Fünf
Bella besuchte die Kranken. Sie blieb neben Jim Chisholms Bett stehen, weil sie mit ihm über den Zwischenfall reden wollte, stellte jedoch fest, dass er mit aufgesetzten Kopfhörern schlief. Sie ging weiter zum nächsten Bereich, wo Svetlana soeben eine in Folie verpackte Mahlzeit auf einem Tablett beendete.
»Auf dem Weg der Genesung?«
»Mir geht es schon viel besser«, sagte Svetlana ohne große Überzeugung. Bella fand, dass sie wie jemand aussah, der die Nacht durchgearbeitet hatte, um für ein Examen zu büffeln.
»Ich dachte, es würde dich aufmuntern, wenn ich dir sage, dass wir mit den Aufräumarbeiten gut vorankommen. Wir müssten in sechs oder sieben Stunden wieder unterwegs sein.«
»Parry sagte, sie wollen die Tanks verstärken.«
»Keine schlechte Idee, wenn sie schon einmal da unten sind, nicht wahr?«
»Vorausgesetzt, wir können uns die zusätzliche Zeitverzögerung erlauben.«
Thomas Shen, ein medizinischer Assistent, holte Svetlanas Tablett ab. Bella sah, dass darunter ein Flextop lag, dessen Bildfläche mit technischen Diagrammen und Grafiken übersät war. Svetlana hatte überall Anmerkungen und Berechnungen daneben gekritzelt.
»Zeitverzögerung?«, wiederholte Bella.
»Ich kann mir vorstellen, dass sich das Rendezvous mit Janus dadurch noch schwieriger gestaltet.«
»Es wird vielleicht etwas kürzer, aber wir hätten längst etwas von der Erde gehört, wenn die Mission nicht mehr durchführbar wäre.«
»Wenn du es sagst.«
»Hast du etwas auf dem Herzen, Svieta?«
Sie sah Bella misstrauisch an. »Warum? Wie kommst du darauf, dass ich etwas auf dem Herzen haben könnte?«
»Hast du dir diese Diagramme nur zum Zeitvertreib angesehen?« Mit einer schnellen Handbewegung nahm Bella den Flextop von Svetlanas Schoß und hielt ihn ins Licht, um die komplizierten Anzeigen und Notizen zu mustern. »Das sind Druckwerte«, stellte sie fest.
»Ich dachte mir, dass es vielleicht ein Leck in einem der Treibstofftanks geben könnte.«
»Gibt es eins?«
»Wie es scheint, haben alle vier die Sache heil überstanden.«
»Trotzdem macht dir etwas Sorgen. Es hat keinen Sinn, es mir zu verheimlichen, Svieta.« Bella holte sich einen Stuhl, hockte sich rittlings darauf und verschränkte die Arme über der Rückenlehne. »Du musst mir sagen, was dich bedrückt.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis Svetlana sprach. Thomas Shen kam noch einmal zurück und hantierte mit einem Überwachungsgerät. Bella biss sich auf die Unterlippe und sah Svetlana abwartend an.
»Es geht um den Druck in den Tanks«, sagte Svetlana, als Shen sich wieder entfernt hatte.
Bella schaute sich erneut die Darstellungen auf dem Schirm an. »Also gibt es doch ein Leck?«
»Nein. Danach habe ich nur zu Anfang gesucht.«
»Also dich besorgt etwas anderes.«
Svetlana sah sie mit gequälter Miene an. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.«
»Sag es einfach.«
»Als der Massentreiber gegen das Schiff schlug, war es, als würden wir einen Eisberg rammen.«
»Wir alle haben den Stoß gespürt«, stimmte Bella ihr zu.
»Richtig. Aber wo zeigt es sich in den Werten?«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Durch den Aufprall hätte das Gas in den Tanks hin und her schwappen müssen.«
»Und das hat es nicht getan?«
»Nicht nach diesen Daten. Es ist, als wäre überhaupt nichts passiert.«
»Warte mal.« Bella kniff die Augen zusammen. »Diese Druckwerte – wie werden sie gemessen?«
»Durch Drucksensoren in den Tanks.«
»Wie viele pro Tank? Ich vermute, es gibt mehr als einen, falls einer ausfällt.«
»Sechs«, sagte Svetlana.
