Neunzehn


 

 

Underhole war ein Fleck aus rötlichem Licht zwanzig Kilometer unter ihren Füßen. Wenn sie ihr Helmfernglas auf maximale Vergrößerung stellte, konnte Svetlana gerade noch die menschlichen Gestalten, Traktoren und provisorischen Kuppeln des kleinen Außenpostens erkennen. Dort unten war es in Wirklichkeit nicht sicherer, jedenfalls nicht auf lange Sicht, aber in diesem Moment hätte sie alles gegeben, nicht hier oben zu sein und auf der falschen Seite des Eisernen Himmels zu stehen.

Sie überlegte, wie es ihrem Begleiter gehen mochte. Schrope würde den langen Spaziergang zum Alienschiff unternehmen, nicht sie. Lass mich dein Gesandter sein, hatte er gesagt. Sie hatte keine Anzeichen bemerkt, aber sie fragte sich, ob er seine Worte inzwischen bereute.

Parrys Stimme erklang in ihrem Helm. »Redet mit uns, Leute. Wir werden nervös, wenn wir nichts mehr hören.«

»Wir sind immer noch da«, sagte Svetlana.

»Keine negativen Wirkungen?«

Sie sah Schrope an, der den Kopf schüttelte. »Uns beiden geht es gut. Hier oben ist es nicht anders als da unten.« Sie wagte einen Blick hinauf zu den fernen Strukturen des neuen Himmels – dem Innern der gigantischen Röhre, in der Janus zur Ruhe gekommen war. »Nur dass es nicht so … eingeengt wirkt. Ich glaube, keinem von uns ist klar, wie klaustrophobisch es da unten geworden ist.«

»Ryan sagt, dass ihr beide einen guten Eindruck macht. Und wenn du etwas flacher atmen könntest, wäre alles wunderbar.«

»Ich gewöhne mich noch an den Flexgang«, sagte Svetlana. »Bin ein wenig aus der Übung.«

»Wir verzeihen dir. Könntest du uns einen Gefallen tun und einen Rundumschwenk machen?«

Sie löste die Kamera von ihrem Helm und drehte sie für Parry einmal im Kreis, ohne sich lange beim spicanischen Schiff aufzuhalten. Ein Teil von ihr wünschte sich immer noch, es würde wieder verschwinden, als könnten sie alle sich einfach einigen, diese psychotische Anomalie nie wieder zu erwähnen.

»Wie sieht das aus?«

»Wir verlieren einzelne Datenpakete, aber ansonsten sind es ziemlich gute Bilder.«

»Vielleicht hätten wir die Verstärkereinheit doch mit nach oben nehmen sollen.«

»Keine gute Idee. Ihr solltet nichts dabeihaben, was so aussieht, als wäre es keiner von uns oder als würde es nicht zu uns gehören.«

Svetlana nickte. Das hatten sie natürlich längst besprochen, und es war einfach logisch, die Kontaktsituation so sauber wie möglich zu halten. Aber mit einem Relaissender am Loch hätte sie sich etwas mehr mit den Menschen unter ihnen verbunden gefühlt.

Fast unmittelbar nach der Landung hatte das Schiff etwas ausgefahren, das sich nur als Einstiegsrampe interpretieren ließ. Sie hatten gehofft, Roboter hineinschicken zu können, bevor sich ein menschlicher Freiwilliger auf den Weg machte, aber jedes Mal, wenn sich eine Maschine dem Schiff genähert hatte, war die Rampe eingezogen worden.

Sie waren jetzt so nahe, wie die Maschinen gekommen waren, und die Rampe war immer noch ausgefahren. Vermutlich erkannte das Schiff, dass sie Lebewesen in Schutzanzügen und keine Roboter waren.

»Craig«, sagte Parry. »Von deiner Kamera kommen verrauschte Bilder. Könntest du mal dagegenklopfen, damit die Sache wieder klarer wird?«

»Einen Moment.« Svetlana beobachtete, wie Schrope mit der Hand gegen seinen orangefarbenen Helm schlug. Manchmal löste ein wohldosierter Ruck die verklebten Schichten der Gelware im Belousov-Zhabotinsky-Sandwich, worauf die Reaktionsflächen wieder freier interagieren konnten. Wang hatte Großes geleistet, aber die BZ-Technik war noch zu komplex für seine Schmiedekessel.

»Besser?«, fragte Schrope.

»Wir kommen klar. Wenigstens ist mit dem Audiokanal alles in Ordnung. Siehst du es immer noch so cool, was du dir vorgenommen hast, Craig?«

»Cool ist vielleicht nicht ganz der Begriff, den ich wählen würde.«

»Es ist noch nicht zu spät für einen Rückzug«, sagte Svetlana.

Sie erkannte seine skeptische Miene durch die Helmscheibe. »Einer von uns beiden muss es tun, Svetlana.«

»Du bist uns nichts schuldig«, sagte sie.

»Nein.« Er sprach so leise, dass es über die Verbindung kaum zu hören war. »Aber ich selber bin mir etwas schuldig.«

Svetlana nickte energisch. »Wir marschieren jetzt los«, sagte sie zu Parry. »Das Schiff ist etwa einen Kilometer entfernt, also dürfte es etwa zwanzig Minuten dauern.«

»Lasst euch Zeit«, sagte Parry. »Ich möchte, dass ihr alle zwanzig Schritte stehen bleibt und eure Kameras auf das Schiff richtet. Dann werden wir die Lage einschätzen, bevor ihr weitergeht. Wenn sich irgendetwas verändert, das uns nicht gefällt, brechen wir die Aktion ab. Sind wir uns darin einig?«

»Absolut.«

»Keine Diskussionen, keine heldenhaften Alleingänge«, sagte Parry mit Nachdruck.

»Kein Problem«, erwiderte Svetlana. »Wir befinden uns in der heldenfreien Zone.«

Sie gingen los. Nach zwanzig Geckoflex-Schritten hielten sie an und warteten, bis Parry und das Kontaktteam sich noch einmal das kauernde Schiff angesehen hatten.

