12.

 

Die Landschaft unterschied sich noch stärker von den bewaldeten Hügeln, die Konrad aus seiner Heimat gewohnt war, als die Gegend vor den Pyrenäen. Zwar gab es auch hier Wälder, doch die weiten Kronen der Steineichen und Pinien verliehen dieser Landschaft zusammen mit den hohen, schroffen Bergen ein ganz eigenes Gepräge.

»Hier dürfte es viel Wild geben«, sagte er zu Just, der zu ihm aufgeschlossen hatte, um mit ihm die richtige Aussprache des Asturischen zu üben.

Der Junge sah sich um, kniff kurz die Augenlider zusammen und bemühte sich dann, ein ausdrucksloses Gesicht zu zeigen.

»Hier gibt es verdammt viel Wild, Herr! Vor allem welches mit eisernen Federn. Vorsicht! Verratet Euch nicht! Wir werden beobachtet«, setzte er rasch hinzu, als Konrad sich umschauen wollte.

Konrad senkte den Kopf, betrachtete jedoch die Umgebung aus den Augenwinkeln heraus. »Was hast du gesehen?«

»Das Aufblitzen einer blanken Speerspitze sowie einen Kopf, auf dem ein mit einem Tuch umwickelter Helm saß«, berichtete der Junge.

»Ein Maure also! Da heißt es, auf der Hut zu sein. Es ist zwar möglich, dass er uns nur im Auge behalten will. Genauso gut kann er Freunde bei sich haben.« Konrad brach der Schweiß aus. Er versuchte, sich daran zu erinnern, was sein Vater ihm über Hinterhalte erzählt hatte. Sein Kopf fühlte sich jedoch mit einem Mal so leer an wie ein auf dem Kopf stehender Weinkrug. Dabei hatte Roland ihm vertraut und diese Schar Reiter mitgegeben.

»Eine erkannte Gefahr ist eine halbe Gefahr«, murmelte er und begriff erst, dass er dies nicht nur gedacht hatte, als die hinter ihm reitenden Männer fragten, was los sei.

»Vorsicht, Leute! Wir werden beobachtet«, raunte er ihnen zu.

»Gebt es weiter. Die Männer dürfen sich nicht umschauen. Sonst merkt der Kerl, dass wir ihn gesehen haben. Und richtet euch auf einen Kampf ein. Wenn ich das Kommando gebe, preschen wir los.«

»Wenn es Mauren sind, halten sie uns mit ihren Pfeilen auf Abstand«, wandte einer der Männer ein.

In dem Augenblick hob Konrads Hengst den Kopf, witterte mit gespreizten Nüstern und stieß ein trillerndes Wiehern aus.

»Vor uns muss eine rossige Stute sein. Haltet eure Gäule im Zaum. Und folgt mir, wenn ich anreite!« Obwohl Konrad sich forsch gab, zitterte er vor Aufregung. Jeder der Reiter, die ihn begleiteten, besaß weitaus mehr Kampferfahrung als er. Einige hatten bereits im Süden Galliens an Scharmützeln mit Mauren teilgenommen und wussten sicher besser, wie man sich im Kampf mit ihnen stellen musste. Er war jedoch der Anführer, und es blieb keine Zeit, sich mit den anderen zu beraten.

Konrad trieb seinen Hengst an und ließ seine Männer für kurze Zeit um etliche Pferdelängen hinter sich zurück. Nun entdeckte auch er ein Aufblitzen auf der Anhöhe, die vor ihnen den Weg begrenzte. Der Widerschein musste von mindestens einem Dutzend Speere kommen. Da sie nicht ausweichen konnten, hieß das Kampf. Er packte seinen Schild fester und nahm gleichzeitig den Zügel in die linke Hand, damit er die Rechte für den Speer frei hatte.