»Die an verschiedenen Stellen angebracht sind?«
»Ja. Zwei an den beiden Enden der Tanks, zwei im mittleren Bereich.«
»Da hast du die Antwort.« Bella bemühte sich, nicht allzu zuversichtlich zu klingen. »Jede dieser Druckkurven dürfte sich aus den Daten aller sechs Sensoren zusammensetzen. Wahrscheinlich bekommst du diese Zahlen erst auf den Schirm, nachdem sie von einer ganzen Menge Software zurechtgestutzt wurden, um Anomalien zu unterdrücken.«
»Daran habe ich schon gedacht«, sagte Svetlana, »aber ich habe mir den Quellcode angesehen, und darin gibt es nichts, was eine stärkere Druckabweichung ausblenden würde. So etwas sollte man auch gar nicht ausblenden, weil es bedeuten könnte, dass es ernsthafte Probleme gibt. Was wäre, wenn die Integrität des Tanks durch das umherschwappende Gas beeinträchtigt wurde?«
»Okay, aber trotzdem scheine ich auf der richtigen Spur zu sein. Stellen diese Kurven die realen Durchschnittswerte in den Tanks dar?«
»Ich glaube, ja.«
»Aber du bist dir nicht ganz sicher.«
»Nein«, sagte sie mit einem schweren Seufzer. »Von diesem Bett aus kann ich einiges überprüfen, aber ich kann nicht alles nachverfolgen, was zwischen mir und den Tanks passiert.«
»Ich hätte einen Vorschlag«, sagte Bella in versöhnlichem Tonfall. »Wenn es dich glücklich macht, werden wir eine zweite Meinung von der Erde einholen. Aber wir müssen wieder Fahrt aufnehmen, bevor die Antwort eintreffen kann.«
»Noch glücklicher wäre ich, wenn ich die Daten sehen könnte«, sagte Svetlana. »Und richtig glücklich wäre ich, wenn ich wüsste, warum ich sie nicht sehe.«
»Du bekommst deine Antwort«, sagte Bella und erhob sich vom Stuhl. »Ich werde sofort eine Nachricht nach Hause schicken. Wenn sich jemand gleich an die Arbeit macht, müsstest du die Erklärung in einem halben Tag haben.«
»Und wenn mir diese Erklärung nicht gefällt?«, bohrte Svetlana weiter.
»Dann hast du etwas, worüber du dir den Kopf zerbrechen kannst. Aber jetzt ruh dich aus, bitte! Ich sage dir sofort Bescheid, sobald ich etwas höre.« Bella drückte den Flextop an ihren Brustkorb. »Das hier nehme ich mit, wenn es dir nichts ausmacht.«
Svetlana wollte etwas dazu sagen, aber Bella war bereits auf dem Weg nach draußen.
Ein Tod im Raumanzug war niemals angenehm, aber für Mike Takahashi war er besonders schlimm.
Parry sah es kommen. Die Metallverkleidung des Tanks zitterte, dann zitterte sie wieder und dann noch einmal, wobei die Vibrationen jedes Mal stärker wurden. Etwas kam zu ihnen herunter, irgendein Trümmerstück, das sie während der Aufräumarbeiten nicht festgezurrt hatten.
Sie waren zu dritt – Parry, Frida Wolinsky und Takahashi – und trugen Sprühstein auf. Sie standen mit den Stiefelsohlen auf der Wand eines Tanks, ihre Helme streiften die Achse des Rückgrats, und ihre Gesichter waren auf den Schild zehn Meter unter ihnen gerichtet. Die Arbeitergruppe am offenen Ende des Tankkomplexes hatte sie mit Leinen gesichert. Die Rockhopper machte wieder Fahrt mit einem halben Ge Beschleunigung. Die falsche Schwerkraft half ihnen beim Auftragen des Sprühsteins, indem sie die Schichten der Zwei-Komponenten-Masse zusammendrückte, bevor sie verschmolz.
Es zuckte in Parrys Nacken, als irgendein Instinkt ihm sagte, dass sich die Gefahr von hinten näherte. Aber sein Helm versperrte ihm die Sicht, und weil er angeleint war, konnte er sich nicht umdrehen. Nicht mehr als zwei Sekunden waren vergangen, seit er zum ersten Mal gespürt hatte, dass etwas nicht stimmte.
Er bewegte die Hand, um die Sprühsteinpistole abzuschalten. Es schien viel zu lange zu dauern. Gleichzeitig fasste er den Entschluss, etwas zu sagen. Er wollte »Abstellen!« sagen, aber er hatte kaum den ersten Vokal geäußert, als er eine verschwommene Bewegung in einem Fenster seines Helmdisplays sah.
Mike Takahashi war verschwunden.
Es hatte ihn von der Tankwand gefegt. Mit bösartiger Unvermeidlichkeit hatte das Trümmerstück Takahashi erwischt und ihn entweder gerammt oder auf dem Weg nach unten seine Leine zerrissen. Geckoflex war ein starkes Zeug, aber die Belastungsgrenze war so angelegt, dass es versagte, bevor dasselbe mit den Versiegelungen eines Druckanzugs passierte.
Parrys Hand hatte endlich die Düse geschlossen, und der Strahl aus Sprühstein versiegte. Sein Blick folgte zögernd der Flugbahn bis zur Basis der Tanks. Jetzt konnte er alles sehen. Dort war das Objekt, das Takahashi mitgenommen haben musste, ein Klumpen von Medizinballgröße, dessen ursprüngliche Gestalt nicht mehr wiederzuerkennen war, halb im ausgehärteten Sprühstein eingetaucht. Und daneben lag Mike Takahashi mit ausgestreckten Gliedmaßen, wie er aufgeschlagen war. Während des Falls hatte er sich um einhundertachtzig Grad gedreht, sodass er nun zu Parry und Wolinsky heraufschaute. Sein Kopf, die Schultern und der Brustkorb lagen frei, alles andere befand sich unter der blaugrauen Oberfläche, mit Ausnahme eines Stücks Knie und einer Stiefelspitze.
Takahashi lebte noch und war bei Bewusstsein. Parry konnte ihn stöhnen hören. Weder der anfängliche Zusammenstoß noch der Sturz in die Masse aus Sprühstein hatten ihn umgebracht. Der Sprühstein hatte ihm wahrscheinlich sogar das Leben gerettet und einen ansonsten tödlichen Zusammenprall mit der harten Panzerung des Schildes verhindert.
