Vier


 

 

Die Katastrophe ereignete sich am elften Tag. Svetlana fuhr mit einem Wagen am Rückgrat des Schiffes entlang, von der Maschinensektion hinauf zum Habitat. Sie hatte die Werkstatt etwa hundert Meter hinter sich gelassen. In jeder Sekunde entfernte sie sich weiter, während der Wagen höher hinaufstieg. Svetlana war mit ihren Gedanken woanders; es war nicht unbedingt ein Tagtraum, weil sie sich immer noch mit ihrem Job beschäftigte, aber sie achtete nicht auf ihre unmittelbare Umgebung. Eine flüchtige Bewegung im Augenwinkel war der erste Hinweis, dass etwas nicht stimmte. Eine leichte Verschiebung ihres Körpergewichts war der zweite.

Kurz darauf stieß sie ein entsetztes Keuchen aus.

Hoch über ihr, nicht weit von der Stelle entfernt, wo das Rückgrat in die Unterseite des Habitats eintauchte, hatte sich einer der noch vorhandenen Massentreiber gelöst. Nachdem er nicht mehr richtig verankert war, stand er in schiefem Winkel zum Rückgrat ab. Erschüttert sah Svetlana, dass er nur noch von einer einzigen Klammer gehalten wurde, die sich immer weiter von den Sparren des Rückgrats wegbog. In wenigen Augenblicken würde sich der Massentreiber ganz losreißen.

Ein einziger Gedanke brüllte ihr durch den Kopf: Schaltet das Triebwerk ab! So würde sich im schlimmsten Fall der Massentreiber lösen und langsam vom Rückgrat wegtreiben. Dann konnten sie versuchen, ihn mit Leinen wieder einzufangen, oder ihn einfach hier im Weltraum zurücklassen. Sie hatte ungefähr eine Sekunde, um diesen Gedanken zu Ende zu führen, bis sie erkannte, dass dafür nicht mehr genug Zeit blieb.

Der Massentreiber fiel nach unten.

Es war ein sehr großes Objekt, dazu konstruiert, Kometen anzuschieben. Bei einem halben Ge vollzog sich der Sturz zunächst sehr schwerfällig, und er schien nur widerstrebend zu beschleunigen. Doch dann fiel er in gerader Linie parallel am Rückgrat hinunter, wie in einer komplexen Illustration der Newton’schen Gesetze. Er wurde immer schneller, bis er mit dem Massentreiber kollidierte, der an der nächsttieferen Kupplung befestigt war.

Dreihundert Meter über Svetlana wurde der zweite Treiber abgerissen, und im nächsten Moment krachte seine enorme Masse gegen das Rückgrat. Sie spürte den grausamen Schlag und sah, wie sich das Rückgrat an der Einschlagstelle verbog. Der Wagen sprang aus der Führungsschiene und holperte ein Stück weiter, bis er ruckend anhielt und nur noch teilweise von der Schiene gehalten wurde. Über ihr stürzten die zwei Massentreiber gemeinsam weiter, der untere schrammte am Rückgrat entlang und schälte Streifen aus Metall ab. Darunter befanden sich keine weiteren Massentreiber, zumindest nicht über Svetlana. Sie wagte einen Blick nach unten und sah die Ausbuchtung am Rückgrat, die die abstürzenden Maschinen als Nächstes treffen würden: die Werkstatt.

Die zwei Massentreiber fielen an ihrem Wagen vorbei, und die Erschütterungen drückten sie mit schmerzhafter Gewalt gegen die Sitzgurte. Sie spürte, wie etwas in ihrem Brustkorb knackte, doch der Wagen erlitt keinen weiteren Schaden und verlor nicht den fadenscheinigen Halt an der Führungsschiene.

Dann schlugen die Treiber gegen die Werkstatt, die von den Erschütterungswellen hin und her gerissen wurde. Als Svetlana sich dazu überwinden konnte, wieder nach unten zu schauen, sah sie eine glitzernde Trümmerwolke, die aus der Ruine der Werkstatt quoll, die auf dieser Seite der Länge nach aufgeschlitzt worden war. Gelbe Roboter purzelten wie winzige vertrocknete Spinnen heraus. Durch die Wolke konnte sie gerade noch die zwei fallenden Treiber erkennen. Sie überschlugen sich, aber beide schienen noch intakt zu sein. Der Zusammenprall mit der Werkstatt hatte sie vom Rückgrat weggestoßen.