Es lag auf der Außenseite des Eisernen Himmels und wirkte wie ein Kronleuchter, der von der Decke gefallen war, ohne zu zerbrechen. Er stand auf mindestens einem Dutzend geschwungener Arme, die sich zum Boden senkten und sich wieder erhoben, um in dünne, fast horizontale Spitzen auszulaufen. Der Einstiegsarm unterschied sich von den anderen, indem er mit dem Ende flach auf dem Boden lag, und er zeigte genau in Richtung des Lochs. Die Extremität hatte ein flaches Profil, abgesehen von den zwei wandartigen Einfassungen, die über die gesamte Länge verliefen. Svetlana mochte zuvor gewisse Zweifel gehegt haben, doch aus dieser Perspektive wirkte das Ganze mehr wie eine Rampe als je zuvor. Es war eine unmissverständliche Aufforderung zum Eintreten.

Die Rampe führte zu einer knollenförmigen Zentraleinheit, die aus vielen konzentrischen Schichten glasartigen Materials bestand. Lange Ketten aus spicanischen Symbolen schwebten wie Neonlichter auf der äußersten Schicht. Drinnen waren unklar dunklere Strukturen zu erkennen, wie die Andeutungen innerer Organe bei Glasbarschen. Mehrere Dutzend dünnerer Arme ragten aus der Zentraleinheit hervor, ohne den Boden zu berühren. Manche endeten in Verdickungen, die Sensoren, Maschinen, Wohnquartiere oder Waffen sein mochten. Sanftes Licht schimmerte auf den gewölbten Flächen und an den Verbindungen, teils ein Widerschein des Umgebungslichts, teils Helligkeit, die vom Schiff selbst ausging.

Es war sehr, sehr groß. Allein die Zentraleinheit hätte Crabtree vom Untergrund bis zum Habitat aufnehmen können.

Sie hielten an, gingen weiter, hielten wieder an.

»Keine sichtbare Veränderung«, sagte Parry, »aber sie haben auch noch nicht die Zugbrücke eingezogen.«

»Gibt es schon Erkenntnisse über diese Symbole?«, fragte Svetlana.

»Jake und Christine arbeiten noch an den Korrelationen. Ihr werdet es unverzüglich erfahren, sobald sie zu irgendwelchen Ergebnissen gelangt sind.«

»Aber es wäre besser, wenn ich mich nicht darauf verlasse.«

»Das wollte ich damit andeuten.«

Svetlana stieß ein makabres Lachen aus. »Vielleicht sollten wir die Symbolisten holen und uns anhören, was sie dazu sagen.«

»So verzweifelt sind wir zum Glück nicht«, gab Parry zurück.

Sie gingen, blieben stehen, gingen weiter. Nach zehn oder zwölf Minuten schätzte Svetlana, dass sie die Hälfte der Strecke zum Schiff zurückgelegt hatten. Sie blickte sich um und sah das Loch im Himmel in perspektivischer Verkürzung. Es war nur noch schwer vor dem dunklen zinngrauen Hintergrund der unbeschädigten Oberfläche zu erkennen. Sie fragte sich, warum die Spicaner es für nötig gehalten hatten, ein Loch hineinzuschneiden, statt der intelligenten Materie des Eisernen Himmels einfach zu befehlen, eine Tür zu öffnen. So viele Fragen. So wenige Antworten.

Nach ein paar weiteren Etappen ragte das Schiff immer gewaltiger vor ihnen auf. Die gläserne Komplexität wirkte umso erstaunlicher, je näher sie kamen. Doch statt seine Geheimnisse zu enthüllen, wirkte das Schiff aus der Nähe noch verwirrender und komplizierter als zuvor.

»Beruhigt euch ein wenig«, sagte Parry.

Svetlana nickte, als ihr bewusst wurde, dass sie wieder zu schwer geatmet hatte. Der langsame Todesmarsch über die andere Seite des Himmels zerrte an ihren Nerven. »Ist die Verbindung immer noch in Ordnung?«, fragte sie, um irgendetwas zu sagen.

»Sie wird schwächer, aber damit können wir leben. Wie geht es dir?«

»Als müsste ich gleich die Fische füttern, aber ansonsten … komme ich einigermaßen klar.«

»Und Craig?«

Schrope meldete sich selbst zu Wort. »Ich bekomme langsam weiche Knie, aber auch ich werde durchhalten.«

»Das ist gut. Muss von dort ein phantastischer Anblick sein – ich meine, mit nur einem Zentimeter Glas zwischen euch und dem Ding.«

»Du hast recht«, sagte Schrope, und plötzlich hatte seine Stimme einen Tonfall, bei dem Svetlana ein kalter Schauder über den Rücken lief. »Wir sollten nicht vergessen, wie privilegiert wir sind. Dies ist … der große Augenblick. Auf den wir all die Jahre gewartet haben. Nicht nur während der dreizehn Jahre, die wir auf Janus festsaßen, sondern all die Jahrtausende, die vergangen sind – all die Jahrzehntausende, seit der Erste von uns zum Himmel aufgeschaut hat, zur unendlichen Finsternis, und sich gefragt hat, was es da oben geben könnte. Nicht, ob es dort etwas gibt, sondern was. Wir haben schon immer gewusst, dass sie hier irgendwo sein müssen und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir ihnen begegnen. Und nun ist dieser Moment gekommen. Hier und jetzt, und von all den Milliarden Menschen, die jemals gelebt haben, passiert es ausgerechnet uns.«

»Amen, Kumpel«, sagte Parry langsam, »aber wir wollen nicht die Tatsache aus den Augen verlieren, dass das Ganze hier zunächst einmal ein Job ist. Es ist nicht mehr oder weniger gefährlich, als einen Massentreiber einzusetzen oder einen kalten Tokamak hochzufahren.«

Nach weiteren zehn Minuten hatten sie sich dem Ende der Rampe bis auf zwanzig Meter genähert. Sie schwenkten die Kameras und warteten auf eine Meldung von unten.

»Haben wir immer noch grünes Licht?«, fragte Svetlana.

