7.

 

Im Hof warteten Konrad und Ermo darauf, Maite wieder zurückzutragen. Der Eunuch Tahir hatte einen Freund im Harem des Emirs aufgesucht, und die Knechte waren ebenfalls verschwunden. Den Wortfetzen nach, die Konrad aufgeschnappt hatte, wollten sie einen Christen aufsuchen, von dem sie sich Wein erhofften. Ermo, dessen Gaumen nach einem guten Tropfen lechzte, schimpfte hinter den Kerlen her, die sie einfach in der Sonne stehen ließen; Konrad aber starrte unverwandt den Palast an, als wolle er mit seinen Blicken den Stein durchdringen, um Ermengilda sehen zu können. Plötzlich fasste ihn jemand an der Schulter und löste ihn aus seiner Versunkenheit.

»Meister Eleasar, welch eine Freude, dich zu sehen!« Konrad sprach aus ehrlichem Herzen. Seine Abneigung gegen den Juden war ebenso geschwunden wie der Schrecken, den ihm dunkelhäutige Menschen eingeflößt hatten.

Der Arzt sah ihn prüfend an. »Es scheint dir besserzugehen.

Das freut mich. Als ich gehört habe, dass Fadl Ibn al Nafzi die Stadt verlassen hat, befürchtete ich schon, er hätte dich mitgenommen, um dich weiter schinden zu können.«

»Vorerst bin ich ihn los«, antwortete Konrad mit einem erleichterten Seufzen.

»Er wird wiederkommen und seinen Hass bis dorthin nicht vergessen haben!« Eleasars Worte klangen wie eine düstere Prophezeiung, aber sie schreckten Konrad nicht. Er war fest entschlossen, noch vor Fadls Rückkehr aus Córdoba zu verschwinden.

Der Arzt machte eine einladende Geste. »Komm mit in mein Haus. Ich will mir deine Verletzungen noch einmal ansehen und dir eine Salbe dafür geben. Dein Freund kann inzwischen einen Becher Wein trinken.«

»Dazu bräuchte ich Geld!« Obwohl er Moslem geworden war, hielt Ermo sich ebenso wenig an das Verbot berauschender Getränke wie Fadls Knechte.

»Oder jemanden, der dir einen Krug Wein hinstellt, ohne Geld zu fordern«, antwortete der Arzt. Er kannte die Hintergründe nicht und hielt Ermo und Konrad für Schicksalsgefährten.

Da sie mit dem bekannten Arzt unterwegs waren, hielt niemand die beiden Franken auf. Jetzt hätten sie die Gelegenheit wahrnehmen und fliehen können. Doch ihnen war bewusst, dass sie in ihren Sklavenkitteln und ohne Geld nicht weit kommen würden. Daher begleiteten sie Eleasar zu einer Seitengasse unweit des Palastes. Dort öffnete der Arzt eine unscheinbare Tür und bat sie einzutreten.

»Ich hoffe, du hast wirklich Wein im Haus. Sonst setzt es was!« Mit diesem Ausruf zeigte Ermo deutlich, wes Geistes Kind er war.

Eleasar zeigte jedoch nur sein gewohntes freundliches Lächeln.

»Es ist genug da! Setz dich dort in die Ecke. Ich bringe dir gleich einen Becher. Dein Kamerad soll unterdessen die Treppe hochsteigen und durch die erste Tür gehen. Dort will ich mir seine Verletzungen ansehen. So wie er jetzt aussieht, kann er nicht arbeiten. Es war schon ein Wunder, dass er die Sänfte der Dame tragen konnte.«

»Ich musste ohnehin das meiste schleppen«, behauptete Ermo mit einem finsteren Seitenblick auf seinen Landsmann.

Konrad hatte zwar nichts davon gespürt, schluckte aber einen Einwand hinunter und stieg die Treppe hoch. Während er in die Kammer trat, hörte er noch, wie Eleasar seinen Mohren anwies, Ermo Wein zu bringen und ihm etwas zu essen aus einer der Garküchen in der Straße zu besorgen.