Trotzdem würden sie als Nächstes das Triebwerk treffen.

Der Einschlag kam sehr schnell, fast im selben Moment, als ihr die Unvermeidlichkeit bewusst wurde. Als die Treiber die kontinuierliche Beschleunigung des Schiffs unterbrachen, wurde es mit einer Heftigkeit durchgerüttelt, die nichts im Vergleich mit der flüchtigen Berührung der Werkstatt war. Svetlana kniff die Augen zusammen und wartete auf die Explosion einer außer Kontrolle geratenen Fusionsreaktion – eine Explosion, die mit hoher Wahrscheinlich das gesamte Schiff in einem grellweißen Blitz verschlingen würde, bis hinauf zu diesem Teil des Rückgrats.

Aber das Schiff funktionierte noch. Der Flug fühlte sich weiterhin glatt und normal an. Eine Fusionsreaktion war eine komplizierte, sehr launische Angelegenheit. Entweder lief sie, oder sie lief nicht. Erstaunlicherweise schien das Triebwerk keinen ernsthaften Schaden genommen zu haben.

Sie hatten überlebt.

Dann erst spürte sie den rasenden Adrenalinschub. Ihre Hände zitterten, als sie nach dem Kommunikationsschalter des Wagens griff. Es schmerzte, wenn sie atmete. Sie legte den Schalter um und hörte das Knistern der kosmischen Strahlung.

»Hier ist Svetlana«, rief sie und hoffte, dass irgendjemand sie hören konnte. »Es hat einen Unfall gegeben. Zwei Treiber haben sich losgerissen.«

 

Mit vorsichtigen Schubstößen ließ Parry seinen Anzug über der kathedralenhaften Gewaltigkeit der Treibstofftanks anhalten.

Überall in seiner Nähe gab es Hinweise auf hektische menschliche und maschinelle Aktivitäten. Gestalten in Anzügen schwebten um den hell angestrahlten Triebwerkkomplex und bewegten sich mit den trottenden, bedächtigen Schritten, die typisch für Leute waren, die Geckoflexbeläge unter den Sohlen und an den Handflächen trugen. Die meisten Arbeiter trugen keine Antriebseinheiten, aber es war auch niemand angeleint. Jahrelange Erfahrung hatte gezeigt, das Sicherheitsleinen mehr Probleme bereiteten, als sie verhindern konnten. Sie waren ständig im Weg und verhedderten sich an Hindernissen und mit anderen Leinen. Manchmal waren sie selbst der Auslöser für bizarre, grausige Unfälle – vor allem, wenn sie sich schnell bewegten.

Parry begutachtete den Schaden und verglich ihn mit den Berichten, die er gelesen hatte. Es hätte in der Tat viel schlimmer ausgehen können. Die meisten Trümmer, die von den Arbeitern weggeräumt wurden, stammten von der Werkstatt und nur verhältnismäßig wenig vom Triebwerk oder den Treibstofftanks. In den hellen Brennpunkten der Flutlampen zerrten Menschen und Roboter mit großer Vorsicht an Bruchstücken und achteten auf beschädigte Kühlungs- oder Treibstoffleitungen, die vielleicht kurz vor dem Platzen standen. Alle Arbeiter ließen sich dreidimensionale Baupläne auf die Helmvisiere projizieren, aber es lohnte sich nicht, sich zu sehr darauf zu verlassen.

»Jemand wird dafür bezahlen«, sagte Bella über die Verbindung zwischen Schiff und Anzug. »Wir konnten die Panne bis zu einer einzigen falschen Ziffer in einem Belastungsdiagramm zurückverfolgen.«

Parry pfiff beeindruckt. »Muss ja eine enorm wichtige Ziffer sein.«

»Jemand zu Hause dachte, wir würden Massentreiber vom Typ sieben mit uns führen, während wir tatsächlich mit dem Typ acht ausgestattet sind. Und die wiegen zufällig ein kleines bisschen mehr.«

Parry manövrierte sich etwas näher an die Treibstofftanks heran. Sie waren wie vier zylindrische Wolkenkratzer um einen engen zentralen Platz herum angeordnet, und das Rückgrat des Schiffes ging in der Mitte hindurch. Die Fundamente der Tanks waren auf einem riesigen schüsselförmigen Schild befestigt, der den größten Teil der Strahlung des Fusionsreaktors von Lockheed-Krunichev abhielt. Gleichzeitig diente er als Verankerungspunkt für das Rückgrat.

