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Jay Sherrill legte eine schützende Hand auf den Laptop und verdeckte das Apple-Logo; er wusste, was die Dumpfbacken vom NYPD davon halten würden. Es wäre eine weitere Bestätigung dafür, dass er ein College Boy war, ein Weißwein nippender Volvo-Fahrer – ein Homo, der Grafikdesigner hätte werden sollen, aber nicht Bulle.
Obwohl – er war nicht der einzige Volvo-Typ hier. Immerhin war dies das Büro des Commissioners; da war damit zu rechnen, dass auch ein paar Politikberater und Medienspezialisten an der Operation beteiligt waren, nicht nur harte Cops aus der Hardboiled-Tradition der fünfziger Jahre.
Er wollte das Gerät wieder aufklappen, nur um sich zu vergewissern, dass die Sache noch da war. Angenommen, der Akku hatte nicht gereicht? Oder das Programm war abgestürzt?
»Der Commissioner empfängt Sie jetzt.«
Er raffte seine Sachen zusammen und ging geradewegs durch. Ihm war bewusst, dass sein Hemd zerknittert war und dass er einen kleinen Fleck auf dem rechten Hosenbein seiner Chinos hatte. Das hatte er schon gewusst, als er die Hose am Morgen angezogen hatte, aber ihm war nichts anderes übriggeblieben. Es waren die einzigen halbwegs sauberen Klamotten in der ganzen Wohnung gewesen. Tatsächlich hatte er kaum noch geschlafen oder sich gewaschen, seit ihm dieser Albtraum von einem Fall am Montagmorgen in den Schoß gefallen war. Er war ziemlich erledigt.
»Nett, Sie zu sehen, Mr.Sherrill.«
»Ganz meinerseits, Sir.« Ganz meinerseits? »Ich meine, ich danke Ihnen –«
»Entspannen Sie sich, Mr.Sherrill. Setzen Sie sich. Mein Büro sagt, Sie müssten mich dringend sprechen. Das klingt, als hätten Sie gute Neuigkeiten.«
»Das hoffe ich, Sir.« Ruhig. Atmen.
»Warum haben Sie das Ding mitgebracht? Wollen Sie mir etwas zeigen?«
»Ja, Sir.« Er klappte den Deckel des Computers auf, klickte das iMovie-Programm auf und wählte das letzte Projekt aus. Erst dann stand er auf und ging um den Schreibtisch herum zu Rileys Seite. »Gestatten Sie, Sir?«
»Was haben Sie da? Einen Porno?«
»Nicht ganz, Sir. Aber immer noch ziemlich interessant.«
Ein Fenster öffnete sich, ein kleiner Videobildschirm. Sherrill stand neben dem Commissioner und beugte sich vor, um das Fenster zu maximieren. Dann klickte er auf PLAY.
Sofort erschien die Silhouette eines Mannes vor einem Fenster. Die visuelle Grammatik war unmissverständlich: Es handelte sich um ein Undercover-Interview, bei dem die Anonymität des Befragten gewahrt bleiben sollte. Aus dem Off kam eine Stimme: Sherrill.
Bitte identifizieren Sie sich.
Dann kam die Antwort: Ich bin Agent der Geheimdienstabteilung des New York Police Department.
Schon das genügte: Chuck Riley fuhr herum und starrte den Mann an seiner Seite an. Sein sichtlich erregter Gesichtsausdruck war das, was Sherrill erhofft hatte. Jetzt endlich fing er an, sich zu entspannen. Aus den Computerlautsprechern kam seine eigene Stimme.
Können Sie das verifizieren, ohne Ihren Namen zu nennen?
Ja. Ich kann Ihnen operative Details erzählen, die nur einem Officer des Geheimdienstes bekannt sein können. Das werde ich vor dem Commissioner oder vor einem Ermittlungsausschuss tun.
Das ist gut, aber vielleicht könnten Sie jetzt gleich etwas sagen, das als Beleg dienen kann?
Die Silhouettengestalt zögerte und bewegte sich ein wenig auf dem Stuhl. Das veränderte Profil ließ eine ungewöhnliche Frisur erkennen: Langes Haar, dachte Riley, wie bei einer Frau.
Ich könnte Ihnen von unseren Operationen während des Republikanischen Parteitags erzählen; da war ich in der Stadt und habe Protestierer überwacht.
Das wäre ausgezeichnet.
Der Mann berichtete detailliert, wie er und seine Kollegen über New York hinaus aktiv gewesen waren, in New Mexico und Illinois, in Montreal und sogar in Europa, wo sie politische Aktivisten ausspioniert hatten, die zu diesem Parteitag Demonstrationen geplant hatten. Er erzählte, wie er undercover zu Versammlungen der linken Antikriegsbewegung gegangen war, dort Freunde gewonnen hatte und schließlich sogar Zugang zu Mailinglisten bekommen hatte, während er über all das nach New York berichtete.
Die Sache ist die, dass alle Welt glaubt, wir hätten nur ausländische Terroristen beobachtet. Aber ich sage Ihnen, wir haben Leute bespitzelt, die nicht die Absicht hatten, gegen irgendjemanden gewaltsam vorzugehen. Mann, ich habe sogar irgendeine Straßentheatertruppe infiltriert. Und jetzt kommt’s: Diese Leute waren amerikanische Staatsbürger.
Der Commissioner hörte aufmerksam zu, und er drehte sogar das Gesicht zur Seite, um mit dem Ohr näher an den Lautsprecher zu kommen. Hin und wieder schloss er die Augen, als wolle er jede Ablenkung ausschließen. Schließlich winkte er Sherrill, er solle das Video anhalten. »Sie sind sicher, dass er das alles nicht aus der Zeitung hat? Aus dem Internet oder sonstwoher?«
Sherrill lächelte und klickte wieder auf PLAY.
Wir alle hatten Codenamen. Meiner war Tenzing. Ein anderer hieß Simpson. Es gab einen Hillary. Alles berühmte Bergsteiger, glaube ich. Angeblich ist der Boss so was wie ein Bergfreak.
Riley lehnte sich zurück und atmete aus. Das stimmte: Stephen Lake war ein Fanatiker, der zu seiner eigenen Herausforderung immer höhere Gipfel erkletterte. Aber außerhalb der CIA oder – in letzter Zeit – des NYPD-Geheimdienstes war Lake kaum bekannt. Seine Vorliebe für die Berge war jedenfalls nichts, worüber die Öffentlichkeit Bescheid wusste. Dieser Schattenmann konnte es nicht irgendwo aufgeschnappt haben. Außerdem wusste der Commissioner, dass mindestens einer dieser Codenamen tatsächlich existiert hatte. Als die New York Times angefangen hatte, in den Ereignissen um den Republikanerparteitag zu wühlen, hatte er selbst ein paar Nachforschungen angestellt, und er hatte von der Einheit Hillary gehört. Aber den Zusammenhang zum Bergsteigen hatte er nicht hergestellt; er hatte nur gedacht, die Einheiten hätten Mädchennamen. Wie Hurrikans.
»Okay«, sagte er schließlich. »Ich glaube ihm.«
»Das freut mich, Sir. Denn ich glaube, im Folgenden erklärt dieser Mann, wie es dazu kam, dass Gerald Merton im Eingang zum UN-Gebäude erschossen wurde.«
»Und –«
»Und was noch wichtiger ist, Sir: Wer dafür verantwortlich war.«
»Das ist sehr gut, Sherrill. Das ist wirklich sehr gut.«