Dann folgte der Jude Konrad nach oben und schloss sorgfältig die Tür hinter sich. »Dein Begleiter scheint nicht dein Freund zu sein«, sagte er, während er die Schrunden und Narben auf Konrads Rücken untersuchte und sie mit einer kühlenden Salbe bestrich.

»Mein Freund ist Ermo gewiss nicht. Ich habe ihn gefangen setzen lassen, weil er gegen den Befehl geplündert hat und seine Beute vor den anderen verstecken wollte. Im Grunde habe ich ihm damit das Leben gerettet, denn mit einer Waffe in der Hand hätten die Waskonen ihn erschlagen. So aber fanden sie ihn als Gefangenen vor und befreiten ihn.«

»Um ihn zu versklaven! Ein solches Leben ist meist nicht sehr lebenswert, wie du am eigenen Leib erfahren hast. Doch reden wir von dir! Ein Mann, der aus der Sklaverei entfliehen will, muss entweder sehr verzweifelt sein oder sehr kühn. Du bist beides. Dennoch solltest du nicht einfach davonlaufen und dar auf hoffen, zu entkommen. Die Reiter des Emirs sind schnell und die Nasen ihrer Hetzhunde gut. Wer ihnen entgehen will, muss wissen, was er zu tun hat.«

Konrad war verblüfft, denn er glaubte, bisher mit keinem Wort verraten zu haben, dass er zu fliehen beabsichtigte. »Wieso nimmst du an …?«, fragte er vorsichtig.

»Deine vielen Fragen haben nur diesen Schluss zugelassen, auch wenn du versucht hast, dir nichts anmerken zu lassen.« Konrad schwankte zwischen Misstrauen und einem Funken Hoffnung. »Und was muss ein Sklave tun, der fliehen möchte?«

Eleasar nahm ihm seine misstrauische Haltung nicht übel. Wenn der junge Franke aus Córdoba entkommen wollte, musste er nicht nur kühn, sondern auch vorsichtig sein. »Einer Spur im Wasser vermag auch der schärfste Hetzhund nicht lange zu folgen. Doch das allein nützt nichts. Wer fliehen will, benötigt eine überzeugende Verkleidung.«

»Ich soll mich verkleiden? Als was?« Zum ersten Mal gab Konrad preis, was ihn sogar in seinen Träumen bewegte.

»Manch einer mag glauben, es wäre klug, sich als Maure zu verkleiden. Auch du könntest es, denn es gibt blonde Mauren, die ihre Herkunft auf die Visigoten zurückführen. Allerdings kennst du die Sitten und Gebräuche der Moslems zu wenig, um sie wirklich täuschen zu können, und du vermagst ihnen auch nicht den Namen deiner Sippe zu sagen. Da aber jeder Maure sich seiner Sippe verbunden fühlt, würde ein Reisender ohne Verwandte auffallen. Außerdem sprichst du nicht wie ein Maure. Gelänge es dir dennoch, über die Grenze zu kommen, würdest du als Maure von den Asturiern oder Waskonen gefangen genommen und versklavt werden.«

Eleasar schwieg und griff nach einer Flasche und träufelte eine scharfe Flüssigkeit auf Konrads Verletzungen. Es brannte wie Feuer, doch der junge Franke verbiss sich jeden Schmerzenslaut und wartete gespannt auf das, was der Arzt ihm vorschlagen würde.

