Drei


 

 

»Das ist die letzte gute Nahaufnahme, die wir haben«, sagte Bella. »Sie ist ungefähr ein Jahr alt, als ein Frachter bei einem routinemäßigen Swingby-Manöver in die Nähe von Janus kam.«

Das Objekt, das an der Wand dargestellt wurde, war von unregelmäßiger Gestalt. Die weiteste Ausdehnung betrug zweihundertzwanzig Kilometer und der kleinste Durchmesser einhundertsechzig. Die Oberfläche war zerfurcht, und es gab ein paar flache Krater. Das Eis war von stumpfgrauer Färbung, ähnlich wie Schnee, der sich am Straßenrand gesammelt hatte.

»Wie kommt ein Schlepper dazu, dort Fotos zu schießen?«, fragte Svetlana.

»Die University of Arizona hat dafür bezahlt, dass er eine Kamera huckepack nimmt. Irgendein Student wollte seine Doktorarbeit über dynamische Eischemie abschließen. Es existieren viel bessere Aufnahmen und Karten, die das gesamte Ding bis zu einer Auflösung von ein paar Metern darstellen, aber das hier ist der jüngste existierende Schnappschuss.«

»Sieht für mich immer noch wie ein ganz normaler Eisbrocken aus«, sagte Saul Regis.

»Das war vermutlich Sinn der Sache«, sagte Bella. »Janus ist so ziemlich der letzte Ort im Sonnensystem, wo wir nach Spuren außerirdischer Intelligenzen suchen würden.«

Nick Thale meldete sich zu Wort. »Wenn sie ihre Aktivitäten verschleiern wollten, warum haben sie sich dann etwas so Ungewöhnliches wie einen koorbitalen Mond ausgesucht?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht weil sie dachten, dass wir aus genau diesem Grund keinen Verdacht schöpfen würden.«

Nichts in diesem Bild deutete darauf hin, dass damit irgendetwas nicht stimmte. Es gab keine Anzeichen, dass sich knapp unter der Tarnung der Eisschicht außerirdische Technik verbarg.

Regis tippte mit einem Schreibstift auf den Flextop, der auf seinen Knien lag. Er war ein kräftig gebauter Mann mit einem Kranz aus langem schwarzem Haar, das er als Pferdeschwanz trug. Sein Kinnbart lief in einen geflochtenen Zopf aus. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir folgen kann«, sagte er. »Was soll so ungewöhnlich an Janus gewesen sein? Es gibt doch mehrere Monde aus Wassereis, die Saturn umkreisen, nicht wahr?«

»Bei Janus liegt der Fall anders«, sagte Thale und wandte sich dem Robotikspezialisten zu. »Er befand sich fast auf der gleichen Umlaufbahn wie ein anderer kleiner Mond im Abstand von etwa zweieinhalb Saturnradien: Epimetheus. Einer der beiden war dem Planeten etwas näher, also bewegte er sich ein klein wenig schneller. Einmal alle vier Jahre überholte der schnellere den langsameren. Dann tauschten die beiden ihre Umlaufbahnen. Der schnellere Mond wurde zum langsameren und umgekehrt.«

»Verrückt.«

»In der Tat. Alle vier Jahre passierte das Gleiche. Die Monde tauschten ihre Rollen, wie Schlittschuhläufer beim Staffellauf.«

Bella hatte vor dem Treffen alles darüber nachgelesen. »Das ist eine ziemlich ungewöhnliche Konstellation. Zumindest würde man nicht erwarten, dass so etwas zufällig geschieht, nur weil sich zwei unabhängige Monde auf der gleichen …«

Sie hielt inne, weil sie genauso wie alle anderen die Erschütterungen bemerkt hatte. Das Wasserglas auf Bellas Schreibtisch zitterte.

Sie sah Svetlana an. »Ist alles in Ordnung?«

»Alles läuft nach Plan.«

»Ich kann mich nur nicht erinnern, dass ich so etwas schon einmal erlebt habe.«

»Damit müssen wir rechnen«, sagte Svetlana. »Die Maschinen laufen mit anderen Parametern.«

»Also ist es nichts, worüber ich mir Sorgen machen muss?«

»Nein. Das sind nur Verwirbelungen der Mischung in der Vorstufe der Brennkammer.«

»Gut«, sagte Bella, aber genauso wie alle anderen – mit Ausnahme von Svetlana – war sie gerade nachdrücklich daran erinnert worden, dass sie sich nicht in einem anonymen Bürogebäude aufhielten, sondern an Bord eines fünfzigtausend Tonnen schweren Raumschiffs mit Nuklearantrieb, das sich mit durchgetretenem Gaspedal dem Rand des interstellaren Raums näherte.

Sie waren jetzt seit drei Tagen unterwegs, und die Rockhopper hatte bereits dreizehnhundert Kilometer pro Sekunde zugelegt, in Relation zu ihrem vorherigen Kursvektor am Kometen. Sie flogen in einem flachen Winkel zur Ekliptik und bewegten sich fast geradlinig von der Sonne weg. In jeder Sekunde überquerten sie einmal den Golf von Mexiko und entfernten sich um dieselbe Strecke von ihren Geburtsorten. Und die Beschleunigung ließ sie ständig schneller werden.

Wenn sie Janus erreichten, hatten sie sich dreizehn Lichtstunden von der Erde entfernt. Dann würde es mehr als einen Tag dauern, bis sie eine Antwort auf eine Funkbotschaft erhielten. Und sie würden sich mit drei Prozent Lichtgeschwindigkeit bewegen – eine Zahl, die jeden von ihnen mit einer gehörigen Portion Gottesfürchtigkeit erfüllte. Drei Prozent Lichtgeschwindigkeit waren neuntausend Kilometer pro Sekunde.

Mit jeder verstreichenden Minute wuchs ihre Entfernung von der Erde mehr als der Abstand zwischen Erde und Mond.

Seit der Erschütterung waren ein oder zwei Minuten vergangen. Jetzt bewegte sich das Schiff wieder so ruhig wie eine Luxuslimousine. Alle warteten darauf, dass Bella weitersprach. Die gespannten Mienen waren eine nette Vorstellung, aber sie bezweifelte, dass sie tatsächlich überzeugt waren. Ihre Nerven waren bereits bis zum Zerreißen angespannt. Seit drei Tagen hatte das Schiff geknirscht und geächzt wie ein U-Boot, das sich der kritischen Tiefe näherte.

»Wo war ich stehen geblieben?«

»Bei Janus«, half ihr jemand auf die Sprünge.

»Richtig … richtig. Ich wollte darauf hinaus, dass wir bis vor vier Tagen eine gute Erklärung dafür hatten – dass die zwei Monde früher einmal Teil eines größeren Körpers waren.«

Auch Craig Schrope hatte seine Hausaufgaben gemacht. »Ein größerer Mond, vielleicht so groß wie Charon. Vor ein paar Milliarden Jahren wurde er von etwas getroffen und brach auseinander. Die zwei größten Brocken lösten sich und folgten einer nahezu identischen Umlaufbahn.«

»Deshalb die koorbitalen Monde«, mischte sich Bella wieder in die Diskussion ein. »Aber das Janus-Ereignis zeigt, dass es nicht so passiert sein kann. Alles sah nach einem solchen Fall aus, aber die Konstellation ist ohne Zweifel künstlich. Ein Artefakt, das einen natürlichen Eindruck erwecken soll.«

»Bevor jemand danach fragt«, warf Schrope ein, »in diesem Moment wird Epimetheus gründlich von mehreren Teams untersucht.«

»Mit Glacéhandschuhen, hoffe ich«, sagte Nick Thale.

»Ich denke, wir können davon ausgehen, dass man jede gebotene Vorsicht walten lässt«, sagte Bella. »Auch wenn sie unangebracht erscheint. Bisher wurde nichts festgestellt, was darauf hindeutet, dass Epimetheus etwas anderes ist, als es den Anschein erweckt. Sofern es dort keine außergewöhnlich gut getarnten Mechanismen gibt, ist es nicht mehr und nicht weniger als ein Eisklumpen.«

»Wir vermuten«, sagte Schrope, »dass Epimetheus ein ganz gewöhnlicher Satellit ist. Das Janus-Artefakt muss von außen in das Saturnsystem gelangt sein, mit genau abgestimmter Umlaufbahn, sodass sich die koorbitale Konstellation bildete, von der wir angenommen haben, sie erklären zu können.«

»Also gibt es noch mehr solcher Konstellationen?«, fragte Parry.

»Nein«, antwortete Schrope, »zumindest nicht in unserem Sonnensystem. Janus und Epimetheus waren die einzigen zwei Monde, die eine derartige Konstellation bildeten.«

»Und anderswo? In anderen Systemen?«

»Unsere Daten sind nicht genau genug, um es sagen zu können«, erklärte Bella. »Wir haben Bilder von einigen jupiterähnlichen Riesen in benachbarten Systemen, auf denen wir größere Stürme, Ringkomplexe und titangroße Monde erkennen können, aber janusgroße Objekte können wir immer noch nicht auflösen.«

»Mit anderen Worten, es könnte sich um einen einmaligen Fall handeln«, sagte Parry.

»Genauso gut könnte es so normal sein, dass man erwarten kann, in jedem Sonnensystem ein oder zwei koorbitale Komplexe zu finden«, sagte Bella. »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wissen wir es einfach nicht.«

»Aber es könnte etwas Ungewöhnliches sein«, bohrte Parry weiter, »und in diesem Fall würde es danach aussehen, dass es der Sinn der Sache war.«

Bella beugte sich interessiert vor. »Du meinst so etwas wie eine kosmische Telefonkarte?«

»Ich will nur darauf hinaus, dass wir nichts ausschließen sollten.«

Sie nickte ernst. »Parry hat recht. Wir müssen mit offenem Geist alle Möglichkeiten berücksichtigen, mögen sie auch noch so abwegig erscheinen. Sobald wir von bestimmten Voraussetzungen ausgehen, könnten wir in große Schwierigkeiten geraten.«

»Aber dafür sind wir nicht ausgebildet«, sagte Svetlana und blickte sich im Raum um. »Wir sind Arbeiter. Bella sagt, wir sollen mit offenem Geist an die Sache rangehen. Ich sage, dass es nicht unsere Aufgabe ist, auch nur darüber nachzudenken, unseren Geist zu öffnen.«

»So einfach ist es nicht«, sagte Bella. »Obwohl ich mir wünschte, es wäre so. Wir haben nur fünf Tage, um Janus zu untersuchen. Oder noch weniger, wenn der Mond beschleunigt. Das sind einhundertzwanzig Stunden, von denen jede einzelne Minute sehr kostbar ist.«

»Das Problem ist die zeitliche Verzögerung«, sagte Schrope. Er sprach leise, aber mit einer Gemessenheit, die eine sorgfältig bedachte Bemerkung vermuten ließ. »Wir werden viel zu weit weg sein, um mit der Erde zu telefonieren.«

Bella nickte. »Natürlich werden wir unsere gesamten Daten komprimiert nach Hause schicken, sobald wir in Reichweite der Sensoren sind, und die Spezialisten auf und in der Nähe der Erde werden sich wie hungrige Wölfe darauf stürzen. Aber wir werden frühestens sechsundzwanzig Stunden nach unserer ersten Sendung von ihnen hören. Wenn wir Janus erreicht haben, können wir es uns nicht leisten, so lange auf Anweisungen zu warten.«

»Damit sind wir immer noch nicht über Nacht zu Experten geworden«, sagte Svetlana.