Parry ließ die Sprühpistole fallen. Alle redeten auf dem allgemeinen Kanal durcheinander. Jeder wusste, dass etwas passiert war, auch wenn man den Abgestürzten auf den Kamerabildern nicht sehen konnte.
»Ruhe!«, rief Parry. »Still, alle zusammen. Ruhe, verdammt noch mal!« Als endlich alle schwiegen, riss er sich zusammen und sagte mit beherrschter Stimme: »He, Mike, kannst du mich hören, Kumpel?«
Takahashi sog hörbar den Atem ein. »Ja.«
»Du musst ruhig bleiben. Bleib ganz still liegen, atme flach, und dann holen wir dich da raus.«
»Okay.«
»Wie geht es dir da unten?«
Takahashis Stimme wurde stärker. »Ich habe Probleme mit einem Bein. Es tut ziemlich weh.«
Wahrscheinlich gebrochen, dachte Parry, oder ausgerenkt. Entweder, als er von der Tankwand gefegt worden war, oder beim Aufprall. Die Gelenkstruktur eines Orlan-19 führte häufig zu solchen Verletzungen.
Wieder bemühte sich Parry, seine Stimme von jeglicher Panik freizuhalten. »Wir werden etwas gegen deine Schmerzen machen, Mike, aber zuerst musst du mir ganz genau zuhören.«
Takahashi atmete erneut keuchend ein. »Ich höre.«
»Du liegst in Sprühstein. Dein Kopf, deine Arme und dein Oberkörper sind frei. Alles andere von dir ist eingeschlossen.«
»Großartig!«
»Aber wir werden dich da rausholen«, sagte Parry eindringlich. »Und das ist ein Versprechen, eine in Eisen geschmiedete Garantie. Doch das geht nur, wenn du mit mir zusammenarbeitest. Es ist sehr wichtig, dass du ruhig bleibst. Damit gibst du uns ausreichend Zeit, um dich auszugraben. Verstanden?«
»Verstanden«, sagte Takahashi mit einem unüberhörbaren Unterton der Panik in der Stimme.
»Ich meine es ernst.«
»Kümmert euch um mein Bein. Dann können wir reden.«
»Wir können uns im Moment nicht um dein Bein kümmern, aber es ist wichtig, dass du trotzdem ruhig bleibst. Ich möchte, dass du Musik hörst, Mike. Geh das Menü durch und such dir etwas Entspannendes aus.«
»Du willst mich verarschen, Parry.«
»Nein. Wenn du dir nicht selber etwas aussuchst, werde ich es tun und etwas in deinen Helm pumpen. Du warst nie ein großer Opernfan, nicht wahr?«
»Toller Witz, Parry.«
»Wer macht hier Witze? Entweder du suchst dir was aus, oder ich mache es.«
»Du scheinst völlig …«
»Such dir was aus. Und dreh es laut, damit wir alle zuhören können. Wenn du in den nächsten zwanzig Sekunden nicht tust, was ich sage, werde ich dich mit Puccini nerven. Vielleicht Turandot. Ich weiß genau, wie wunderbar du ›Nessun dorma‹ findest, Mike.«
»Du bist ein echtes Arschloch, Parry.«
»Ich geh das Menü durch. Gleich kommt es. Public Enemy … Puccini. Ich hoffe, du bist bereit dafür, Kumpel. Es wird dir wehtun. Es wird höllisch wehtun!«
Takahashi war nicht schnell genug. Vielleicht war auch das Audiosystem seines Anzugs beschädigt. Parry war es egal. Er war froh, ihm Puccini aufdrängen zu können. Auch wenn er die Musik wirklich nicht ausstehen konnte, hatte er etwas, das ihn ablenkte.
Parry rief Bella.
»Mach den Krach leiser«, sagte sie. »Ich kann kein Wort verstehen.«
»Tut mir leid«, übertönte er die Stimme von Luciano Pavarotti, »aber der Krach gehört zum Plan. Ich will, dass du das Triebwerk runterfährst, Bella. Mike kann jetzt keinen zusätzlichen Druck auf seinem Bein gebrauchen, und wir können es nicht riskieren, dass hier ein weiteres Trümmerstück runterkommt.«
»Einverstanden«, sagte sie nach einem winzigen Moment des Zögerns. Dreißig Sekunden später spürte Parry, wie sich die Halteleine entspannte, als er schwerelos wurde.
»Was noch?«
»Wir brauchen weitere Leute. Und einen Arzt.«
»Ich habe Ryan schon informiert.«
Parry drehte sich nach links herum, bis er am Rand des Gesichtsfeldes seiner Helmscheibe Wolinsky erkennen konnte. »Frida«, sagte er, »kannst du von dort aus die Befestigung meiner Leine erreichen?«
»Ich glaube schon, wenn man mich etwas weiter runterlässt.«
Wolinsky beugte sich in seine Richtung, sodass er sie nicht mehr sehen konnte. Er spürte einen leichten Ruck, als sie nach seiner Leine griff.
»Mach mich los«, sagte Parry und beugte sich zurück, damit sie den Karabinerhaken öffnen konnte.
Ausnahmsweise hätte sich Parry in diesem Fall mit Leine wohler gefühlt, aber die Seile waren leider nicht länger. Er spürte, wie Wolinsky ihm auf den Rücken klopfte.