»Als Christ bist du Einschränkungen unterworfen, die es dir beinahe unmöglich machen, aus al Andalus zu entkommen. Immer wieder gibt es christliche Flüchtlinge, die nach Norden zu entkommen suchen. Erwischen die Reiter des Emirs oder einer seiner Statthalter einen Christen, der seine Herkunft und den Zweck seiner Reise nicht glaubhaft erklären kann, wird er versklavt.«

Konrad war verunsichert. Wollte der Arzt ihm ausreden, sich Fadls Quälereien zu entziehen? »Was soll ich deiner Ansicht nach tun? Nach deinen Worten scheint jeglicher Versuch zur Flucht scheitern zu müssen.«

»Gebrauche deinen Kopf! Welches Volk lebt sowohl hier im Land der Mauren wie auch in dem der Franken und wird von beiden Völkern gleichermaßen verachtet?«

»Du meinst euch Juden?«, rief Konrad verblüfft aus.

Eleasar nickte. »Genau. Die Verachtung der anderen bringt es mit sich, dass sie sich nicht um uns kümmern und daher unsere Sitten und Gebräuche nicht kennen. Jemand, der ein paar fromme Sprüche und Gebete in unserer Sprache zu sprechen vermag, könnte von einem Ende des Maurenreichs bis zum anderen Ende des Frankenreichs ziehen, ohne dass er auffällt. Er muss nur die Gesellschaft echter Juden meiden. Und das ist nicht allzu schwer, denn wir sind nur wenige und leben sehr verstreut.«

»Ich soll mich als Jude verkleiden?« Konrads erster Gedanke war Abscheu. Er bezwang dieses Gefühl jedoch, indem er sich sagte, dass Eleasar ihm bereits mehr geholfen hatte, als es Fadl Ibn al Nafzi für gut geheißen hätte. Ein Rat aus seinem Mund war gewiss nicht zu verachten.

»Es wäre der sicherste Weg, ungeschoren durch das Land zu reisen. Dafür aber benötigst du jüdische Tracht und Geld für Unterkunft und Verpflegung sowie zum Bestechen der Anführer von Streifscharen und kleiner Würdenträger, die sich an Reisenden bereichern.«

»An beiden hapert es mir«, antwortete Konrad niedergeschlagen.

»Kleidung ist leicht mitgenommen, wenn sie unbeaufsichtigt herumliegt. Mit Geld kann ich dir jedoch nicht helfen. Auch solltest du nicht allein fliehen, sondern die neue Sklavin deines Herrn mitnehmen. Fadl Ibn al Nafzi wird wütend sein, ihr aber nicht allzu sehr nachtrauern. Sie ist ihm nämlich zu wild, musst du wissen.« Eleasar hatte die Schrammen und Verletzungen behandelt, die Maite Fadl beigebracht hatte, und auch die Wunde des Eunuchen Tahir. Während der Herr kein Wort über die Herkunft seiner Schrunden verloren hatte, war der Verschnittene umso mitteilungsfreudiger gewesen und hatte dem Arzt alles erzählt, was in Fadls Haus vorgegangen war.

»Eine Frau ist bestens geeignet, deine Täuschung vollkommen zu machen, denn niemand wird in einem Juden und seinem Weib ein entflohenes Sklavenpaar vermuten.«

»Wir werden zu dritt sein!«

Eleasar blickte Konrad verwundert an. »Willst du deinen Landsmann mitnehmen?«

Konrad schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. Auch der hilfsbereite Arzt würde wohl kaum den Mund halten, wenn er erfuhr, dass es sich bei der dritten Person um die neue Favoritin des Emirs handelte. Er war jedoch nicht bereit, ohne Ermengilda von hier wegzugehen, und die Gelegenheit erschien ihm günstiger denn je.

