Dreiundzwanzig
Sie legten Jim Chisholm auf den Boden der Crusader, als das Beiboot nach Crabtree zurückflog. Er war noch am Leben, atmete immer noch regelmäßig, aber sie konnten nichts mehr für ihn tun, solange er im Anzug steckte.
»Wir könnten versuchen, ihn aufzuschneiden«, sagte Nadis leise, als hätte sie Angst, dass Chisholm mithörte. »Wenn wir es langsam tun … schließlich müssen wir uns keine Sorgen wegen eines Druckverlustes machen.«
»Nur als allerletztes Mittel«, sagte Axford. »Wenn er einen Herzstillstand hat, schneiden wir. Bis dahin bin ich der Einzige, der sich mit einem Messer auch nur in seine Nähe wagt. Im Moment ist er stabil, und ich würde wahrscheinlich einen Luftschlauch in ihn hineinkriegen, wenn es sein muss.« Er hatte Chisholms Puls an der Halsschlagader gemessen.
»Ich stimme Ryan zu«, sagte Parry. »Es muss eine einfachere Möglichkeit geben, ihn aus diesem Ding rauszuholen. Wir sollten auf jeden Fall versuchen, den Anzug nicht zu beschädigen.«
Er ging neben dem Bewusstlosen in die Knie und strich mit einer Hand über die leichte Wölbung des Bruststücks. Es gab keine Displays, Anschlüsse oder Eingabefelder, aber auf der Wölbung war tatsächlich so etwas wie ein Mosaik zu erkennen. Es mochte sich lediglich um irgendeine Verzierung handeln, aber warum ausgerechnet an dieser Stelle? Der Brusttornister war die sinnvollste Stelle, um Kontrollen anzubringen, mitten im goldenen Dreieck, das jemand im Anzug mühelos mit den Händen erreichen konnte. Parry berührte die Fläche ganz links, die wie ein gleichseitiges Dreieck geformt war.
»Vorsichtig«, flüsterte Svetlana. »Es könnte ein Auslöser für die Selbstzerstörung dabei sein.«
Parry sah zu seiner Frau auf. »Und inwiefern soll mir diese Information nützlich sein?« Er wandte sich wieder dem Anzug zu und drückte mit dem Daumen auf die dreieckige Fläche. Plötzlich sagte der Helm etwas, einen leise gesprochenen Satz in einer Sprache, die er nicht verstand. Es war die Stimme einer Frau, die gelassene Autorität ausstrahlte.
»Hat das jemand verstanden?«, fragte Parry.
»Nein«, sagte Nadis, aber sie hielt sich den Helm über den Kopf, damit sie der Schallquelle näher war.
»Versuch es noch einmal«, sagte Svetlana.
Er drückte wieder auf die Fläche. Und wieder sprach der Helm. Es klang nach derselben Stimme und demselben Satz, nur in etwas strengerem Tonfall. Parry wartete einen Moment, dann drückte er noch einmal. Nun klang der Satz noch eindringlicher, als wäre dies das letzte Mal, dass sie es sagte – was immer sie zu sagen hatte.
»Das war der falsche Knopf«, sagte Parry. »Das will sie uns mitteilen. Es klang wie ›Ich sage dir jetzt zum dritten und letzten Mal, dass …‹«
»Warum baut jemand einen Knopf ein, den man nicht drücken soll?«, fragte Svetlana.
»Ich denke nach …«, sagte Nadis und trommelte mit den roten Fingernägeln gegen die graue Kugel des Helms. »Vielleicht sollte man diesen Knopf nur drücken, wenn der Helm arretiert ist.«
»Sie könnte recht haben«, sagte Parry.
Svetlana ging neben ihm in die Hocke. »Lass mich mal sehen. Du hast auf das Dreieck gedrückt, nicht wahr?«
»Ja. Könnte sonst was bedeuten.«
»Oder etwas ganz Bestimmtes und recht Offensichtliches.« Sie blickte sich im kleinen Kreis um. »Ein Dreieck, Leute. Drei Seiten.«
»Dazu fällt mir immer noch nichts ein«, sagte Parry.
»Drei Gase – Sauerstoff, Kohlendioxid, Stickstoff. Natürlich wäre es Unsinn, den Trimix regulieren zu wollen, ohne dass man den Helm aufgesetzt hat. Vielleicht ist es das, was sie uns sagen will: ›Setz den Helm auf, Blödmann, dann kann ich auch was für dich tun.‹«
Parry lachte. »Das könnte durchaus sein.«
»Wie sieht das Symbol daneben aus?«
»Drei waagerechte Striche übereinander.«
»Drück drauf.«
Wieder sagte die Stimme im Helm etwas, diesmal allerdings ruhiger, und es schienen völlig andere Worte zu sein.