»Müssen wir deshalb die Show absetzen?«, fragte Parry.

»Bob Ungless sagt, dass wir die noch vorhandenen Treiberkupplungen ohne allzu große Schwierigkeiten verstärken können. Bis dahin können wir nur mit verringertem Schub weiterfliegen, aber es dürfte uns nicht umbringen.«

»Ich vermute, Svieta ist noch nicht wieder auf den Beinen, oder?«

»Ich habe gerade mit Ryan gesprochen. Sie wird sich noch ein paar Tage mit grünen und blauen Flecken abfinden müssen.«

»Ist sie wach?«

»Aber ja. Wenn du Ärger haben willst, musst du nur versuchen, ihr den Flextop aus den Händen zu reißen.«

»Ich muss vielleicht mit ihr sprechen.«

»Hast du da draußen etwas gefunden?«

Parry gab einen unbestimmten Laut von sich. »Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten, aber ich glaube, dass sich noch niemand gründlich zwischen den Tanks umgesehen hat.« Er hob seine relative Bewegung auf, nahm die Antriebseinheit ab und hielt sich mit Hilfe von Geckoflex an der Innenwand des Tanks fest.

»Wir rechnen nicht damit, dass es dort zu Beschädigungen gekommen ist«, sagte Bella.

Parry begann mit dem Abstieg. »Trotzdem haben wir da unten eine tote Kamera. Zufällig ist es diejenige, die vom Schild aus zwischen den Tanks hinaufblickt. Ich frage mich, ob jemand sie zu Kleinholz zerschlagen hat.«

Es folgte ein kurzes statisches Knistern. »Gut. Ich empfehle, einen kleinen Roboter hinunterzuschicken.«

»Wir haben keine mehr. Ich mache mich zu Fuß auf den Weg.«

»Bitte wiederholen.«

»Wir haben alle kleinen Roboter verloren, Bella.« Parry schnappte nach Luft. Er war etwas aus der Übung, was die Fortbewegung auf Flexsohlen betraf. »Alle haben sich in der Werkstatt befunden, als die Treiber sie ins Freie schleuderten.«

»Wenn es dick kommt, dann richtig, wie?«

»Das hier kommt mir allmählich wie ein Pannenstrudel vor«, murmelte Parry.

»Pannenstrudel? Das ist ein Wort, das ich schon lange nicht mehr gehört habe.« Wie Bella sehr genau wusste, war das eine Situation unter Wasser, die in kleinen Schritten kritischer wurde. Jede einzelne Panne war für sich genommen nicht weiter schlimm, aber sie summierten sich und rissen die Taucher in einen immer tieferen Strudel. Zu Anfang war noch genug Zeit, die Tendenz umzukehren und wieder herauszukommen. Aber wenn man schon tiefer hineingerutscht war, schrumpften die Rettungsmöglichkeiten rapide zusammen.

»Du kennst sicher auch den Spruch, dass Scheiße immer im Dreierpack kommt«, sagte Parry.

»Die Jungs haben es noch anders ausgedrückt«, erwiderte Bella. »Wenn irgendwas auch nur so ähnlich riecht, sprachen sie von einem ernsten Golf Bravo.«

»Golf Bravo?«

»Einem Gang-Bang, mein Guter. GB steht für Gang-Bang.«

»Ich verstehe«, sagte Parry und lachte gepresst. »Ich schätze, man könnte in einem Unfallstrudel einen Gang-Bang veranstalten, wenn man sich alle Mühe gibt.«

»Wahrscheinlich«, sagte Bella und erschauderte unwillkürlich.

»Das ist etwas, das man tunlichst vermeiden sollte.«

Seine Handlampe strich über vage Formen zwanzig Meter unter ihm. Parry rief den Bauplan auf, und ein Gitter aus dünnen roten Linien legte sich auf seine Helmscheibe. Sie passten exakt zum realen Anblick und markierten die Tanks rund um das Rückgrat. Am Schild breitete sich ein komplexes Arteriengeflecht aus Maschinen aus, die in Grün und Blau dargestellt waren. Es war schwierig, sie mit den Formen zur Deckung zu bringen, die die Lampe aus der Dunkelheit schälte.

