Vierzehn


 

 

Ein Meer aus schwarzem Eis zog unter dem Beiboot vorbei, als sie zurückflogen. Parry war wieder eingenickt. Sein Kopf lehnte schaukelnd am Fenster. Svetlana folgte seinem Beispiel und verordnete sich einen Kurzschlaf von zehn traumlosen Minuten. Als sie wieder zu sich kam, befand sich das Beiboot bereits im Anflug auf Crabtree. Ungless sparte erneut rücksichtslos Treibstoff. Svetlana dachte an die leichtfertigen Versprechungen, die sie Ramos gemacht hatte. Ganz so einfach würde es auf keinen Fall werden.

Lektion eins auf Janus: Nichts war einfach.

Das Beiboot ging in einer Kurve rund um den Zentralturm tiefer, der einmal die Rockhopper gewesen war. Neunhundert Meter des Raumschiffs ragten über die Grube hinaus, die Parry und seine Leute ins Janus-Eis gestanzt hatten. Das Schiff steckte mit dem Heck im Boden, das Triebwerk, der Reaktorkomplex und die Treibstofftanks waren nun vollständig eingegraben. Genauso, wie sie einen Massentreiber in einen Kometen rammten, hatte Denise Nadis gesagt. Jetzt waren nur noch das Rückgrat und die kopflastige Ausbeulung des Habitats sichtbar. Das Ganze war mit vier Leinen gesichert, die zu Haken führten, die außerhalb der Oberflächensiedlung mit Sprühstein im Eis verankert waren.

Das Schiff würde nie mehr fliegen. Die Leute betrachteten es gar nicht mehr als Schiff. Die Rockhopper war der Zentralturm von Crabtree, sie diente als Verwaltungszentrum und Kraftwerk. Sie war ein Ersatzteillager, das ausgeschlachtet und für die Zwecke der Gemeinschaft umgestaltet werden konnte.

Von den einhunderteinundvierzig Menschen auf Janus hatten sich die meisten entschieden, außerhalb der Rockhopper zu wohnen. Dreißig Kuppeln umgaben die Basis des Schiffes und waren durch unterirdische Tunnel und Korridore auf der Oberfläche miteinander verbunden. An den Wänden der Kuppeln hatte man Eis aufgeschäumt, um sie zusätzlich zu isolieren, wodurch sie wie halb zerschmolzene Iglus aussahen. Die meisten Unterkünfte waren gerade groß genug für eine Gruppe in Familiengröße, maximal drei oder vier Personen.

Die Kuppeln unmittelbar neben dem Schiff waren zuerst errichtet worden. Parrys Außeneinsatzteam hatte sie schon bei Arbeiten auf Kometen benutzt. Die weiter draußen stehenden Bauten waren aus dem improvisiert worden, was zur Verfügung stand – zusammengebundene Metallteile aus der Rockhopper und Planen aus Sonnenschutzfolie, die für die luftdichte Isolierung sorgten. Mit Sprühstein konnte einfacher gebaut werden, aber genauso wie alles andere musste er jetzt sparsam verwendet werden. Zwischen den Kuppeln kauerten Ausrüstungsmodule, Generatoren und Lagerschuppen. Vereinzelte blassgelb erleuchtete Fenster waren die sichtbaren Anzeichen für die Anwesenheit von Menschen. Jeden Tag wurde mehrere Stunden lang die Beleuchtung abgestellt. Svetlana hätte die Dauer der Verdunkelung gerne erweitert, aber sie wollte keine Panik verbreiten.

Das Beiboot setzte außerhalb von Crabtree mit einem Ruck auf. Sie verließen das kleine Schiff und bestiegen einen Traktor mit Drahtreifen, der am Rand des Landeplatzes bereitstand. Ungless übernahm die Steuerung des Fahrzeugs und fuhr über eine holprige Straße, die zwischen den Zelten und ihren gewundenen Verbindungen hindurchführte. Crabtree war im Grunde nur ein Dorf, aber zeitweise machte die Siedlung den Eindruck, als wäre sie bereit, deutlich größer zu werden. Wenn die Sterberate sank und weiterhin Kinder geboren wurden, dann konnte in zehn Jahren, wenn sie Spica erreichen würden … aber Svetlana wollte nicht genauer darüber nachdenken.

Sie machte sich keine Hoffnungen, dass sie Janus dazu bringen konnten, langsamer zu werden, ganz zu schweigen von einer Umkehr, aber wenn sich ihre derzeitige Lebenssituation nicht besserte, konnten sie auch nicht darauf bauen, dass sie noch am Leben waren, wenn sie am Ziel der Reise eintrafen.

Sie musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass es nicht Oktober 2059 war. Es war … irgendein anderes Datum, über das sie nicht genauer nachdenken wollte. 2059 war nur eine Lüge, die sie sich erzählten, um nicht den Verstand zu verlieren, um sich vorzugaukeln, dass sie nicht schon viel zu weit stromaufwärts gereist waren, um noch nach Hause zurückkehren zu können.

Es war der einzige Rat gewesen, den Svetlana von ihr angenommen hatte, bevor sie ins Exil gegangen war. Ehrt den alten Kalender. Lasst einen Tag als einen Tag zählen, auch wenn die zunehmende Geschwindigkeit die Erdzeit so extrem stauchte, dass sie blutete.