»Hat irgendjemand was davon erkannt?«, fragte Svetlana.
»Ich nicht«, sagte Parry, »außer dass es ein bisschen wie Japanisch oder so klingt. Nur dass es kein Japanisch ist.«
»Vielleicht Chinesisch«, sagte Nadis. »Wir sollten Wang dazuschalten, damit er es sich anhören kann …«
Svetlana schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es Chinesisch ist, aber wir sind schon in der richtigen Gegend. Es ist irgendeine asiatische Sprache, die wir alle schon einmal gehört haben, die während eines Urlaubs in unsere Gehirne gesickert ist, auf unbewusster Ebene. Wir erkennen den Tonfall und die Struktur, aber nicht den Inhalt.«
»Warum hast du vom Urlaub gesprochen?«, fragte Parry.
»Weil ich die ganze Zeit an eine Tauchexkursion denken muss, die ich vor vielen Jahren gemacht habe, und wie sich eine der Tauchlehrerinnen mit ihrem Freund unterhalten hat. Ich war noch ein Kind, ohne Tauchschein und alles. Ein Boot mit einer Ladung Touristen … Scheiße, wo war es noch mal? Phuket vielleicht.«
»Phuket?«, sagte Nadis. »Wie Phuket in Thailand?«
Parry berührte das Symbol erneut, damit der Helm den Satz wiederholte. Auch diesmal war der Tonfall völlig entspannt. »Es ist Thai«, sagte er. »Der Raumanzug spricht Thai.«
»Warum in Gottes Namen …?«, sagte Svetlana, dann fiel ihr etwas anderes ein. »Das Symbol, das du gedrückt hast … ich kann nur spekulieren, aber vielleicht stehen die Striche für Heizlamellen … oder etwas Ähnliches.«
»Ich kann dir wieder nicht folgen, Baby.«
»Wenn der erste Knopf die Luftmischung reguliert, könnte der zweite für die Temperatur gedacht sein. Zumindest wäre das eine sinnvolle Anordnung. Von allen möglichen Kontrollen für einen Raumanzug sollten diese beiden ganz oben auf der Liste stehen.«
»Das dritte Symbol sieht wie eine Sonne aus.«
»Die Kommunikation? Ja, okay, das ist wirklich nur ins Blaue geraten. Und das nächste?«
»Das sieht ähnlich aus … wie ein Stern mit acht Zacken … oder eine Windrose.«
»Vielleicht die Richtungskontrolle? Wir wissen, dass der Anzug einen eigenen Antrieb hat, der zumindest ausreicht, um in der Mikrogravitation von Janus zu navigieren.«
»Nein«, sagte Parry. »Das wäre zu komplex. Es ist nur ein einziges Symbol. Man kann mit nur einem Knopf nicht genug Anweisungen geben, um sich räumlich zu orientieren.«
»Es könnte ganz anders funktionieren. Wir haben schließlich keine Ahnung, was geschieht, wenn der Helm eingerastet ist. Vielleicht ruft man mit diesen Symbolen Helmdisplays auf, oder man arbeitet mit Stimmbefehlen – oder vielleicht sogar mit Gedankensteuerung.«
»Gut, das mag sein.« Parrys Finger hing zögernd über dem Brusttornister. »Hier ist noch ein letztes Symbol, ein schlichtes Quadrat. Soll ich einfach mal draufdrücken?«
Nadis sah den Helm mit nervösem Blick an. »Okay, tu es.«
Parry drückte auf den Knopf. Wieder sagte der Helm etwas – diesmal war es ein kürzerer Satz –, aber es war nicht zu erkennen, dass sich etwas tat. Er versuchte es noch einmal und erhielt die gleiche Botschaft.
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Svetlana. »Warum Thai? Soweit ich weiß, kann Jim genauso wenig Thai wie wir alle. Sie können das Wissen über die Sprache nicht aus seinem Kopf geholt haben.«
»Es ist in der Tat seltsam«, stimmte Parry ihr zu. »Aber genauso seltsam ist die Tatsache, dass er überhaupt aus dem Raumschiff herausspaziert ist. Hier ist alles seltsam, und der Anzug ist nur ein Teil davon.«
»Der Anzug ist mir unheimlich«, sagte Svetlana.
