7.

 

Ermengildas Kammer war überraschend groß, wies aber nichts auf, das Maite hätte gefallen können. Mitten im Raum stand ein Bett aus dunklem Holz mit einem leinenüberzogenen Strohsack und einer Flickendecke aus kleinen Pelzstücken. Dazu gab es an der Wand zwei Truhen, von denen eine offen stand und sorgfältig zusammengelegte Kleidungsstücke offenbarte. Die Wand schmückten zwei Heiligenbilder – wenigstens nahm Maite an, dass es sich um Heilige handelte, denn um ihre Köpfe waren golden leuchtende Scheiben gemalt. Der Priester, der von Zeit zu Zeit aus Iruñea nach Askaiz kam und dort predigte, hatte erzählt, nur die Heiligen der Christenheit trügen solche Sonnenscheiben hinter dem Kopf. Bei einer der Figuren mochte es sich um Christus selbst handeln, denn er hielt in der Linken einen Palmzweig und hatte die Rechte zu einer segnenden Geste erhoben.

Während die kleine Waskonin noch staunend die Wandmalereien betrachtete, klärte Ermengilda sie mit lauter Stimme über ihre Pflichten auf. Sie versuchte, genauso zu reden wie Alma, bei der die Dienstboten sofort kuschten, während sie ihrer Mutter ständig mit Ausreden kamen, um ihre Faulheit zu vertuschen. Dies aber würde Ermengilda ihrer neuen Sklavin nicht durchgehen lassen.

»Also, wenn ich dir sage, du sollst mir mein blaues Gewand bringen, wirst du es aus der Truhe nehmen und sorgsam behandeln, damit keine Falten hineinkommen.« Erst jetzt merkte Ermengilda, dass Maite ihr gar nicht zuhörte, und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.

»Mach, dass du hierherkommst! Und jetzt holst du das blaue Kleid aus der Truhe und legst es auf das Bett.« Als Maite nicht sofort reagierte, versetzte sie ihr einen Stoß.

Maite schniefte, trat aber zur Truhe und griff hinein. Anstatt jedoch die anderen Kleidungsstücke, die über dem verlangten Gewand lagen, vorsichtig beiseitezulegen, wühlte sie darin herum, bis sie das blaue Gewand fand, und feuerte es auf das Bett.

»Da ist es!«

Ermengilda wurde vor Ärger bleich. »Du Bergtrampel bist wohl zu überhaupt nichts zu gebrauchen. Mach, dass du das alles wieder sauber zusammenfaltest und so in die Truhe legst, wie es sich gehört.«

Maite packte das Gewand, zerknüllte es wütend und stopfte es in die Truhe.

Als Ermengilda ihr Lieblingskleid so misshandelt sah, schrie sie zornig auf. »Du Teufelin! Das hast du nicht umsonst getan.«

Mit einem Schritt war sie bei ihrer Sklavin und versetzte ihr eine heftige Ohrfeige. Bis jetzt hatte Maite sich im Zaum halten können, doch nun verlor sie die Beherrschung und schlug ebenso hart zurück.

Die junge Asturierin griff sich mit der Hand an ihre Wange und kreischte. Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und Alma stürmte herein. Sie packte Maite und stieß sie gegen die Wand, dann sah sie Ermengilda mitleidsvoll an. »Was ist denn mit dir, mein Liebes? Warum weinst du?«

Ermengilda schluckte unter Tränen und wies auf Maite. »Sie hat mich ganz fest geschlagen!«

Almas breitflächiges Gesicht lief rot an. »Was? Eine lumpige Sklavin wagt es, die Hand gegen ihre Herrin zu erheben? Na warte, du kannst was erleben!« Sie packte Maite bei den Haaren und schleifte sie zur Tür hinaus. Ermengilda lief hinter den beiden her. Zuerst freute sie sich, dass die aufmüpfige Kleine bestraft werden sollte. Als Alma jedoch mit der rechten Hand einen kräftigen Stock packte, Maite mit der Linken bäuchlings über das Geländer drückte und sie zu schlagen begann, presste Roderichs Tochter erschrocken die Hände auf den Mund.