»Du bist frei, Großer. Sei vorsichtig da unten.«
Parry ließ sich kopfüber zur Oberfläche des Sprühsteins hinunterfallen. Sie hatten etwa anderthalb Meter aufgetragen, als Takahashi abgestürzt war, und das meiste musste inzwischen vollständig ausgehärtet sein. Sprühstein mochte elastisch genug sein, um den Impuls eines Massentreibers abzufedern, aber das würde ihnen nicht helfen, einen Verletzten auszugraben.
Parry hatte jetzt beide Hände auf den Sprühstein gelegt und stellte fest, dass das Geckoflex keine dauerhafte Verbindung bildete. Beruhigt setzte er ein Knie auf die Kruste, dann einen Fuß. Er nahm den anderen Fuß von der schartigen Metallwand des Tanks und stellte ihn auf den Sprühstein. Nun konnte er zur halb freiliegenden Gestalt des Eingeschlossenen hinüberkriechen. Er erreichte Takahashis Oberkörper und ging vor ihm auf die Knie, wobei er darauf achtete, an drei Stellen Kontakt zur Kruste zu halten. Hinter dem leicht spiegelnden Glas der Helmscheibe waren Takahashis ängstliche Augen weit aufgerissen.
»Okay, das war genug Puccini«, sagte er.
»Luciano und ich sind noch nicht fertig.« Parry untersuchte den Mann, nachdem er sich die Sache nun zum ersten Mal aus der Nähe ansehen konnte. Es war schlimmer, als er gedacht hatte. Takahashis Lebenserhaltungstornister war völlig eingeschlossen. Also gab es keine Möglichkeit, den Anzug mit Luft oder anderem zu versorgen. Dazu musste zumindest ein Teil des Rückentornisters freigelegt sein.
Aber der Luftvorrat war im Augenblick gar nicht das Hauptproblem. Parry drehte Puccini einen Tick leiser. »Ich bin jetzt bei Mike, Bella.«
»Wir können alles über deine Kamera verfolgen«, sagte Bella. »Wie schätzt du die Lage ein?«
»Meine Einschätzung …«, begann er, doch dann wurde ihm klar, dass er nicht die Wahrheit sagen konnte, während Takahashi zuhörte. »Mike ist im Großen und Ganzen heil geblieben. Er ist bei Bewusstsein und voll da. Aber wir müssen ihn stabilisieren, bevor wir daran denken können, ihn herauszuholen.«
»Stabilisieren?«
»Wir müssen zuerst seinen Tornister freilegen.«
»Verstanden«, sagte Bella, und an ihrem Tonfall, an der fallenden Betonung, erkannte er, dass sie wirklich verstanden hatte. Im Sprühstein war der Tornister nicht mehr in der Lage, überschüssige Wärme abzugeben. Im Anzug musste es bereits jetzt ziemlich heiß sein.
Aber noch war nichts passiert. Vielleicht blieb ihnen genug Zeit – wenn sie schnell handelten.
»Bella, wie kommen die Hilfstruppen voran?«
»An Schleuse Nummer vier steigen gerade drei Leute aus. Sie haben Rettungsausrüstung und Schneidwerkzeug dabei.«
»Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung aus?«
»Ryan ist bereits in Nummer fünf. Er wird in wenigen Minuten draußen sein.«
Parry kramte in seinem Gedächtnis und versuchte sich an das letzte Mal zu erinnern, als Ryan Axford einen Anzug hatte anlegen müssen. Wahrscheinlich während der letzten allgemeinen EVA-Übung, die schätzungsweise achtzehn Monate zurücklag.
»Sag Ryan, dass er vorsichtig sein soll. Ich habe das Gefühl, dass dies nicht das letzte Mal ist, dass wir ihn brauchen.«
»Ryan kennt sich aus, Parry, genauso wie du. Wie geht es dem Patienten? Sprich zu mir, wenn du mich hören kannst, Mike.«
»Mir geht es gut«, sagte Takahashi. »Nur verdammte Kopfschmerzen.«
Hyperkapnie, dachte Parry. Er atmete zu schnell und zu flach, sodass sich eine gefährliche Kohlendioxidkonzentration aufbaute.
»Ganz ruhig, Kumpel.«
»Ich könnte wirklich etwas für mein Bein gebrauchen …«
»Mike«, sagte Bella, »du musst dich wahrscheinlich mit den Schmerzen abfinden, bis wir dich nach drinnen gebracht haben. Wenn du keinen Hartanzug tragen würdest, könnten wir dir Morphin verpassen. Aber so geht es nicht.«
»Bella hat recht«, sagte Parry. »Auf Schmerzmittel musst du vorläufig verzichten. Aber ich weiß, dass du ein zäher Bursche bist und es aushalten wirst.«
»Wenn du es sagst, Parry.«
»Ich weiß auch, dass dich ein gebrochenes Bein nicht umbringen wird. Sieh es auch mal von der positiven Seite. So bleiben dir wahrscheinlich die gefährlicheren Einsätze erspart, nachdem wir Janus erreicht haben.«
»Aber ich habe trotzdem noch Anspruch auf meine Prämien, nicht wahr?«
»Und auf eine Krankenzulage. Und auf Entschädigung für das psychische Trauma, das du durch die wiederholte Beschallung mit italienischen Opern erleiden wirst.«
Takahashi brachte ein zustimmendes Brummen zustande. »Vielleicht sind die Schmerzen doch gar nicht so schlimm.« Dann nahm seine Stimme einen besorgten Tonfall an. »Oh, warte mal.«
»Was ist?«
»Ich sehe hier etwas … auf meinem Helmdisplay.« Er verstummte.