»Aber wir haben noch achtzehn Tage, bis es ernst wird«, sagte Bella. »Deshalb habe ich euch zusammengerufen. Ich will, dass ihr anfangt, wie Experten zu denken.«

Parry lachte. »Einfach so?«

»Ihr alle seid kluge Köpfe«, sagte Bella. »Wenn nicht, wärt ihr niemals auch nur in Sichtweite meines Schiffs gekommen.«

»Niemand von uns kennt sich auch nur ansatzweise mit außerirdischem Leben aus«, sagte Svetlana.

»Jetzt vielleicht noch nicht«, sagte Bella, »aber in achtzehn Tagen kann sich vieles ändern. Niemand erwartet, dass grüne Schleimmonster aus dem Mond gekrochen kommen, wenn wir längsseits gehen, aber wir müssen darauf vorbereitet sein, wenn Janus uns mit einem ›Hallo‹ begrüßt. Wir müssen wenigstens irgendwie darauf antworten können.«

Saul Regis zupfte an seinem geflochtenen Bart. Er trug ein Cosmic-Avenger-Sweatshirt, das die fiktive Besatzung an den Stationen ihres eleganten Raumschiffs aus dem dreißigsten Jahrhundert zeigte. »Wie soll das gehen? Dass wir zu Experten werden, meine ich.«

»Als Erstes«, sagte Bella, »werde ich eine Kontakt-Arbeitsgruppe zusammenstellen. Ich möchte sie klein und flexibel halten, was der Grund ist, warum ich nicht alle Abteilungsleiter zu dieser Sitzung eingeladen habe.« Sie nickte Regis zu. »Ich möchte, dass du die Gruppe leitest, Saul. Ich habe mir die Personalakten von allen Besatzungsmitgliedern angesehen, und von allen scheinst du mir am besten für diese Aufgabe geeignet zu sein. Du hast Bewusstseinswissenschaft und Künstliche Intelligenz studiert und auf diesen Gebieten geforscht – und es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich hinter Janus irgendeine Art von Roboter verbirgt.«

»Ich fühle mich schon jetzt überqualifiziert«, sagte Regis.

»Ich erwarte von dir keine genialen Erkenntnisse, nur eine grundsätzlich Vertrautheit mit dem Thema. Sieht irgendjemand einen Grund, warum Saul diese Arbeitsgruppe nicht leiten sollte?« Sie wartete einen kurzen Moment. »Nein? Also gut, dann ist dieser Punkt entschieden.«

Regis hob in gespielter Kapitulation die Hände. »Ich habe immer noch keine Vorstellung, was ich deiner Meinung nach eigentlich tun soll, Bella.«

»Fang damit an, das Team zusammenzustellen. Ich gehe davon aus, dass die hier Anwesenden dazugehören sollten, allein schon aus dem Grund, weil wir an vorderster Front stehen werden, wenn die Janus-Aktion beginnt. Sorg dafür, dass das Team konzentriert arbeitet und beweglich bleibt, aber das sollte dich nicht davon abhalten, andere hineinzuholen, von denen du meinst, dass sie etwas beisteuern können.« Bella schob ihren Flextop über den Tisch. »Da sind ein paar Namen, die du dir ansehen solltest.«

Regis zog seinen eigenen Schirm von der Wand. Er war zum Einbettungsnetz hinübergeflattert, um seine Batterien nachzuladen. Als er den Schirm berührte, tauschten die zwei Einheiten Daten über das sichere myoelektrische Feld seines Körpers aus, ohne den Umweg über die offenen Kanäle des Schiffsnetzes zu nehmen.

»Ich weiß immer noch nicht, wo ich anfangen soll«, sagte er.

»Ich will euch etwas zeigen«, sagte Bella. Sie drehte sich zum ein Jahr alten Bild von Janus um. Ihre Hände bewegten sich über die Kontrollen in ihrem Schreibtisch. Die Hexel flackerten, dann wechselte schlagartig das Bild an der Wand. Es zeigte immer noch Janus, aber nun war die Darstellung verschwommen, wie das Foto eines Steins, den man durch eine verschmierte Glasscheibe aufgenommen hatte.

»Das ist ein synthetisches Bild«, erklärte Bella, »durch optische Interferometrie mit langer Basis im sichtbaren Spektrum gewonnen und zusammengesetzt aus Daten von sechs verschiedenen Weltraumteleskopen im Orbit um den Mars. Es ist die jüngste Fernaufnahme von Janus, die wir haben. Sie wurde vor weniger als einem Tag gemacht.«

Das Bild zeigte den Mond aus einem anderen Winkel als das im Vorbeiflug geschossene Bild. Deshalb sahen die Form und die Verteilung der Krater anders aus. Aber es hatte sich noch mehr verändert. Im Eis waren dunkle Flecken zu erkennen, die vorher nicht da gewesen waren. Beim zweiten Blick zeigte sich, dass die Flecken in Wirklichkeit Wunden waren – leere Stellen, wo sich riesige, kilometerdicke Eisbrocken losgerissen hatten oder verdampft waren oder einfach zu existieren aufgehört hatten. In den dunklen Bereichen funkelten am Rand der Wahrnehmungsschwelle mechanische Strukturen, gigantische dunkle Maschinenteile, verbogen und ineinander verschlungen wie dicht gepackte Gedärme.

»Das Foto des Jahrhunderts«, sagte Parry.

»Die Tarnung bricht nach und nach weg«, sagte Bella. »Janus zeigt allmählich seine wahre Gestalt. Wir haben bereits eine Tatsache, mit der wir arbeiten können: Es handelt sich zweifellos um ein außerirdisches Artefakt und nicht um einen bizarren physikalischen Prozess, den wir einfach nur nicht verstehen.«

»Das ist nicht viel«, sagte Parry.

»Das ist noch nicht alles. Ich erwähnte bereits, dass Janus unser System in einem flachen Winkel zur Ekliptik verlässt. Jetzt haben wir etwas genauere Daten, was den Kurs betrifft.« Bella ließ das Bild schrumpfen, bis es nur noch ein mattweißer Punkt vor einer Himmelskarte mit Sternennamen, Grenzen zwischen den Sternbildern und dünnen Linien für die Rektaszension und Deklination war, den astronomischen Gegenstücken zur Breite und Länge. »Meine Damen und Herren, wir haben einen Stern, und wir haben einen Namen.«

»Welcher ist es?«, fragte Parry.

»Alpha Virginis, der hellste Stern in der Jungfrau.« Bella markierte ihn. Es war der Stern, der dem winzigen Punkt von Janus am nächsten stand. »Ich muss allerdings zugeben, dass es nicht unbedingt eine Sonne ist, in deren Nähe wir Aliens erwarten würden. Sie ist nicht nur heiß, schwer und blau, sondern außerdem Teil eines binären Systems. Vielleicht haben sie sich dort nicht ursprünglich entwickelt. Aber wir können die Fakten nicht abstreiten. Dorthin ist Janus unterwegs. Das ist der Ort, an dem er seine Heimat sucht.«

»Wie sollen wir die Erbauer von Janus nennen?«, fragte Svetlana. »Virgoer? Virginianer? Alphaner?«

»Nichts dergleichen«, erwiderte Bella. »Wir bezeichnen sie nach dem klassischen Namen des Zielsterns. Alpha Virginis wird auch Spica genannt.« Sie sprach die zwei Silben sehr sorgsam aus. »Die Erbauer von Janus sind die Spicaner, und sie leben zweihundertsechzig Lichtjahre von der Erde entfernt.« Sie sah die kleine Runde strahlend an. »So. Habt ihr nicht auch das Gefühl, sie jetzt schon etwas besser zu kennen?«

»Es ist wohl etwas zu spät, sich die Sache mit dieser Mission noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, oder?«

Alle lachten. Aber nicht so herzhaft, wie Bella es sich gewünscht hätte.

 

CNN wollte ein Interview. Bella nahm eine Kamera mit ins aeroponische Labor und befestigte sie mit einem Klecks Geckoflex an einem Gestell voller Pflanzen. Die Aeroponik mit der feuchten Luft, dem mechanischen Windhauch und dem beruhigend gleichmäßigen Schnaufen der Aeratoren hatte jedes Mal eine sehr entspannende Wirkung auf sie. Es war der einzige Ort an Bord der Rockhopper, wo sie die Augen schließen und sich die flüchtige Illusion verschaffen konnte, auf der Erde zu sein.

»Es ist bestimmt eine große Belastung, diese Mission zu leiten«, sagte die Nachrichtensprecherpuppe mit kecker Stimme, die eher zu einer Zeichentrickfigur gepasst hätte.

»Es ist auf jeden Fall eine große Verantwortung«, erwiderte Bella, »aber ich habe eine gute Besatzung. Ich könnte mir kein besseres Team wünschen.«

»Trotzdem müssen Sie unter großer Anspannung stehen.«

»Es ist meine Pflicht, eine Mission verantwortungsvoll zu führen. Janus dürfte uns mit einigen Überraschungen konfrontieren, aber das könnte uns genauso gut mit jedem Kometen passieren, den wir zur Erde steuern. Unsere Arbeit als Eisschieber ist niemals Routine.«

»Wie werden Sie reagieren, wenn Sie einem realen Alien begegnen?«

»Sie meinen, im Gegensatz zu einem nicht-realen Alien?« Bella betastete eine der Pflanzen im Gestell. Patentnummern und Copyrightsymbole waren auf den glänzend grünen Blättern zu sehen. »Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Ich glaube, dass wir auf automatische Systeme stoßen werden, mehr nicht.«

»Was empfinden Sie bei dieser Vorstellung?«

Bella hob die Schultern. »Wir machen Fotos, nehmen Messungen vor, versuchen vielleicht, eine materielle Probe zu nehmen. Aber ich rechne nicht damit, dass es zu ausführlichen Gesprächen mit einer Maschine kommt.«

Die Sprecherin schnaufte. »Vielleicht sehen wir Maschinen das anders!«

»Ja«, sagte Bella.