Ein Knistern, dann Parrys Stimme. »Wenn Craig immer noch guten Mutes ist, sehen wir keinen Grund, warum ihr nicht weitermachen solltet.«

»Ich bin bereit«, sagte Schrope.

»Ash sagt, dass mit deinen Anzugsystemen alles okay ist. Zieh es durch, Kumpel.«

»Ich gehe jetzt los. Ich schlage vor, dass sich Svetlana auf einen Punkt zwischen hier und dem Loch zurückzieht. Es dürfte keine nennenswerte Auswirkung auf die Funkverbindung haben.«

»Ich werde hier am Fuß der Rampe stehen bleiben«, sagte Svetlana.

»Ich weiß dieses Angebot zu schätzen«, sagte Schrope, »aber ich möchte, dass du dich beim leisesten Anzeichen von Gefahr zurückziehst. Denk daran, was Parry gesagt hat: Keine Heldentaten.«

Sie nickte. »Wie lange hast du vor, dich drinnen aufzuhalten?«

»Ich werde meine Uhr auf dreißig Minuten einstellen. Wenn der Wecker klingelt, trinke ich aus und bitte um Hut und Mantel.«

Svetlana stellte ihre Uhr auf die gleiche Zeitdauer ein. »Klingt gut. Wenn du nach dreißig Minuten nicht wieder draußen bist …«

»Dann hakt ihr mich einfach ab. Oder glaubst du ernsthaft, es hätte Sinn, mich mit der Kavallerie herauszuholen?«

»Eigentlich nicht«, gab sie sich geschlagen. »Viel Glück, Craig. Du weißt, dass wir beide nicht immer einer Meinung waren …«

»Vergiss es. Seitdem ist eine Menge Wasser unter den Brücken hindurchgeflossen.« Schrope griff nach ihrer Hand. »Wir schieben Eis, okay?«

Sie schloss ihren Handschuh um seinen. »Wir schieben Eis. Bis nach Hause.«

Schrope ließ los, drehte sich um und ging langsam die restliche Strecke bis zum Ende der Rampe. Svetlana wich nicht von der Stelle und richtete unbeirrt ihre Kamera auf seine Gestalt. Am Fuß der Rampe hielt er kurz inne und schaute zurück, dann stellte er einen Fuß auf die fast horizontale Oberfläche.

»Sprich mit uns, Craig«, sagte Svetlana.

»Die Bodenhaftung ist gut. Ich habe keine Schwierigkeiten, das Geckoflex zu lösen und aufzusetzen. Ich werde jetzt mit dem anderen Fuß auf die Rampe treten.«

»Schön ruhig bleiben.«

»Ich habe es getan. Ich stehe immer noch. Ich befinde mich auf dem Schiff.«

»Beschreibe das Zeug, auf dem du stehst«, sagte Parry.

»Es ist wie Glas, in einer Art rötlichem Grau gefärbt. Ich kann hindurchsehen und den Boden darunter erkennen. Fühlt sich absolut fest an. Kein Widerstand, keine Vibration.« Er löste die Kamera und schwenkte sie über den Boden. »Seht ihr das?«

»Schau mal nach der Fokussierung, Kumpel.«

Schrope stieß die Kamera gegen seine Kniescheibe. »Besser?«

»Besser. Halt sie einen Moment lang still. Gut. Jetzt nach links und dann nach rechts schwenken.« Svetlana hörte, wie Parry sich vom Mikro abwandte, um etwas mit den anderen Beobachtern zu diskutieren. »Okay, du kannst die Kamera wieder verstauen.«

Schrope steckte sich die Kamera zurück an den Helm. »Ich wäre jetzt bereit, den nächsten Schritt zu tun.«

»Lass dir Zeit«, sagte Parry.

Svetlana beobachtete, wie er einen weiteren Schritt die Rampe hinaufging. »Hier sieht es immer noch gut aus«, sagte Schrope. »Ich werde jetzt weitergehen. Ich möchte nicht, dass der Wecker klingelt, bevor ich drinnen gewesen bin.«

»Einen Schritt nach dem anderen«, sagte Parry. »Wir haben es nicht eilig.«

Schrope machte fünf Schritte, dann zehn, dann zwanzig. Inzwischen neigte sich die Rampe unter ihm nach oben und entfernte sich immer weiter vom Boden. »Die Haftung ist nach wie vor gut.«

»Immer schön langsam«, sagte Parry.

Nach einiger Zeit legte Schrope wieder eine Pause ein. Svetlana hörte ihn atmen, schneller und keuchender, als ihr lieb war, aber unter den gegebenen Umständen hatte sie alles Verständnis für seine Aufregung.

»Es fällt mir schwer, meinen Neigungswinkel im Verhältnis zum Boden einzuschätzen«, sagte er. »Der Horizont scheint gekippt zu sein. Es könnte sein, dass es hier einen Feldeffekt gibt, ähnlich wie in Neustadt.«

»Bestätigung«, sagte Svetlana. »Für mich sieht es aus, als wärst du leicht nach hinten geneigt. Ich sehe dich ein bisschen von schräg oben.«

»Für mich fühlt sich alles normal an.«

»Das ist zu erwarten. Wir wissen bereits, dass die Spicaner die Schwerkraft lokal beeinflussen können. Wäre schon komisch, wenn sie sich bei dieser Rampe keine Mühe gegeben hätten.«

»Ich gehe weiter.«

Sie beobachtete, wie er den Aufstieg zum oberen Ende der Rampe fortsetzte, bis sein Anzug nur noch ein orangefarbener Klecks vor der gläsernen Komplexität des Schiffes war. Er war jetzt um etwa zwanzig Grad aus der Senkrechten geneigt. Svetlana konnte gerade noch die Bewegung erkennen, mit der er die Kamera wieder abnahm und auf das Schiff und die Umgebung richtete. Ein Fenster in ihrem Helmdisplay zeigte ihr die Bilder. Die Übertragung war die meiste Zeit gut, aber immer wieder ließen verlorene Pakete das Bild in Blöcke aus statischen Hexeln zerfallen.

»Zeig uns die Tür«, sagte Parry.

