14.
Als Konrad durch das offene Tor in den Innenhof von Fadl Ibn al Nafzis Anwesen trat, prallte er förmlich zurück. Fast zwei Dutzend Krieger aus der Garde des Emirs standen da, dazu sah er zwei Eunuchen geschäftig herumwieseln. Wie es aussah, war Ermengilda bereits eingetroffen. Für so viele Männer, wie hier versammelt waren, würde der Wein niemals reichen. Außerdem musste er damit rechnen, dass die Soldaten die Gesetze ihres Glaubens strenger auslegten als Fadls Gesinde. Noch während er wie versteinert dastand, schoss der Verwalter Zarif auf ihn zu.
»Da bist du ja endlich! Schaff die Medizin in den Keller und hilf dann mit, Sorbet an die tapferen Krieger des Emirs auszuschenken!«
In dem Augenblick fühlte Konrad eine eisige Hand an seinem Herzen. Der Mann würde doch nicht etwa jemand anderen losschicken, um den restlichen Wein zu holen? Dann war alles verloren.
»Aber ich habe doch nicht alle Medizin mitbringen können!«, rief er erschrocken.
»Die kannst du nachher holen. Unsere Gäste wollen zum Palast zurückkehren. Also tummle dich, damit sie ihre Erfrischungen erhalten.«
Konrad fiel ein Stein vom Herzen. Wenn die Soldaten des Emirs, die Ermengilda hierher eskortiert hatten, das Haus bald verließen, konnte der Plan gelingen. Rasch trug er den Wein in den kühlen Keller, und anschließend half er mit, den Fruchtsaft, den die Sklavinnen in aller Eile gepresst hatten, in Trinkgefäße zu füllen. Er gab ein wenig zerstoßenes Eis dazu, welches im Winter aus den nahen Bergen geholt und im untersten Keller gelagert wurde, und teilte die Becher aus.
Zu seiner Erleichterung hielten die Männer des Emirs sich nicht lange auf, sondern tranken hastig aus und folgten dann ihrem bereits ungeduldig werdenden Anführer.
»Wenn die Dame in den Palast zurückkehren will, schickt einen Boten«, rief der Mann Zarif noch zu, dann verschwanden die Soldaten wie ein Nebelstreif in der Sonne.
Nur die beiden Palasteunuchen blieben zurück, denn sie hatten von Tahir erfahren, dass es an diesem Tag einen ganz besonderen Genuss geben würde. Der Eunuch schickte Konrad auch sofort in den Keller, um den ersten Weinkrug zu holen. Danach gesellten die drei Verschnittenen sich zu Zarif und den Knechten, und Konrad musste mit seinem Krug herumgehen, um allen einzuschenken.
»Es ist gut, dass die Herrin Ermengilda die Nacht über bleiben will. Damit haben wir genug Zeit, um dieses köstliche Getränk zu genießen«, sagte einer der Eunuchen und schlürfte genüsslich den Wein.
Auch Zarif trank und hielt dann Konrad den leeren Becher hin. »Komm, Sklave, trödle nicht, sondern schenk ein.«
Konrad tat es, drückte dann aber den Krug Ermo in die Arme. »Schenk du weiter ein! Ich muss fort und den restlichen Wein holen. Eleasar will nämlich seine Kranken aufsuchen.«
»Dann lauf gefälligst!«, befahl der Verwalter ihm und trank seinen Becher ein weiteres Mal leer.
Erleichtert eilte Konrad zum Haus des Arztes und trat ein. Um nicht von einem Kranken überrascht zu werden, der Eleasar aufsuchen wollte, schob er den Riegel vor und hastete in den ersten Stock. Als er die Tür des Nebenzimmers aufdrückte, fand er die Kammer sauber aufgeräumt vor. Im ersten Augenblick glaubte er, der Arzt hätte ihn betrogen, doch dann wurde er auf eine Truhe aufmerksam, deren Deckel leicht schräg stand. Er öffnete sie und sah mehrere zusammengefaltete Kleidungsstücke darin. Als er diese herausnahm, rutschte ein aus Stoff gefertigter Beutel heraus und fiel auf den Boden.
Dabei klirrte es, und Konrad zuckte erschrocken zusammen. Er fasste sich jedoch wieder, hob den Beutel auf und steckte ihn unter sein Hemd. Wie viel Geld darin steckte, wusste er nicht, aber in dem Augenblick hätte er die Flucht sogar mit drei Dirhems in der Hand angetreten.
Die Kleidung unterschied sich kaum von der Tracht, die einfache Moslems trugen. Für ihn selbst gab es ein langes Hemd und einen ebenso langen Überrock. Dazu kamen ein Umhang für kalte Nächte sowie feste Sandalen und eine Filzmütze, um die ein Tuch gewickelt war. Es war die Gewandung eines Mannes, der es gewohnt war zu reisen. Konrad fand auch eine zweite Männerbekleidung, legte diese aber beiseite und suchte sich nach dem Vorbild der für ihn zurechtgelegten Frauentracht noch eine weitere zusammen. Jetzt musste er die Kleidung nur noch in Fadl Ibn al Nafzis Haus schmuggeln. Kurzerhand steckte er alles in einen leeren Korb und stellte die restlichen Weinkrüge darauf. Er wollte das Haus schon verlassen, als ihm der Saft einfiel, mit dem man seine Haut dunkler färben konnte. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich daran erinnerte, wo dieser sich befinden sollte. Dann fand er ihn auf Anhieb, steckte ihn zu den anderen Sachen und verließ vor Anspannung zitternd das Haus. Auf dem Rückweg dachte er bedauernd, dass er sich nicht von Eleasar hatte verabschieden können. Aber er verstand, dass der Mann jeden Verdacht vermeiden wollte, sein Mitwisser oder gar Helfer zu sein.