Er schob sich näher heran und stöhnte mit jedem Meter, den er mühsam vorankam. Oberhalb des Kratzers in der Verkleidung, wo die Trümmer sie getroffen hatten, war die Tankwand glatt. Also beschloss er, sich nach oben zurücktreiben zu lassen statt die Kletterpartie zu wiederholen. Und er nahm sich vor, in Zukunft mehr Zeit in der Sporthalle zu verbringen und für diese Art von Arbeit fit zu sein.

»Wie sind die Sichtverhältnisse?«, fragte Bella.

»Nicht gut. Wie bei einem Braille-Tauchgang.« Parry probierte verschiedene Kombinationen von Handlampe, Helmlampe und Helmvisierfilter aus, bis er sich für ein akzeptables Optimum entschied. »Aber ich sehe, dass hier unten etwas ist. Sogar eine ganze Menge davon.«

»Sprich mit mir, Kollege.«

Parry kroch tiefer hinunter, schwenkte den Strahl der Lampe und pfiff staunend. »Kein Wunder, dass die Kamera tot ist. Hier unten liegen mindestens zehn Tonnen Schrott herum, zwischen den Tanks eingeklemmt.«

»Was für Schrott?«

»Sieht aus wie das, was aus der Presse kommt.« Aus der Nähe konnte er nun einige Teile identifizieren. Verbogene Wellblechplatten, die von der Außenwand der Werkstatt stammten. Stücke aus rotem Metall, die wahrscheinlich von einem oder beiden Massentreibern abgebrochen waren. Zerquetschte gelbe Teile, die Überreste mehrerer Roboter, die wie Krabben in einem Eimer zusammengedrückt waren. »Ein heilloses Durcheinander«, sagte Parry. »Siehst du, was ich sehe?«

»Ich bekomme ein ziemlich undeutliches Bild von deiner Kamera herein«, sagte Bella, »aber es reicht, um zu erkennen, dass es gar nicht gut aussieht.«

»Irgendjemand muss das hier wegräumen.«

»Leichter gesagt als getan. Aber du hast recht. Wir dürfen nicht riskieren, dass das Zeug herumrutscht und die Tanks beschädigt.«

Parry sah sich auf dem Trümmerplatz um und stellte sich die Aufräumarbeiten vor. Jedes Stück konnte nur von Arbeitern in Anzügen und nicht von Robotern weggetragen werden. Wenn sie in Schwerelosigkeit arbeiteten, würden sie die Trümmer zumindest nicht heben müssen. Sobald die Teile aus dem zusammengedrückten Haufen gelöst waren, konnte man sie anschieben und an den Tanks vorbeidriften lassen. Anschließend, wenn alles weggeschafft war, würde man mögliche Lecks in den Tanks mit Sprühstein abdichten.

Sprühstein, dachte er, das kann ja heiter werden!

»Bist du noch da?«, fragte Bella.

»Ja. Ich habe mich gerade gefragt, wie ich jemals auf die Idee gekommen bin, ein Arbeitsplatz im Weltraum wäre eine kluge Berufswahl.«

»Jeder von uns hat mal solche Tage.«

»Bei mir entwickelt es sich gerade zu einem ganzen Jahrzehnt.«

Parry sah sich noch einmal die Bescherung an und vergewisserte sich, dass seine Helmkamera brauchbare Bilder aufzeichnete. Dann blickte er nach oben, wo die vier Tanks ein Stück Weltraumhimmel einrahmten, in dem sich das Rückgrat mit dem Habitat erhob, das unvorstellbar winzig und entfernt wirkte, wie ein Spielzeugballon an einer ewig langen Leine. Er schätzte seinen Flugwinkel ein und stieß sich ab.

 

Svetlana saß auf der Bettkante und beobachtete nervös die Aufräumarbeiten. Obwohl sie bis zum Stehkragen mit Medikamenten vollgepumpt war, blieb ihr noch genug Restbewusstsein, um tiefe Besorgnis um ihr wunderschönes Triebwerk zu empfinden.