Schrope drehte die Kamera, um die große Öffnung am Ende der Rampe aufzunehmen. »Ich bin mir nicht sicher, wie viel ihr auf den Bildern erkennen könnt«, sagte er, »also werde ich was dazu erzählen. Die Rampe geht hier wieder in die Horizontale und führt etwa zehn Meter weit ins Schiff, in einen Korridor – zumindest würde ich es so bezeichnen. Es gibt einen Boden, zwei Wände und eine Decke. Alles ist leicht gekrümmt. Ich sehe nirgendwo eine Lichtquelle, aber hier scheint alles sanft zu schimmern. In den Wänden kann ich nicht allzu viele Einzelheiten ausmachen. Auch sie sind durchscheinend, und es sieht so aus, als wäre etwas dahinter, aber das ist auch schon alles, was ich mit bloßem Auge erkennen kann.«

»Was befindet sich am Ende der Rampe?«, fragte Parry.

»Das kann ich nicht sagen. Sie taucht in ziemlich steilem Winkel ins Schiff ab. Ich vermute, dazu muss ich hineingehen und es mir ansehen.«

»Also beweg dich schön langsam zum Ende des ebenen Bereichs«, sagte Parry. »Und zeichne alles mit der Kamera auf.«

Das Bild in Svetlanas Helmdisplay ruckte mit jedem Schritt, den Schrope machte. Das Glas warf matte, verwaschene Reflexe zurück, wie ein abgewetzter Spiegel. Schrope regelte die Helligkeit seiner Helmlampe herunter und begnügte sich mit der Schiffsbeleuchtung.

»Könnt ihr mich noch empfangen?«

»Wir kriegen alles mit«, sagte sie. »Die Übertragung stockt gelegentlich, aber es müsste noch eine Weile gut gehen. Könnte sein, dass das Schiff einen Teil der Signale verschluckt.«

»Ich habe jetzt das Ende des horizontalen Korridors erreicht. Jetzt schaue ich nach unten und … okay.«

Das Bild brach zusammen und setzte sich Hexel für Hexel wieder zusammen. Schrope hatte die Kamera in den anschließenden, nach unten führenden Teil des Korridors gerichtet. Ohne ihn als Bezugspunkt ließ sich nicht sagen, wo oben und wo unten war. Es sah aus, als würde sich der Korridor im Bogen nach unten absenken und dann eine scharfe Biegung nach links machen.

»Wir empfangen dich immer noch«, sagte Parry.

»Ich trete jetzt auf das nach unten geneigte Stück. Einen Fuß nach dem anderen … prüfe die Haftung.« Er schwieg für einen Moment, während Svetlana seinen keuchenden Atem über die Helmlautsprecher hörte. »Fühlt sich sicher an. Jetzt der zweite Fuß …« Wieder eine Pause. »Ich passe mich dem neuen Schwerkraftvektor an. Jetzt stehe ich wieder aufrecht.« Er lachte leise. »Mann, ein ziemlich komisches Gefühl!«

»Du machst das ganz wunderbar«, sagte Svetlana und bemühte sich um einen beruhigenden Tonfall. »Wir sind genau hinter dir, Craig.«

»Ich gehe jetzt weiter hinein. Bis hier war alles recht einfach.«

»Auf meiner Uhr sind zehn Minuten um«, sagte Svetlana. »Du hast noch zwanzig übrig.«

»Verstanden. Scheint mehr als genug zu sein.«

»Erzähl uns weiter, was du siehst«, sagte Parry. »Wir empfangen zwar immer noch deine Aufnahmen, aber die Qualität wird zunehmend schlechter. Die Sprechverbindung müsste noch einige Zeit stabil bleiben.«

»Ich habe die flache Stelle jetzt fünf oder sechs Meter hinter mir gelassen – würde ich zumindest schätzen. Der Boden wird hier wieder horizontal. Vor mir liegt die Biegung nach links.«

»Irgendwelche Veränderungen in der Textur der Wände, in der Beleuchtung?«, fragte Svetlana.

»Nichts, was mir auffallen würde. Vielleicht leuchtet es hier etwas stärker … könnte aber auch Einbildung sein.«

Eine andere Stimme meldete sich über die Verbindung. »Craig, hier ist Ash Murray.«

»Was gibt es, Ash?«

»Ich registriere hier eine Veränderung in deinem Trimix.«

»Muss ich mir deswegen Sorgen machen?«

»Nein, nur das übliche Regulationsproblem. Erhöhe den O2-Anteil bitte um zwei Prozent.«

Im Fenster des Helmdisplays sah Svetlana, wie Craigs dicker Handschuhfinger die angegebene Änderung der Luftzusammensetzung in das Tastenfeld an seinem Ärmel eingab. Es war Jahre her, seit er zuletzt einen Anzug getragen hatte, aber er führte die Aktion bemerkenswert geschickt aus.

»Verstanden. Fühlt sich schon besser an, Ash.«

»Gut, aber behalte die Trimix-Werte im Auge und reguliere sie entsprechend nach. Du müsstest ein kleines Histogramm unten rechts im Helmdisplay sehen. Pass auf, dass die rote Linie nicht unter die weiße Markierung rutscht.«

»Wenn wir eines Tages zurückkehren«, sagte Svetlana bissig, »werde ich einen langen Beschwerdebrief an den Idioten schreiben, der diese Anzüge entworfen hat.«

»Der Idiot, der diese Anzüge entworfen hat, ist vor etwa zweihundert Jahren gestorben«, sagte Ash Murray, »aber ich verstehe dein Ansinnen sehr gut.«

»Ich nähere mich der Ecke«, meldete Schrope. »Ich halte die Kamera um die Biegung … mal sehen.«

»Craig?«

»Bin noch da.« Aber seine Stimme klang nun leicht zerhackt. Die visuelle Übertragung war zu einer Abfolge von statischen Bildern geworden, die alle zwei oder drei Sekunden aktualisiert wurden. »Ich bewege mich durch ein weiteres gerades Stück Korridor. Haftung immer noch gut. Schwer zu sagen, aber …«

»Sprich weiter«, sagte Svetlana.