»Mir geht es genauso. Er ist ganz anders als unsere Anzüge – auf jeden Fall anders als der, den Craig getragen hat, und das war der einzige Anzug, den sich die Aliens genauer ansehen konnten.« Parry berührte noch einmal das quadratische Symbol, nur für den Fall, dass sich in der Zwischenzeit irgendetwas geändert hatte. Er hörte die gleiche Botschaft in Thai. »Er ist viel weiter fortgeschritten als alles, was wir haben oder was die Chinesen haben oder was Wang für uns herstellen könnte. Aber er ist auch ganz anders als alles, was wir in diesem Schiff gesehen haben. Er sieht sehr modern aus, aber nicht so modern, dass er mir Angst einjagt.«
»Dann ist er vielleicht gar keine Konstruktion der Aliens«, sagte Nadis. »Vielleicht ist es nur … ein Anzug. Von Menschen hergestellt. Vielleicht sogar von Menschen aus Thailand. Aber nicht aus unserer Zeit. Sondern aus der Zeit nach unserem Abflug.«
»Ein Anzug aus der Zukunft, meinst du?«, fragte Parry.
»Entschuldigt bitte, dass ich euch eine Illusion rauben muss«, sagte Nadis, die immer noch den Helm hielt. »Aber wir befinden uns, verdammt noch mal, in der Zukunft. Zweihundertsechzig Jahre in der Zukunft, um genau zu sein. Vielleicht sollten wir nicht allzu überrascht reagieren, wenn wir gelegentlich auf Spuren der tatsächlichen Gegenwart stoßen. Auch wenn wir alle so tun, als wäre jetzt noch das Jahr 2070, wissen wir genau, dass es nur eine dicke fette Notlüge ist, die uns daran hindern soll, dasselbe wie Bob Ungless zu tun.«
»Bitte bestätigen Sie die Sprachoption Englisch«, sagte der Helm mit der gewohnten Stimme.
Nadis hätte ihn beinahe fallen gelassen. »Mann!«, sagte sie und grinste überrascht und begeistert.
»Bitte bestätigen Sie die Sprachoption Englisch«, wiederholte der Helm etwas energischer.
»Vielleicht solltest du dem Ding antworten«, sagte Svetlana.
»Ja«, sprach Nadis in den offenen Kreis an der Basis des Helms. »Ich … bestätige die Sprachoption Englisch … ach du Scheiße!«
»Ich schalte von Sprachoption Thai auf Sprachoption Englisch. Um zurückzuschalten oder eine andere Sprachoption zu wählen, greifen Sie bitte auf das Menü zu oder stellen Sie statistisch auswertbare Sprachdaten zur Verfügung.«
»Er hat uns zugehört«, sagte Parry, »und darauf gewartet, dass wir etwas in Thai sagen. Als wir es nicht getan haben, hat er Denises Sprachproben analysiert und sich überlegt, was wir hören wollen.«
»Warum hat er so lange gebraucht?«, fragte Nadis, die den Helm immer noch mit einem idiotischen Grinsen anstarrte.
»Offenbar benötigt er größere Mengen von Sprachdaten. Das hat er wahrscheinlich mit ›statistisch auswertbar‹ gemeint.«
»Also kann er Englisch«, sagte Axford. »Damit kann ich umgehen. Aber Thai? Warum sollte irgendjemand einen Raumanzug auf Thai programmieren?«
»Moment«, sagte Svetlana mit verschmitzter Miene. »Gib mir mal den Helm.«
Nadis stieß ihn in einem langsamen, flachen Bogen durch den Raum. Svetlana konnte ihn mühelos auffangen, dann sprach sie etwas hinein. Es klang guttural und osteuropäisch, zunächst stockend, dann zunehmend flüssiger.