Zuerst wollte Maite der derben Frau nicht die Genugtuung gönnen, sie schreien zu hören, doch diesen Vorsatz hielt sie nicht lange durch. Zuletzt brüllte sie wie am Spieß, während Almas Stock einen wilden Tanz auf ihrem Rücken und ihrem Hinterteil vollführte.

Die Frau ließ erst von dem Mädchen ab, als ihr der Arm erlahmte. Dann krallte sie die Finger ihrer Linken in Maites Schopf und schüttelte sie so heftig, dass das Mädchen glaubte, ihr würden die Haare samt der Kopfhaut abgerissen.

»Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du deiner Herrin die Füße lecken wie ein treuer Hund!«, schrie Alma.

Maites Körper schmerzte so sehr, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Sie wollte nur noch weg von diesem hochnäsigen Mädchen und der zornigen Frau, die aussah, als wolle sie gleich dort weitermachen, wo sie eben aufgehört hatte.

»Glaubst du nicht, dass es genug ist? Wenn du die Kleine zum Krüppel schlägst, ist sie zu nichts mehr nütze«, wandte Ermengilda ein.

»Keine Sorge! Dieses Berggesindel hält einiges aus.« Almas erste Wut war verraucht, und sie ärgerte sich jetzt über sich selbst, weil sie sich von ihrem Zorn hatte hinreißen lassen. Ihre junge Herrin hatte recht. Zuschanden geschlagen war die Sklavin wertlos.

»Ich hoffe, du hast jetzt begriffen, was dir droht, wenn du deiner Herrin noch einmal ungehorsam bist oder sie gar schlägst. Tust du es noch einmal, wirst du gebrandmarkt und an die heidnischen Mauren verkauft. Diese werden dich schon lehren, was Demut heißt.« Sie versetzte Maite noch einen Schlag auf den Kopf und zwinkerte dann Ermengilda zu.

»Ich sperre dieses störrische Ding in den leeren Ziegenstall. Dort kann es nachdenken, wie es dir am besten dienen kann. Außerdem bekommt es heute nichts zu essen.«

Ermengilda hätte die Kleine zwar lieber bei sich im Zimmer gehabt, um sich von ihr bedienen zu lassen, sagte sich dann aber, dass Alma besser wusste, wie man einer Sklavin Gehorsam beibrachte. »Tu das!«

»Morgen frisst diese Wilde dir aus der Hand, das verspreche ich dir!« Alma packte Maite am Arm und schleifte sie auf den Hof hinaus. Erst vor einer aus Bruchsteinen aufgeschichteten Hütte im hintersten Winkel der Burganlage blieb sie stehen, riss die Tür auf und stieß Maite ins Innere. Nachdem sie die Tür wieder geschlossen und mit einem Pflock gesichert hatte, drehte sie sich zu Ermengilda um, die ihnen gefolgt war.

»Eine Nacht im Ziegenstall wird dieses Biest lehren, dir zu willfahren, auch wenn sie zu Hause in ihren Bergen wohl kaum besser gehaust hat. Du aber solltest jetzt wieder ins Haus gehen, mein Liebes.«

»Bevor Maite morgen wieder in mein Zimmer darf, muss sie noch einmal gewaschen werden!« Ermengilda schnupperte und verzog das Gesicht. Da sich die Ziegen den Sommer über im Freien aufhielten, wurde der Stall zurzeit nicht genutzt. Im Innern lag der Dreck jedoch knöchelhoch, und es stank, dass es einem schier den Atem nahm. Für Maite würde es eine entsetzliche Nacht werden, sie aber auch lehren, das nächste Mal nicht mehr so dumm zu sein, sich ihr zu widersetzen. Ermengilda warf dem Stall noch einen letzten Blick zu, dann kehrte sie ihm den Rücken und ging zum Haus zurück.

Die Rose von Asturien
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