»Vor mir wird es breiter. Da ist so etwas wie eine kugelförmige Erweiterung. Ich werde es mal als Raum bezeichnen.«

Die Bildübertragung wurde vorübergehend besser, sodass Svetlana das Ende des Korridors erkennen konnte. Der größere Raum war in das gleiche Spektrallicht getaucht wie alles andere. Dann waren wieder nur Einzelbilder zu sehen.

»Behalte bitte die Trimix-Werte im Auge«, sagte Ash Murray.

»Verstanden. Hier drinnen fühlt sich alles gut an. Ich hätte doch noch mal pinkeln gehen sollen, bevor wir von Underhole aufgebrochen sind.«

»Hat Ash dich nicht angeschlossen?«, fragte Svetlana.

»Ich habe ihm gesagt, dass er es sein lassen soll. Ich habe schließlich nicht vor, eine ganze Woche in diesem Ding zu verbringen.«

»Die Bildqualität wird hier unten immer mieser«, sagte Parry. »Vergiss nicht deinen Kommentar, Kumpel.«

»Ich habe den Durchgang zu diesem Raum erreicht. Der Korridor führt von der Seite in die kugelförmige Kammer hinein. Es gibt keinen ebenen Boden, nur eine durchgehende Kugelinnenfläche.« Er schwenkte die Kamera. »Auch kein Anzeichen für einen anderen Ausgang – obwohl es bei diesem gläsernen Zeug schwer zu sagen ist.«

»Du meinst, es ist eine Sackgasse?«, fragte Parry.

»Sieht so aus. Ich werde mich drinnen umsehen, sofern ich Halt finde.« Er keuchte, als er sich auf die Kante hockte und die Beine in die Kammer hängen ließ. »Mit den Handschuhen fühlt sich die Haftung gut an. Ich müsste wieder hinausklettern können, wenn es nicht anders geht.«

»Halte die Kamera bitte immer wieder für ein paar Sekunden ruhig«, sagte Parry leise. »Wir bekommen hier unten nur noch Standbilder rein.«

»Ich gehe jetzt runter. Einen Moment.« Wieder war ein Keuchen und ein Schnaufen zu hören, als er sich bewegte. »Okay. Ich bin jetzt unten. Der Boden besteht aus demselben Material, mit dem wir es hier die ganze Zeit zu tun hatten. Kein Problem mit der Haftung. Ich gebe euch nun einen Rundumblick des Raums.« Es war offensichtlich, dass er sich bemühte, die Kamera so ruhig wie möglich zu halten, als er damit in sechs verschiedene Richtungen zielte. Dann drehte er sie auf Armeslänge und richtete die Optik auf seinen Helm. Er brachte ein nervöses Grinsen zustande. »Ich hoffe, dieses Bild schafft es auf die Titelseite von Newsweek.«

»Craig«, sagte Parry, »bitte schwenk noch einmal zurück zum Durchgang.«

»Dorthin, meinst du?« Das Fenster im Helmdisplay wurde zu einem grauen verwischten Schatten, bis sich das Bild wieder stabilisierte. »Oh, Moment mal.«

Svetlana sah es ebenfalls. Sofern es sich nicht um eine merkwürdige optische Täuschung durch die Verhältnisse in der Kammer handelte, schien das Loch in der Wand kleiner geworden zu sein. Sie konnten sogar sehen, wie es weiter schrumpfte.

»Okay, wir haben ein kleines Problem«, sagte Parry mit einer Ruhe, die eine Spur zu betont war, um überzeugend zu wirken. »Craig, ich möchte, dass du dich aus der Kammer zurückziehst. Du hast jede Menge Zeit.«

Schrope sagte nichts. Er befestigte die Kamera wieder an seinem Anzug und machte sich sofort auf den Rückweg. Das Bild zeigte seine Hände, die sich gegen die Wand legten und nach Halt suchten.

»Das sieht nicht gut aus«, murmelte Svetlana leise. »Das Loch ist schon jetzt zu klein, als dass er sich noch hindurchzwängen könnte.«

Schrope hatte es ebenfalls gesehen. Er zog sich mit zitternden Händen zurück. »Zu eng«, sagte er. Die Kamera ruhte eine Weile auf dem Durchgang, der sich weiter verschloss, bis die runde Öffnung nicht mehr als fünfzig Zentimeter groß war und sich weiter bewegte. »Da komme ich unmöglich durch.«

»Bleib wo du bist«, sagte Svetlana, ohne sich daran zu stören, dass es wie ein Befehl klang. »Das muss nicht … zwangsläufig ein Problem sein.«

»Aber für mich ist es eins.«

Nun wurde die Aktualisierungsrate noch geringer, und die Software füllte immer größere Teile mit Vermutungen aus, die auf den vorherigen Bildern basierten.

»Du scheinst dich in einer Luftschleuse zu befinden«, sagte sie. »Wir hätten mit etwas in der Art rechnen müssen. Das ist gut. Es bedeutet, dass sie sich mit uns treffen wollen.«

»Jetzt gibt es keinen Weg nach draußen mehr«, sagte Schrope. Seine Stimme klang metallisch und hatte jede Harmonie verloren. Die Bildübertragung blieb bei der letzten vollständigen Aufnahme stehen und wurde nicht mehr aktualisiert. Die Bitrate reichte kaum noch für die Audioübertragung aus.

»Craig«, sagte Svetlana, »wenn du mich hören kannst – bleib ruhig.«

»Bekomme keine Anzugdaten mehr herein«, meldete Ash Murray.

»Auch die Bildübertragung ist unterbrochen«, fügte Parry hinzu.