Zwei Monate, nachdem die Rockhopper ins Kielwasser von Janus geraten war, hatte der Mond eine Geschwindigkeit erreicht, die um ein Zehntelprozent geringer war als die des Lichts. Zu diesem Zeitpunkt hatte Janus aufgehört, weiter zu beschleunigen, aber sie reisten immer noch grauenhaft schnell. Die Relativität ließ die Uhren auf Janus nun zweiundzwanzigmal langsamer laufen als auf der Erde. Und nicht nur die Uhren, sondern jeden messbaren physikalischen und biologischen Vorgang. Einschließlich der Zeit selbst.

In der Stunde, seit sie sich von Ramos verabschiedet hatte, war auf der Erde fast ein ganzer Tag vergangen.

Janus hielt dieses Tempo seit zweiundzwanzig Monaten, gemessen nach dem Zeitablauf an Bord der Rockhopper.Auf der Erde waren vierzig Jahre vergangen. Dort schrieb man die letzten Jahre des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Falls sie durch ein unwahrscheinliches Wunder plötzlich umkehren sollten, wären achtzig Jahre verstrichen, wenn sie zu Hause eintrafen.

Dann wäre es ungefähr 2137.

Das wollte niemand wahrhaben. Mit den Antennen, die weiter auf die Heimat gerichtet waren, empfing Crabtree immer noch Radiosignale, die von der Erde stammten. Die Botschaften waren in den extremen Langwellenbereich verschoben, aber die Informationen konnten trotzdem ausgelesen werden. Nach diesen Botschaften war es immer noch 2059. Sie hörten Nachrichten von Verwandten, Liebhabern, Freunden – aber mit jeder verstreichenden Woche wurden es weniger.

Die Welt, die sie zurückgelassen hatten, drehte sich weiter, und die Schlagzeilen wurden immer noch von altbekannten Neuigkeiten beherrscht. Die gleichen Prominenten, die gleichen Skandale und Tragödien. Eine Zeitlang war sogar der Verlust der Rockhopper und ihrer Besatzung das Objekt der globalen Aufmerksamkeit gewesen, bis jemand das Thema still und heimlich in den Hintergrund drängte und es auf den letzten Seiten der Zeitungen verblasste. Die Botschaften waren zu gleichen Teilen gefährlich und tröstlich. Sie erzählten eine Lüge, aber nur, weil sie an die gleiche universale Geschwindigkeitsbegrenzung gebunden waren wie Janus. Nachrichten aus dem Jahr 2097 – und erst recht 2137 – würden Janus erst dann einholen, wenn sie Spica erreicht hatten. Sie würden nie die weitere Geschichte der Welt erfahren, die sie hinter sich gelassen hatten.

Das würde erst geschehen, wenn sie zurückflogen – worauf sie kopfüber in einen Schneesturm aus Informationen stürzen würden. Sie würden die Jahre im Schnelldurchlauf nachholen, achtzig Jahre Geschichte, auf die zwei Jahre zusammengestaucht, die ihr Rückflug dauern würde, wenn sie es schaffen sollten, jetzt umzukehren. Und wenn sie erst nach dem Ende der Reise von Spica aus den Heimflug antraten, würden sie fünfhundertzwanzig Jahre Geschichte nachholen.

Das konnte niemand geistig verarbeiten, also benutzten sie weiter den alten Kalender und taten so, als hätte jeder Tag, der auf Janus verging, die gleiche Länge wie auf der Erde. Das gab ihrem Leben eine gewisse Struktur. Sie feierten Geburtstage und begingen Feiertage. Sie sprachen immer noch von Sommer und Winter und versuchten die irdischen Jahreszeiten in den Rhythmus einzubeziehen, mit dem die Stromversorgung von Crabtree rauf- und runtergefahren wurde. Svetlana hatte sich alle Mühe gegeben, den letzten Sommer etwas freundlicher und erträglicher zu gestalten als den Winter, der ihm vorausgegangen war.

Doch nun war es wieder Winter, und der Vorrat in den Treibstofftanks ging bedenklich zur Neige.

Über der Siedlung, genau im Zenit über dem Zentralturm von Crabtree, stand ein zusammengedrängter Haufen blutroter Sterne. Sonst waren nirgendwo Sterne in der sichtbaren Hemisphäre des Himmels zu sehen, da sie allesamt durch die eiserne Hand der Relativität von ihren fixen Positionen verrückt worden waren. Die meisten Sterne leuchteten ohnehin rötlich, also machte der Dopplereffekt sie nur noch roter. Auf der Bugseite von Janus gab es einen weiteren, helleren Haufen, wo das Sternenlicht kräftig ins Blau verschoben war. Der Anblick war von buchstäblich tödlicher Schönheit. Die Dosimeter schlugen durch, während die in den kurzwelligen Bereich verschobene kosmische Strahlung durch Haut- und Körperzellen prasselte.