»Rede mit mir«, sagte Parry.
»Mein Anzug sagt, dass ich in Schwierigkeiten bin. Die Wärmeregulierung liegt im roten Bereich.«
»Dein Tornister hat etwas Schwierigkeiten, die Abwärme abzuführen, aber wir haben immer noch jede Menge Zeit, bevor das zu einem Problem für dich werden kann.« Parry sagte es so zuversichtlich dahin, dass er fast selbst daran glaubte.
Er blickte auf, als er eine Veränderung in den Lichtverhältnissen im Schacht zwischen den Tanks bemerkte. Die Leute vom Rettungsteam näherten sich mit umherzuckenden Helmlampen, als sie das letzte Stück des Weges mit Händen und Füßen zurücklegten. Hellgelbe Notfallausrüstung schmückte ihre Anzüge.
»Die Kavallerie ist eingetroffen«, sagte Parry.
Die dreiköpfige Einheit erreichte den aushärtenden Sprühstein. Obwohl Parry bereits da war, legten sie Wert darauf, ihn vorsichtig zu testen, bevor sie zu ihm kamen und Takahashi umringten. In Parrys Helm erschienen Namen neben den Anzügen: Chanticler, Herrick und Pagis. Die ersten zwei waren Taucher aus seiner eigenen Bergwerkertruppe, während Pagis zu Svietas Antriebsingenieuren gehörte. Alles Leute mit viel Außeneinsatzerfahrung und gewohnt, unter Druck zu arbeiten.
Und jetzt würden sie darin noch besser werden, dachte Parry.
»Ihr seht das Problem«, sagte er.
Belinda Pagis hatte von den dreien den besten technischen Verstand. Durch ihre Helmscheibe sah Parry, dass sie das Gesicht verzog, als sie sich ein Bild von der Situation machte. »Das ist gar nicht gut«, sagte sie leise, aber laut genug, dass es über den offenen Kanal zu hören war. »Wir werden wohl …«
»Was ist nicht gut?«, fiel Takahashi ihr ins Wort.
»Immer mit der Ruhe, Mike«, sagte Parry. »Du lehnst dich einfach zurück und …« Er verstummte, als ihm plötzlich die Worte fehlten.
»Wir müssen ihn da rausholen«, sagte Pagis. »Der Anzug wird ihn in ungefähr zehn Minuten bei lebendigem Leib rösten …«
»Leute«, sagte Parry. »Mike hört uns zu.«
»Tut mir leid«, sagte Pagis schnell. »Ich dachte, du wärst auf einem anderen …«
»Bin ich nicht«, sagte Takahashi, »aber ihr müsst mir die Wahrheit nicht verzuckern. Ich weiß genau, wie tief ich in der Scheiße stecke.«
»Deshalb werden wir dich möglichst schnell da rausholen«, sagte Parry und zwang sich, optimistisch zu klingen. »Aber du musst uns dabei helfen. Ich möchte, dass du ganz entspannt atmest.«
»Machst du dir Sorgen, dass ich ersticken könnte? Deswegen mache ich mir die geringsten Sorgen. Mein Anzug hat noch für zehn Stunden Reserve.«
»Die Atemluft ist nicht das Problem«, sagte Parry, »sondern der Tornister. Je schneller du atmest, desto mehr Arbeit müssen die Pumpen und Filter leisten. Daran müssen wir denken. Deswegen musst du unbedingt ruhiger werden.«
»Ich habe ein gebrochenes Bein.«
»Und ansonsten geht es dir blendend.« Parry hätte Pagis würgen können. Bevor sie den Mund aufgemacht hatte, war er davon überzeugt gewesen, die Lage unter Kontrolle zu haben. Er blickte zu Chanticler und Herrick hinüber, die damit beschäftigt waren, die Ausrüstung auszupacken, dann sah er wieder zu Takahashi. »Wir fangen jetzt an, dich auszugraben«, sagte er. »Ich weiß, dass du so schnell wie möglich hier rauskommen möchtest, aber es gibt nur eine Methode, wie wir es schaffen können. Wir müssen deinen Rückentornister freilegen, und das bedeutet, dass wir unter dir graben müssen.«
Takahashi sagte nichts dazu. Parry erlaubte sich die Hoffnung, dass er ihn überzeugt hatte. Er winkte Herrick, dass er ihm ein Grabwerkzeug geben sollte, und hoffte, dass die Kelle mit der Diamantklinge hart genug für den Sprühstein war.
Dann sagte Takahashi mit entwaffnender Beiläufigkeit: »Ich habe hier ein weiteres rotes Licht bei den Tornistersystemen. Ich glaube, die Pumpe ist gerade ausgefallen.«
»Wir graben«, sagte Parry und stieß die Klinge in die blaugraue Kruste.
»Hier drinnen wird es wärmer«, sagte Takahashi.
