3.
Am nächsten Morgen sprach keiner über das, was in der Nacht geschehen war. Ermengilda schenkte Konrad zwar ein schmelzendes Lächeln, dachte aber mehr an ihr ungeborenes Kind als daran, noch einmal das Lager mit ihm zu teilen. Konrad hatte Ermengilda im Traum die ganze Nacht hindurch geliebt und erbebte noch unter dem Widerhall der dabei erlebten Lust. Sein Drang, sich als Mann zu beweisen, war jedoch fürs Erste gestillt, und er wollte warten, bis Ermengilda erneut für ihn bereit war.
Maite richtete derweil ihre Gedanken auf den nächsten Schritt und breitete die Gewänder auf dem Boden aus, die Konrad aus Eleasars Haus mitgenommen hatte. Es handelte sich um die derbe Tracht eines reisenden Juden mit langem Hemd, Kaftan, Mantel und einer Mütze. Daneben gab es ein weites Hemd von blauer Farbe, ein besticktes Mieder, ein Überkleid mit kurzer, ebenfalls bestickter Schürze sowie ein Käppchen mit Schleier. Diese Kleidung war einer wohlhabenden Jüdin angemessen. Maite gefiel diese Gewandung, und sie hätte sie gerne getragen, zumal die zweite Frauentracht nur aus einem langen, bräunlichen Hemd und einem ärmellosen, kittelartigen Überkleid bestand, wie eine Dienerin sie auf Reisen tragen mochte.
Leider passte die bessere Kleidung ihr nicht, und sie musste sich mit dem einfachen Gewand begnügen. Während sie die Sachen sortierte, fiel ihr auch die Flasche mit dem Färbemittel in die Hände.
»Was ist das?«, fragte sie Konrad.
Dieser sah sie grinsend an. »In dieser Flasche ist ein Saft, mit dem einer von uns Haut und Haare färben kann, so dass er wie ein Mohr aussieht.«
»Hoffentlich nicht für immer«, spottete Maite und wollte die Flasche beiseitelegen. Dann aber wog sie sie nachdenklich in der Hand. »Das werde wohl ich machen müssen. Du kannst als Jude nicht gleichzeitig als Mohr auftreten, und Ermengilda nähme man diese Verwandlung nicht ab, weil die hellen Augen sie verraten würden.« Maite öffnete den Verschluss der Flasche und ließ etwas von der Flüssigkeit in ihre zur Schale geformte linke Hand fließen. Das Elixier sah aus wie Tinte und war geruchlos. Als sie vorsichtig ein wenig davon auf ihrem Arm verstrich, zeigte die Haut an der Stelle einen mattschwarzen Schimmer, der tatsächlich der Hautfarbe eines Mohren glich.
»Du wirst mir helfen müssen!«, sagte sie zu Ermengilda und berührte mit den von der Tinktur feuchten Fingern deren Haare. Sofort erlosch an dieser Stelle der goldene Glanz.
»Wir sollten deine Haare ebenfalls färben. Eine Mohrin und eine Jüdin mit schwarzen Haaren wird kein Maure für die beiden Frauen halten, die dem Emir und dessen Blutsäufer Fadl entkommen sind.« Maite freute sich darauf, das Haar ihrer Freundin umzufärben, so dass Ermengilda eine Weile schlicht und unauffällig umherlaufen musste. Dann aber dachte sie daran, wie sie selbst als Mohrin aussehen würde, und schüttelte sich.
Sie wandte sich an Konrad. »Kümmerst du dich um die Esel und tränkst sie? Lass sie noch ein wenig fressen, denn sie haben einen langen Weg vor sich!«
Er nickte, schlüpfte in seine jüdische Tracht und ging dann zu den beiden Grautieren.
»Jetzt frisch ans Werk!«, forderte Maite ihre Freundin auf und zog sich bis auf die Haut aus. Dann begann sie, sich Busen und Leib mit der Tinktur einzureiben.
»Was machst du da?«, rief Ermengilda erschrocken. Sie hatte gedacht, Maite werde sich damit begnügen, das Gesicht, die Arme und die Füße zu färben.
