11.

 

Anders als Ermengilda befürchtet hatte, stellte der Befehl, ihr zu dienen, für Maite eine Erlösung dar. Ihr waren die anderen waskonischen Mädchen auf die Nerven gegangen, insbesondere, da sie in deren Gesellschaft zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren hatte, was Langeweile hieß. Als sie mit dem wenigen, das sie besaß, in Ewards Zelt eintraf, fand sie Ermengilda still und bedrückt vor.

Bei ihrem Anblick versuchte die junge Asturierin jedoch zu lächeln. »Schön, dass du da bist, Maite. Ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich dich als meine Dienerin vorgeschlagen habe. Es geschah nicht aus Bosheit, sondern …«, sie sah Maite mit einem traurigen Blick an, »… weil du der einzige Mensch bist, dem ich hier vertrauen kann.«

Die aufrichtigen Worte rührten Maite. Zwar waren Ermengilda und sie im Grunde Feindinnen, doch das Schicksal hatte sie beide zu Gefangenen der Franken gemacht, Ermengilda durch Heirat und sie als Geisel. Im Grunde war sie in der glücklicheren Lage, denn sie konnte hoffen, bald freizukommen. Ermengilda aber hatte man mit Ketten an Eward gefesselt, die stärker waren als Eisen.

»Ich gehe dir gerne zur Hand, denn mir bliebe sonst nichts anderes übrig, als mir dumme Sprüche von noch dümmeren Gänsen anzuhören.« Maite sah sich um, ob etwas zu tun sei, und entdeckte eine offene Truhe, in der bereits einige Kleider lagen. Ermengilda deutete darauf. »Mir wurde gesagt, es würde heute noch der Befehl ergehen, Pamplona zu verlassen. Der König will nach Süden ziehen und das Land bis zum Ebro seiner Herrschaft unterwerfen. Möglicherweise marschiert das Heer sogar bis Saragossa. Daher müssen wir packen, um für den Abmarsch vorbereitet zu sein. Die Truhe enthält bereits einige meiner Gewänder und außerdem Tuch für ein paar neue Kleider. Darunter befindet sich auch der Rest des Stoffes, der dich kleiden soll. Wir haben also genug zu tun, während das Heer zieht.«

Zu Maites Verwunderung schien Ermengilda froh zu sein, dass es endlich weiterging, aber der Grund dafür erschloss sich ihr nicht.

Ermengilda wollte ihr nicht offenbaren, dass sie hoffte, Eward würde sie unterwegs in Ruhe lassen. Da die Erfahrung, die sie beim ersten Mal mit ihm gemacht hatte, schmerzhaft gewesen war, wollte sie so rasch nicht wieder in sein Bett steigen müssen.

Maite hätte Verständnis für sie gehabt, denn ihr Urteil über Eward stand fest. Verglichen mit Philibert und Konrad war er ein erbärmlicher Charakter, und sie war froh, nichts mit ihm zu schaffen zu haben.

Gemeinsam mit Ermengilda kniete sie neben der Truhe und half ihr, die Kleider auszusuchen, die diese mitnehmen wollte. Zwei davon, die noch recht gut aussahen, wanderten zu ihr hinüber. Sie würde sie kürzen und mit den dabei abfallenden Stoffstücken um Taille und Hüfte weiter machen müssen. Dennoch fand sie, dass sie noch nie schönere Kleider besessen hatte.

Diese Erkenntnis ließ die Erinnerung an die Jahre in Okins Haus bitter in ihr hochsteigen. Ihr Onkel hatte ihr nicht nur gegen jedes Recht den Besitz ihres Vaters vorenthalten, sondern auch gemeinsam mit seiner Frau dafür gesorgt, dass sie stets in schlichten Kitteln herumgelaufen war, als sei sie armer Leute Kind. Früher hatte sie das nicht gestört, aber als sie jetzt Ermengildas Kleider bewunderte, empfand sie noch mehr Zorn auf den Mann, der von dem Tod ihres Vaters profitiert und sie all ihrer Rechte beraubt hatte. So, wie Okin und Estinne sie erzogen hatten, war es ihr nicht möglich gewesen, ein unbeschwertes junges Mädchen unter anderen jungen Waskoninnen zu sein. Die beiden hatten sie nach ihrer Rückkehr aus Roderichs Burg von anderen Kindern ferngehalten und sie damit auch dem Stamm entfremdet. Nun musste sie froh sein, dass Ermengilda sich ihrer angenommen hatte, auch wenn sie im Gegensatz zu den letzten Monaten nun deren Dienerin war.