Der elektrische Traktor rumpelte eine von Eiswänden eingefasste Rampe hinunter zu einer der Garagen, die man rund um die Basis des Schiffs ausgeschachtet hatte. Sie stiegen aus, gingen durch eine weitere Luftschleuse und erhielten Unterstützung durch einen strahlend lächelnden Kunj Ramasesha, als sie sich aus ihren Anzügen zwängten. Genauso wie Ramos hatte sich auch Ramasesha ohne besondere Schwierigkeiten an das Leben auf Janus angepasst. Die Anzugtechniker – neben Ramasesha waren es Ash Murray und Reka Bettendorf – hatten eine überlebenswichtige Aufgabe in der neuen Kolonie, und sie genossen ihre Bedeutung für die Gemeinschaft. Ihr Fachwissen hüteten sie eifersüchtig wie eine mittelalterliche Gilde.

Svetlana und Parry verabschiedeten sich von Ungless und fuhren mit einem Wagen zum Habitat hinauf. Obwohl die Maschinen von Janus ständig Licht abgaben, drang es nicht bis Crabtree vor. Das Eis um die kleine Siedlung war dunkel wie der Weltraum, und nur ein mitternächtlicher Schimmer kam von dem roten Sternhaufen am Himmel. Ein paar Transponder blinkten in der Dunkelheit wie die Lichter ferner Leuchttürme. Während der Wagen höher stieg, wirkte Crabtree wie das einzige menschliche Artefakt im ganzen Universum.

Svetlana hatte den Moment ihrer Rückkehr genau abgestimmt. Sie kam nur eine Minute zu spät zur Konferenz mit den anderen Mitgliedern der Interimsverwaltung. Sie hatten sich im ehemaligen Büro und Privatquartier des Captains versammelt. Der überfüllte Raum war jetzt doppelt so groß wie früher, nachdem man überall in der Rockhopper Trennwände herausgerissen hatte, weil das Material anderweitig benötigt wurde. Der alte Teppich deckte nicht mehr den gesamten Boden ab, bildete aber weiterhin den Brennpunkt des Zimmers. Selbst das Aquarium war noch da, in dem sogar noch ein paar Fische schwammen. Einige Teile des alten Schiffs wurden regelmäßig in Rotation versetzt, um Zentrifugalschwerkraft zu erzeugen – Axford hatte darauf bestanden, da der Kalziumabbau in den Knochen unter den nahezu schwerelosen Verhältnissen auf Janus zu einem ernsten Problem wurde –, aber dieser Raum gehörte nicht dazu. Die Fische schien es nicht allzu sehr zu stören.

Anwesend waren Ryan Axford, Saul Regis, Nick Thale, Denise Nadis, Jake Gomberg und Christine Ofria. Genauso wie Axford waren auch Regis und Thale Anhänger des alten Regimes gewesen, aber ihre Fachkenntnisse waren zu wertvoll, als dass man einfach darauf hätte verzichten können. Manchmal kam es zu Spannungen zwischen den dreien und der übrigen Interimsverwaltung, aber sie waren gewöhnlich pragmatisch genug eingestellt, um solche Meinungsverschiedenheiten zum Wohl von Crabtree beiseite zu schieben.

Svetlana und Parry nahmen ihre Plätze am Tisch ein. Sie bewegten sich mit dem mühelosen Gleiten, wie es typisch für die Fortbewegung auf Janus war. Svetlana legte die Hände auf den Tisch, verschränkte sie und nickte den übrigen Anwesenden knapp zu.

»Ich bin gerade aus dem Schlund zurückgekehrt«, begann sie, »und endlich sieht es danach aus, dass wir etwas entdeckt haben, das sich als gute Neuigkeit für uns erweisen könnte. Um sie in den angemessenen Kontext zu stellen, muss ich noch einmal betonen, wie beschissen unsere Lage in Wirklichkeit ist. Parry, würdest du mir die Ehre erweisen?«

Parry nahm seine Mütze ab und strich sich mit dem Finger über den Schnurrbart. »Ich werde gar nicht erst versuchen, der Sache einen positiven Anschein zu geben, und ich glaube, dass es für niemanden eine Überraschung darstellt, dass der Treibstoff unser Hauptproblem ist. Bevor wir auf Janus gelandet sind, haben wir hohe Erwartungen in die Möglichkeit gesetzt, die Energie des Mondes anzuzapfen und für unsere Zwecke zu verwenden. Das war eine nette Idee, die sich in der Praxis jedoch als extrem schwierig herausstellte. Die spicanischen Maschinen sind teuflisch effizient, sie geben kaum Streuenergie ab, die wir ausnutzen könnten. Das einzige Gebiet, auf dem wir bisher Glück hatten, sind die thermoelektrischen Generatoren. Sie nutzen das Wärmegefälle zwischen Janus und der Eiskappe aus. Aber der Temperaturunterschied ist nicht besonders groß, und wir haben nicht genug supraleitende Kabel, um weitere Leitungen zum Rand der Eiskappe zu verlegen. Wenn wir noch einmal von vorn anfangen könnten, würden wir uns vielleicht für einen anderen Landeplatz entscheiden, näher an der Eiskante … aber da wir keine Zeitmaschine besitzen …«

Nadis tippte mit einem Schreibstift gegen ihren Flextop. »Wie viel Energie gewinnen wir derzeit?«

»Durch die Thermoelemente? Je nach Fluktuation in der Maschinerie zwischen drei und fünf Megawatt, was nicht ausreicht, um ganz Crabtree zu versorgen. Im Moment haben wir keine Probleme, weil wir den Fusionsreaktor laufen lassen können. Daraus gewinnen wir locker hundert Megawatt. Aber diese Methode ist alles andere als effizient. Lockheed-Krunichev hat das Ding gebaut, um die Rockhopper damit fortzubewegen, nicht um ein Dorf zu beleuchten. Wir verpulvern viel mehr Energie, als wir nutzen können.«

»Der Treibstoff wird nicht länger als vierzehn Monate reichen«, sagte Svetlana unumwunden. »Achtzehn, wenn wir den Vorrat strecken, häufiger den Saft abdrehen und ein paar der äußeren Kuppeln abschalten.«

»In diesem Fall können wir auch gleich den Kaffee rationieren«, sagte Nadis.

