8. September 1987
Küstenstraße Whitby-Staithes. Welliges Ackerland, ein Mosaik aus von Hecken umgebenen Feldern (auch Weiden mit grasenden Kühen), manche hellbraun nach der Ernte, andere voll goldener Gerste. Endet abrupt an den Klippen, rosarote Gesteinsschichten, das Meer ein klares Hellblau, die Sonne glitzert auf entfernten Schiffen. Ein Schwarm Seemöwen auf einem rotbraunen Feld. Baumgruppen in Erdmulden. Kleine Dörfer, die Häuser aus hellem Stein, rote Schindeldächer: ... Bei der Ankunft um 11:15 Uhr Anfang September in dem kleinen Küstenort fasste sie ihren Entschluss:
Das waren die bescheidenen Ursprünge von Das stumme Lied, entdecke ich, als ich in meinem Notizbuch von August 1987 bis März 1988 nachschaue. Ich schrieb das Buch damals nach meinen ersten vier Inspector-Banks-Romanen. Ich erinnere mich, dass ich eine Veränderung brauchte, einen Roman, in dem die Polizei nur eine Nebenrolle spielte. Seit ich von dem Yorkshire Ripper gelesen hatte, hatte ich die Idee für eine Geschichte über einen Menschen gehabt, der den Angriff eines Serienmörders überlebt und sich auf einen Rachefeldzug begibt.
Wie es solche Dinge häufig tun, lag die Idee brach bis zu einem Tag im September 1987, als wir kurz vor dem oben beschriebenen Ausflug nach Staithes, bei dem sich der ursprüngliche Beginn offenbarte, den Berg hinab nach Whitby fuhren. Unten breitete sich die Stadt aus. Die Farben erschienen irgendwie heller und voller als in meiner Erinnerung: die Grün- und Blautöne der Nordsee, die roten Schindeldächer. Dann gab es die dramatische Umgebung mit dem wie eine Hummerschere aussehenden Hafen und den beiden gegenüberliegenden Klippen, auf der einen eine Kirche und eine Abteiruine, auf der anderen die Statue von Captain Cook und der gewaltige Kieferknochen eines Wales. Ich wusste sofort, dass die Geschichte hier spielen musste und dass sie mit einer Frau beginnen sollte, die aus dem Bus steigt, der ein bisschen übel von der Reise ist und die probiert, ob der Ort ihr passt.
Als der Roman wieder zum Leben erweckt werden sollte, spielte ich mit der Idee, ihn umzuschreiben und der Zeit anzupassen. Ist es nicht schließlich der Traum eines jeden Schriftstellers, Jahre später die Möglichkeit zu haben, etwas zu verbessern, was man zu Beginn seiner Karriere geschrieben hat? Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass es nicht funktionieren würde. Die Welt hatte sich seit 1987 zu sehr verändert und die Ereignisse in Das stumme Lied könnten nicht in einer Welt mit Mobiltelefonen, E-Mail, einem McDonald's oder Pizza Hut an jeder Ecke und den neusten Methoden der DNA-Analyse geschehen. Zwar gab es schon damals den genetischen Fingerabdruck, wie Joseph Wambaugh in Nur ein Tropfen Blut eindrucksvoll gezeigt hat, doch die Technik steckte noch in den Kinderschuhen. Außerdem wollte ich ja die Polizei außen vor lassen. Angesichts der Fortschritte in der forensischen Wissenschaft seit 1987 schien es fast unmöglich, das Buch auf den Stand von 2003 zu bringen und sie im Hintergrund zu halten. Auch Whitby hat sich verändert, besonders der Fußweg entlang der Klippen, der eine solch wichtige Rolle in dem Buch spielt.
Am Ende begnügte ich mich damit, ein paar unwesentliche Punkte zu korrigieren, den Namen einer Figur zu verändern und eine plumpe Bemerkung über Margaret Thatcher zu streichen. Details eben. In jeder anderen Hinsicht handelt es sich um den ursprünglichen Roman, der nun in gewisser Weise ein Zeitdokument ist, ein Stück Geschichte des späten zwanzigsten Jahrhunderts, angesiedelt in einer Epoche, als man noch überall rauchen durfte, Bed and Breakfast für Pfund 9,50 die Nacht bekam und Crocodile Dundee der letzte Schrei war!