Nadis sah Parry an. »Was, zum Teufel, soll das sein?«
»Armenisch«, sagte Parry. »Zumindest glaube ich, dass es das ist.«
Der Helm antwortete Svetlana. Sie blickte mit erstaunt aufgerissenen Augen auf. »Er spricht mit mir. Es klingt etwas seltsam, wie ein Dialekt, den ich noch nie zuvor gehört habe, aber ich verstehe es. Er spricht es besser als ich.« Sie schüttelte fassungslos den Kopf. »Das verdammte Ding spricht Armenisch! Wie viele Sprachen kann es noch?«
»Keine Ahnung«, sagte Parry. »Warum fragst du nicht einfach?«
Sie forderten den Helm auf, wieder auf Englisch zurückzuschalten. Svetlana hielt ihn sich wie eine Suppenschale unters Kinn. »Äh … kann ich dich etwas fragen? Du bist ein Raumanzug, nicht wahr?«
»Ich bin ein Allzweckraumanzug, richtig.«
Svetlanas Fragen überstürzten sich. »Wer hat dich hergestellt? Wo wurdest du hergestellt? Wann hat man dich zusammengebaut?«
Der Helm antwortete fast ohne Pause. »Ich bin ein Allzweckraumanzug des Modells Chakri-5. Ich wurde in der Fabrik Kanchanaburi in Neu-Bangkok auf Triton hergestellt. Mein Wachstumsprozess begann um 15 Uhr 12 und 34 Sekunden Standardzeit am 27. Juli 2134 und endete um 4 Uhr 22 und 11 Sekunden Standardzeit am 9. August 2134.«
»Mit 2134 meinst du … das Jahr zweitausendeinhundertvierunddreißig«, sagte Svetlana.
Der Anzug antwortete nicht.
Svetlana wirkte plötzlich sehr verunsichert. »Was ist passiert, nachdem dein Wachstumsprozess abgeschlossen war? Wer hat dich benutzt? Wie bist du hierher gelangt?«
»Nach zwei Monaten Anpassungstraining mit menschlichen Probanden wurde ich als weltraumtauglich zertifiziert. Am 15. Oktober 2134 ging ich in den Besitz der Firma Surin Industries über. Am 3. Februar 2135 wurde ich in das Raumfahrzeug Spirit House der Firma Surin Industries ausgeliefert, zusammen mit 29 weiteren Raumanzügen des Modells Chakri-5. Ich befinde mich weiterhin im Besitz von Surin Industries, aber da ich keine nutzerwartbaren Teile enthalte, muss ich zur Reparatur und Nachrüstung an die Firma Kanchanaburi zurückgeschickt werden.« Der Anzug machte eine kurze Pause. »Da ich meinen gegenwärtigen Aufenthaltsort nicht bestimmen kann, weder durch Positionierungssignale noch durch Trägheitsvektorrekonstruktion oder Ereignisspeicher, kann ich nicht angeben, wie ich hierher gelangt bin.«
»Also hast du dich verirrt«, sagte Svetlana.
»Bitte helfen Sie mir, meine Lokalisierungsdaten zu aktualisieren. Vorläufig benötige ich keine hochexakten Angaben. Bitte geben Sie die gegenwärtigen Koordinaten in einem der folgenden Positionierungsformate an …«
»Das kann warten«, sagte Svetlana. »Im Moment ist es wichtiger, dass du etwas für uns tust. Bist du bereit?«
»Ja«, sagte der Anzug mit etwas, das wie eine Spur von Verblüffung klang.
»Dann öffne bitte den Anzug, damit wir den Mann herausholen können, der dich trägt.«
»Fordern Sie mich auf, Sie freizugeben?«
Svetlana sah die anderen an. Parry nickte. Dem Helm schien nicht bewusst zu sein, dass die Person, mit der er sprach, nicht mit der Person identisch war, die im unteren Teil des Raumanzugs steckte.
»Ja«, sagte Svetlana. »Gib mich frei.«
»Meine Sensoren deuten darauf hin, dass der Helm abgenommen wurde und die Umgebung sichere Werte aufweist. Doch es besteht die Möglichkeit, dass diese Daten nicht korrekt sind. Sie könnten in eine lebensgefährliche Situation geraten, wenn ich Sie freigebe. Sind Sie bereit, dieses Risiko einzugehen?«
»Ja. Mach auf! Lass mich raus!«
»Möchten Sie, dass ich Ihnen diese Frage erneut stelle, sollte sich eine ähnliche Situation ergeben?«
»Mach den Anzug einfach auf.«
»Bitte warten Sie einen Augenblick. Für den Fall, dass Sie den Öffnungsvorgang unterbrechen möchten, wird jede plötzliche Lautäußerung als Widerrufung des Befehls interpretiert. Wenn Sie den Vorgang nicht unterbrechen möchten, verzichten Sie bitte für die nächsten zehn Sekunden auf plötzliche Lautäußerungen. Ich öffne jetzt.«
Parry trat vom Anzug zurück. Er öffnete sich auf sehr ungewöhnliche Weise, ganz anders, als er erwartet hatte. Ein Riss erschien auf der Vorderseite des Halsrings und wurde breiter und länger, bis er den Brusttornister erreichte. Dort wich er zur Seite aus und lief links um die Kontrollsysteme herum. Darunter setzte er sich bis zum Schritt fort. Die zwei Hälften des oberen Anzugteils klappten seitlich weg, wobei die rechte Hälfte mit dem Brusttornister verbunden blieb. Unter dem Anzug war Chisholm nackt. Es gab keine Unterkleidung und keine sichtbaren Kontakte für Biodaten. Parry und Nadis zogen die Arme heraus und befreiten ihn dann vom unteren Teil des Anzugs. Seine Beine ließen sich mühelos herausziehen, obwohl der Anzug scheinbar fest auf der Haut anlag. Chisholms Körper war blass und völlig haarlos, auch im Genitalbereich, und ohne die Narben und anderen Spuren, die eine Berufslaufbahn im Weltraum zwangsläufig mit sich brachte. Er schien kein Gramm Fett angesetzt zu haben, sodass seine Rippen deutlich hervortraten. Jim Chisholm war zweiundfünfzig gewesen, als er gestorben war, aber dies hätte durchaus der Körper eines Mannes in den Zwanzigern sein können.