»Und es gibt keine Hoffnung, mehr aus den Thermoelementen herauszuholen?«, fragte Thale.

»Selbst wenn wir den Schmiedekessel zum Laufen bringen und das nötige Rohmaterial zusammenkratzen können, um mehr supraleitende Kabel herzustellen, lässt sich maximal eine Verdopplung der thermoelektrischen Kapazität erreichen«, sagte Svetlana. »Und damit kommen wir nicht einmal über den nächsten Sommer. Wir wären weiterhin auf den Fusionsreaktor angewiesen.«

Parry räusperte sich. »Wir haben uns andere Möglichkeiten angesehen. Wärme ist nicht das Einzige, was Janus uns zu bieten hat. Wie ihr wahrscheinlich wisst, untersucht ein Team, ob sich Energie aus den Lavastraßen gewinnen lässt – entweder direkt oder durch Anzapfen der Bewegungsenergie der Transporter. Bisher hatten wir damit keinen Erfolg, aber irgendwann könnte es klappen. Wir müssen nur lange genug überleben, bis es so weit ist.«

»Deshalb diese Besprechung«, sagte Svetlana. »Vor zwei Wochen haben wir eine wichtige Erkenntnis über eine der Strukturen in der Schlundkammer gewonnen. Sie rotiert. Sehr langsam, sodass man es kaum bemerkt, aber die Bewegung ist konstant, und das Drehmoment scheint unmessbar groß zu sein. Wenn wir diese Bewegung nutzen können, besteht die Möglichkeit, dass wir den Fusionsreaktor abschalten und den noch übrigen Treibstoff erst dann benutzen, wenn wir ihn wirklich brauchen.«

Svetlana wartete, bis die Gruppe diesen Schimmer einer guten Nachricht verarbeitet hatte. Mehr würden sie von ihr nicht bekommen. »Gut«, sagte sie nach einer Weile, »und jetzt kommt der schwierige Teil. Wir müssen es tun, und vor allem müssen wir es tun, bevor wir alle tot sind. Es wird nicht einfach werden, aber wir haben einen Plan.«

»Es gibt zwei große Schwierigkeiten bei diesem Vorhaben«, sagte Parry. »Die erste besteht darin, die Drehbewegung anzuzapfen und in elektrischen Strom umzuwandeln. Die zweite besteht darin, die Energie vom Schlund bis nach Crabtree zu leiten. Der erste Teil wird uns am meisten Kopfzerbrechen bereiten. Problem Nummer eins: Der Spitzkegel – die rotierende Struktur – dreht sich sehr, sehr langsam. Aber wir glauben, dass wir damit zurechtkommen.«

Svetlana rief ein Diagramm auf ihren Flextop und projizierte es an die Wand hinter ihr. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und reckte den Hals, um es sehen zu können. Es war eine grobe Skizze des Kegels in der Schlundkammer, mit so etwas wie einem Zahnrad rund um die Basis.

»Wir werden damit beginnen, Noppen am Kegel anzubringen«, sagte sie. »Es sind im Prinzip nur Metallklötze. Wir wissen, dass Kleber hält, und wir wissen, welche Kräfte die Haftungen aushalten, bevor sie reißen. Ramos und die anderen sagen, dass es sich machen lässt. Damit haben wir eine Grundlage, die wir mit einem kleineren Zahnrad verbinden können. Dieses Zahnrad dreht sich schon wesentlich schneller.«

»Aber immer noch nicht schnell genug«, sagte Parry. »Wir werden jede Menge von solchen Dingern zusammenbauen müssen, ein Uhrwerk, wie es seit dem sechzehnten Jahrhundert nicht mehr konstruiert wurde. Wir brauchen eine Umsetzung im millionenfachen Bereich.« Es war entsetztes Keuchen zu hören, aber Parry sprach unbeirrt weiter. »Wir werden einen Zentrifugenring der Rockhopper und das dazugehörige Antriebssystem ausbauen. Damit dürfte uns genügend Grundmaterial zur Verfügung stehen. Ganz gleich, wie wir es letztlich machen, es muss tadellos funktionieren. Und am Ende brauchen wir eine Achse, die sich mit einhundert Hertz dreht.«

»Woran wir dann so viele Dynamos anschließen werden, wie wir auftreiben können«, sagte Svetlana.

»Ich glaube, hier liegen überall welche rum«, bemerkte Nick Thale sarkastisch.