Die Miene der Puppe hellte sich wieder auf. »Captain Lind, Sie kommandieren ein ziemlich großes Raumschiff. Doch es war nie für eine derartige Mission gedacht, nicht wahr?«

»Zeigen Sie mir ein Schiff, das dafür gedacht ist.« Bella versuchte, sich nicht in die Defensive drängen zu lassen. »Aber wir verfügen über vielfältige Kapazitäten. Wir sind für wissenschaftliche Fernerkundungen ausgerüstet. Wir werden es nur mit anderen wissenschaftlichen Untersuchungen zu tun haben, als wir sie normalerweise machen. Aber wir werden es schaffen. Wir sind Profis.« Sie blickte in die Kamera und hoffte, dass ihr Gesicht den richtigen Ausdruck stählerner Entschlossenheit zeigte. »Unser Motto lautet: Wir schieben Eis. Deswegen sind wir hier.«

»Das müssen Sie mir etwas genauer erklären, Captain Lind!«

»Damit ist gemeint, dass wir einen Job haben und dass wir ihn erledigen. Meine Leute sind die Besten. Wir haben Menschen vom Mond, Menschen vom Mars, Menschen von den Orbitalen, Menschen aus marinen Habitaten … Unterwasserleute. Vakuum und Wasser unterscheiden sich eigentlich gar nicht so sehr.«

Das Gesicht der Nachrichtenpuppe nahm erneut einen leeren Ausdruck an. Sie hatte Bella wieder nicht verstanden. »Könnten Sie uns etwas mehr über Ihre übrige Besatzung erzählen?«

»Nun, es sind alles gute Leute. Ich würde keinen Einzigen austauschen wollen …«

»Nach unseren Berichten wird Ihr Stellvertreter sterben!«, sagte die Puppe fröhlich.

»John Chisholm ist krank, das ist alles«, sagte Bella gereizt, »und er braucht möglichst bald eine gute Behandlung.«

»Wie finden Sie das?«

»Es versteht sich von selbst, dass ich deswegen nicht begeistert bin. Genauso wie Jim. Aber wir können ihn immer noch rechtzeitig nach Hause bringen. Es ist sogar so – und in diesem Punkt stimmt Jim mir zu –, dass Janus unsere beste Chance darstellt, ihm die medizinische Behandlung zukommen zu lassen, die er braucht. Wir werden in sechs oder sieben Wochen wieder zu Hause sein.«

»Das wollen wir hoffen, Captain Lind. Anderes Thema: Streiten Sie Berichte ab, nach denen Sie Nuklearwaffen an Bord haben?«

»Da gibt es nichts abzustreiten. Wir haben DUEs dabei, Demontageunterstützungseinheiten, das ist alles. Wenn wir an einem Kometen arbeiten, der eine ungewöhnliche Form hat, könnten wir entscheiden, ein paar Ecken und Kanten wegzusprengen, bevor wir versuchen, ihn anzuschieben.«

»Manche Quellen behaupten, die Rockhopper hätte den Auftrag, diese Waffen gegen Janus einzusetzen, um den Mond zu zerstören. Können Sie dazu etwas sagen?«

»Ich kann dazu sagen, dass das eine absolut idiotische Idee wäre. Haben Sie keine konstruktiveren Fragen, die Sie mir stellen können?«

»Wie lautet Ihre Stellungnahme zu Vorwürfen, dass ein großer Teil der Technik, die an Bord der Rockhopper für kommerzielle Zwecke genutzt wird, ursprünglich mit VWE-Subventionen finanziert wurde, die an die Abwehr von Asteroiden und Kometen gebunden waren, die die Erde treffen könnten?«

»Dazu kann ich nichts sagen. Ich mache hier nur meinen Job.«

»Vielen Dank, Captain Lind. Haben Sie zum Abschluss vielleicht eine persönliche Botschaft an die Menschen zu Hause? Ihre Gedanken und Gefühle über diese Mission, Ihre Hoffnungen und Befürchtungen, während Sie die Fackel der Menschheit an einen Ort tragen, der weit außerhalb unserer Vorstellungskraft liegt?«

Bella starrte reglos in die Kamera. Die Nachrichtenpuppe sah sie weiterhin mit einem schiefen Lächeln hoffnungsvoller Erwartung an. Irgendwo im aeroponischen Labor blies der Aerator pfeifend Feuchtigkeit in die Luft.

»Nein«, sagte Bella. »Dazu fällt mir nichts ein.« Sie griff nach der Kamera und wollte sie bereits vom Gestell reißen, als sie plötzlich von einem Gefühl der Versöhnlichkeit überwältigt wurde.

»Also gut«, sagte sie, während ihr bewusst war, dass CNN ihr Zögern herausschneiden und ihre Antworten nahtlos vermorphen würde. »Ich werde etwas sagen. Es ist ein schwerer Job, den wir übernommen haben, daran gibt es keinen Zweifel. Die ganze Welt hofft darauf, dass wir keinen Fehler machen. Wir befinden uns auf einer der kritischsten Missionen in der Geschichte der Weltraumfahrt – vielleicht sogar der ganzen Geschichte – und keiner von uns wurde dafür ausgebildet. Sie können mir glauben, dass meine Leute die Besten im Geschäft sind. Aber unser Geschäft ist der Kometenbergbau. Wir schieben Eis, und das machen wir ziemlich gut. Von der Erkundung außerirdischer Artefakte war nirgendwo die Rede, als wir die Verträge für diese Arbeit unterschrieben haben. Aber wir werden unser Bestes geben. Wenn wir Janus erreicht haben, werden wir kein Auge zutun, bis wir die letzten Daten aus diesem Ding herausgequetscht haben. Ganz gleich, was geschieht, wir werden nicht aufhören, Daten nach Hause zu schicken. Das versprechen wir der ganzen Welt.«

Bella atmete einmal tief durch, bevor sie fortfuhr. »Ich möchte noch ein paar Worte über meine Leute verlieren. Keiner von uns hat den Befehl erhalten, Janus anzufliegen. Man hat eine offizielle Bitte an uns gerichtet, die wir hätten ablehnen können. Ich habe die Besatzung abstimmen lassen. Einige von uns wollen es tun, einige nicht. Die Sache ging so aus, dass sich die Mehrheit für die Mission entschieden hat, aber nachdem wir diese Entscheidung getroffen haben, ist keine Sekunde vergangen, in der ich nicht an die Leute gedacht habe, die nicht für Janus gestimmt haben. Es sind alles Menschen, die Familie oder Freunde zu Hause haben. Trotzdem habe ich nicht das leiseste Flüstern der Missbilligung von ihnen gehört. In dem Augenblick, als wir das Triebwerk zündeten, haben sich alle ohne Zögern für diese Unternehmung engagiert. Genau das habe ich von meinem Team erwartet, aber das bedeutet nicht, dass ich deswegen nicht stolz auf meine Leute wäre. Ich könnte mir keine bessere Besatzung wünschen. Und wir werden heil und gesund zurückkommen. Darauf gebe ich mein Wort.«

»Vielen Dank«, sagte die Sprecherin. »Dürfte ich Sie nun bitten, folgende kurze Werbebotschaft vorzulesen?«

 

Bella goss einen Schluck Glenmorangie in Svetlanas Glas. Sie saßen zusammen in Bellas Büro, wie sie es oft nach einem arbeits- oder stressreichen Tag taten. Bella hatte die Beleuchtung gedimmt, um den Fischen etwas Ruhe zu gönnen. Außerdem hatte sie Musik angestellt, ein beruhigendes Cello-Stück, das Svetlana nicht kannte. Es war nett, sich ganz entspannt berieseln zu lassen. Dieser Raum war eine der wenigen Stellen im Schiff, wo Musik nicht mit Pumpen und Generatoren konkurrieren musste.

Bella drehte die Flasche auf den Kopf und ließ die letzten paar Tropfen herauslaufen. »Damit hat der Spaß nun ein Ende. Jedenfalls bis zur nächsten Rotation.«

»Du bekommst Whisky über die Vorratslieferungen?«, fragte Svetlana verblüfft. Aus irgendeinem Grund war sie nie auf die Idee gekommen, nach Bellas Quelle für diese seltene Delikatesse zu fragen.

»Nicht offiziell. Falls es für Single Malt ein Feld zum Ankreuzen gibt, habe ich es noch nicht gefunden.« Sie lachte. »Aber ich habe in der Tat meine Quellen.«

»Zum Beispiel?«

Bella senkte die Stimme, als würden die beiden Frauen sich ein Schulhofgeheimnis anvertrauen. »Hauptsächlich Piloten von Frachtshuttles. Meistens Typen mit mindestens zwanzig Jahren Dienst auf dem Buckel, und fast alle haben ihre Karriere auf der Erde-Mars-Linie begonnen – wie Garrison, versteht sich.«

Svetlana blickte unwillkürlich zum Bild von Garrison Lind auf Bellas Schreibtisch, auch wenn sie es schon tausendmal gesehen hatte. Er war ein auffallend attraktiver junger Mann in einem strahlend orangefarbenen Raumanzug, den Helm unter einen Arm geklemmt, breit grinsend, vor dem vergrößerten Emblem einer alten multinationalen Raumfahrtorganisation.

Sie sah wieder Bella an. »Ich kann mir vorstellen, dass sie Garrison kannten.«

»Sie kannten ihn oder hatten von ihm gehört. Und natürlich … jedenfalls ist es seitdem kein Problem für mich, eine kleine Gefälligkeit einzufordern. Sie könnten in Schwierigkeiten geraten, wenn es irgendwann herauskommen sollte, also bemühe ich mich, ihre Freundlichkeit nicht übermäßig auszunutzen.« Sie schüttelte die Flasche ein letztes Mal und stellte sie mit bedauernder Miene auf das Regal neben eine andere leere Flasche. »Aber es könnte bald nötig werden, sie erneut auszunutzen.«

»Ich bin überzeugt, dass sie dir gerne einen Gefallen erweisen.«

»Die Jungs sind schwer in Ordnung.«

»Sie scheinen verdammt viel Respekt vor Garrison gehabt zu haben.«

»Das glaube ich auch.« Svetlana dachte, dass Bella nun das Thema wechseln würde, da sie es erschöpfend behandelt hatten, aber sie war nicht mehr zu bremsen. »Er war bei den meisten Leuten, mit denen er zusammengearbeitet hat, sehr beliebt. Er musste nur in ein Zimmer spazieren, und er hatte alle Leute auf seiner Seite. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die so sind, aber normalerweise nutzt sich der Effekt schon bald ab. Doch bei Garrison war es so, dass die Leute nie aufgehört haben, ihn zu mögen.«

Dann saßen sie für längere Zeit schweigend da.

Wenn Bella über ihren Ehemann sprach, hatte Svetlana manchmal den Eindruck, dass sie es nur tat, weil sie es für wichtig hielt, ihn an einem bestimmten Punkt zu erwähnen. Bei anderen Gelegenheiten war sich Svetlana nicht so sicher. Es war schon häufiger vorgekommen, dass sie ein Gespräch mit dem Gefühl beendet hatte, dass Bella insgeheim hoffte, sie hätten noch länger über Garrison gesprochen. Aber trotz ihrer dicken Freundschaft hatte sich Svetlana jedes Mal zurückgezogen. Sie hatte nie die Befürchtung abschütteln können, dass es Bella mehr verletzen könnte, als ihr selbst bewusst war, wenn sie das Thema vertieften.

Doch in diesem Moment spürte sie deutlicher als sonst, dass Bella sie aufforderte, über Garrison zu sprechen, die ungestellten Fragen zu stellen, die seit langem zwischen ihnen im Raum hingen.

»Wie lange ist es jetzt her?«, wagte sie sich vor, obwohl sie die Antwort selbst wusste. Es war eine ganz einfache Rechenaufgabe.