Chanticler und Pagis gruben nun ebenfalls, mit größeren Versionen des Werkzeugs, das Parry sich ausgeborgt hatte, und in den nächsten trügerischen Minuten sah es danach aus, dass sie es schaffen würden. Die Diamantklingen schnitten mehrere Zentimeter tief in den Sprühstein, der sich in faustgroßen Brocken lösen ließ. Parry glaubte fast daran, dass sie diese Sache hinkriegen würden, ohne einen Mann zu verlieren. Sie kamen langsam, aber stetig voran und legten einen großen Teil der oberen Hälfte des Rückentornisters frei. Dann wurde es schwieriger. Sie hatten ohne allzu große Anstrengung etwa einen Quadratmeter Kruste bis zu einer Tiefe von fünf Zentimetern abgetragen, als die Werkzeuge plötzlich auf härteren Widerstand stießen. Es war, als hätte sich die Masse von Lehm in Granit verwandelt.
Es dauerte zehn Minuten, um den nächsten Zentimeter auszuheben, und dann wurden die Werkzeuge allmählich stumpf. Sie schnitten mit Diamant durch eine Substanz, die selbst fast die Härte von Diamant erreichte.
»Seid ihr bald fertig?«, fragte Takahashi. Seine Stimme klang schwächer, wie jemand, der kurz vor dem Eindösen stand.
Parry legte seine Kelle auf einer Haftfläche ab, die sie an der Kruste befestigt hatten. Es hatte keinen Sinn. Der nächste Zentimeter würde noch schwieriger werden. Mit der rechten Hand öffnete er eine Klappe am rechten Arm seines Anzugs. Mit zwei klobigen Handschuhfingern zog er ein Kabel aus Fiberglas heraus und reichte Belinda Pagis den Stecker am Ende der Leine. Sie nahm ihn mit einem Nicken an und drückte ihn in eine kompatible Buchse in ihrem Anzug.
»Wir kriegen ihn hier nicht rechtzeitig heraus, nicht wahr?«, sagte sie.
»Vollständig ausgehärteten Sprühstein können wir nur mit Lasern oder Schneidbrennern abtragen. Aber wenn wir den Tornister beschädigen, bevor wir seine Beine freigelegt haben, ist er tot.«
Hinter ihrem Helmvisier zuckten Pagis’ Augen besorgt hin und her. »Wir brauchen mehr Zeit.«
»Wir haben nicht mehr Zeit.«
»Vielleicht könnten wir hier ein Druckzelt aufbauen«, sagte sie. »Wenn wir ihn …«
»Wir könnten es nicht luftdicht abschließen, wo es den Sprühstein berührt«, sagte Parry.
»Dann benutzen wir eben Sprühstein und bauen eine Art Iglu um ihn herum. Wir lassen eine Öffnung in der Spitze, die wir versiegeln, dann pumpen wir Luft hinein.«
»Gar nicht so einfach, selbst unter Schwerkraft.«
»Irgendwas müssen wir tun.«
»Ich denke nach«, sagte Parry. Wieder bemerkte er eine Bewegung am Rand seines Gesichtsfelds. Ryan Axford stapfte vorsichtig über den Sprühstein. Er hatte einen orangefarbenen Arztkoffer dabei. Wolinsky und Herrick halfen ihm, sich relativ zur Kruste aufrecht zu halten. Der Mediziner hatte sein Trainingsminimum im Raumanzug absolviert, aber ihm fehlte die entspannte Beweglichkeit, die sich nach mehreren tausend Stunden im Außeneinsatz einstellte. Als Parry die Glasfaserverbindung zu Pagis trennte und auf den allgemeinen Kanal zurückschaltete, hörte er als Erstes Axfords viel zu schwere Atmung.
Er klang noch schlimmer als Takahashi.
Axford bugsierte sich vor den Eingeschlossenen, ging in die Knie und verankerte sich mit den Haftflächen an seinem Anzug. Er fixierte den Koffer am Boden und ließ die klobigen Verschlüsse aufschnappen. Darin befanden sich ein dicht gepacktes glänzendes Sortiment medizinischer Ausrüstung und drei große Druckluftflaschen. Auf einem metallblauen Behälter war ein stilisierter Engel aufgesprüht.
Takahashis Rückentornister steckte immer noch größtenteils fest, aber sein wesentlich kleinerer Brusttornister war vollständig freigelegt. Axford öffnete die Plastikklappe, die die Diagnoseeinheiten des Anzugs schützte. Er legte eine Hand an die Helmscheibe, um seine Augen vor dem hellen Schein abzuschirmen, als er versuchte, die zitternden Histogramme und schlangenförmigen Pulslinien zu erkennen. Mit überraschender Geschicklichkeit tippte er Befehle in das kleine Keyboard neben der Anzeige und ging mehrere Menüoptionen durch.
Nach einer Weile machte er eine kurze Pause, in der er aufschaute und den Blickkontakt zu Takahashi suchte. Axford nickte einmal. Damit gab er zu verstehen, dass er keine Wunder versprach, aber alles tun würde, was in seiner Macht stand.
Dann wandte Axford sich an Parry und tippte mit einem Finger auf seinen Ärmel. Parry zog wieder das Glasfaserkabel heraus und stellte eine Verbindung her.
»Das muss er nicht mithören«, sagte Axford. »Es sieht gar nicht gut aus. Er leidet bereits unter dem ersten Stadium der Erschöpfung durch Überhitzung. In seinem Anzug herrscht Tropenklima.«
»Und es wird noch heißer werden«, sagte Parry.
