9.

 

Drei Tage später waren Silo und sein Gefolge verschwunden wie ein Spuk, der die Bewohner von Roderichs Burg genarrt hatte. Die einfachen Leute schlugen ebenso wie der Burgherr und seine Gemahlin drei Kreuze. Auch wenn es ehrenvoll war, als treuer Gefolgsmann des Königs zu gelten, so hatte die Heimsuchung, wie Alma es nannte, große Lücken in ihre Vorräte gerissen, die jetzt im Frühjahr noch nicht aufgefüllt werden konnten.

Gospert und dessen Mannen hatte Silo zurückgelassen, damit die Franken Ermengilda in die Sitten ihrer Heimat einweisen und sie die fränkische Sprache lehren konnten. Tatsächlich hatte der König sie um nichts in der Welt zu seinem nächsten Ziel mitnehmen wollen. Bei diesem handelte es sich um ein kleines Städtchen an der Grenze zwischen seinem Reich und dem Gebiet des Walis von Saragossa. Zu den Zeiten seines Schwiegervaters Alfonso hatte es zu Asturien gehört, war aber wieder an die Mauren verlorengegangen. Bisher hatte Silo keine Anstalten gemacht, dies zu ändern, und auch diesmal suchte er keine Auseinandersetzung, sondern das Gespräch mit einigen maurischen Würdenträgern.

In Roderichs Burg musste Ermengilda sich derweil Gosperts Vorträge anhören, in denen er seinen König Karl und den Grafen Eward über alle Maßen pries. Sie interessierte sich jedoch mehr für das, was Ebla zu berichten wusste. Deswegen fing sie ihre Leibmagd auf dem Hof ab und zog sie hinter den alten Ziegenstall, aus dem vor Jahren die kleine Waskonin geflohen war.

»Nun erzähl mir: Wie war das mit dem König? Wie du weißt, werde ich bald heiraten, und da will ich genau wissen, was zwischen Mann und Frau vor sich geht.«

Ebla dachte daran, was ihr eine andere Magd berichtet hatte. Wenn sie dem König in neun Monaten einen Bastard gebar, würde er sie reich belohnen, und dann durfte ihre Herrin sie nicht mehr zu einem fremden, unangenehmen Mann ins Bett legen, nur weil Doña Urraxa sich einen Vorteil davon erhoffte. Die Erinnerung daran, wie man mit ihr umgesprungen war, ließ sie heftiger reagieren, als sie eigentlich wollte. »Er hat mir die Beine auseinandergebogen, sein Ding wie einen Stab aus glühendem Eisen in mich hineingebohrt und mir fürchterlich weh getan. Du wirst selbst erleben, wie unangenehm das ist!« Mit diesen Worten riss Ebla sich los und rannte davon.

Ermengilda blicke ihr nach und seufzte. Ihre Hoffnung, dass Ebla nicht nur ihre Magd, sondern auch eine Freundin sein würde, hatte sich nicht erfüllt. Das schmerzte sie doppelt, denn sie fürchtete sich davor, in wenigen Wochen in die Ferne zu reisen und einem fremden Mann als Eigentum übergeben zu werden. Wie gern hätte sie jemanden an ihrer Seite gehabt, dem sie ihre Gedanken anvertrauen konnte.

Enttäuscht und voller Angst vor der Zukunft kehrte sie in das Hauptgebäude zurück. Dort begegnete sie ihrem Vater.

Roderich winkte sie zu sich. »Ich habe eben mit Herrn Gospert gesprochen. Er ist genau wie ich der Ansicht, dass deine Heirat so rasch wie möglich erfolgen sollte. Daher wirst du übermorgen abreisen. Ich würde dich am liebsten persönlich zu den Franken bringen, aber meine Anwesenheit ist hier vonnöten. Ich denke, zwanzig wackere Kerle werden genügen, dich unversehrt über die Pyrenäen zu bringen.«

»So schnell soll ich von hier fortgehen, Vater?« Ermengilda erbleichte, denn nach Eblas Worten war ihre Vorfreude auf diese Ehe geschwunden.

Roderich schrieb das Erschrecken seiner Tochter dem baldigen Verlust von Heimat und Familie zu und zog sie an sich. »Es muss sein, Kleines! Deine Mutter ist wieder schwanger, und so Gott will, wird es ein Sohn, der uns anders als dein erster Bruder hoffentlich erhalten bleibt. Er wird in harte Zeiten hineingeboren werden. Silos Macht ruht auf schwachen Füßen, und als sein Verwandter stehe ich nicht gerade hoch in der Gunst seiner Feinde. Sollte der König stürzen, besteht die Gefahr, dass er mich und damit auch deine Mutter und deine kleine Schwester mit in den Untergang reißt. Ein mächtiger Eidam im Frankenreich könnte dies verhindern. Deine Heirat mit diesem Edelmann ist auch für uns sehr wichtig. Sollte deine Mutter keinen Sohn zur Welt bringen, bleibst du meine erste Erbin, und einer deiner Söhne wird in dem Fall die Grenzmark übernehmen.«

Ermengilda atmete tief durch. Der Vater hatte recht. Es war ihre Pflicht, sich für die Familie zu opfern.

»Es wird alles gut, das wirst du sehen!« Roderich lächelte und strich sich über die Stirn, als wolle er den kurzen Moment der Schwäche vergessen machen. »Wenn du übermorgen aufbrichst, bleiben dir nur mehr zwei Tage, um deine Sachen zu packen. Also hurtig ans Werk, Tochter. Du willst doch Ehre für uns einlegen.«

»Das will ich gewiss, Vater!« Ermengilda verbeugte sich und ging. Erst im Nachhinein wurde Roderich bewusst, dass sie das noch nie getan hatte, und er spürte mit einer gewissen Trauer das enge Band zwischen ihm und seiner Tochter schwinden.

Die Rose von Asturien
cover.html
titel.html
part1.html
chapter01.html
chapter02.html
chapter03.html
chapter04.html
chapter05.html
chapter06.html
chapter07.html
chapter08.html
chapter09.html
chapter10.html
chapter11.html
part2.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
part3.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
part4.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
part5.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
part6.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
part7.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
part8.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
part9.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
part10.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
bm1.html
bm2.html
bm3.html
author.html
copyright.html