»Craig«, sagte Svetlana. »Rede mit mir. Erzähl mir, was geschieht.«

Seine Stimme wurde in kurzen, gekeuchten Splittern übertragen. »Ich glaube, es wird Luft in die Kammer gepumpt. Der äußere Druck interagiert mit meinem Anzug. Das Gas ist … farblos. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber …«

»Sprich weiter.«

»Ich werde schwerer. Der Anzug drückt mich zu Boden. Kann nicht mehr lange stehen.« Wieder hörte sie angestrengtes Keuchen. »Gehe in die Knie. Werde immer schwerer.« Er brach ab und schnappte mühsam keuchend nach Luft. »Kann kaum noch atmen.«

Parry meldete sich. »Craig, wie es scheint, befindest du dich in einer Schleusenkammer, die unter Luftdruck und Schwerkraft gesetzt wird.«

»Das habe ich mir auch schon gedacht.«

»Du musst dich so flach wie möglich hinlegen, um dein Herz zu entlasten.«

»Ich versuche es. Flach hinlegen geht nicht … der verdammte Rückentornister ist im Weg.«

»Oh nein«, sagte Svetlana und erinnerte sich an die Diskussionen, ob Schrope einen harten oder weichen Schutzanzug anlegen sollte. Der Weichanzug wurde als weniger bedrohlich eingestuft, da er eher der normalen Gestalt eines Menschen entsprach, aber mit dem Hartanzug wäre er besser geschützt, und der normale Druck konnte unabhängig von den Umweltbedingungen gehalten werden.

Schlechte Entscheidung. Sehr schlechte Entscheidung.

»Ich werde weiterhin schwerer. Der Luftdruck hat meinen Anzug völlig zusammengepresst. Ich sehe sehr viele rote Anzeigen im Display.«

»Halt durch, Craig«, sagte Parry. »Früher oder später wird …«

Aber Svetlana hörte deutlich die Hoffnungslosigkeit in seiner Stimme. Da drinnen war es bereits zu schwer für jemanden, der nicht die Last eines Raumanzugs mit sich herumschleppte. Wenn die Gravitation und der Luftdruck weiter stiegen, würde Schrope sehr bald das Bewusstsein verlieren, wenn sein Blut nicht mehr das Gehirn erreichte. Kurz danach würde sein Herz aufhören zu schlagen.

»Wartet …«, hörte sie plötzlich. »Es passiert etwas. Das Glas wird klar … Ich kann jetzt hindurchsehen. Ich sehe die andere Seite.« Er stieß ein grausames Röcheln aus. Jeder Atemzug musste ihm höllische Schmerzen bereiten. »Sie sind es. Sie sind da. Oh Gott! Sie sind da! Sie sind draußen. Sie kommen näher.« Seine Stimme nahm einen dringlichen Tonfall an. »Ich muss die Kamera drehen. Muss die Kamera …«

»Craig, vergiss jetzt die verdammte Kamera«, entfuhr es Svetlana.

»Das müsst ihr sehen. Ihr müsst es einfach sehen. Ihr …«

»Er schafft es nicht«, flüsterte Ash Murray.

»Hör auf, Craig! Beruhige dich!«, sagte Parry.

»Ich kann sie sehen«, sagte er. »Sie sind … seltsam. Groß. Größer, als ich gedacht hätte. Sie sind wie …« Die Audioübertragung fiel in sich zusammen, bis sich aus dem Rauschen eine krächzende Parodie menschlicher Sprache herausschälte. »Bergrücken.«

Dann folgte Stille.

 

»Wir haben mit dem Anzug Scheiße gebaut«, sagte Svetlana immer wieder. »Wir haben mit dem Anzug Scheiße gebaut.«

Murray half ihr aus ihrem Anzug. »Mach dir deswegen keine Vorwürfe. Soweit wir wissen, herrschte in der Kammer ein Druck von hundert Atmosphären.«

»Reine Spekulation, Ash.«

»Zum Ende hin wurde es immer schlimmer. Außerdem spielt es sowieso keine Rolle. Die Schwerkraft hätte ihn fertiggemacht, ganz gleich, was für einen Anzug er getragen hätte.«

»Wir hätten nicht zulassen dürfen, dass er die Kammer betritt, ohne den Eingang zu sichern.«

Parry packte sie am Ellbogen. »Womit hättest du ihn sichern wollen, Svieta?«, sagte er wütend und frustriert, weil er sie nicht beruhigen konnte. »Glaubst du wirklich, dass wir irgendwie hätten verhindern können, dass sich diese Tür schließt, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hat, sich zu schließen?«

»Vielleicht hätte sie sich nicht geschlossen, wenn er im Weg gewesen wäre. Vielleicht hätte sie das Hindernis bemerkt und …«

»Zu viele Vielleichts.« Er nahm ihr Kinn in die Hand und zwang sie behutsam, ihm in die Augen zu schauen. »Craig wusste, worauf er sich eingelassen hat. Er ist hineingegangen, obwohl er sich der Gefahren bewusst war, weil er versuchen wollte, sich mit dieser Aktion zu rehabilitieren. Jetzt hat er bekommen, was er wollte. Und er hat bekommen, war wir wollten: Daten aus dem Innern des Dings, die wir sonst nie bekommen hätten. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet. Er ist zurückgekommen und hat etwas Bedeutendes für uns getan.«

»Er hat sie gesehen«, sagte sie.

Ryan Axford, der mit einer Flasche Wasser am Besprechungstisch in Underhole saß, schüttelte mit bedauernd zusammengepressten Lippen den Kopf. »Ich glaube nicht, dass er wirklich allzu viel gesehen hat, Svieta.«

»Wie bitte?«

»Wir wissen, dass er schon vorher Probleme mit dem Trimix hatte. In Kombination mit der Belastung der Atmung und des Blutkreislaufs …« Er drehte die Flasche zwischen den schlanken Chirurgenhänden. »In einer solchen Situation sind Halluzinationen nichts Ungewöhnliches.«

»Nein«, sagte Svetlana schroff. »Er hat etwas gesehen. Dazu hat er sich ganz klar geäußert. Hinter dem Glas, sagte er. Und sie kamen näher.«

»Ich wünschte, ich könnte daran glauben, Svieta«, sagte Axford nachsichtig, »aber alles, was er gesehen hat, war sein mit Blut unterversorgtes Gehirn.«

»Er hat Bergrücken gesehen, Ryan. Seit wann spielen Berge eine Rolle, wenn man Jesus am Ende des Tunnels sieht?«