»Einundzwanzig Jahre«, sagte Bella mit einem flüchtigen Lächeln. »Ich kann dir die Zahl der Stunden nennen, wenn du möchtest. Ich weiß nicht genau warum, aber in den letzten paar Tagen musste ich oft an ihn denken.«

»Ich vermute, Janus hat etwas damit zu tun.« Svetlana schnupperte am bernsteingelben Getränk in ihrem Glas und genoss das torfige Aroma.

»Es scheint so. Garrison wäre ganz versessen darauf gewesen, an dieser Aktion teilzunehmen. Er hätte gemordet, um an Bord des Schiffes zu sein, das zu dieser Mission aufbricht.«

»Er wäre auch so stolz auf dich gewesen.«

»Das sage ich mir auch ständig – als hätte ich nicht schon genug eingebildete Erwartungen erfüllt.« Bella sah Svetlana vorsichtig an und schien auf eine Pause in der Musik zu warten, bevor sie fortfuhr. »Das habe ich nie gesagt, okay?«

Svetlana nickte, ohne etwas zu erwidern. Vor gespannter Erwartung hielt sie beinahe den Atem an.

»Vor zehn oder zwölf Jahren – vielleicht ist es sogar schon länger her – habe ich eine schlimme Phase durchgemacht.« Bella hielt kurz inne, um sich eine Zigarette anzuzünden. »Garrison war von uns beiden immer der Ehrgeizigere. Er war derjenige mit den großen Ideen, den großen Träumen. Ich habe mich nie an Bord eines Schiffes wie der Rockhopper gesehen, mit einhundertfünfzig Leuten unter mir. Selbst Garrison hätte so etwas ziemlich optimistisch gefunden.«

»Die Zeiten ändern sich«, murmelte Svetlana. Sie wollte den Fluss der Geschichte nicht unterbrechen.

»Nicht so sehr, wie man glaubt.« Bella rauchte ohne Eile, bevor sie fortfuhr. »Nach Garrisons Tod habe ich mich weiterbewegt. Hauptsächlich habe ich mich vom Schwung treiben lassen, ohne zurückzuschauen, als ich all die richtigen Karriereentscheidungen traf. Von der Erde in den Erdorbit, vom Erdorbit zum Mond – ich habe es gehasst. Ich spüre immer noch den Staub in meinen Augen.«

Svetlana lächelte. »Jeder hasst den Staub.«

»Also machte ich den Sprung zum Mars. Dann von Big Red in den Weltraum. Und dann passierte es: Plötzlich brach ich zusammen und war ausgebrannt. Ich habe einfach nicht mehr funktioniert. Sie haben mich zurück zur Erde und zu ihren verständnisvollen Firmenpsychiatern gebracht. Sie redeten von Depressionen. Ich würde versuchen, Garrisons verlorenen Möglichkeiten hinterherzuhetzen. Als wollte ich seine Karriere ausleben, nachdem er es nicht mehr konnte.«

»Hatten sie recht?«

»Ich glaube, sie hatten zum Teil recht. Auf der anderen Seite denke ich, dass sie einfach nur nicht mit mir klarkamen. Die kleine Bella Lind, die es wagt, eine Weltraumkarriere zu verfolgen.« Sie stieß ein bescheidenes Lachen aus. »Okay, ich war also ausgebrannt, aber auch die Männer um mich herum waren dabei, auszubrennen. Ich habe nie gehört, dass die Psychiater ihnen gesagt hätten, sie würden die verlorenen Möglichkeiten von jemand anderem ausleben.«

»Es ist immer noch eine Männerwelt«, sagte Svetlana. »Immer wieder passiert etwas, das mich daran erinnert. Als wäre ich nur auf Probezeit. Wir lassen dich mal ein bisschen mit diesen teuren Sachen spielen, aber sobald du auch nur den winzigsten Fehler machst …«

»Ich weiß, dass du doppelt so viel arbeitest wie alle anderen in deinem Team.«

»Nicht weil die Arbeit so schwierig wäre«, sagte Svetlana, obwohl sie wusste, dass sie sich nicht rechtfertigen musste, »sondern nur, weil ich mir keinen einzigen Fehler erlauben darf.«

»Ich weiß. Ich weiß genau, wie es dir geht.«

Svetlana nippte am Whisky. Sie wollte so lange wie möglich etwas davon haben. »Manchmal lasse ich mich zu leicht in die Defensive drängen. Bevor diese Janus-Sache passierte, bin ich mit Parry aneinander geraten. Er hat mir vorgeworfen, dass die Reparaturarbeiten zu lange dauerten.«

»Wahrscheinlich nur, weil ich mit ihm aneinander geraten bin«, sagte Bella.

»Keiner von uns beiden ist unschuldig. Parry wusste nicht, dass ich bereits alles Menschenmögliche getan hatte, um die Arbeiten zu erledigen, und ich habe nicht verstanden, wie sehr er mit der Installation des Treibers unter Druck stand.«

»Hast du die Sache mit ihm bereinigt?«

»Du weißt, wie es mit Parry und mir läuft. Wir verstehen uns ziemlich gut. Solche Phasen dauern nicht lange.«

»Ihr seid ein gutes Paar«, sagte Bella. »An solchen Beziehungen muss man hier draußen viel arbeiten. An Bord eines Schiffes gibt es nur wenige Schmollwinkel, in die man sich zurückziehen könnte.«

»Ich glaube, wenn wir uns gegenseitig umbringen wollten, hätten wir es längst getan.«

»Das ist ein gutes Zeichen.«

»Parry möchte nach Hause fliegen. Er sagt, er hätte schon mehr als genug Sieverts geschluckt. Er redet davon, seine Versetzung zu beantragen.«

»Das habe ich auch gehört«, sagte Bella leise. »In letzter Zeit hat er Mike Takahashi als seinen möglichen Nachfolger aufgebaut. Gehe ich recht in der Annahme, dass du ihm folgen willst?«

»So sieht seine Planung aus. Zurück auf die Erde, heiraten, ein oder zwei Kinder kriegen. Parry sagt, er könnte sich einen Job in den Trainingszentren suchen. Wenn das nicht klappt, könnte er eine Tauchschule aufmachen, seine PADI-Zertifikate wieder hervorkramen.«

»Klingt in meinen Ohren ziemlich idyllisch.«

Svetlana seufzte. »Das Problem ist nur, dass ich hart gearbeitet habe, um diesen Job zu bekommen. Ich bin die Leiterin der Antriebsabteilung in einem verdammten nukleargetriebenen Raumschiff, Bella. Etwas Besseres werde ich nicht bekommen.«

»Außer wenn jemand dich wegen Reparaturarbeiten unter Druck setzt.« Sie lächelte, und Svetlana grinste zurück.

»Gut, darauf könnte ich verzichten. Aber alles andere gefällt mir ziemlich gut.«

Bella drückte die Zigarette aus und zündete sich eine neue an. Svetlana fragte sich, ob die Zigaretten mit dem gleichen Frachtshuttle kamen wie der Glenmorangie.

»Wie sieht also deine Planung aus? Rotieren oder bleiben?«

»Wir schieben die gründliche Diskussion immer wieder hinaus. Das heißt, Parry tut es.«

»Vielleicht ist das gar keine so schlechte Idee«, sagte Bella. »Wir werden eine gewisse Berühmtheit erlangen, wenn wir zurückkehren. Nicht alle von uns, aber bestimmt die Führungsgruppe. Sagen wir mal, dass jeder von uns einen ziemlich guten Agenten braucht. Es wird Buch- und Filmverträge geben. Talkshows. Vortragsreisen. Spiele. Es werden sich eine Menge neuer Möglichkeiten eröffnen.«

»Das sagt Parry mir auch ständig.«

»Es würde mir leid tun, ihn aus dem Team zu verlieren, aber wenn es so weit kommt, wird mein Verlust euer Gewinn sein.«

»Mir hätte etwas viel Schlimmeres als Parry passieren können.«

»Wenn du es schaffst, gibt mir das Hoffnung für die Zukunft der Menschheit.«

Svetlana schwieg eine Weile, bevor sie wieder sprach. »Auch du könntest es schaffen, wenn du wolltest.«

Bella lächelte gepresst. »Das glaube ich kaum.«

»Warum nicht? Du hast noch etliche Jahre vor dir.«

»Darüber will ich lieber nicht nachdenken.«

Svetlana ließ nicht locker. »Die Männer drehen sich immer noch nach dir um. Ich weiß, dass du seit Garrisons Tod Beziehungen hattest. Wir haben oft genug darüber geredet. Was wären wir ohne in vino veritas?«

Bella zuckte die Achseln. »Im Augenblick habe ich in meinem Leben neben dem Job keine Zeit übrig. Vor allem jetzt nicht.«

»Klar, aber was ist mit später, wenn das alles vorbei ist? Wie du selbst gesagt hast, wird sich sehr viel ändern.«

»Auch ich habe hart für diesen Job gearbeitet, genauso wie du, Svieta. Ich bin mir nicht sicher, ob ich all das einfach so aufgeben könnte.«

»Du hast dieses Schiff vier Jahre lang kommandiert, ohne dass es Schwierigkeiten gab. Wenn du jemals irgendetwas beweisen wolltest, glaube ich, dass du es überzeugend getan hast.«

»Zeit für etwas Neues, meinst du?«

»Wie Parry sagte, irgendwann hat man genug Sieverts geschluckt.«

Bella blickte auf ihre Fische, dunkle Schemen, die durch das Zwielicht des Aquariums patrouillierten. »Es wäre gut, eine Zeitlang wieder zu Hause zu sein, das steht fest.«

»Aber früher oder später wirst du wieder hier draußen arbeiten wollen.«

»Ich will all das sehen, was Garrison niemals gesehen hat. Bevor es zu spät ist.«

»Ich verstehe«, sagte Svetlana. Und sie wusste, dass die emotionalen Bindungen, die immer noch zwischen Bella und ihrem verstorbenen Mann vorhanden waren, die bislang ungelösten Herzensangelegenheiten viel zu komplex und zu brisant waren, um sich während eines Gesprächs entwirren zu lassen. Selbst zwischen den besten Freundinnen.

Bellas Tonfall wurde munterer. »Bevor ich es vergesse – ich wollte dir danken. Mit den technischen Daten hättest du mir das Leben wesentlich schwerer machen können. Stattdessen bist du von selbst gekommen und hast es mir klipp und klar gesagt. Das weiß ich sehr zu schätzen.«

»Ich denke, dass wir alle im gleichen Lastkahn sitzen.«

»Trotzdem bin ich dir dankbar.« Bella beugte sich zurück, um gegen die Wand ihres Büros zu klopfen, wobei ihre Hand die weiche Bildschirmfläche eindellte. »Und abgesehen von gelegentlichen Erschütterungen scheint sie die Sache ziemlich gut auszuhalten, nicht wahr?«

»Sie wird es aushalten«, sagte Svetlana. »Lockheed-Krunichev hat immer gute Qualität geliefert.«

 

Powell Cagan hatte eine Mediendatei an seine letzte Botschaft angehängt, das Bild des konkurrierenden Raumschiffs, aufgenommen während des Triebwerkstestlaufs durch Telekameras der Inspektionsbehörde für Technologische Replikation der VWE. Das neue Schiff hatte etwas unverkennbar Chinesisches. Spurenelemente in der blau-grünen Architektur erinnerten an Dynastien und Drachen.