Die Mauren hatten die Stelle für den Hinterhalt gut gewählt, und ohne Vorwarnung wären die Franken wohl böse überrascht worden. Konrad schätzte den Weg ab, der weiter vorne einen Bogen machte, sah dann verstohlen den Hang hoch, auf dem die Mauren lauerten, und grinste. Dort hinauf hatten die Feinde ihre Pferde nicht mitnehmen können. Also mussten sich die Tiere ein Stück vor ihnen befinden. Wenn er und seine Begleiter schnell genug handelten, konnten sie den Mauren den Weg dorthin abschneiden und aus Jägern Gejagte machen.

Er drehte sich kurz um und winkte mit seiner Lanze. »Aufschließen, zum Teufel noch mal! Ich will heute Abend an Graf Roderichs Tafel speisen.«

Ein Stück über ihm verzog Abdul der Berber geringschätzig das Gesicht. »Allah hat diesen Franken den Verstand geraubt. Sie reiten, als befänden sie sich auf einem Ausflug in ihren heimischen Wäldern. Wir werden sie abschießen wie balzende Fasane!«

Er nahm seinen Bogen zur Hand, wählte einen Pfeil aus und legte ihn auf die Sehne. Auch seine Männer machten sich schussbereit. Einer von ihnen maß die Entfernung, welche die Franken in den letzten Augenblicken zurückgelegt hatten, und schüttelte verwundert den Kopf.

»Die Giauren werden schneller. Und sie tragen jetzt ihre Schilde so hoch, dass wir ihre Leiber nicht mehr treffen können.«

Abdul lachte kurz. »Dann zielen wir eben auf ihre Köpfe!«

»Wir sollten besser auf die Pferde schießen«, schlug sein Untergebener vor, erntete aber nur einen verächtlichen Blick.

»Ich töte den Anführer!«, sagte Abdul, zog den Bogen aus und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen.

Konrad fühlte das Aufblitzen der Pfeilspitze in der Sonne mehr, als dass er es sah, und riss in einer Reflexbewegung den Schild hoch. Ein harter Stoß traf das mit Eisenbändern verstärkte Lindenholz, und als er hinschaute, sah er einen gefiederten Schaft herausragen, der noch unter der Wucht des Einschlags zitterte. Noch im selben Augenblick stieß er seinem Hengst die Sporen in die Weichen. So rauh hatte er das Tier noch nie behandelt, und es stürmte empört wiehernd voran. Die anderen Panzerreiter folgten ihm wie eine Wand aus Eisen. Auch die Knechte, die kaum oder nur schwach gerüstet waren, trieben ihre Gäule an.

Obwohl jeder Maure mehrere Pfeile abschoss, stürzten nur wenige Männer aus den Sätteln, und die gefährliche Stelle war bald passiert. Kurz darauf sahen Konrad und seine Männer etliche nach maurischer Art gesattelte Pferde vor sich.

Abdul hatte sechs seiner Leute als Wachen bei den Tieren gelassen. Diese kamen jedoch nicht dazu, ihre Bögen zu heben oder die Schwerter zu ziehen, so rasch waren die Franken über ihnen.

Konrad stieß dem Vordersten die Lanze in den Leib, ließ die Waffe fahren und griff zum Schwert. Er benötigte es jedoch nicht mehr, denn seine Leute hatten bereits den fünf anderen Pferdewächtern den Garaus gemacht.

»Los, nehmt die Tiere mit! Und dann nichts wie fort, bevor die anderen Mauren vom Berg herabkommen und auf uns schießen können«, rief Konrad seinen Leuten zu.

Rado und Just schnappten sich zwei Zügel und banden sie an ihren Sätteln fest. Beide grinsten, denn als Anführer standen Konrad die Tiere als Beute zu. Auch die anderen Panzerreiter griffen nach den Zügeln der Maurenpferde, die so dastanden, als hätten sie nur darauf gewartet, von ihnen abgeholt zu werden. Bei gut fünfzig Stuten mussten auch einige Knechte zugreifen. Die anderen sprangen aus den Sätteln und plünderten die toten Mauren aus. Beinahe ebenso schnell waren die Männer wieder auf ihren Gäulen und folgten ihren Freunden, die ein strammes Tempo anschlugen und den Platz des Überfalls rasch hinter sich ließen.

Die Rose von Asturien
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