Axford sah sie gelassen an. »Seit wann spielen Berge eine Rolle, wenn es um Aliens geht?«

»Craig hat etwas gesehen«, beharrte sie. »Er hat es gesehen und uns eine Botschaft geschickt. Er hat sie gesehen. Und er hatte keine Angst. Er schien einfach nur … gebannt zu sein.«

»Oder berauscht.« Wieder schüttelte Axford den Kopf. »Es tut mir leid. Ich möchte wirklich nicht kleinreden, was er für uns getan hat. Es war sehr tapfer von ihm, sich ins Schiff zu wagen. Aber was er wirklich gesehen hat, werden wir erst wissen, wenn wir den Anzug geborgen haben.«

Plötzlich schien sie in sich zusammenzufallen und nicht einmal mehr die schwache Gravitation von Underhole auszuhalten, sodass sich Svetlana in einen Sitz gegenüber von Axford sinken ließ. »Er hat versucht, es mit der Kamera zu filmen.«

»Eine Halluzination schließt eine rationale Reaktion auf diese Halluzination nicht aus.«

Parry nahm neben Svetlana Platz, hielt ihre Hand und massierte ihre Finger. Nach einem Außeneinsatz waren sie jedes Mal steif. »Was Ryan sagt, hat Hand und Fuß«, sagte er leise. »Wir beide haben den Sermon gehört, den Craig abgelassen hat, bevor er die Rampe hinaufgegangen ist. Er war bereits etwas überdreht, bevor sich die Sache in eine böse Richtung entwickelte.«

»Er hat etwas gesehen«, wiederholte sie, aber inzwischen klang es so mechanisch, dass ihr Widerspruch nicht mehr überzeugend wirkte. Denise Nadis schob ihr ein Getränk und eine in Folie verpackte Mahlzeit zu, aber Svetlana schüttelte nur den Kopf. Sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund und weder Appetit noch Durst.

»Wir müssen überlegen, wie wir reagieren wollen«, sagte Parry, als das Schweigen zwischen ihnen bedrückend geworden war. »Wenn wir einen Hartanzug nehmen, die Kommunikationsleistung verstärken …«

»Ihr hättet trotzdem ein Problem mit der Schwerkraft«, sagte Murray, der Svetlanas Helm mit der Gründlichkeit eines Juweliers überprüfte.

»Nicht, wenn wir die Luft rauspumpen und sie durch eine sauerstoffhaltige Lösung ersetzen …«

Svetlana knallte ihre ungeöffnete Getränkeflasche auf den Tisch. »Hört auf, das hier wie ein verdammtes technisches Problem zu betrachten! Da drinnen ist eben ein Mann gestorben. Ihm wird kein zweiter folgen!«

»Wir können ihn nicht einfach da drinnen liegen lassen«, sagte Parry fassungslos.

»Genau das werden wir tun. Ich will nichts von irgendwelchen Macho-Verhaltensregeln hören.« Sie schloss die Augen und senkte die Stimme zu einer halbwegs normalen Lautstärke. »Ich werde keine weiteren Toten in Kauf nehmen, nur um eine Leiche zu bergen.«

»Wir brauchen seinen Anzug, Svieta«, sagte Parry sanft. »Seine Kamera hat alle Bilder aufgezeichnet. Wenn er wirklich etwas gesehen hat – wovon du fest überzeugt zu sein scheinst –, ist es im Anzug gespeichert. Wenn wir ihn zurückholen, können wir uns alles anschauen.«

»Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass sein Anzug immer noch dort ist, wo er starb. Das Schiff ist viel größer als der winzige Teil, den Craig gesehen hat. Inzwischen könnten sie ihn sonst wohin gebracht haben.«

Nun meldete sich Nadis zu Wort. »Aber gar nichts zu tun …? Sie haben einen von uns getötet, Svieta!«

»Wir haben es verpatzt«, sagte sie. »Vielleicht haben sie es genauso verpatzt. Vielleicht war ihnen nicht klar, dass wir so leicht umzubringen sind.«

»Das bedeutet nicht, dass wir es einfach so hinnehmen müssen.«

»Was schlägst du also vor? Dass wir ihnen eine DUE vor den Latz knallen, um unseren Standpunkt zu verdeutlichen?«

»Wir müssen irgendetwas tun. Wir können hier nicht untätig herumsitzen, als wäre nichts geschehen.«

»Wir haben dreizehn Jahre gebraucht, um an diesen Punkt zu gelangen«, sagte Svetlana, die sich anstrengen musste, um ihre Wut zu zügeln. »Da kommt es jetzt auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht an.«

»Die Leute in Crabtree werden unruhig. Sie wollen eine Reaktion.«

»Ich werde ihnen eine Scheißreaktion geben. Wie wäre es mit der Verhängung des Kriegsrechts?« Im nächsten Moment verzog sie das Gesicht. Aber sie hatte es gesagt. Es ließ sich nicht mehr ungeschehen machen.

»Manchmal hörst du dich an wie Bella«, sagte Nadis und wandte sich ab.

 

Auf dem Rückweg zur Oberfläche von Janus hatte Svetlana eine Kamera auf den Rand des Lochs geklebt und ließ sich das Bild des Alienschiffs in ihr Helmdisplay übertragen. Zuvor hatten sie sich Sorgen gemacht, den Aliens nicht mit Dingen zu nahe zu kommen, die als bedrohliche Technik interpretiert werden könnte. Doch angesichts der Ereignisse schien eine solche Rücksichtnahme jetzt nicht mehr ganz so wichtig zu sein.

Mehrere Stunden lang war gar nichts passiert. Dann registrierte die Software eine Veränderung über der Aufmerksamkeitsschwelle und schickte eine Nachricht an Svetlanas Flextop. Sie vergrößerte das Bild, damit sie es alle gleichzeitig betrachten konnten. Die Symbole auf dem Schiff, die bislang konstant gewesen waren, machten nun schnelle Veränderungen durch.