Maite lachte leise auf. »Wenn ich als schwarze Dienerin gelten soll, darf kein Fleckchen heller Haut zu sehen sein. Was meinst du, was die Leute sagen würden, wenn ich mich irgendwo erleichterte und ihnen dabei einen weißen Hintern zeige?«
Ermengilda musste lachen. Sie trennte einen Stofffetzen von ihrem alten Gewand ab, tränkte ihn mit dem Mittel und begann, den Rücken und den genannten Körperteil ihrer Freundin einzufärben.
Da kam Konrad zurück und starrte die nackte Frau, die weiß und schwarz gefleckt dastand, verblüfft an. Als Maite ihn entdeckte, fauchte sie wie eine Katze, der jemand auf den Schwanz gestiegen war.
»Mach, dass du verschwindest! Oder hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass du keine fremden Frauen anstarren sollst, besonders, wenn sie unbekleidet sind?«
Konrad wandte sich ab, weniger jedoch wegen Maites Schelten, sondern weil ihr Anblick nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben war. Trotz ihrer gescheckten Haut hatte ihn das Verlangen gepackt. Bisher hatte er sie für unansehnlich gehalten, zumindest im Vergleich zu Ermengilda, aber als er sie noch einmal heimlich betrachtete, fand er sie sogar recht reizvoll, obwohl die schwarze Farbe nun beinahe ihren gesamten Körper bedeckte.
»Ich sattle die Esel«, sagte er und verließ die beiden Frauen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Viel zu tun hatte er nicht, denn außer dem Strick als Zügel und einer um den Bauch geschlungenen Schnur, mit der er den Packen mit dem Essen und das eingewickelte Schwert festbinden konnte, war nichts an Sattel- und Zaumzeug vorhanden.
Kurz darauf waren auch die beiden Frauen fertig. Konrad schluckte, als er Maite als Mohrin sah. Hätte er sie nicht bereits gekannt, wäre ihm nie der Verdacht gekommen, ihre Haut wäre in Wahrheit weiß. Der Anblick von Ermengildas Haar machte ihn ein wenig traurig. Der goldene Glanz war einem matten Schwarz gewichen, und er war froh um die Kappe und den Schleier, mit denen sie ihre Locken nun verbarg.
Ein Problem galt es jedoch noch zu lösen. Da sie einen Esel zu wenig besaßen, würde einer von ihnen zu Fuß gehen müssen. Eleasar, der Jude, hatte geglaubt, Konrad würde neben Maite seinen Landsmann Ermo mitnehmen und diesen als Mohren ausgeben. Einen solchen aber ließ man zu Fuß gehen und die Tiere führen.
Konrad hob Ermengilda auf den kräftigeren Esel und forderte Maite auf, sich auf den anderen zu setzen.
»Glaubst du nicht, dass es seltsam aussieht, wenn der Herr zu Fuß geht und die Magd reitet?«, fragte Maite spöttisch.
»Aber ich kann dich doch nicht die ganze Strecke laufen lassen!« Für die Dauer mehrerer Herzschläge überlegte Konrad, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er sich schwarz hätte anmalen lassen. Doch nur mit ihm als schwarzen Knecht hätten die beiden Frauen nicht reisen können.
»Du reitest, und ich laufe! Es geht wirklich nicht anders«, beharrte Maite.
Konrad nickte grimmig und stieg auf den zweiten Esel.
Maite fasste nach dem Strick von Ermengildas Reittier und führte es aus dem Wald heraus. Konrad stieß seinem Esel die Fersen in die Weichen und brachte ihn dazu, seinem Gefährten im Zuckeltrab zu folgen.
»Was habt ihr mit den Gewändern gemacht, die wir zurücklassen mussten?«, fragte er, als er Maite und Ermengilda eingeholt hatte.
»Was wir nicht brauchen konnten, hat Maite mit Hilfe eines Stockes vergraben«, antwortete Ermengilda und hielt sich dabei krampfhaft an der dünnen Mähne des Esels fest. Im Sattel fühlte sie sich sicher, und sie hätte die Strecke bis zur Grenze auf einem feurigen Renner in weniger als drei Wochen zurückgelegt. Aber sie war noch nie auf dem blanken Rücken eines Esels geritten und daher froh, dass Maite das Tier am Zügel führte.
Als sie sich zu Konrad umwandte, musste sie lächeln. Auch er wirkte nicht gerade wie ein stolzer Reiter.