»Sie haben ziemlich gute Arbeit geleistet«, sagte Axford anerkennend, während die anderen den Bewusstlosen auf eine Passagierliege des Beiboots hoben.
»Du meinst, es geht ihm gut?«, fragte Svetlana.
»Er war tot, Svieta«, sagte Axford geduldig. »Alles andere kann nur eine Verbesserung seines Zustands sein.«
»Aber er hat mit uns gesprochen und … jetzt ist er wieder weggetreten.«
»Wir können nur die Daumen drücken, dass er wieder zu sich kommt«, sagte Axford.
»Daumen drücken? Mehr hast du nicht zu bieten?«
»Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, aber wenn du Wunder erwartest, bin ich der falsche Arzt.«
Dreimal täglich am Ende jeder achtstündigen Überwachungsschicht empfing Svetlana per E-Mail entweder von Axford persönlich oder einem seiner Assistenten einen zusammengefassten Bericht. Axfords vorläufige Diagnose hatte gelautet, dass Chisholm im Koma lag, obwohl es keine Anzeichen für schwere Schädigungen seines Zentralnervensystems gab. Der Arzt ernährte ihn per Infusion, aber stärkere Eingriffe erschienen ihm unangebracht. Das Fieber ließ langsam nach, auch wenn die Temperatur immer noch Anlass zur Sorge gab. Eine Tomografie erbrachte kein eindeutiges Ergebnis. Vom Glioblastom war nichts mehr zu erkennen, aber Chisholms Gehirn quoll über vor chemischer und elektrischer Aktivität, die den Blick auf den allgemeinen Zustand überdeckte.
Also beobachteten sie ihn, warteten und hofften.
Tage vergingen, die zu einer Woche wurden. Das Fieber verschwand. Axford führte weitere Tomografien durch und stellte fest, dass sich der Nebel lichtete. Vertraute Hirnstrukturen schälten sich aus dem Chaos. Das Blastom war tatsächlich nicht mehr da. Es war, als hätte es nie einen Tumor gegeben. Rund um die Stelle war das Gewebe in völliger Symmetrie wiederhergestellt. Axford verglich die neuen Aufnahmen mit den Ausdrucken in Chisholms Akte. Die neuen Bilder sahen aus, als würden sie von einem jüngeren Gehirn stammen, aus einer Zeit, als die Krankheit noch nicht ausgebrochen war. Nichts deutete mehr auf die Verformungen hin, die Chisholms Gehirn in den letzten Monaten erlitten hatte, bevor er zum Frostengel geworden war.
Axford hielt sich mit Hypothesen zurück. Er wollte keine Spekulationen anstellen, wie die Aliens die Krankheit geheilt hatten. Er wusste nur, dass sie das fehlende Nervengewebe einfach ergänzt hatten, wie Maurer, die ein Loch in einer Wand flickten. Es war auch denkbar, dass sie Chisholms Körper komplett neu geschaffen hatten, indem sie die gefrorene Leiche, die Svetlana ins Schiff gebracht hatte, als Vorlage benutzt hatten.
Was auch immer die Aliens getan hatten, eines war sich Svetlana gewiss: Sie hatten ihnen Jim Chisholm zurückgegeben. Aber das Gesicht, in das sie geblickt hatte, war nicht das von Jim, sondern eher das eines jüngeren Bruders des Menschen gewesen, den sie einmal gekannt hatte. Und diesen jüngeren Bruder kannte sie überhaupt nicht.