Axford betrachtete das Ergebnis des Ausgrabungsversuchs. »Ihr bekommt ihn nicht raus, nicht wahr?«
»Nicht ohne weiteres.«
»Dann muss ich ihn vielleicht euthanasieren.«
Parry glaubte sich verhört zu haben. »Wie bitte?«
»Ich kann ihn sehr schnell betäuben, wenn ich seine Atemluftmischung ändere. Er hat bereits große Schmerzen.«
»Moment mal.« Parry bemühte sich, seine Stimme nicht hysterisch klingen zu lassen. »Du sprichst davon, ihn zu töten?«
»Ich spreche davon, die Aktivität seines zentralen Nervensystems auszuschalten. Wir machen es schnell und sauber, dann brechen wir den Anzug auf und pumpen ihn mit Schwefelwasserstoff voll.« Axford tippte auf den metallblauen Gasbehälter. »Er wird schnell abkühlen. Dann schneiden wir ihn heraus. Wenn wir ihn ins Schiff zurückgebracht haben, werde ich den noch übrigen Blutsauerstoff in seinem Körper mit einer Salzlösung herausspülen.«
»Und dann wirst du ihn wiederbeleben?«
»Nein. Dazu bin ich nicht fähig. Damit müssen wir warten, bis wir wieder zu Hause sind.«
»Mein Gott, Ryan! Etwas Besseres hast du nicht anzubieten?«
»Wenn er in diesem Anzug verbrennt und einen Herzstillstand erleidet, werden in den folgenden vier bis sechs Minuten kritische Gehirnstrukturen zerstört. Ich will ihm eine Überlebenschance geben.«
»Eine tolle Chance.«
»Es ist eine sehr riskante Prozedur, die genau für solche Fälle gedacht ist.«
»Und du weißt genau, was du tust?«
»Alle Details sind ausgearbeitet. Operation Frostengel.«
Nach einer Weile entsetzten Schweigens sagte Parry: »Wie oft hast du das schon gemacht?«
»Er wird mein erster Fall sein.«
»Und nun willst du die Gelegenheit nutzen, es an Mike auszuprobieren?«
»Tu nicht so erschüttert, Boyce. Ich versuche ihm das Leben zu retten.«
Es war das erste Mal, dass er Axford wütend erlebte. Parry wurde klar, dass er soeben die professionellen Fähigkeiten eines anderen in Frage gestellt hatte. Es wäre genauso gewesen, als hätte Axford ihm einen Vortrag über die beste Methode gehalten, eine Grube für einen Massentreiber auszuheben. »Es tut mir leid. Es ist nur ein …«
»Klinischer Tod? Ja, genau darum geht es.«
Parry stellte fest, dass er seine eigene Atmung unter Kontrolle bringen musste, bevor sich sein Anzug überhitzte. »Wie lange haben wir noch, bis du damit anfangen musst?«
»Je früher, desto besser. Es wird eine Weile dauern, bis er wegtritt … Man sollte ihn auf keinen Fall dem Schwefelwasserstoff aussetzen, solange er bei Bewusstsein ist. Dann wäre da noch ein anderer Punkt. Das könnte der schwierigste Teil werden.«
»Was?«
»Es geht nur mit Einverständnis.«
Parry schloss die Augen und wünschte sich, er wäre ganz woanders. »Ich erteile es dir, wenn es keinen anderen Ausweg gibt.«
»Nicht von dir«, sagte Axford. »Von Mike. Ihm muss klar sein, worauf er sich einlassen würde.« Er griff in seinen Arztkoffer und zog eine laminierte Mappe in der Größe einer Speisekarte heraus. Er öffnete sie und gab sie Parry. Auf der Karte standen Textzeilen in dicken Lettern und daneben ein paar vereinfachte medizinische Diagramme in Primärfarben. Es sah wie das aus, womit in Flugzeugen auf die Notausstiege hingewiesen wurde. Die Zahlen in den Diagrammen erweckten den gleichen Eindruck stumpfer, fatalistischer Gelassenheit. An der Karte war mit einer Nylonschnur ein Magic Marker befestigt, klobig genug, um mit dem Handschuh eines Raumanzugs geführt werden zu können.
»Oh nein«, sagte Parry.
»Oh doch«, sagte Axford. »Nur so bekommt er das Rückflugticket nach Hause.«
»Und wenn er wieder zu Hause ist – was dann?«
»Wir übergeben ihn den Chinesen. Oder lassen ihn auf Eis liegen, bis wir selbst ihn wiederbeleben können.«
»Und es gibt wirklich keine andere Möglichkeit?«, fragte Parry nach einer Weile.
Axford schüttelte den Kopf.
Parry trennte die Sprechverbindung zum Arzt. »Mike … hörst du mich noch?«
»Ich bin hier«, sagte Takahashi matt. »Ist das Ryan neben dir?«
»Ryan ist hier.« Aber damit hätten sich die guten Nachrichten auch schon erschöpft, dachte Parry. »Mike, es gibt da etwas, worüber ich mit dir reden muss. Ryan sagt, es ist zu gefährlich, wenn wir dich mit Schneidbrennern herausholen. Das gefällt mir nicht, aber ich glaube, er hat recht. Niemand von uns könnte garantieren, dass dein Rückentornister heil bleibt oder wir kein Loch in deinen Anzug schmoren. Also werden wir etwas anderes versuchen, wenn du damit einverstanden bist.«
Takahashi schien irgendetwas in Parrys Stimme gehört zu haben. »Und wenn ich nicht einverstanden bin?«
»Dann werden wir uns alle Mühe mit den Schneidbrennern geben.«
»Sag mir, wie Plan B aussieht.«
»Plan B ist …« Die laminierte Karte in seinen Händen zitterte unkontrolliert.