»Stimmt«, sagte Parry unbeeindruckt. »Wir haben sie jedes Mal benutzt, wenn wir Eis geschoben haben.«

Thale kniff die Augen zusammen. »Die Massentreiber? Ich wüsste nicht, wie man lineare …«

»Die Folienspulen«, sagte Nadis und nickte beeindruckt. Für Thale und Regis erklärte sie: »Die Elektromotoren, mit denen wir die Sonnenschutzfolien abwickeln, damit der Komet während des Fluges ins innere System abgeschirmt ist.«

»Genau«, sagte Svetlana und nickte anerkennend. »Wir drehen sie um, sodass sie nicht als Motoren, sondern als Dynamos funktionieren. Wir brauchen ein paar zusätzliche Bauteile, aber man sagte mir, dass es machbar ist. Wenn wir das Umsetzungsproblem lösen können, lassen sich fünfzehn bis zwanzig Megawatt gewinnen. Damit wären wir nicht mehr auf den Treibstoff der Rockhopper angewiesen – aber nur, wenn wir die Energie nach Crabtree leiten können. Dazu brauchen wir etwa die vierfache Länge unserer vorhandenen supraleitenden Kabel.«

»Dann ist es hoffnungslos«, sagte Nadis verzweifelt. »Wir können nicht einmal die existierenden Kabel flicken, von der Herstellung neuer ganz zu schweigen.«

»Noch nicht«, sagte Svetlana, »aber wenn der Schmiedekessel läuft, können wir mehr Kabel spinnen, als wir je brauchen werden.«

»Hast du in letzter Zeit mal mit Wang gesprochen?«

Svetlana ging nicht auf ihren vorwurfsvollen Tonfall ein. »Seit ein paar Wochen nicht mehr«, erwiderte sie. »Das Letzte, was ich hörte, war, dass er gute Fortschritte macht.«

»Vielleicht solltest du ihn in den nächsten Tagen besuchen«, sagte Nadis. »Ich glaube, es wird für dich sehr erhellend sein.«

»Das werde ich tun«, sagte Svetlana und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass sie Wangs mühsame Entwicklung nicht genauer im Auge behalten hatte. »Sobald wir hiermit fertig sind. Kann ich davon ausgehen – vorausgesetzt, der Schmiedekessel wird zum Laufen gebracht –, dass alles, was ich vorgeschlagen habe, vom Komitee bewilligt wird?«

»Nicht dass uns viele andere Möglichkeiten offenstehen«, sagte Parry. »Wenn wir Janus nicht anzapfen, sind wir in anderthalb Jahren erledigt.«

»Die Sache scheint mir völlig klar zu sein«, sagte Thale, »aber wir sollten die Risiken nicht unterschätzen. Bislang haben wir kaum an der Oberfläche von Janus gekratzt. Manchmal frage ich mich, ob er uns überhaupt schon registriert hat. Aber wenn wir anfangen, uns deutlich bemerkbar zu machen …«

»Wir haben keine andere Wahl«, sagte Svetlana.

»Ich will damit nur sagen, dass wir mit möglichen Konsequenzen rechnen müssen.« Thale sah die anderen an und wartete auf Unterstützung. »Wir sollten uns nicht vormachen, dass es ein völlig gefahrloses Vorhaben ist.«

»Wir alle sind uns der Risiken bewusst«, sagte Svetlana ungeduldig, »aber was wir im Schlund tun wollen, ist nicht annähernd so lebensgefährlich, wie tatenlos herumzusitzen und darauf zu warten, dass uns etwas anderes in den Schoß fällt.«

Thale schloss die Augen. »Ich will doch nur sagen …«, versuchte er es erneut, doch dann schüttelte er den Kopf. »Schon gut. Dabei würdest du sowieso nicht mitmachen.«

Svetlana witterte eine Falle, aber sie fragte trotzdem nach. »Wobei?«

»Diese Entscheidung ist zu groß, um von einer Handvoll Leute getroffen zu werden, die um einen Tisch sitzen.«

»Du meinst, wir sollten die anderen nach ihrer Meinung fragen?«

»Nein … das nicht.« Er sprach mit extremer Vorsicht, als könnte jedes falsche Wort eine vernichtende Reaktion auslösen. »Ich finde, wir sollten andere Möglichkeiten in die Diskussion einbringen. Damit meine ich natürlich Wang und vielleicht noch ein oder zwei andere Leute, aber in erster Linie meine ich sie.«

»Nein«, sagte Svetlana.

»Du willst es nicht einmal in Erwägung ziehen?«

»Nein«, wiederholte sie. »Nicht jetzt, nicht später.«

Thale zuckte die Achseln, als hätte er mehr oder weniger mit einer solchen Reaktion gerechnet. Er lehnte sich zurück. »Also gut.«

Svetlana spürte, wie ihre Wangen glühten. Sie war dankbar, als Parry kurz darauf das Schweigen brach. »Das haben wir doch längst geklärt, Nick. Wir alle wissen, dass manche von uns ihr gegenüber loyaler sind als andere. Aber das war einmal. Jetzt ist alles anders. Ihre Ansichten sind nicht mehr relevant.«

»Das würdest du gerne glauben«, sagte Thale. »Du würdest gerne glauben, dass wir sie einfach in eine Kiste stecken und vergessen können, wie ein altes Spielzeug, auf das man keine Lust mehr hat.«

»Sie hatte ihre Chance, uns nach Hause zu bringen«, sagte Parry. »Stattdessen hat sie uns diesen ganzen Ärger eingebrockt.«

»Sie hat auf der Basis der Informationen entschieden, die ihr zur Verfügung standen«, erwiderte Thale.

