* 7

Martha

 

Lautes Geschrei weckte Martha um vier Uhr am Morgen auf. Sie drehte sich im Bett um und runzelte die Stirn, als sie das erleuchtete Zifferblatt ihrer Uhr betrachtete. Der Lärm ging weiter. Es klang sehr nah. Schließlich dämmerte ihr, dass es die Seemöwen waren. Sie müssen einen Fischschwarm entdeckt haben, oder vielleicht hatte eine Katze den Abfalleimer auf der Rückseite einer der Fischstände umgekippt und sie waren davon angezogen worden. Es war ein schrecklicher Lärm: Er klang nach maßlosem Hunger und Gier. Sie stellte sich vor, wie die Möwen tote Fische auseinander rissen, ihre leeren weißen Gesichter mit Blut bespritzt.

  Sie seufzte, drehte sich wieder um und zog die Decke bis über die Ohren. Die Möwen hatten sie aus einem Traum geweckt. Vielleicht konnte sie wieder in den Traum eintauchen. In letzter Zeit waren alle ihre Träume schön - Technicolor-Reisen von unbeschreiblicher Schönheit, voller Ekstase und Erregung, Besuche in fremden Welten, bei denen sie schwerelos durch Raum und Zeit glitt.

  Das war nicht immer so gewesen. Eine lange Zeit hatte sie unter entsetzlichen Alpträumen gelitten, Träume voller Blut und Gefahr, danach schien sie eine Zeit lang überhaupt nicht geträumt zu haben. Die schönen Träume hatten erst begonnen, als die dunkle Wolke in ihrem Kopf verschwunden war. Auf jeden Fall hatte sie es immer als Wolke empfunden, oder vielleicht als Blase. Sie war undurchsichtig, und von welcher Seite Martha sie auch betrachtete, lenkte die Wolke das Licht ab, so dass sie nicht hineinsehen konnte. Obwohl sie wusste, dass die Wolke mit all ihrem Schmerz und ihrer Angst gefüllt war, wurde ihr der Zutritt verwehrt.

  Lange war sie wegen dieser Wolke in ihr angespannt und unruhig umhergelaufen. Stets an der Schwelle zu einem Gewaltausbruch, zu Verzweiflung oder Wahnsinn. Doch eines Tages entdeckte sie die richtige Perspektive, und als sie in das Innere der Wolke blickte, löste sich die Finsternis auf wie ein Ungeheuer, das verschwindet, wenn man seinen wahren Namen errät.

  Die Seemöwen stürzten sich immer noch schreiend auf ihr verfrühtes Frühstück, als Martha wieder einschlief und von ihrem geheimen See träumte. Sein Wasser stammte von der Quelle der Jugend, klar schimmerte es in der Sonne, die nie aufhörte zu scheinen, und sie musste durch enge Korallenhöhlen schwimmen, um zu ihm zu gelangen. Nur sie wusste von dem See. Nur sie konnte so mühelos so weit schwimmen, ohne atmen zu müssen. Und während sie schwamm, ritzten die scharfen, rosa Korallen dünne, rote Linien in ihre Brust, ihren Bauch und ihre Schenkel.