»Parry, sag es mir einfach.«
»Es gibt da eine Notfallprozedur. Ryan wird dich … bewusstlos machen.«
»Er muss genau über die Fakten Bescheid wissen«, sagte Axford gepresst. »Wir müssen klarstellen, dass wir hier nicht nur über Bewusstlosigkeit reden.«
Parry hielt die Karte vor Takahashis Helmscheibe und tippte mit dem Finger auf die Zeichentrickfigur, deren Gehirn im Querschnitt dargestellt war, mitsamt rosenförmigen Windungen und Hirnstamm. Waagerechte Linien auf einem gezeichneten Monitor deuteten die Abwesenheit jeglicher Aktivität des ZNS an.
»Ryan würde dich mit Hilfe deines Anzugs euthanasieren. Es wäre schmerzlos … als würdest du einschlafen.«
»Nein, ich …«, begann Takahashi.
»Hör mir zu«, forderte Parry ihn auf. »Dafür gibt es einen guten Grund. Wenn du weggetreten bist … kann Ryan dich konservieren. Du bleibst, wie du bist, bis wir wieder zu Hause sind.«
»Ich wäre tot«, sagte er matt.
»Du wärst in Stasis«, sagte Axford, der bereits den Frostengel-Tank aus dem Arztkoffer holte. »Es geht darum, dass es dann immer noch die Chance gibt, dich zurückzuholen.«
»Was für eine Chance?«
»Eine wesentlich bessere als der Versuch, dich hier rauszuschneiden. Das ist das Einzige, das ich mit Sicherheit sagen kann.«
»Er hat recht«, sagte Parry. »Nur so kann es funktionieren, Mike.«
»Es muss noch etwas anderes geben, das ihr ausprobieren könnt, bevor wir diesen Weg einschlagen«, sagte Takahashi verzweifelt.
»Es gibt nichts anderes«, sagte Axford. »Und die Zeit wird schon jetzt knapp. Das weißt du, Mike. Wenn unsere Rollen vertauscht wären, würdest du dich darauf verlassen, dass die anderen dich rausschneiden?«
»Ich würde es versuchen.«
»Aber ich würde es nicht zulassen«, sagte Parry. Er schob seinen Helm so nahe wie möglich an Takahashi heran. Sein Gesicht sah erhitzt und feucht aus, als würde er sich im Innern eines Treibhauses aufhalten. »Ryan braucht dein Einverständnis. Du musst das hier lesen und unterschreiben.«
»Nein.«
Parry drückte den Magic Marker in Takahashis Handschuh und presste seine Finger zusammen, bis sie ihn hielten. »Unterschreib einfach das verdammte Ding, Mike.«
Takahashi ließ den Stift los. »Ich kann nicht.«
Parry fing ihn auf und zwang ihn wieder ins Takahashis Handschuh. »Unterschreib das, verdammt noch mal! Unterschreib und überlebe!«
»Ich kann nicht.«
Überall auf Takahashis Brusttornister blinkten rote Lichter. Der Anzug stand kurz vor dem endgültigen Versagen und konnte seinen Insassen nicht mehr schützen. Parry schloss seine Hand um Takahashis und dirigierte die Spitze des Stifts zum Unterschriftsfeld.
Sie brauchten nur irgendein Zeichen … zumindest den Versuch einer Unterschrift.
»Mike, tu es für mich. Für all deine Freunde.«
Ein weiteres rotes Lämpchen leuchtete auf. Dann blinkten plötzlich alle Lichter auf einmal und gingen ganz aus. Irgendwo tief im Anzug hatte gerade ein kritisches System versagt. Parry drückte den Stift auf die Karte und setzte zum ersten Strich eines ›M‹ an. Dann spürte er – oder er hoffte es –, wie sich Takahashis Hand aus eigener Kraft bewegte. Der Stift glitt über das freie Feld und hinterließ eine Spur, die man beinahe als Takahashis Unterschrift deuten konnte.
Beinahe.
Parry ließ Takahashis Hand los, sodass der Stift herausfiel, und wandte sich zu Axford um. »Jetzt bist du an der Reihe, Ryan.«
Axford scheuchte Parry mit einem Wink zur Seite und gab Befehle in die Tastatur des Brusttornisters ein. Die Lichter gingen wieder an, auch wenn sie jetzt etwas schwächer leuchteten. Axford tippte weitere Anweisungen ein, und als Takahashi offenbar klar wurde, was geschah, versuchte er Axford wegzudrängen, damit er nicht mehr an die Kontrollen gelangen konnte. Axford kippte nach hinten um.
»Hilf mir«, sagte er zu Parry. »Halt seine Arme fest.«
Parry sah seinen Freund an und erkannte deutlich die Angst in seinem Gesicht hinter der beschlagenen Helmscheibe.
»Ich glaube nicht, dass er jetzt noch damit einverstanden ist«, sagte Parry.
»Es spielt keine Rolle, was er jetzt will«, erwiderte Axford. »Ich habe das Einverständnis.«