Sie lächelte Ermengilda zu und zeigte auf eines der Kleider.

»Ich glaube, darin wirst du besonders hübsch aussehen.«

»Mir wäre lieber, ich wäre hässlich wie die Nacht«, antwortete Ermengilda leise.

Maite schüttelte den Kopf. »Da wärst du aber die einzige Frau auf der Welt, die sich das wünscht.«

Mit einer geschmeidigen Bewegung fuhr Ermengilda hoch. »Wäre ich hässlich, müsste ich nicht zwei wackere Männer betrüben, die mir aufrichtig zugetan sind.«

»Männer sind Männer«, antwortete Maite leichthin. »Du kannst dir zehn aussuchen, und es ist kein Gescheiter darunter. Wir Mädchen müssen es nehmen, wie es kommt. Manchmal hat man ein wenig Glück, meistens aber eher nicht.«

»Wie oft warst du schon verheiratet, dass du so klug daherredest?«, fragte Ermengilda.

Maite amüsierte sich über den Vorwurf. »Natürlich noch kein einziges Mal. Aber ich brauche nur die Männer anzusehen, die mir vor die Füße laufen. Ich würde einen Schock von ihnen für einen Denar verkaufen, wenn ich könnte.«

»Ich würde nur einen ganz Bestimmten verkaufen, doch genau das kann ich nicht. Mir bleibt nur, zu erdulden, was das Schicksal mir auferlegt hat.« Ermengilda seufzte und schloss ihre Truhe. Da noch einige Kleider und Maites Stoffballen auf ihrem Bett lagen, wies sie zum Zelteingang.

»Wir werden uns eine weitere Truhe besorgen müssen, um alles unterzubringen.«

»Nimm doch eine von deinem Gemahl. Bei Gott, hat der Mann seinen ganzen Hausstand dabei?« Maite starrte verdutzt auf die Vielzahl an Truhen, die auf der anderen Zeltseite aufgestapelt waren. Es war mindestens ein halbes Dutzend, und in jede davon hätte Ermengildas Kiste dreimal hineingepasst.

Die Asturierin versteifte sich. »Ich will nichts von meinem Gemahl haben!«

»Da ist der König leider anderer Ansicht.« Unbemerkt von den beiden Frauen war Eward ins Zelt getreten. Sein Gesicht wirkte angespannt, und er starrte Ermengilda an, als sei sie ein Dämon, der geschickt worden war, ihn zu plagen.

Mit einer Hand wies er zum Zelteingang. »Du kannst gehen und draußen weitermachen, Sklavin. Ich muss mit meinem Weib allein sein!«

»Ich bin keine Sklavin!«, schnaubte Maite empört.

Sie sah, wie Ermengilda erbleichte, und sagte sich, dass hier zwei Menschen vor Gott zusammengespannt worden waren, die wirklich nicht zueinander passten. Da dies jedoch nicht ihre Sache war, verließ sie das Zelt, ohne Eward noch einmal anzusehen. Draußen scheuchte sie die Knechte herum, damit diese ihr eine weitere Truhe besorgten. Auch forderte sie die Männer auf, einen Wagen für Ermengilda und sie bereitzustellen, denn sie hatte keine Lust, bis Saragossa zu laufen.

Im Zelt wandte Eward sich mit unverhohlenem Widerwillen an Ermengilda. »Zieh dich aus! Der König wünscht, dass ich dich regelmäßig besteige. Gebe Gott, dass du bald schwanger wirst.«

»… und es dir erspart bleibt, weiterhin mit mir Hengst und Stute spielen zu müssen«, ergänzte Ermengilda seine Aussage. »Da bist du nicht der Einzige, der sich das erhofft.«

Die Rose von Asturien
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