»Das hat es vorher nicht gemacht«, sagte Svetlana. Die Ofria-Gombergs hatten immer noch keine Korrelationen zu den Daten über die Symbolmuster auf Janus entdeckt. Sie konnten lediglich bestätigen, dass die Schiffssymbole seit der Ankunft gleich geblieben waren.

Das hatte sich nun geändert.

»Es sieht aus, als wären sie völlig aus dem Häuschen wegen dem, was vorhin passiert ist«, sagte Denise Nadis: »Als wüssten die Spicaner, dass sie einen Fehler gemacht haben, und wollten uns nun mitteilen, dass es ihnen leidtut.«

»Oder sie sind wütend«, sagte Parry. »Stinksauer, weil wir Craig überhaupt hineingeschickt haben.«

»Auf jeden Fall ist es eine Reaktion«, sagte Svetlana. »Das ist mehr, als wir bisher von ihnen gehört haben.«

»Das kannst du nicht gerade als Fortschritt bezeichnen«, sagte Parry.

»Ich klammere mich an jeden verfügbaren Strohhalm. Auf jeden Fall wissen wir jetzt, dass sie bemerkt haben, was geschehen ist. Wenigstens hat es sie zu einer Art Reaktion provoziert.«

»Ich hatte gehofft, dass wir diese Sache hinter uns bringen, ohne das Wort ›provozieren‹ zu benutzen«, sagte Parry.

Danach sagte keiner mehr etwas. Sie betrachteten nur das von der Kamera übertragene Bild, hypnotisiert vom Sturm der Aliensprache, inständig hoffend, dass die Zeichen Reue und nicht Zorn bedeuteten.

 

Parry lehnte sich gegen den Türrahmen. »Wie fühlst du dich, Baby?«

»Nicht ganz so schlimm, wie ich aussehe. Hast du schon mit Emily gesprochen?« Svetlana war zu müde und zu aufgelöst gewesen, um ihre Tochter vor der Exkursion zum Alienschiff anzurufen. Sie hatte sich Sorgen gemacht, Emily könnte ihr etwas anmerken.

»Es geht ihr gut«, sagte Parry.

»Ich hoffe, niemand hat ihr gesagt, was hier oben los ist.«

»Ich glaube, irgendetwas ist durchgesickert, aber nicht genug, um ihr Sorgen zu bereiten. Das sind alles nur Erwachsenengeschichten, die weit über ihren Horizont hinausgehen. Es ist einfach großartig, Kind zu sein. Wir haben gerade den Erstkontakt verpatzt, und sie denkt nur an die Puppe, die Wang ihr versprochen hat.«

»Wir alle waren einmal so. Manchmal frage ich mich, was mit uns geschehen ist.«

»Du solltest zusehen, dass du etwas mehr Schlaf bekommst.« Auch Parrys Gesicht war von Stress und Erschöpfung gezeichnet. »Hier passiert nichts, womit wir nicht ohne dich klarkommen würden.«

»Du verstehst es, meinen angeknacksten Stolz wieder aufzubauen.« Jetzt war sie hellwach und zupfte an einer losen Wimper, die ihr zwischen die Augenlider geraten war. »Tut mir leid. Ich weiß, dass du mir nur helfen willst. Ist etwas passiert, während ich geschlafen habe?«

»Nichts, was der Rede wert wäre. Keine Anzeichen für Aktivitäten im Schiff. Soll ich dir Frühstück machen, oder willst du noch eine Runde dösen?«

»Was ist also passiert, das nicht der Rede wert ist?« Nach so vielen gemeinsamen Jahren war Svetlana bestens mit Parrys Ablenkungsstrategien vertraut.

»Es wir dir nicht gefallen«, sagte Parry vorsichtig.

»So etwas wird mir nie gefallen. Also, was ist es?«

»Wir haben von Bella gehört. Irgendwie sind die Neuigkeiten zu ihr durchgedrungen.«

Svetlana knurrte verärgert. »Eigentlich sollte sie nichts von alldem erfahren.«

»In Crabtree ist längst die ganze Geschichte bekannt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Bella Wind davon bekommt.«

»Was will sie überhaupt? Will sie uns unter die Nase reiben, welche Scheiße wir gebaut haben?«

»Diesen Eindruck hatte ich eher nicht.«

»Typisch. Jedes Mal springst du in die Bresche und nimmst sie in Schutz«, sagte Svetlana mit einer Gehässigkeit, die Parry nicht verdient hatte.

»Ich vermute mal, das war ein ›Nein‹, was die Frühstücksfrage betrifft.«

Svetlana wälzte sich aus dem Bett. Sie trug immer noch die Kleidung, mit der sie sich hingelegt hatte und die nun zerknittert und muffig war wie etwas, das seit einer Woche im Wäschekorb lag.

»Mach bitte keine Hektik. Ich gebe mir alle Mühe. Trotzdem neigst du dazu, sie immer wieder zu verteidigen.«

»Vielleicht, weil sie nicht immer falsch liegt.« Er sagte es viel zu gelassen, als dass es als Stichelei gemeint sein konnte. Svetlana warf ihm einen vernichtenden Blick zu, während sie versuchte, ihr Haar einigermaßen in Form zu bringen. »Bella hat von Craig gehört«, fuhr Parry fort, ohne sich von ihrem Blick beirren zu lassen. »Sie möchte mit dir über deinen nächsten Zug reden.«

»Als hätte ich ausgerechnet jetzt ihren Rat nötig!«

»Sie sagt, es sei sehr wichtig, dass du mit ihr redest.«

Svetlana zog ein frisches T-Shirt aus ihrer Tasche, eins von ihren alten, keins von den neuen Sachen aus den Schmiedekesseln. Es war rot und mit einer maskierten Meerjungfrau und dem Schriftzug Taucherschlampe in matt gewordenem Silber verziert. Die animierten Fische, die einst die Meerjungfrau umschwommen hatten, bewegten sich schon lange nicht mehr.

»Natürlich sagt sie so etwas.«

»Außerdem erwähnte sie, dass es Jim Chisholm betrifft.«

Svetlana hielt inne, während sie das T-Shirt erst halb angezogen hatte. »Was du nicht sagst!«