»Gibt es ein Elixier, das die Haut und das Haar eines Menschen so dunkel machen kann wie die eines Mohren? Ihr Juden besitzt doch auch Sklaven, und da würde ein schwarzhäutiger Diener nicht auffallen.«

»Du bist wirklich klug, mein Freund. Doch du wirst beides stehlen müssen, denn ich will bei Gott, dem Gerechten, schwören können, dass ich dir nichts in die Hand gegeben habe. Bringe Fadls Diener dazu, dich ihren Wein holen zu lassen. Ich gebe ihn dir billiger, damit du jedes Mal ein paar Dirhem für dich behalten kannst. Da Fadl noch einige Wochen ausbleiben dürfte, kannst du auf diese Weise genug Geld sparen, um die Flucht wagen zu können. Ach ja, meine alten Kleider liegen in der Kammer nebenan. Die meines verstorbenen Weibes habe ich ebenfalls dort aufgehoben, und ein Saft, der selbst aus dir einen Mohren machen könnte, steht unten auf dem Bord in einer schwarzen Flasche.«

Eleasar sagte sich, dass er damit genug für den jungen Mann getan hatte. Während er die letzten Narben seines Patienten versorgte, schalt er sich einen Narren, weil er so viel Mitgefühl an einen fränkischen Christen verschwendete. Der Gedanke an Fadl Ibn al Nafzi aber bestärkte ihn in seinem Tun. Der Berber hatte einen Verwandten von ihm umgeritten und den Verletzten mit dem Säbel geköpft, als dieser sich lauthals beschwert hatte. Auch sonst war der Berber für seine Grausamkeit verrufen, und das nicht zu Unrecht, wie man an diesem jungen Franken sah. Einen Mann zu töten, der den eigenen Bruder im Kampf erschlagen hatte, war eine Sache, diesen aber zu fangen und langsam zu Tode zu quälen, eine andere.

»Deine Wunden heilen gut. In ein paar Wochen werden sie für dich nur noch eine Erinnerung an schlimme Tage sein. Doch jetzt sollten wir sehen, was dein Begleiter macht. Ich hoffe, sein Durst war nicht so groß, dass er die Sänfte nicht mehr tragen kann.«

Als sie ins Erdgeschoss zurückkehrten, wirkte Ermo enttäuscht. »Da seid ihr ja schon!«

Eleasar blickte in den Krug, um zu sehen, ob noch etwas Wein übrig wäre, und fand nur noch den Boden bedeckt. Den Rest füllte er in einen Becher, der nur halb voll wurde, und reichte ihn Konrad. »Hier, zur Stärkung!«

»Danke!« Konrad ließ die süßlich schmeckende Flüssigkeit die Kehle hinunterrinnen und dachte wehmütig an die köstlichen Fruchtweine, die seine Mutter so meisterhaft anzusetzen wusste.

Trotzdem bedankte er sich bei Eleasar und tippte Ermo an. »Auf geht’s! Wir müssen zum Palast zurück. Vielleicht wartet Maite bereits auf uns, und wir kriegen Ärger, weil wir so lange ausgeblieben sind.«

»Pah, ich kenn doch die Weiber! Die finden vor lauter Schwatzen kein Ende.« Ermo schielte auf den leeren Weinkrug und sah den Arzt auffordernd an. Der machte jedoch keine Anstalten, seinen Mohrenknaben noch einmal loszuschicken. Daher stand Ermo widerwillig auf, schwankte aber so stark, dass er fast über die eigenen Füße gestolpert wäre.

Konrad sah ihn bereits samt der Sänfte auf der Straße liegen, sagte aber nichts, sondern zuckte mit den Achseln. Schließlich hatte er Ermo nicht geheißen, sich zu betrinken. Mit einem freundlichen Gruß verabschiedete er sich von dem Arzt und trat auf die Straße hinaus.

Ermo folgte ihm und stöhnte, als die heißen Strahlen der Sonne ihn trafen.

Auch auf dem Vorhof des Palastes war es nicht kühler. Konrad dachte an Fadls Garten und sagte sich, dass dieser ein angenehmerer Aufenthaltsort wäre. Hier aber standen Ermo und er sich die Beine in den Leib. Dabei wartete er geradezu sehnsüchtig auf Maite, um von ihr zu erfahren, wie es Ermengilda erging.

Die Rose von Asturien
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