»Nick hat recht«, sagte Axford. »Bella war nie durch Gier oder Eigennutz motiviert. Sie hat immer nur das getan, was ihrer Meinung nach das Beste für die Besatzung war.«

»Sie wollte sich nicht der Tatsache stellen, dass DeepShaft uns betrogen hat«, sagte Svetlana. »Ich habe ihr alle Beweise vorgelegt, die sie brauchte, aber sie hat sie ignoriert.« Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. »Warum, zum Teufel, diskutieren wir überhaupt darüber? Wir haben dieses Thema schon tausendmal durchgekaut. Sie hatte ihre Chance, und sie hat sie verpatzt. Ende der Geschichte.«

»Ryan«, wandte sich Parry direkt an den Arzt, »ich bin mit dir einer Meinung, dass Bella nicht aus Eigennutz gehandelt hat. Kein Widerspruch.«

»Gut«, sagte Axford schroff.

»Aber sie hat trotzdem schlechte Entscheidungen getroffen. Vielleicht hatte sie das Herz am rechten Fleck. Aber was heißt das? Nur ihre Entscheidungen zählen. Allein damit hat sie ihr Mitspracherecht verwirkt.«

»Du verstehst es einfach nicht«, sagte Thale.

»Nein, Nick«, antwortete Svetlana, »du verstehst es nicht. Wir alle wissen, wem du dich verpflichtet fühlst. Du kommst einfach nicht davon los, nicht wahr? Du kannst einfach nicht akzeptieren, dass es hier jetzt anders abläuft.«

»Vielleicht bin ich gar nicht derjenige, der Schwierigkeiten hat, die Vergangenheit zu bewältigen«, sagte Thale.

»Was genau willst du damit andeuten?«, fragte Svetlana in gefährlich ruhigem Tonfall.

»Als wir die Rockhopper verankert haben, hast du eine große Rede gehalten, wie wir alle zusammenhalten müssen, dass wir alte Wunden heilen und mit reinem Herzen und reinem Geist in die Zukunft schauen wollen. Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Es war verdammt gute Propaganda.«

»Vorsichtig, Nick«, sagte sie.

Er zuckte die Achseln und sprach weiter. »Ich erinnere mich auch daran, dass du gesagt hast, wir sollten sämtliche Ressourcen nutzen, die wir haben, jedes Mittel, das unser Überleben sichern könnte. Manche von uns haben dir zugehört. Manche von uns dachten, dass du es ehrlich gemeint hast.«

»Das habe ich«, sagte sie, während sie ihre Wut kaum noch zügeln konnte.

»Vielleicht stimmt das sogar bis zu einem gewissen Punkt. Aber es gibt eine Ressource, die du niemals genutzt hast. Wozu du niemals den Mut aufgebracht hast. Es ist leichter zu hassen als zu vergeben, nicht wahr?«

»Ich glaube, du hast genug gesagt«, erwiderte Parry. »Die Entscheidung, Bella ins Exil zu schicken, war einstimmig …«

»Das war vor zwei Jahren«, sagte Thale. Er stand auf und warf seinen Flextop über den Tisch. »Wir brauchen Bella, ob es euch in den Kram passt oder nicht. Wenn wir alle hier draußen sterben, wird es nicht Janus sein, der uns getötet hat.«

 

Svetlana hatte sich wieder einigermaßen beruhigt, als sie auf ihrem Streifzug am unterirdischen Labor vorbeikam, in dem Wang Zhanmin seine Tage und Nächte verbrachte. Sie hörte leise chinesische Musik. Das Labor lag am äußersten Rand von Crabtree und war durch einen Eistunnel und ein supraleitendes Kabel mit der übrigen Siedlung verbunden. Das Kabel, das so dick wie ihr Unterarm war, hatte man mit Geckoflexklumpen an die Eiswände geklebt. Als sie es mit der Hand berührte, hatte sie das deutliche Gefühl, dass der Strom auf ihrer Haut kribbelte. Ein Zehntel der gesamten für Crabtree erzeugten Energie ging durch dieses Kabel.

Höflich klopfte sie an und trat gebückt in die eisige Kälte des kuppelförmigen Raums. Obwohl ihm so viel Energie zur Verfügung stand, verschwendete Wang nichts davon für die eigene Bequemlichkeit. Sein einziger Luxus war ein Lautsprecher, den er an eine Wand geklebt hatte und aus dem ein ununterbrochenes blechernes Medley zwanzig Jahre alter chinesischer Popsongs kam. Svetlana erschauderte und schloss den Kragen ihrer Jacke. Ihr Atem kondensierte in weißlichen Schnörkeln. Sie spürte immer noch die Beschämung auf ihrem Gesicht, das von der Kälte gerötet war.

»Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht«, übertönte sie eine kreischende Mädchenband.

Er wandte sich von einem seiner mehreren Arbeitstische ab. Sein Gesicht verschwand völlig hinter einer unmöglich erscheinenden Anordnung von Vergrößerungslinsen und ausgebauten Helmdisplays, die von Lötzinn und Klebeband zusammengehalten wurden. Er hob die Pelzhandschuhe und nahm den selbstgebastelten Apparat ab. Er trug eine rote Wollmütze, die ähnlich wie Parrys aussah. Darunter brach sein Haar in unordentlichen schwarzen Locken hervor und fiel ihm über die Ohren und die Augenbrauen. Ein blassgrüner Arztkittel bedeckte mindestens fünf Schichten aus dichtem Futter. Seine Füße steckten in riesigen Stiefeln, die man von einem irreparablen Raumanzug abgerissen hatte. Für ihren Geschmack sah er immer noch zu jung und zu ernst aus. Sie hatte nichts gegen Wang, aber es machte sie besorgt, dass sie so sehr von ihm abhängig waren.