»Inoffizielle Quellen behaupten, dass das Schiff den Namen Shenzhou Fünf trägt«, sagte Cagan. »Das bedeutet ›Heiliges Gefährt Nummer fünf‹, und dieser Name scheint für sie große historische Bedeutung zu haben.«

In unregelmäßigen Abständen brach grellweißes Licht aus der trompetenförmigen Düse des Fusionstriebwerks. Chemische Raketen, die über die ganze Hülle verteilt waren, glichen die Impulse des Hauptantriebs aus. Die Shenzhou Fünf war immer noch von Hilfsmodulen umgeben, und ein mottenähnliches Shuttle lag angedockt an der größten Habitateinheit. Es wirkte winzig neben dem gewaltigen neuen Raumschiff.

»Die ITR hat das Recht zur Inspektion eingeklagt«, sagte Cagan. »Die Behörde hat glaubhafte Beweise, dass die Chinesen einen Schmiedekessel an Bord genommen haben, damit sie die Ausrüstung kultivieren können, nachdem das Schiff den Erdorbit verlassen hat. Beijing mauert, was niemanden überrascht. Inga will weiter Druck machen, damit die Inspektoren an Bord gehen können, aber selbst wenn sie es nicht schafft, sieht es nicht danach aus, dass die Chinesen Tempo machen werden. Unsere Analytiker sagen, dass ihr Tokamak eine Fehlkonstruktion ist. Sie können sich glücklich schätzen, wenn sie es schaffen, damit den Erdorbit zu verlassen, ganz zu schweigen von einem Flug zu Janus. Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie das Glück auf ihrer Seite haben – und unsere politischen Druckmittel versagen –, solltest du darauf vorbereitet sein, dass sich die Situation erheblich komplizierter gestalten könnte als ursprünglich gedacht. Ich werde Inga drängen, dass dein Status offiziell befördert wird. Wenn wir die Rockhopper zur VWE-Expedition erklären lassen, gibt uns das wesentlich mehr Spielraum.«

»Wieso das?«, fragte Bella lautlos.

»Wir müssen noch einmal genau im Kleingedruckten nachlesen«, sagte Cagan, »aber wir verstehen die Sache so, dass der Status einer VWE-Expedition automatisch bedeutet, dass der Raum um die Rockhopper freigehalten werden muss. Wenn jemand die Exklusivität verletzt, seid ihr befugt, angemessene Mittel einzusetzen, um kommerzielle Interessen zu sichern. Natürlich ist die Rockhopper theoretisch kein bewaffnetes Raumschiff, aber …« Cagan machte eine kurze Pause. »Ich werde mich wieder bei dir melden, sobald ich etwas von Inga gehört habe.«

Er schaltete ab.

Bella saß verschreckt und benommen vor dem leeren Flextop. Sie hatte nicht darum gebeten, dass ihr Schiff als Instrument der VWE reklassifiziert wurde, und sie hatte auch nicht um Erlaubnis gefragt, ein anderes Schiff abschießen zu dürfen, wenn es die Interessen ihrer Firma verletzte.

Die Rockhopper war nun seit einer Woche unterwegs. Im ganzen Sonnensystem lief ein umfangreiches koordiniertes Beobachtungsprogramm, das dafür sorgte, dass jedes größere Teleskop auf den flüchtenden Mond gerichtet war. Sogar militärische Spionagesatelliten waren zwangsverpflichtet worden, nicht mehr kritische Grenzen und die Einhaltung von Waffenstillstandsabkommen zu überwachen, sondern in Richtung des Sternbildes Jungfrau in den Weltraum zu spähen. Kommerzielle Kommunikationsnetzwerke waren dazu umfunktioniert worden, die gewaltigen Datenmengen zusammenzuführen. Vom Erdorbit bis zu den kalten, dunklen Regionen des äußeren Systems summte der Weltraum vor intensiven, fieberhaften Beobachtungsaktivitäten. Jeden Tag entfernte sich Janus weiter, aber gleichzeitig nahm jeden Tag die Überwachungs- und Datenverarbeitungskapazität zu, und für kurze Zeit übertrafen die menschlichen Anstrengungen die wachsende Entfernung des Mondes.

Die Bilder waren schärfer geworden und offenbarten die urbane Komplexität der spicanischen Maschinen unter dem aufgebrochenen und nicht mehr vollständigen Eismantel. Was zu sehen war, war eindeutig außerirdischen Ursprungs, aber wenigstens verhielt es sich ruhig und erweckte für die Menschen den Eindruck, dass es einer gewissen Logik folgte. Die neuesten Bilder, die zur Rockhopper übermittelt wurden, waren sogar mit Beschriftungen versehen. Auffällige Teile der Maschinerie hatten vorläufige inoffizielle Bezeichnungen erhalten: Verteilerkasten, Kühlergrill, Große Nordspirale, Kleine Südspirale, Dorninsel, Magisches Königreich, Kurbelwellental. Keiner dieser Namen hatte eine tatsächliche Bedeutung, aber es war beruhigend, das unbekannte Territorium mit menschlichen Etiketten zu markieren.

Bella glaubte, mit dem unbekannten Territorium der Aliens fertig zu werden. Immerhin hatte sie sich dazu verpflichtet, als sie sich einverstanden erklärte, mit der Rockhopper zu Janus zu fliegen. Aber niemand hatte sie vorgewarnt, in ein brisantes Wettrennen mit Beijing verwickelt zu werden.

Theoretisch kein bewaffnetes Raumschiff, hatte Cagan gesagt, aber sie beide wussten ganz genau, wie es praktisch aussah.

Sie betrachtete das Aquarium und sinnierte über den Irrtum nach, dem jeder aufsaß, der dachte, sie hätte diesen Luxus nur ihren besonderen Privilegien zu verdanken. Die Sache verhielt sich völlig anders. Wie sie Svetlana erklärt hatte, gehörte das komplette Aquarium zum regulären Bestand des Schiffes, mit Ausnahme der Fische. Selbst das Glas war als Material für Ersatzfenster gelistet und wurde lediglich hier statt anderswo in der Rockhopper gelagert, vorübergehend zu einem wasserdichten Kasten verklebt. Wenn das Glas jemals im Zuge von Erneuerungsmaßnahmen gebraucht wurde, würde es zu einem harten Kampf kommen … aber laut Vertrag gehörte das Material der Firma.

Nein, für den Wassertank hatte sie nicht ein Gramm der ihr zugewiesenen Masse einbüßen müssen, aber sie hatte durchaus ein paar Hebel in Bewegung setzen müssen, um ihn genehmigt zu bekommen. Das Aquarium war ein Privileg. Genauso wie der große Raum mit dem Teppichboden. Sonst hatte niemand im gesamten Schiff einen Teppich. Niemand besaß anständige Schalldämpfung. Dies war vermutlich der Punkt, an dem sie für ihre Privilegien bezahlen musste. Sie hatte gewusst, dass es eines Tages so kommen musste.

Aber das bedeutete nicht, dass es ihr gefallen musste.

 

»Tut mir leid, dass ich eine Freundin belästigen muss«, sagte Bella, als Svetlana in ihr Büro kam, »vor allem, nachdem sie gerade ihre Schicht beendet hat. Aber ich brauche deine Hilfe.«

»Wozu sind Freundinnen sonst da?« Svetlana zog ihre Finger durchs Haar, das noch vom Duschen feucht war. Sie trug Jogginghosen und ein Taucher-T-Shirt mit einer Meerjungfrau und Schwärmen aus animierten Fischen. »Worum geht es diesmal? Will schon wieder jemand eine Scheibe von dir?«

Bella schüttelte mürrisch den Kopf. Sie hatte bereits mehrere Interviewanfragen an ihr Führungspersonal weitergegeben, einschließlich Svetlana, und sie hatten die Gelegenheit genossen. Das kluge Mädchen armenisch-amerikanischer Abstammung mit der Intelligenz eines Nuklearingenieurs und dem Körper einer ehemaligen Sporttaucherin, die sich zufällig in einen Weltraumbergmann verliebt und mehrere Tapferkeitsauszeichnungen für ihre Außeneinsätze erhalten hatte. Nicht einmal der zurückhaltende Parry erhielt seine fünfzehn Minuten, sondern wand sich wie etwas, das man unter einem Stein fand.

Zu gut, um wahr zu sein, sagten sie.

Bella nahm einen dicken Stapel Ausdrucke von ihrem Schreibtisch. »Ich fürchte, hier geht es um etwas ganz anderes. Es ist eine äußerst brisante Sache. Ich kann sie nur in sehr vertrauenswürdige Hände geben.«

»Plötzlich habe ich das Gefühl, dass es sich um eine verdammt große Belästigung handelt.«

»Viel schlimmer kann es kaum kommen.« Bella reichte Svetlana den Stapel. »Das hier sind Kopien von einhundert Zeichnungen, ausgewählt aus über sechsundfünfzigtausend Einsendungen von amerikanischen Grundschulkindern. Die künstlerische Palette reicht von Fingerfarbenschmierereien bis zu … so etwas wie passablen Ölgemälden.«

Svetlana zog das Gummiband ab und blätterte die obersten Kopien durch. »Aliens«, sagte sie mit matter Stimme. »Man hat den Kindern gesagt, sie sollen Aliens malen.«

»Es dient Erziehungszwecken«, sagte Bella.

