und seines, und er wiederholte sein Geldangebot, bis er begriffen hatte, dass es nutzlos war. Er beteuerte, er könne mir noch mehr Namen nennen, wenn er nur Zeit hätte. Aber schließlich hörte ich, was ich hören wollte. »Nehmen Sie mich, aber nicht sie. Und erlauben Sie mir, zu sterben wie ein Mann.«

Er wollte meine Waffe haben, aber das lehnte ich ab: zu laut. Ich öffnete meine Tasche und nahm einen langen Strick heraus. Unser Informant hatte gesagt, es gebe Deckenbalken in diesem Hotel, und die Zimmerhöhe sei ausreichend.

Ich, ein Jude, reichte ihm, dem Nazi, den Strick. Ich stellte einen Stuhl in Position. Ich sah zu, wie Dorfman sich die Schlinge um den Hals legte und den Strick am Deckenbalken verknotete, und ich sah weiter zu, als er sie straffzog. Mein Blick blieb unbeirrt, als er den Stuhl zur Seite trat: Ich sah zu, wie er mit seinem ganzen Gewicht herabfiel. Ich verzog keine Miene, als Joschka Dorfman, Untersturmführer der SS bei der Neunten Festung, nach Luft schnappte und sein Körper sich in den letzten Zuckungen des Lebens verkrampfte, bis seine Beine nur noch hin und her baumelten, leblos und fleischig wie die Schinken in der Bar am Hafen.

Lautlos steckte ich meine Pistole in den Halfter, nahm meine Sachen auf – auch die Tasche, die eine Anzahl unbenutzter Waffen enthielt, unter anderem einen zweiten Revolver, aber keine Injektionsspritzen und kein Benzin – und schloss die Tür des Zimmers 212 lautlos hinter mir.