Wang schaltete die Musik aus. »Ein Geschenk?«, wiederholte er.

»Nichts Großartiges«, wiegelte sie ab und hielt ihm das schlaffe Ding hin. »Ich habe gehört, dass dein Flextop gestorben ist.«

»Ja«, sagte er geistesabwesend, als hätte er schon längere Zeit nicht mehr daran gedacht. »Ja, er ist gestorben. Ist der für mich?«

»Wenn jemand einen nötig hat, dann du.«

Er kam näher, nahm den Flextop entgegen und hielt ihn in den Pelzhandschuhen. »Sie mögen die Kälte hier drinnen nicht«, sagte er.

»Dagegen können wir nicht viel machen. Wenn du etwas mehr Heizwärme …«

»Das geht nicht«, sagte er. »Die Experimente laufen am besten bei Kälte ab. Wenn ich diesen Raum heizen würde, müsste ich noch mehr Energie verbrauchen, um ihn teilweise wieder zu kühlen.« Er ließ den Flextop starr werden, berührte ihn mit einem Finger und rief das Menü des Schiffsnetzes auf. Dann legte er ihn behutsam auf eine freie Stelle zwischen seiner Ausrüstung und seinen Notizen auf einem anderen Arbeitstisch. »So ist es besser.« Er blickte zu ihr auf. »Wie viele sind jetzt noch übrig?«

»Flextops? Ich weiß es nicht genau. Einhundertsechzig, glaube ich.«

»Es waren weit über zweihundert, als wir gelandet sind, nicht wahr? Das bedeutet, dass seit unserer Ankunft vierzig gestorben sind.«

»Sie sind nicht für die Ewigkeit gemacht«, sagte Svetlana.

»Trotzdem. Ich bin kein Computerspezialist, aber wenn noch mehr sterben … wäre das nicht gerade von Vorteil für uns, nicht wahr?«

»Da könntest du recht haben.«

Das Schiffsnetz war ein dezentrales System, das über die Rechnerknoten der Flextops verteilt war. Es gab bereits eine messbare Verringerung der Geschwindigkeit und Genauigkeit gewisser Funktionen. Die noch vorhandenen Flextops kompensierten den Ausfall der anderen Einheiten, indem sie immer größere Datenmengen horteten, aber das war nur durch Einbußen in der Leistung der Bioprozessoren möglich. In etwa sechs Monaten, sagte Saul Regis, würden selbst die gelegentlichen Nutzer den Leistungsabfall bemerken. In einem Jahr würden große Teile des Schiffsnetzes gar nicht mehr funktionieren.

»Ich werde mir alle Mühe geben, diesen hier pfleglich zu behandeln«, sagte Wang und streichelte das Gerät, als wäre es ein eigenständiges Lebewesen. »Vielleicht sollte ich mit ihm zu Bett gehen … ihn als Kopfkissen benutzen …«

»Mach dir keine Mühe«, sagte Svetlana. »Wenn er stirbt, besorgen wir dir einen anderen. Wenn du den Schmiedekessel zum Laufen bekommst, hat sich die Investition in jedem Fall gelohnt.«

»Es tut mir leid, dass ich nicht schneller vorankomme«, sagte Wang und drehte sich zum Schmiedekessel um. »Ich war mir meiner Sache zu sicher. Ich hätte nicht so viel versprechen sollen.«

»Du hast nichts versprochen, Wang. Du hast nur gesagt, dass du dich bemühen willst, uns zu helfen. Mehr können wir von dir nicht verlangen. Mehr dürften wir gar nicht verlangen.«

Der Schmiedekessel stand mitten im Raum auf vier angeschweißten Beinen. Es war ein großer roter Zylinder, so groß wie ein kleines Beiboot, fast so hoch wie die Eisdecke. Der Deckel war konkav gekrümmt, wie das Dach einer Pagode. Auf einer Seite befand sich eine kleine kreisrunde Tür, die mit zahlreichen Scharnieren versehen und von verschiedensten Anschlüssen und Ventilen gesäumt wurde. Geriffelte Stromkabel führten vom Boden in die gebördelte Basis des Kessels. Er bezog Energie und Befehle von den rund herum angebrachten Konsolen, von denen die meisten aus der Shenzhou Fünf geborgen worden waren, bevor sie sich in die Eiskappe geschmolzen hatte und für immer verloren war.

Im Gegensatz zu Wang, dessen Körper unter Axfords Fürsorge recht gut genesen war, waren dem Schmiedekessel immer noch die Schäden anzusehen, die er während des Absturzes des chinesischen Raumschiffes erlitten hatte. Die rote Farbe war nur auf einer Seite hell und neu, wo umfangreiche Reparaturen durchgeführt worden waren.

Alle hatten ihr Bestes gegeben, einschließlich Wang, aber der Versuch, einen Schmiedekessel mit den Mitteln der Rockhopper instandzusetzen, war so, als wollte man eine Kuckucksuhr mit einer Axt reparieren.

