3.

 

Am nächsten Morgen gab Fadl schon vor Sonnenaufgang das Zeichen zum Aufbruch. Daher musste Maite ohne Frühstück in den Sattel steigen. Anmutig saß sie auf der kleinen, hellen Stute, die einst zu Konrads maurischer Beute gezählt hatte. Fadl Ibn al Nafzi hatte sich dieses Tier ebenso als Beute gesichert wie Konrads gefleckte Stute, die im Kampf verletzt worden war und ein wenig hinkte.

Der Franke selbst musste mit auf den Rücken gebundenen Händen zu Fuß gehen. Dazu hatten die Mauren ihm einen Strick um den Hals gelegt und das andere Ende am Schwanzriemen von Fadls Reittier befestigt. Um Konrad vollends zu demütigen, ließ der Berber ihm die restliche Kleidung vom Leib schneiden, so dass kein Fetzen mehr seine Blöße bedeckte.

Dann versetzte Fadl Konrad zwei Hiebe mit der Reitpeitsche, schwang sich in den Sattel und winkte seinen Männern, ihm zu folgen. Normalerweise pflegten Mauren ein flottes Tempo anzuschlagen, doch diesmal mussten sie auf die Waskonen Rücksicht nehmen, die keine guten Reiter waren. Kurze Zeit hatte Fadl geschwankt, ob er Ermengilda ebenfalls reiten lassen sollte, sich dann aber entschieden, sie in einen Karren zu setzen, dessen Plane zugezogen werden konnte. Die Frau war für den Emir bestimmt, und er wollte diesen nicht dadurch beschämen, dass er allen möglichen Leuten erlaubte, sie anzustarren.

Da das Maultiergespann des Karrens die Geschwindigkeit des Reisezugs bestimmte, vermochte Konrad trotz seines zerschlagenen Zustands zunächst mitzuhalten, ohne in Gefahr zu geraten, hinter dem Pferd zu Tode geschleift zu werden. Allerdings bereiteten ihm die scharfkantigen Steine auf der Straße Probleme, denn er war es nicht gewohnt, barfuß zu gehen. Ihm war jedoch bewusst, dass das Schicksal ihm nur eine Atempause vergönnte. Fadl Ibn al Nafzi war der Bruder jenes Mannes, dem er zuerst die Pferde weggenommen und den er später bei Saragossa getötet hatte. Mit welchen Qualen der Maure Abduls Tod an ihm rächen wollte, mochte er sich gar nicht vorstellen. Daher konzentrierte er sich auf den Weg zu seinen Füßen.

Je weiter der Tag voranschritt, umso stärker brannte die Sonne auf seinen nackten Leib. Schon bald lief ihm der Schweiß über Gesicht und Rücken, und seine Kehle wurde so trocken, dass sie schmerzte.

Fadl kannte jedoch keine Gnade. Als sie unterwegs Rast machten und die Tiere tränkten, bewachten zwei Männer den Gefangenen und hielten ihn vom Brunnen fern. Die anderen durften sich erfrischen, und Ermengilda wurden ein Krug und ein Becher ins Innere des Wagens gereicht.

Die Asturierin trank, ohne dass ihr Geist in die Gegenwart zurückkehrte. In ihren Gedanken wirbelten die Bilder von Blut und Tod, und in ihren Ohren gellten immer noch die schier unmenschlichen Schreie der Sterbenden und das Geheul der Angreifer. Sie zitterte am ganzen Körper, und wenn sie einen Augenblick zu sich kam, wurde ihr klar, dass sie kurz davor war, den Verstand zu verlieren. Mehr als ein Mal wünschte sie sich sogar, in geistiger Umnachtung zu versinken und die Welt wieder mit dem Staunen eines kleinen Kindes betrachten zu dürfen. Das grauenvolle Geschehen echote jedoch weiter in ihrem Kopf, und selbst in jenen Momenten, in denen sie für kurze Zeit einnickte, durchzog es ihre Träume.

Da man sie als einzige Frau des fränkischen Heerzugs ins Lager der Angreifer geschafft hatte, fragte sie sich, welches Schicksal ihre fränkischen Mägde ereilt haben mochte. Die Mauren hätten die Weiber gewiss als Sklavinnen mitgenommen, und so musste sie annehmen, dass die Waskonen in ihrem Blutrausch auch die Frauen umgebracht hatten.

In lichteren Momenten haderte sie mit Karls Vetter Roland, der sein Heer und damit auch ihren Ehemann blindlings in diese Falle geführt hatte. Obwohl zwischen ihr und Eward keine Liebe gekeimt war, hätte sie ihn niemals auf diese Weise verlieren wollen, auch nicht um den Preis, im Emir von Córdoba einen rücksichtsvolleren Gatten zu finden. Am stärksten aber bewegte sie Philiberts Schicksal. Da die Waskonen sich im Lager gerühmt hatten, keinen einzigen Franken verschont zu haben, war auch er erschlagen worden. Nun bedauerte sie, Philiberts sanftes Werben nicht erhört zu haben. Sie hätte mit ihm fliehen und ihm gewähren sollen, was er sich aus tiefster Seele gewünscht hatte.

Ermengilda sprach ein Gebet für den freundlichen Franken, der ihr Herz gewonnen hatte, schloss aber auch ihren umgekommenen Ehemann und Konrad darin ein. Philiberts Freund benötigte die Hilfe der himmlischen Mächte noch weitaus mehr als sie. Wenn sie die Plane ihres Wagens einen Spalt weit öffnete, konnte sie sehen, wie er hilflos hinter Fadls Stute herstolperte.

Der Berber selbst trat auf, als wäre er der Herr dieses Landes und hätte eben das gesamte Heer König Karls geschlagen. Den Bewohnern der Dörfer, durch die sie ritten, gönnte er nur verächtliche Blicke. Für ihn waren es Ungläubige, die über kurz oder lang unter die Herrschaft des Islam fallen würden.

Sein Stolz auf den errungenen Erfolg hinderte ihn nicht daran, Konrad zu quälen. Am Abend erhielt der junge Franke nur einen einzigen Becher Wasser. Obwohl er unendlich durstig war, trank er langsam und bemüht, keinen Tropfen zu verschwenden. Sein Blick verriet, dass sein Geist ungebrochen war. Daher zog Fadl ihm noch einige Hiebe mit der Reitpeitsche über und schwor sich, den Stolz dieses Mannes in den Staub zu treten und ihn erst dann zu töten, wenn er wie ein winselnder Hund zu seinen Füßen lag.

Die Hiebe trafen die von der Sonne verbrannte Haut. Konrad vermochte sich nicht mehr zu beherrschen und schrie seinen Schmerz hinaus. Dabei nahm er den hämischen Ausdruck wahr, der sich über das Gesicht seines Peinigers zog. Dieser Mann kannte kein Erbarmen und würde seine Rache auskosten, bis der letzte Funke Leben in ihm erloschen war. Doch als Fadls Männer ihn zu einem Mandelbaum führten und ihn dort festbanden, schwor er sich, niemals aufzugeben. Vielleicht kam er durch Gottes Gnade frei und konnte auch Ermengilda retten. Für sie musste er am Leben bleiben, damit sie nicht eine Ehehölle gegen ein noch schrecklicheres Los eintauschte. Er hatte sie nur kurz am Morgen gesehen, als sie auf den Karren gestiegen war, doch in ihrem Leid war sie ihm noch schöner erschienen als jemals zuvor.

Die Rose von Asturien
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