»Es sieht schlimm aus«, sagte Parry und rieb sich den Unterarm. Es fühlte sich an, als hätte er sich einen Muskel gezerrt. »Aber da unten gibt es nichts, was sich nicht irgendwie fortschaffen lässt. Nur eine Frage der Zeit.«

»Ich will nicht, dass in der Nähe der Tanks Schneidwerkzeug eingesetzt wird«, sagte Svetlana.

»Daran haben wir gedacht. Sie haben Energiewerkzeug mit nach unten genommen, aber nichts, weswegen du dir Sorgen machen müsstest. Das Hauptproblem ist, die Trümmer loszukriegen.«

Die Arbeiter hatten eine Kette gebildet. Fünf hielten sich an der Basis der Tanks auf und zerlegten die zusammengepresste Masse mit Bohrhämmern in handliche Stücke. Danach schoben sie die Brocken in Richtung der offenen Seite des Tankkomplexes. Fünf weitere Arbeiter hingen mit Geckoflex an den inneren Wänden und waren bereit, die Trümmer mit einem Schubs wieder auf Kurs zu bringen, wenn die Gefahr drohte, dass sie gegen die Tanks oder das Rückgrat stießen. Weitere fünf warteten ganz oben, drei mit Geckoflex fixiert, zwei mit Antriebseinheiten im freien Fall. Sie fingen die eintreffenden Brocken ein und schätzten ihren Wert ab. Die guten Stücke kamen in ein Netz aus epoxidbeschichteten Fasern, der Müll wurde über Bord geworfen, wobei sie der uralten und im Grunde sinnlosen Tradition gehorchten, ihn aus der Ebene der Ekliptik herauszuschleudern.

»Der Haufen ist schon deutlich kleiner geworden«, sagte Parry.

Svetlana verfolgte über die Kamera, wie die Arbeiter ein Trümmerstück in Angriff nahmen. »Sag ihnen, dass sie vorsichtig sein sollen.«

»Nur weil sie schnell sind, heißt das nicht, dass sie nicht gut sind. Das sind dieselben Leute, denen ich die schwierigsten Aufgaben auf einem Kometen anvertrauen würde.«

Svetlana zwang sich zu einem Nicken. Sie konnte ihre latenten Vorurteile gegenüber den Kometenbergwerkern nie völlig abschütteln. Sie waren einfach zu wagemutig. Svetlana fand, dass man nur Leute in die Nähe eines Fusionstriebwerks lassen sollte, die eine starke Abneigung hatten, auch nur das geringste Risiko einzugehen.

Feiglinge waren die geeigneten Leute, die mit nuklearer Technik hantieren sollten.

»Ich sage nur, dass sie vorsichtig sein müssen«, rechtfertigte sie sich. »Wenn es ein Leck gibt …«

»Wir haben da unten nichts gesehen, das auf ein Leck hindeutet. Tu mir einen Gefallen und hör auf, dir Sorgen zu machen. Du musst dich ausruhen.«

»Ich habe mir nicht zum ersten Mal eine Rippe gebrochen. Sie werden wieder zusammenwachsen.«

»Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«

»Ja«, sagte sie liebenswürdig. »Du kannst mir bitte einen Flextop bringen.«

Parry verzog das Gesicht. »Du sollst dich entspannen und nicht arbeiten, Baby.«

»Ich entspanne mich, wenn ich arbeite. Tu es einfach, okay?«

Parry gab nach und kehrte eine Minute später mit einem Flextop zurück. »Unsere Kleine wird davon gar nicht begeistert sein«, sagte er.

»Das werde ich persönlich mit Bella klären. Du musst nur auf deine Leute aufpassen.«

Svetlana hielt sich den Flextop vors Gesicht, damit das Gerät sie durch eine kombinierte Analyse ihrer Fingerabdrücke, Handbewegungen, Atemchemie, Stimme, Gesichtszüge und Netzhautmuster identifizieren konnte.

»Gibt es etwas Bestimmtes, das dich interessiert?«, fragte Parry.

»Leckkontrolle«, sagte sie.