»Es dient nur dazu, Leute zu erschrecken.« Svetlana hielt ein Bild hoch. Es zeigte so etwas wie das untere Ende einer blauen Klobürste, die mit wilden grünen Klecksen beschmiert war. »Sollten wir nicht alles tun, um Kinder vor Alpträumen zu bewahren, statt sie dazu zu ermutigen?«

»Das können nur die Schulbehörden entscheiden, nicht wir. Unsere Aufgabe ist es, die Ergebnisse zu benoten, mehr nicht.«

»Ach so! Dann lässt es sich doch in fünf Minuten erledigen. Wir ziehen einfach wahllos ein paar heraus …«

Bella verzog das Gesicht. »Ich fürchte, damit ist es nicht getan. Man möchte, dass wir die Bilder kommentieren, etwas Nettes und Konstruktives dazu sagen. Zu allen – auch zu den … ähem … künstlerisch weniger anspruchsvollen.«

»Zu allen?«

Bella nickte ernst. »Zu allen. Und zwar so detailliert, dass sich kein Kind beleidigt fühlt. Niemand soll denken, dass wir uns nicht mit ganzem Herzen für die Sache engagieren.«

»Verdammte Scheiße, Bella.«

»Und ich denke, wir sollten jegliche Art von Kraftausdrücken vermeiden.«

»Wir.«

»Oh, keine Sorge, ich habe meinen eigenen Stapel Schularbeiten zu benoten. In diesem Fall hast du das lange Streichholz gezogen. Ich werde mir die Nacht damit um die Ohren schlagen, Aufsätze über mich und meine Begegnung mit Außerirdischen zu lesen.«

Svetlana spannte das Gummiband wieder um die Blätter. »Kann es noch schlimmer kommen? Ich meine, es ist ja nicht so, dass wir nicht schon genug zu tun zu hätten.«

»Das ist noch gar nichts. Gestern hatte ich den Cosmic-Avenger-Fanclub am Hals. Sie wollten, dass ich erkläre, welche meiner Besatzungsmitglieder den fiktiven Figuren am ähnlichsten sind … und wie ich mit Situationen aus der Serie umgehen würde.«

»Ich hoffe, du hast ihnen gesagt, wohin sie sich ihre Fragen stecken können.«

Bella täuschte Entsetzen vor. »Aber nein! Ich habe die Aufgabe an Saul Regis delegiert. Er ist genau der Richtige für diesen Job.«

»Der Richtige für diesen Job.« Svetlana nickte zustimmend. »Ich vermute, das hat ihn sehr glücklich gemacht.«

»Wie ein Schwein in der Suhle.«

»Apropos, ich hoffe doch, du hast auch Craig Schrope eine nette und heikle Aufgabe zugeschoben. Er dürfte von uns allen der Einzige sein, der viel zu viel Freizeit übrig hat.«

Bella lehnte sich auf ihrem Sitz zurück, als sie die Gelegenheit spürte, etwas auszusprechen, das ihr schon seit langem am Herzen lag. »Du und Craig … ihr seid offenbar nicht immer einer Meinung, nicht wahr?«

»Das haben wir doch schon einmal durchgekaut.«

»Ich weiß – er ist ein Bürohengst, und du bist eine Frau, die anpackt. Aber wir brauchen die Bürohengste genauso wie die Handarbeiter. Craig ist ein verdammt fähiger Mitarbeiter unserer Firma. Auch wenn es dir schwer fällt, diese bittere Pille zu schlucken, aber er ist wirklich sehr gut in seinem Job.«

»Kann ich davon ausgehen, dass das hier kein offizielles Gespräch ist?«

»Absolut.«

»Er geht mir ständig gegen den Strich. Er schaut mich immer nur mit diesem arroganten Blick an, vor allem, wenn ich es wage, in seiner Gegenwart eine Meinung zu äußern. Als wäre ich nicht die Leiterin der Antriebsabteilung, sondern irgendeine Hilfskraft, die überhaupt nichts zu melden hat.«

»Craig sieht jeden mit diesem arroganten Blick an. Ich glaube, es ist genetisch bedingt.« Bella überlegte, wie viel sie offenbaren durfte. »Okay, ich werde dir ein Geheimnis anvertrauen. Er hat es hier draußen nicht leicht gehabt. DeepShaft hat aus offensichtlichen Gründen versucht, die Sache nicht bekannt werden zu lassen, aber bei seinem letzten Auftrag auf dem Mars …«

Svetlanas Miene zeigte mäßiges Interesse. »Erzähl weiter.«

»Die Zentrale schickte Craig zur Shalbatana-Bohrung. Es gab Meldung über Schlampereien, gefährliche Aktionen und fragwürdige Abrechnungen.« Bella zündete sich eine Zigarette an und ließ sich Zeit. Es machte ihr Spaß, Geschichten zu erzählen. »Craig deckte ein Schlangennest hochgradiger Korruption auf. An jeder Ecke stieß er auf Behinderungen und Feindseligkeiten, hauptsächlich von Handarbeitertypen wie dir und mir. Körperliche Gewalt, Morddrohungen und der ganze Kram – aber Craig hat den Laden aufgeräumt. Er hat das Shalbatana-Projekt völlig umgekrempelt. Nach sechs Monaten arbeiteten sie dort schneller als an jeder anderen Bohrstelle, und sie hatten plötzlich die besten Sicherheitsnoten von Big Red.«

»Ich habe gehört, dass er sich auf dem Mars viele Feinde gemacht hat.«

»So viele, dass die Zentrale nur eine Möglichkeit sah, ihn auf der Gehaltsliste zu halten – und sein Leben zu retten. Man versetzte ihn zu einem anderen Projekt. Deshalb ist er an Bord der Rockhopper. Nimm es Craig bitte nicht übel, dass er einen Groll gegen Arbeiter hat. Gute, ehrliche Arbeiter haben seinen Raumanzug sabotiert, haben versucht, ihn in einen Aufzugsschacht zu schubsen, damit gedroht, sich an seiner Familie zu rächen.«

Svetlana senkte den Blick. »Ich wusste nicht, dass er eine Familie hat.«

»Es gibt vieles, was wir nicht voneinander wissen«, sagte Bella. »Und natürlich schätzt auch er uns falsch ein. Unsere Mission wird genauso tadellos und effektiv durchgeführt wie jedes andere DeepShaft-Projekt. Aber du kannst es ihm nicht zum Vorwurf machen, dass er wegen seines letzten Auftrags zu Misstrauen neigt. Es wird noch eine Weile dauern, bis sich seine Ecken und Kanten abgeschliffen haben. Dann wird er sich einfügen, davon bin ich fest überzeugt.«

»Gut, ich werde versuchen, mich in Nachsicht zu üben«, sagte Svetlana. »Aber trotzdem möchte ich, dass auch er einen Teil der Schularbeiten übernimmt.«

»Keine Sorge, darum habe ich mich schon gekümmert. Er hat eine Liste von Fragen aus wissenschaftlichen Highschool-Klassen, die so lang wie mein Arm ist.«

Svetlana klopfte auf die Ausdrucke, die auf ihrem Schoß lagen. »Ich bin froh, dass wir auf diese Weise über alles reden können … ich meine, ganz offen, ohne Schranken.«

»Und ich bin froh, dass ich dich belästigen kann, wenn es sein muss.« Bella zog an der Zigarette. »Wie du selbst gesagt hast: Wozu sind Freundinnen sonst da?«

 

Am achten Tag rief Bella die Abteilungsleiter zu einer dringenden Besprechung zusammen. Sie ließ sie in ihrem Büro antreten und wartete mit ausdrucksloser Miene ab, während sie sich fragte, was sie vermuteten, wo das neue Problem lag, und sich insgeheim an ihrem Unbehagen weidete.

»Worum geht es?« Svetlana traute sich als Erste, das Schweigen zu brechen.

Bella stand auf und zog ihren Flextop von der Wand. In ihren Händen erwachte er zum Leben. Sie zeigte dem Publikum die Bildfläche.

»Das hier«, sagte sie.

»Gibt es ein Problem mit dem Schiffsnetz?«, fragte Nick Thale, der – genauso wie alle anderen – auf das Menü am oberen Bildrand blickte.

»Mit dem Schiffsnetz ist alles in Ordnung«, sagte Bella. »Es funktioniert völlig normal. Das Problem ist viel offensichtlicher. Es starrt euch geradezu ins Gesicht.«

Ihre Augen suchten, aber sie sahen immer noch nicht, worauf sie hinauswollte.

»Meinst du, dass die Menüstruktur entsprechend unserer neuen Mission umgestaltet werden müsste?«, fragte Regis.

»Das mag sein, aber deswegen sind wir nicht hier. Macht die Augen auf!«

»Der Flextop hat eine Regeneration nötig«, sagte Parry.

»Ja, völlig richtig, aber auch das ist nicht das Problem.« Bella seufzte. Sie sahen es einfach nicht. »Das Problem ist das Maskottchen. Das Problem ist der Pinguin.«

»Ich verstehe nicht …«, begann Svetlana. »Ach so! Du meinst doch nicht etwa …? Ach du Scheiße! Warum haben wir nicht früher daran gedacht?«

Parry sah Svetlana an. »Ich weiß immer noch nicht, worum es geht? Wo liegt das Problem?«

»Seht ihr es wirklich nicht?«, fragte Bella fassungslos. »Ist euch nicht klar, wie unser Maskottchen aussieht?«

»Ich würde sagen, es sieht wie ein Pinguin aus.«

»Und was tut dieser nette Pinguin gerade, Parry?«

»Er hat einen Bohrer in der Hand … einen Pressluftbohrer … ach so!«

»Schaut euch das Bild mit den Augen von Außerirdischen an«, sagte Bella. »Wie der Pinguin grinst. Meint ihr nicht, dass er vielleicht etwas böse wirkt? Er hat sogar Zähne. Wer hatte überhaupt die urkomische Idee, ihm Zähne zu verpassen? Und dann der Bohrer. Meint ihr nicht, es besteht möglicherweise die Gefahr, dass man ihn verwechseln könnte, zum Beispiel mit …«

»Einer Waffe«, keuchte Svetlana.

»Ach du große Scheiße!«, sagte Parry und lachte schallend.

»Sie könnten glauben, dass wir so aussehen«, sagte Bella. »Sie könnten auf die Idee kommen, wir wären dieser Pinguin.«

»Und dass wir bewaffnet sind«, sagte Svetlana.

»Mit Schwimmflossen?«, fragte Parry.

»Was ist mit den Schwimmflossen?«, gab Bella zurück.

»Meinst du nicht, sie würden sich wundern, wie wir es geschafft haben, mit Schwimmflossen ein Raumschiff zu bauen? Ich meine, das wäre schon eine ziemliche Leistung, nicht wahr?«

»Vielleicht vermuten sie, wir hätten uns genetisch verändert, nachdem wir eine ausreichend fortgeschrittene Technik entwickelt haben, die uns in allem unterstützt«, sagte Saul Regis. »Man käme wunderbar mit Schwimmflossen zurecht, wenn man Roboter hat, die sich um alles andere kümmern. In der zweiten Staffel von Cosmic Avenger …«

»Hier geht es nicht um die Schwimmflossen«, sagte Bella energisch. »Hier geht es darum, dass unsere Freunde von Spica sich vielleicht Sorgen machen, wenn sie unser Maskottchen sehen. Vielleicht sagen sie sich, dass es besser wäre, vorsorglich auf uns zu schießen.«

»Gut«, sagte Nick Thale, »dann nehmen wir den Pinguin aus dem Schiffnetz. Das kann doch nicht so schwierig sein, oder? Außerdem ist gar nicht gesagt, ob sie ohne weiteres Zugang bekommen.«

»Das Schiffsnetz ist gar nicht das größte Problem«, sagte Bella geduldig. »Das größte Problem ist der zwanzig Meter hohe Pinguin, der auf die Außenhülle dieses Schiffs gemalt ist. Das größte Problem ist, dass jemand nach draußen gehen und ihn überpinseln muss.«

»Bei Vollschub?«, fragte Svetlana ungläubig.