Sie würden es trotzdem weiter versuchen.

»Als wir das letzte Mal gesprochen haben …«, begann Svetlana.

»Sagte ich, dass ich vielleicht etwas habe, das ich dir zeigen kann. Und ich glaube, ich habe recht behalten.« Er beugte sich über einen Tisch und nahm eine Zange aus Leuchtplastik in die Hand. Damit griff er in eine Schale mit aquamarinblauer Flüssigkeit. Die Zange bekam etwas zu fassen. Mit großer Vorsicht hob Wand es hoch. An der Zange hing etwas, das wie milchweißer Tang oder zu lange gekochte Nudeln aussah. »Das habe ich aufgehoben, weil es der größte Fortschritt ist, den ich bislang erzielt habe.«

Svetlana betrachte die fasrige weiße Masse. »Was … was ist das?«

»Es sollte Papier sein«, sagte Wang. »Papier ist ein recht einfaches Versuchsobjekt für einen Schmiedekessel. Wenn man kein Papier herstellen kann, dann …« Er schüttelte den Kopf, da weitere Worte überflüssig gewesen wären.

»Zumindest ist es einigermaßen fest«, sagte Svetlana vorsichtig.

»Ja, ich habe zumindest etwas einigermaßen Festes hergestellt. Und es ist weiß. Ich finde, dass das ein Fortschritt ist.«

Svetlana blickte sich zum summenden Zylinder um und verspürte einen Anflug von irrationaler Wut. Das Ding tat nicht mehr, als Crabtree wie ein gieriges Baby Energie abzusaugen und eine formlose weiße Pampe auszuspucken, während sie dringend solide Maschinen, Flextops, Lebensmittel und kilometerlange supraleitende Kabel benötigten.

»Es ist ein Fortschritt«, räumte sie ein und schluckte ihre Enttäuschung hinunter. »Daran gibt es keinen Zweifel. Ich kann dir nicht mehr Energie zur Verfügung stellen, Wang, aber wenn du etwas anderes brauchst – Mitarbeiter, Rohstoffe –, weißt du, dass ich auf jeden Fall sehen werde, was ich tun kann.«

Er legte die weiße Masse zurück in die Schale und wischte die Zange mit einem sterilen Lappen sauber. »Vorläufig habe ich genug Energie. Mehr Hände wären mir nur im Weg.« Er warf ihr einen hilflosen Blick zu. »Ich brauche nur Zeit. Und Geduld.«

»Zeit und Geduld«, wiederholte sie.

»Nur dass wir keine Zeit haben, nicht wahr? Deswegen bist du gekommen. Um mir das zu sagen.«

»Nein, wir haben jede Menge Zeit.« Sie wusste, dass er genauso hart wie alle anderen auf Janus arbeitete. »Ich bin gekommen, um dir den Flextop zu bringen und zu sehen, wie es dir geht.«

Er betrachtete erneut das Geschenk, als hätte die Sache einen Haken. »Jemand muss ihn bis vor kurzem benutzt haben. Es ist doch niemand gestorben, oder?«

»Nein«, sagte sie. »Niemand ist gestorben. Nick Thale fand, dass er vorläufig auf einen Flextop verzichten kann.«

»Oh«, sagte Wang und senkte den Blick.

»Es war seine Entscheidung«, sagte Svetlana.

»Ja, natürlich.« Wang zog seine Mütze straff und griff nach dem unförmigen Apparat. Er justierte eine Linse und machte sich bereit, sich das Ganze wieder auf den Kopf zu setzen. »Wenn du einverstanden bist, werde ich weiter versuchen, Papier herzustellen.«

»Du lässt es mich wissen, wenn du weitere Fortschritte erzielst?«

»Du wirst die Erste sein, die ich anrufe«, sagte er und rückte den Apparat auf der Wollmütze zurecht.

»Wang«, sagte Svetlana.

»Ja?«

»Ganz gleich, was in der Zukunft geschehen mag, ich möchte dir für das danken, was du getan hast.« Eigentlich war es nur das gewesen, was sie hatte sagen wollen, aber nachdem die Worte ausgesprochen waren, schien noch mehr nötig zu sein. »Du hättest dich uns nicht anschließen müssen. Du hättest versuchen können, nach Hause zu gelangen.«

»Ich hätte es nicht geschafft«, sagte Wang.

»Du wärst als Nationalheld gefeiert worden. Man hätte einen Weg gefunden, dich zurückzuholen.«

»Vielleicht.«

»Aber du wusstest, dass wir dich dringender brauchen. Nach dem, was wir dir angetan haben … hast du uns verziehen und uns dieses Geschenk gemacht.«

»Es war eine Portion Eigennutz dabei. Wenn ich ebenfalls als Gestrandeter auf Janus überleben muss …«

»Das will ich nicht hören«, sagte sie und hob die Hand. »Was du getan hast, war tapfer und selbstlos. Es war etwas Schönes.«

Er sagte nichts. Ohne ein Wort wandte er sich wieder seinen Experimenten zu. Svetlana stapfte aus dem Raum und wartete, dass die Musik weiterspielte, doch als sie das Ende des Korridors erreicht hatte, hörte sie nur das kontinuierliche Summen des Schmiedekessels.