»Damit kann ich nicht viel anfangen.«

»Wenn die Tanks tatsächlich beschädigt wurden und Treibstoff in den Weltraum entweicht, müsste es an den Druckwerten zu erkennen sein.«

»Selbst ein ganz kleines Leck?«

»Natürlich gibt es eine Grenze. Die Druckventile würden es kaum bemerken, wenn pro Sekunde nur ein paar Atome austreten. Aber es wäre nachlässig, es nicht zu überprüfen.«

»Meinst du, ich sollte meinen Leuten sagen, die Arbeiten einzustellen, bis du dich vergewissert hast?«

»Nein«, sagte sie nach kurzer Überlegung. »Wahrscheinlich gibt es keine Probleme. Solange sie vorsichtig sind.«

Sie navigierte zum Bereich des Schiffsnetzes, der für die grundlegenden technischen Funktionen des Triebwerks zuständig war. Sie tippte ein paarmal mit dem Finger auf den Schirm, dann hatte sie vier Grafiken aufgerufen, die den Tankdruck in Abhängigkeit von der Zeit darstellten. Sie vergrößerte den Ausschnitt, der den letzten vierundzwanzig Stunden entsprach.

»Wann genau ist der Unfall passiert?«

Parry beugte sich vor und berührte die Zeitachse mit dem Finger. »Vor sechs Stunden. Ungefähr hier.«

Sie zoomte den Zeitpunkt näher heran, eine Stunde vor und nach dem Unfall. »Siehst du diese Linie, Parry?«

»Ja.«

»Sie kommt mir ziemlich flach vor.«

Parry kniff die Augen zusammen. »Wie auf einen Teller gepisst. Ist das ein Problem?«

»Wir haben das Triebwerk zehn Minuten nach dem Unfall abgeschaltet«, sagte Svetlana und dachte laut nach. »Der Treibstoffverbrauch müsste von dann bis jetzt auf Null runtergegangen sein.«

»Stimmt. Aber man müsste schon sehr genau hinsehen, um eine so kleine Veränderung der Kurvenneigung zu erkennen, die sich erst nach viel längerer Zeit bemerkbar machen dürfte.«

»Ich weiß. Ich hatte mich nur gefragt, ob das Ereignis Spuren in den Druckwerten hinterlassen würde.«

»Wenn es ein Leck gibt, dann kann es nur ein verdammt winziges sein«, sagte Parry.

»Oder gar kein Leck.«

Er wollte ihr den Flextop wegnehmen. »Und das ist doch gut, nicht wahr?«

»Wahrscheinlich«, sagte Svetlana, aber sie ließ den Flextop nicht los. »Trotzdem möchte ich mir diese Werte etwas genauer ansehen.«

»Wenn es dich davon abhält, das Bett zu verlassen.« Parry rieb sich die Hände an den Hosentaschen. »Keine Rast für die Gottlosen, fürchte ich.«

»Ich dachte, du wärst für heute fertig.«

»Ich bin nur reingekommen, um eine kleine Pause zu machen. Der Anzug muss mal wieder auf Vordermann gebracht werden.«

»Du warst schon viel zu lange draußen. Komm, lass mich einen Blick auf dein Dosimeter werfen.«

Er zog sich das Armband ab und reichte es ihr. Sie betrachtete die farbige Anzeige mit einem besorgniserregend roten Histogramm.

»Sechshundertzwanzig Millisievert, Parry. Wenn du so weitermachst, können wir mit dir das Schiff beleuchten.« Sie gab ihm das Dosimeter zurück und spürte ein Kribbeln in den Fingern, als wäre das Gerät selbst eine Strahlungsquelle. »Parry, bitte ruh dich eine Weile aus.«

»Ich werde es tun, sobald du es tust«, sagte er und griff erneut nach dem Flextop. »Wie klingt das?«

Sie ließ den Flextop nicht los. »Wie Erpressung.«

»Ich werde in sechs Stunden wieder drinnen sein«, versprach Parry. Er küsste sie und ging. Sie starrte auf seinen Rücken, als er die medizinische Abteilung verließ, und sah, wie er kurz mit einem von Ryan Axfords drei diensthabenden Mitarbeitern sprach. Sie ließ den Kopf aufs Kissen fallen, schloss die Augen und unternahm nichts, als ihr der Flextop aus den Händen glitt. So lag sie da, bis es unter ihren Augenlidern dunkler wurde, als wäre das Licht in der Krankenstation gedimmt worden.

Sie wartete fünf Minuten, dann machte sie die Augen wieder auf.