»Bei Vollschub«, sagte Bella. »Und wenn wir schon dabei sind, können diese Leute gleich einen Eimer mit blauer Farbe mitnehmen und den Pinguin mit einem großen ›VWE‹ übermalen. Seit heute haben wir nämlich den offiziellen Segen der Vereinten Wirtschaftseinheiten. Jeder an Bord dieses Schiffes wurde soeben vorübergehend in den Diplomatenstatus versetzt.« Sie lächelte die Anwesenden an. »Es wird Zeit, dass wir diese Aktion ernst nehmen, Leute.«

 

Parry befand sich im Vorbereitungsraum für Außeneinsätze und stand zwischen den Reihen hellroter Orlan-19-Hartanzüge. Er befestigte die Kamera an der Wand, dann trat er zurück in den Erfassungsbereich und rückte seine übliche rote Mütze zurecht. Man hatte ihn gebeten, eine Mütze mit DeepShaft-Logo aufzusetzen, aber schließlich konnte man nicht alles mitmachen.

»Damit wirst du Ärger kriegen«, warnte Svetlana ihn, die im Schneidersitz auf einer Lagerpalette hockte. »Sogar ich musste meine verdammte Uniform anziehen. Hab einen ganzen Tag gebraucht, bis ich sie wiedergefunden hatte, aber ich kam einfach nicht drum herum.«

»Sollen sie mich anschließend verklagen. Im Hintergrund wimmelt es vor DeepShaft-Logos. Ist ihnen das immer noch nicht genug?«

»Das bezweifle ich.«

Parry wärmte den Flextop auf und aktivierte die Nachrichtensprecherin. »Gut«, sprach er den Schirm an, »jetzt kannst du dein Ding durchziehen.«

»Hallo«, sagte die Puppe mit Heliumstimme. »Sie sehen CNN. Ich begrüße Parry Boyce, siebenunddreißig Jahre alt, Leiter der Außeneinsätze auf den Kometen an Bord der Rockhopper und glücklicher Lebensgefährte des heißen Pin-up-Girls Svetlana Barseghian. Wie geht es Ihnen, Parry?«

»Gut.«

»Das hört man gerne. Keine Nervosität, keine Befürchtungen?«

»Nein.«

»Das ist großartig.« Die Nachrichtenpuppe strahlte. »Parry, wenn Sie Janus erreichen, werden Sie die Verantwortung für sämtliche Aktivitäten übernehmen, bei denen Menschen in der Nähe von Janus arbeiten, richtig?«

»Richtig.«

»Könnten Sie uns etwas mehr dazu sagen, wie das geschehen wird? Ich meine, wie werden Sie praktisch dorthin kommen?«

»Per EVA.«

»EVA.« Die Puppe setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Und was haben sich die Menschen zu Hause darunter vorzustellen?«

»Extravehikuläre Aktivitäten.«

»Großartig! Und was genau ist damit verbunden?«

Parry zuckte die Achseln. »Aktivitäten außerhalb des Fahrzeugs.«

»Und das Fahrzeug ist?«

»Die Rockhopper.«

»Wunderbar! Und diese Aktivitäten … worin genau werden sie bestehen?«

»Aus Janus-Einsätzen.«

»Das heißt, Aktivitäten, die in der Nähe von Janus stattfinden, richtig?«

»So in etwa.«

»Ausgezeichnet! Und wenn Sie von Aktivitäten in der Nähe von Janus sprechen …« Die Sprecherin hielt inne, als Svetlana amüsiert gluckste. Parry drehte sich zu ihr um.

»Was ist?«

Sie wand sich vor Lachen auf der Lagerpalette. »Du bist einfach ein Naturtalent, Parry! Wie du dich öffnest … und so viel von dir preisgibst! Die Zuschauer werden dir zu Füßen liegen!«

Er griff nach der Kamera und riss sie vom Klecks Geckoflex ab. »Wenn ich noch mehr von diesen Shows abliefern muss, werde ich jemanden erwürgen. Und mit dir werde ich anfangen.«

Svetlana setzte eine Unschuldsmiene auf. »Mich? Was habe ich denn getan?«

»Das weißt du ganz genau. Die Leute interessieren sich nur für dich und nicht für mich.«

»Dagegen kann ich nichts machen.«

»Du könntest wenigstens versuchen, nicht ganz so … intelligent und hübsch zu sein.«

»Es freut mich, dass du es in dieser Reihenfolge sagst. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn meine körperlichen Attribute Vorrang gegenüber meinen intellektuellen Fähigkeiten hätten.« Svetlana machte einen Schmollmund und zog die Knie bis zum Kinn hoch. Sie trug hautenge Skihosen mit Zebramuster und eine tief ausgeschnittene türkisblaue Bluse, eine Kombination, die Parry immer wieder besonders verlockend fand. »Oder liegt es daran, dass dich meine körperlichen Attribute gar nicht so sehr beeindrucken?«

»Habe ich das gesagt?«

»Nicht direkt. Aber man könnte dich so verstehen, als wolltest du es andeuten.«

»Du siehst für mich immer noch verdammt hinreißend aus, Svetlana Barseghian.«

»Blödsinn. Das sagst du doch nur so dahin.«

»Nein.«

Sie sah ihn mit einem koketten Augenaufschlag an. »Dann beweis es mir.«

»Hier und jetzt? Ich glaube, hier wird in etwa zehn Minuten eine EVA-Truppe eintreffen.«

»Ach ja. Der gefürchtete Killerpinguin.« Sie kicherte. »Na gut, dann wollen wir sie nicht von ihrer lebenswichtigen Mission ablenken.«

»Nein, das wäre fatal.« Er grinste anzüglich.

»Womit nur noch eine Frage offen wäre: in meinem oder in deinem Quartier?«

»In deinem«, sagte er nach kurzer Überlegung. »Die fünfzig Kubikzentimeter, die du mehr hast, sind mir sehr wichtig.«

 

An Bord eines Raumschiff gab es nie viel Privatsphäre, aber Svetlana und Parry nutzten, was ihnen zur Verfügung stand. Ihr Quartier war kaum mehr als ein horizontaler Schacht, der vermutlich nach dem Vorbild der asketischsten und klaustrophobischsten Sarghotels von Tokio gestaltet war. Es gab einhundertfünfzig ähnliche Kammern, die in drei Ebenen ringförmig um den unteren Teil des Wohnbereichs angeordnet waren. Jede bot gerade genug Platz zum Schlafen, um ein paar persönliche Gegenstände zu verstauen und gelegentlich ein paar kostbare Momente der Abgeschiedenheit zu erhaschen. Svetlana musste über eine Leiter steigen, um ihre Kammer zu erreichen, und sich dann seitlich in die Öffnung schieben, bevor sie die lange Plastiktür zuziehen konnte. Für eine Person war es eng, und zu zweit lief es auf eine Art dreidimensionales Puzzle hinaus. Doch Svetlana und Parry kamen irgendwie damit zurecht, und mit einigem Einfallsreichtum hatten sie sich eine kleine Palette von Stellungen angeeignet, bei denen sie sich nicht allzu viele blaue Flecken zuzogen.

Sex war die einzige Aktivität, bei der Svetlana froh über den konstanten Hintergrundlärm des Schiffes war. Allerdings konnte sie ihre Aufmerksamkeit nie ganz von den Rhythmen und Kadenzen dieser mechanischen Musik abkoppeln. Parry bemerkte und duldete ihre leichte Abwesenheit, während er sie daran erinnerte, dass es nicht immer so sein musste. Damit meinte er ihre Rückkehr nach Hause, zum strahlend sonnigen Traum von der Tauchschule.

Parry war mit Leib und Seele Taucher. Er war im Weltraum, weil es hier Arbeit gab. Er tat die Unterschiede zwischen Wasser und Vakuum mit einem Achselzucken ab, als wären es lediglich zwei leicht variierende Zustände derselben lebensfeindlichen Umgebung, aber Svetlana wusste genau, wofür sein Herz schlug. Auch sie dachte manchmal sehnsüchtig an ihre Tage als Taucherin zurück, doch anders als bei Parry verzehrte es sie nicht wie eine Krankheit. Das Tauchen steckte ihm einfach tief in den Knochen. In seiner Welt gab es zwei verschiedene Typen von Menschen: Tauchkumpel und die anderen. Leute, denen man vertrauen konnte, und solche, die man am Ufer zurückließ. Jeder Außeneinsatz war ein Gang ins Wasser. Er sprach von Braille-Tauchgängen und Pannenstrudeln, als wären sie auf hoher See.

Sie liebte ihn, aber sie liebte auch den Weltraum. Nun machte sie sich Sorgen, dass der Weltraum zu einem Problem für sie werden könnte.

Er lag neben ihr, befriedigt, ruhig und nur halb wach. Nachdem sie sich geliebt hatten, war auch Svetlana eingeschlafen, aber jetzt war sie wieder hellwach und nervös, während sie versuchte, nicht an ihre Zukunft zu denken. Sie hatte ihren Flextop an die Wand gepappt und navigierte im Schiffsnetz zu den Nachrichtenkanälen, in der Hoffnung, ihre Sorgen zerstreuen zu können. CNN wiederholte ständig das Interview mit Bella.

Parry schaute ihr über die Schulter.

»Ich könnte mir keine bessere Besatzung wünschen«, sagte Bella gerade. »Und wir werden heil und gesund zurückkommen. Darauf gebe ich mein Wort.« Dann morphte das Bild, und Bella sagte: »Wir schieben Eis. Deswegen sind wir hier.«

»Das muss man der Kleinen lassen«, sagte Parry, dessen unrasiertes Kinn an ihrem Nacken kratzte, »es klingt, als würde sie es wirklich so meinen.«

»Sie meint es wirklich so.«

»Und man wird es ihr abkaufen. Ihr Bild ist überall zu sehen. Man könnte glauben, sie selbst hätte dieses Schiff nur mit einem Schraubenzieher bewaffnet zusammengebaut.«

»Sie hat etwas Anerkennung verdient«, sagte Svetlana und bereute im nächsten Moment ihren Tonfall der Rechtfertigung.

»Sie bekommt schon von mir alle Anerkennung, die sie braucht, Baby.«

»Ich weiß.« Auch das stimmte. Manche Männer hatten Probleme mit einer weiblichen Führungsperson, aber Parry gehörte nicht dazu. »Es ist nur so, dass ich weiß, dass manche Leute ihr diese Sache übel nehmen werden, und diesen Gedanken kann ich nicht ertragen. Sie haben nicht den leisesten Schimmer, was sie durchgemacht hat, um es bis hierher zu schaffen.«

Anschließend zeigte CNN Bilder aus Bellas Leben, zusammengestellt aus Videos, die zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Karriere aufgenommen worden waren. Nun war auf dem Flextop eine junge Bella zu sehen, die in einem uralten, verstaubten Orlan irgendwo auf dem Mond herumstapfte. Immer wieder wurde die Story unterbrochen und der Clip eingeblendet, in dem Bella sagte: »Wir schieben Eis. Deswegen sind wir hier.«

Allmählich bohrten sich die Worte in Svetlanas Schädel.

»Ich glaube, sie fangen an, es zu kapieren«, sagte Parry. »Gut für Bella. Es wird höchste Zeit, dass sie etwas Publicity bekommt.«

»Vielleicht wird sich dadurch einiges für sie ändern.«

»Dinge, die sich ändern sollten?«

Svetlana schaltete den Flextop aus. »Wir haben neulich wieder eins unserer ausführlichen Gespräche geführt.«

»Du musst mir nicht davon erzählen, wenn du es nicht möchtest.«

»Schon gut. Schließlich erwartet Bella nicht, dass es zwischen dir und mir Geheimnisse gibt. Wir reden auch des Öfteren über dich.«

»Nur gute Dinge, hoffe ich.«

»Über dich kann man nur gute Dinge sagen, Parry Boyce. Wir singen pausenlos Loblieder auf dich. Davon müssten dir schon die Ohren wehtun.«

»Das tun sie auch, aber das sind nur die rieselnden Millisieverts.«

»Ha.« Sie konnte es nicht leiden, wenn er darüber Witze machte. »Auf jeden Fall haben wir über das Leben und so gesprochen und sind auf Garrison gekommen.«

»Nicht zum ersten Mal.«

»Aber zum ersten Mal schien sie wirklich offen über ihn reden zu können. Obwohl sie selbst da ziemlich schnell wieder zugemacht hat, als das Gespräch ernst wurde. Es ist, als möchte sie ein bisschen darüber reden, aber nicht zu viel.«

»Also ist es für sie immer noch eine schmerzhafte Angelegenheit.«

»Es ist einundzwanzig Jahre her, Parry. Irgendwann muss man über so etwas hinwegkommen.«

»Vielleicht sollten wir uns kein Urteil erlauben. Keiner von uns hat jemals so wie sie einen Partner verloren.«

»Gut, aber ich habe Leute kennengelernt, die geliebte Menschen verloren haben und schließlich irgendwie damit fertig geworden sind.«

»Menschen sind unterschiedlich.«

»Ich weiß, aber für Bella ist es so, als könnte sie sich nicht weiterbewegen. Sie hat praktisch eingestanden, dass sie ihre Karriere nur für Garrison verfolgt.« Svetlana drehte sich auf dem Bett herum, damit sie Parry ansehen konnte. »Ich überlege ständig, ob es etwas damit zu tun hat, wie er starb.«

»So plötzlich, meinst du?«

»Es ist nicht das Gleiche, als wenn man erlebt, wie jemand an einer Krankheit stirbt. Sie hatten keine Gelegenheit, sich voneinander zu verabschieden. Sie waren nicht einmal zusammen, bevor er zu diesem Flug aufbrach. Bella war damals auf der Erde und wartete darauf, dass Garrison bei der nächsten Rotation nach Hause kommt. Selbst wenn sie vor seinem Abflug ein Gespräch geführt hatten, kann es nur über das Erde-Mars-Netz gewesen sein. Mit großer Zeitverzögerung, was der Intimität nicht gerade förderlich ist. Und keiner von beiden konnte ahnen, was geschehen würde.«

»So viel, was nicht mehr gesagt werden konnte, meinst du.«

»Ich muss ständig an unseren Krach von neulich denken, Parry. Als du mich wegen der Reparaturen angemacht hast und ich dir deswegen den Kopf abgerissen habe.«

Er streichelte mit einem Finger ihre Brust. »Ich dachte, wir hätten die Sache mit einem Kuss erledigt.«

»Klar – aber was wäre, wenn wir nicht mehr die Gelegenheit dazu erhalten hätten? Nach dem Streit hatten wir beide einen Außeneinsatz. Du warst auf dem Kometen, und ich bin ausgestiegen, weil ich mich um die Roboter kümmern müsste. Jedem von uns hätte etwas zustoßen können.«

»Aber es ist nichts passiert.«

»Aber was ist, wenn es passiert wäre? Wir verdienen nicht so viel Geld, weil die Firma uns lieb hat. Wir werden gut bezahlt, weil es hier draußen so gefährlich ist. Ich verspreche dir, ich werde nach einem Streit nie wieder in eine Luftschleuse steigen. Unter gar keinen Umständen. Erst wenn wir uns vertragen haben, gehe ich wieder nach draußen.«

Er sah sie erstaunt an. »Dieses Gespräch ist dir ganz schön an die Nieren gegangen, was?«

»Ich will dich nicht verlieren. Ich will nicht, dass du mich verlierst. Ich will nicht, dass irgendeiner von uns das durchmacht, woran Bella in den letzten einundzwanzig Jahren zu knabbern hatte.«

»Vielleicht wird Janus doch vieles ändern. Lass sie weitermachen. Es wird für uns alle ein Meilenstein sein.«

»Das sagt auch Bella«, erwiderte Svetlana und erinnerte sich daran, wie sie über Parrys Wunsch, nach Hause zurückzukehren, gesprochen hatten. Warte Janus ab, dann überleg es dir noch einmal.

Warte Janus ab.

»Ich liebe dich, Svieta«, sagte Parry und zog sie in einer festeren Umarmung an sich, »aber es wäre mir lieber, wenn du aufhören würdest, dir solche Sorgen zu machen.«

 

Flextops klebten an der Wand, behelfsmäßig zu einer kleinen Mauer angeordnet, und zeigten ein Objekt, das nicht natürlichen Ursprungs sein konnte. Eine verschwommene Darstellung an der Grenze der Auflösung des massiven interferometrischen Teleskops, aber eindeutig etwas, das künstlich hergestellt war. Es bildete eine Röhre mit kreisrundem Querschnitt, zehnmal so lang wie breit, aus einer Art Gitternetz zusammengesetzt. Es ähnelte dem länglichen Skelett eines winzigen Meereslebewesens.

»Wir wissen noch nicht, was es ist«, sagte Bella zur kleinen Gruppe, die sich in der Sporthalle versammelt hatte. »Wir wissen nur, dass wir es schon vor Jahren entdeckt hätten, wenn jemand der Ansicht gewesen wäre, Spica wäre einer genaueren Beobachtung würdig. Was wir gedacht hätten, wenn es uns früher aufgefallen wäre, ist eine ganz andere Frage.«

Das dargestellte Bild war erst vor dreißig Minuten über die direkte Verbindung zum Schiff eingetroffen. Man hatte es noch nicht an die Medienkonzerne weitergegeben, also war es noch nicht in den allgemein zugänglichen Kanälen des Schiffsnetzes aufgetaucht. Bella hatte nicht darauf gedrängt, dass alle zu diesem Treffen erschienen. Es hatte zwar mit Janus zu tun, aber es besaß keine unmittelbare Bedeutung für diese Mission. Deshalb hatte sie die ohnehin überarbeitete Besatzung nicht zusätzlich belasten wollen. Dennoch hatten die meisten Mitglieder von Sauls Arbeitsgruppe die Einladung angenommen, genauso wie eine Handvoll Neugieriger aus anderen Abteilungen.

»Du meinst, dieses Ding war schon die ganze Zeit da?«, fragte Parry. »Es hat nur darauf gewartet, dass wir es sehen?«

Bella lächelte. »Ganz so einfach ist es nicht. Es war eine gewaltige koordinierte Anstrengung erforderlich, um dieses Bild zu gewinnen. Zu solch einer Beobachtung kommt es nur etwa einmal pro Jahr, wenn eine Konstellation extrasolarer Planeten besonders günstig ist und jemand glaubt, es bestünde die Chance, eine Eiskappe oder einen Kontinent abbilden zu können. Wenn vor einem Monat jemand vorgeschlagen hätte, Spica ins Visier zu nehmen, wäre er unter lautem Gelächter verjagt worden.«

»Wie … wie groß ist es?«, fragte Regis zögernd, als hätte diese Frage etwas Ketzerisches und könnte nur im engsten Kreis von Vertrauten geäußert werden.

»Groß«, sagte Bella. »Richtig groß. Das Gebilde scheint in der Nähe des Lagrange-Punktes zwischen den zwei Sternen zu schweben, wo sich ihr Schwerkrafteinfluss gegenseitig aufhebt. Wenn das der Fall ist, muss das Objekt wirklich gigantisch sein – siebzehn oder achtzehn Lichtsekunden breit und fast drei Lichtminuten lang. Wenn man die Erde vor ein Ende der Röhre platziert, würde das andere Ende bis zur Umlaufbahn der Venus reichen.«

»Das ist wirklich groß«, sagte Regis.

»Euch dürfte auffallen, das die Längsachse der Röhre nicht auf den Vektor der Gravitationszentren beider Sterne ausgerichtet ist. Selbst wenn es so wäre, würden unvorstellbare Gezeitenkräfte an der Röhre zerren, und in dieser geneigten Anordnung würden die zwei Sterne versuchen, sie wie einen trockenen Zweig zu zerbrechen. Trotzdem gibt es keinen Hinweis auf die Wirkung solcher Kräfte. Soweit wir mit unseren Beobachtungsmöglichkeiten feststellen können, scheint das Objekt nicht von den Schwerkraftgradienten beeinflusst zu werden. Das Ding ist absolut stabil. Es kann einfach nicht aus Material bestehen, das den üblichen interatomaren Wechselwirkungen unterliegt.«

Svetlana hob die Hand. »Eine weitere Frage, die wahrscheinlich ziemlich blöd klingt: Was ist es?«

»Wir wissen es nicht. Wir werden es wahrscheinlich niemals erfahren, es sei denn, Janus gibt uns irgendeinen Hinweis. Aber wir können spekulieren. Spica ist das Ziel von Janus. Dort muss seine Heimat sein. Dort müssen sie leben.«

Svetlana sah sie mit verächtlichem Gesichtsausdruck an. »In diesem Ding? In einem offenen Gerüst?«

»Mach dir die Dimensionen klar«, sagte Bella. »Wenn wir die Größe des Objekts richtig eingeschätzt haben, hat jede der Rippen eine Dicke von etwa einer halben Lichtsekunde. Jetzt stell dir vor, dass diese Rippen Hohlzylinder sind, dessen Innenseiten als Lebensraum genutzt werden. Nur eine einzige solche Rippe hätte demnach eine innere Oberfläche, die fünfzigtausendmal so groß wie die der Erde wäre. Und davon gibt es insgesamt zwanzig. Das ist ein Lebensraum, der einer Million Erden entspricht – die Querstreben noch gar nicht mitgerechnet. Ansonsten könnte man diese Zahl noch einmal verdoppeln.« Bella sah Svetlana lächelnd an. »Ist das genug Platz für dich, oder brauchst du noch mehr?«

Bella hatte gehofft, dass gelacht wurde, aber das unvorstellbare spicanische Gebilde hatte sie auf einer sehr tiefen Ebene berührt. Janus war eindeutig das Produkt einer Zivilisation, deren Fähigkeiten weit über die der Menschen hinausgingen. Die technologische Kluft musste Jahrhunderte, vielleicht sogar Jahrtausende weit sein. Aber die Konstruktion im Spica-System sprengte den Rahmen der ersten Abschätzungen. Es war das Resultat einer Weiterentwicklung, die sich nicht mehr in behäbigen historischen Zeiteinheiten messen ließ.

Diese Kluft hatte bereits geologische Ausmaße und verlangte, dass sie in geologischen Dimensionen dachten. Hier ging es um Unterschiede, die Jahrmillionen umfassten.

Mindestens.